Neun

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Holly! Oder soll ich lieber sagen: Herzlichen Glückwunsch nachträglich?« Richard lachte nervös. Holly blieb der Mund offen stehen vor Staunen, als sie ihren Bruder auf ihrer Türschwelle stehen sah. Das war eine absolute Seltenheit, wenn nicht überhaupt das erste Mal! »Ich hab dir eine Mini-Phalaenopsis-Orchidee mitgebracht«, verkündete Richard und streckte ihr den Blumentopf hin. »Die sind gerade frisch reingekommen, haben schon Knospen und werden bald herrlich blühen.« Er klang wie aus der Werbung. Holly staunte nur noch mehr und fingerte vorsichtig an den winzigen rosaroten Knospen herum. »Mensch, Richard, Orchideen sind meine Lieblingsblumen.«

»Na ja, du hast hier sowieso einen hübschen großen Garten, hübsch und … « Er räusperte sich. »Hübsch und grün. Wenn auch ein klein wenig verwildert … « Er verfiel in Schweigen und fing an auf den Füßen zu wippen, eine Angewohnheit, die Holly zur Weißglut brachte.

»Hast du einen Moment Zeit reinzukommen, oder musst du gleich weiter?« Bitte sag nein, bitte sag nein.

»Doch, ich komme gern kurz rein«, sagte er und streifte sich gut zwei Minuten die Füße ab, ehe er ins Haus trat. Er erinnerte Holly an ihren alten Mathelehrer, der immer eine braune Strickjacke und braune Hosen angehabt hatte, die haarscharf auf seinen ordentlichen braunen Halbschuhen endeten. Kein Härchen war am falschen Platz, die Fingernägel stets sauber und perfekt manikürt. Holly konnte sich vorstellen, wie er sie jeden Abend mit dem Lineal abmaß, damit sie irgendwelchen europäischen Standardmaßen entsprachen, falls es die gab.

Richard schien sich in seiner Haut nie richtig wohl zu fühlen. Er sah aus, als erstickte er an seiner eng geknoteten (braunen) Krawatte, er bewegte sich, als hätte er einen Stock verschluckt, und in den seltenen Fällen, wenn er einmal lächelte, erreichte das Lächeln nie seine Augen. Er war sein eigener Aufpasser, der sich jedes Mal, wenn er in menschliche Verhaltensweisen verfiel, sofort zur Räson rief und bestrafte. Das Traurige war, dass er glaubte, wenn er sich so etwas antat, wäre er ein besserer Mensch als die anderen.

Holly führte ihn ins Wohnzimmer und stellte den Blumentopf vorläufig auf den Fernseher. »Nein, nein, Holly«, tadelte Richard sie sofort und hob den Zeigefinger, als wäre sie ein unartiges Kind. »Da darfst du den Topf nicht hinstellen, er braucht einen kühlen Standort, wo er keine Zugluft und keine grelle Sonne abbekommt und auch nicht direkt an einer Hitzequelle steht.«

»Oh, natürlich.« Hektisch nahm Holly den Topf wieder weg und blickte sich panisch im Zimmer nach einem geeigneten Plätzchen um. Was hatte Richard gesagt? Sollte das Ding warm stehen? Und keine Zugluft kriegen? Wie schaffte er es nur, dass sie sich in seiner Gegenwart immer wie ein ungeschicktes kleines Mädchen vorkam?

»Wie wäre es mit dem Couchtisch da drüben, da wäre er in Sicherheit.«

Holly tat, was ihr Bruder vorschlug, stellte die Orchidee auf den Tisch und erwartete halb, mit einem »Braves Mädchen« gelobt zu werden. Zum Glück kam nichts dergleichen.

Richard nahm seine Lieblingsstellung am Kamin ein und sah sich um. »Bei dir ist es sehr sauber«, stellte er fest.

»Danke, ich hab gerade erst … äh … geputzt.«

Richard nickte, als hätte er das bereits geahnt.

»Darf ich dir eine Tasse Tee oder Kaffee anbieten?«, fragte sie in der Erwartung, dass er sowieso ablehnen würde.

»Ja, Tee wäre großartig«, antwortete er stattdessen und klatschte in die Hände. »Nur Milch, kein Zucker.«

Mit zwei Bechern Tee kehrte Holly aus der Küche zurück, stellte die Becher auf den Couchtisch und hoffte, dass der Dampf die arme Pflanze nicht töten würde. Schließlich war der Tee ja eine Hitzequelle.

»Du musst sie nur täglich gießen und alle paar Tage das Wasser ganz auswechseln.« Er redete immer noch von der Pflanze. Holly nickte, obwohl sie genau wusste, dass sie beides sowieso nicht tun würde.

»Ich wusste gar nicht, dass du einen grünen Daumen hast, Richard«, sagte sie, um die Atmosphäre etwas aufzulockern.

»Den hab ich eigentlich auch nur, wenn ich mit den Kindern male«, lachte er. »Jedenfalls behauptet Meredith das.«

»Arbeitest du viel in eurem Garten?« Holly wollte das Gespräch auf jeden Fall in Gang halten, denn das Haus war so still, dass jedes Schweigen sich vervielfachte.

»O ja, ich liebe Gartenarbeit«, antwortete ihr Bruder mit leuchtenden Augen. »Samstag ist mein Gartentag«, fügte er hinzu und lächelte in seinen Teebecher.

Holly hatte das Gefühl, neben einem Wildfremden zu sitzen. Auf einmal wurde ihr klar, wie wenig sie von ihm und wie wenig er von ihr wusste. Aber so hatte Richard es gewollt, er hatte sich seit jeher von der Familie distanziert. Er erzählte ihnen nie irgendwelche Neuigkeiten oder auch nur, wie sein Tag verlaufen war. Er kannte nur Fakten, Fakten und noch mal Fakten. Das erste Mal, dass seine Familie etwas von Meredith hörte, war an dem Tag, als sie zu zweit zum Essen auftauchten, um ihre Verlobung zu verkünden. Dummerweise war es zu diesem Zeitpunkt schon zu spät, um ihm die Hochzeit mit diesem rothaarigen, grünäugigen Drachen auszureden.

»Also«, sagte sie viel zu laut in die hallende Stille hinein. »Ist irgendwas Besonderes los?« Irgendeinen Grund musste es ja dafür geben, dass er hier so unerwartet auftauchte!

»Nein, nein, nichts Besonderes, alles läuft wie gewohnt.« Er nahm einen Schluck Tee und fügte hinzu: »Ich wollte nur mal vorbeischauen, wo ich schon mal in der Gegend bin.«

»Ach so. Aber es ist ungewöhnlich, dass du in dieser Gegend bist«, lachte Holly. »Was führt dich denn ins dunkle und gefährliche Nord-Dublin?«

»Ach weißt du, ich bin nur geschäftlich hier«, murmelte er vor sich hin. »Aber mein Auto steht natürlich immer noch auf der anderen Seite der Liffey!«

Holly rang sich ein Lächeln ab.

»Ich mache nur Witze«, meinte er. »Aber vor deinem Haus … ist es da sicher?«, fügte er ernst hinzu.

»Ja, ich denke schon«, antwortete Holly und konnte nicht verhindern, dass sie etwas sarkastisch klang. »So weit ich gesehen habe, hängt heute niemand Verdächtiges auf unserer Straße rum.« Aber ihr Humor erreichte ihn gar nicht. »Wie geht’s Emily und Timmy?«

Richards Gesicht leuchtete auf. »Oh, denen geht es gut, sie sind brav, sehr brav. Aber ich mache mir Sorgen.« Er wandte den Blick ab und betrachtete eingehend Hollys Wohnzimmer.

»Worüber denn?«, fragte Holly. Ob Richard ihr etwas anvertrauen wollte?

»Ach, über nichts Besonderes. Kinder machen einem einfach immer Sorgen«, entgegnete er, schob die Brille hoch und sah Holly in die Augen. »Vermutlich bist du froh, dass dir das erspart bleibt«, fügte er hinzu.

Holly hatte das Gefühl, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen.

»Hast du eigentlich noch keinen Job gefunden?«, fragte Richard nach einer Weile.

Holly war noch immer starr vor Empörung. Sie konnte nicht glauben, dass ihr Bruder so taktlos war. Sie war beleidigt und verletzt und hätte ihn am liebsten rausgeworfen. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust mehr, höflich zu sein, und niemand konnte von ihr verlangen, diesem engstirnigen Mann zu erklären, dass sie noch nicht auf Arbeitssuche gegangen war, weil sie um ihren Mann trauerte.

»Nein«, stieß sie hervor.

»Und woher bekommst du dein Geld? Hast du dich arbeitslos gemeldet?«

»Nein, Richard«, antwortete sie und bemühte sich, nicht die Fassung zu verlieren. »Ich habe mich nicht arbeitslos gemeldet, ich bekomme eine Witwenrente.«

»Ah, großartig, das ist ja praktisch, was?«

»Praktisch ist nicht gerade das Wort, das mir eingefallen wäre. Deprimierend würde passen, furchtbar und deprimierend.«

Die Atmosphäre war nun spürbar angespannt. Unvermittelt schlug Richard sich mit der Hand aufs Knie und gab damit das Zeichen, dass das Gespräch für ihn beendet war. »Dann sollte ich mich wohl mal wieder an die Arbeit machen«, meinte er, stand auf und reckte sich, als hätte er stundenlang still gesessen.

»Okay«, meinte Holly sichtlich erleichtert. »Vielleicht solltest du lieber gehen, solange dein Auto noch dasteht.« Wieder verpuffte der Witz unverstanden, und ihr Bruder spähte prüfend zum Fenster hinaus.

»Du hast Recht, aber Gott sei Dank ist es noch da. War nett, dich zu sehen, und danke für den Tee«, sagte er zu einer Stelle an der Wand über ihrem Kopf.

»Gern geschehen und vielen Dank für die Orchidee«, erwiderte Holly mit zusammengebissenen Zähnen.

Richard marschierte den Gartenweg hinunter. Mittendrin blieb er stehen, schüttelte missbilligend den Kopf und rief Holly zu: »Du musst dir wirklich jemanden kommen lassen, der dieses Chaos beseitigt.« Dann stieg er endlich in das braune Familienauto und fuhr davon.

Holly knallte die Tür zu. Sie kochte innerlich und hätte ihren Bruder am liebsten k.o. geschlagen. Dieser Mann hatte keine Ahnung … von nichts auf der Welt.


»Oh, Sharon, ich hasse ihn«, jammerte sie später am Abend am Telefon ihrer Freundin vor.

»Ach, du musst ihn einfach ignorieren, Holly, er kann nicht anders, er ist ein Idiot«, entgegnete sie ärgerlich.

»Aber das macht mich ja nur noch wütender! Alle behaupten immer, er kann nicht anders, also ist es nicht seine Schuld. Aber er ist doch ein erwachsener Mann, Sharon! Er ist sechsunddreißig! Er sollte verdammt noch mal wissen, wann er den Mund halten sollte. Ich glaube, er sagt das ganze Zeug absichtlich!«, schimpfte sie.

»Nein, das glaube ich nicht«, erwiderte Sharon beschwichtigend. »Ich glaube, er wollte dir wirklich alles Gute zum Geburtstag wünschen … «

»Und warum auf einmal?«, polterte Holly weiter. »Er hat mir sonst noch nie etwas zum Geburtstag geschenkt. In meinem ganzen Leben nicht!«

»Na ja, dreißig ist ja auch ein runder Geburtstag, ein besonders wichtiger … «

»Für den bestimmt nicht! Das hat er sogar bei dem Essen neulich gesagt.« Sie ahmte seine Stimme nach. »›Ich halte nichts von diesen albernen Feiern‹, bla bla bla. So ein Blödmann.«

Sharon lachte, weil sie fand, dass sich ihre Freundin anhörte wie eine Zehnjährige. »Okay, okay, er ist ein Monster und hat es verdient, in der Hölle zu schmoren.«

Holly hielt inne. »Na, so weit würde ich dann doch nicht gehen, Sharon … «

»Ach, dir kann man es heute aber auch gar nicht recht machen«, lachte Sharon.

Holly lächelte schwach. Gerry hätte genau gewusst, wie sie sich fühlte, er hätte genau gewusst, was er sagen und was er tun sollte. Er hätte sie auf seine sagenhafte Art in den Arm genommen, und alle ihre Probleme wären einfach weggeschmolzen. Sie langte sich ein Kissen vom Bett und drückte es an sich. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal jemanden umarmt hatte, richtig umarmt. Und sie konnte sich auch nicht vorstellen, es jemals wieder zu tun.

»Hallo? Erde an Holly! Bist du noch da oder führe ich mal wieder Selbstgespräche?«

»Oh, entschuldige, Sharon, was hast du gesagt?«

»Ich hab dich gefragt, ob du noch mal über die Karaoke-Geschichte nachgedacht hast?«

»Sharon!«, jaulte Holly auf.

»Na gut, na gut, beruhigen Sie sich, junge Frau! Ich hatte nur grade die Idee, dass wir so ein Karaoke-Gerät mieten könnten. Dann könntest du bei dir daheim singen. Was hältst du davon?«

»Nein Sharon, das ist zwar eine tolle Idee, aber sie funktioniert nicht. Gerry möchte, dass ich im ›Club Diva‹ auftrete, was immer das sein mag.«

»Ach, das ist ja süß! Weil du seine Disco-Diva bist?«

»Ja, ich glaube, das steckt irgendwie dahinter«, bestätigte Holly geknickt.

»Ach Holly, dann musst du das einfach machen. Keine Diskussion.«

»Das werden wir noch sehen«, brummte Holly.

Die beiden Freundinnen verabschiedeten sich, aber kaum hatte Holly aufgelegt, klingelte das Telefon schon wieder.

»Hallo, Schätzchen!«

»Mum!«, rief Holly vorwurfsvoll.

»O Gott, was hab ich getan?«

»Ich hatte heute Besuch von deinem bösen Sohn und bin gar nicht glücklich darüber.«

»Ach, das tut mir Leid, Liebes, ich hab versucht, dich anzurufen, damit du weißt, dass er dich besuchen will, aber ich hatte immer nur den Anrufbeantworter dran. Gehst du denn nie ans Telefon?«

»Das ist nicht der Punkt, Mum.«

»Ich weiß, es tut mir Leid. Was hat er denn getan?«

»Er hat den Mund aufgemacht. Das ist an sich schon ein Problem.«

»Aber er hat sich so darauf gefreut, dir sein Geschenk zu bringen.«

»Ich will ja auch gar nicht bestreiten, dass das Geschenk hübsch war und gut gemeint und all das, aber dann hat er mir lauter Beleidigungen an den Kopf geworfen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.«

»Soll ich mit ihm reden?«

»Nein, wir sind erwachsen, Mum. Trotzdem danke. Und was machst du gerade?« Auf einmal konnte Holly gar nicht schnell genug das Thema wechseln.

»Ciara und ich sehen uns einen Film mit Denzel Washington an. Sie sagt, den würde sie später mal heiraten.« Elizabeth lachte.

»Worauf du dich verlassen kannst!«, rief Ciara aus dem Hintergrund.

»Es ist mir ja sehr unangenehm, ihre Illusionen zu zerstören, aber Denzel Washington ist bereits verheiratet.«

»Er ist schon verheiratet«, gab ihre Mutter die Nachricht weiter.

»Ach was, Hollywood-Ehen … «, brummelte Ciara.

»Seid ihr beiden allein?«, fragte Holly.

»Ja, Frank ist im Pub und Declan an der Uni.«

»An der Uni? Aber es ist zehn Uhr abends!«, lachte Holly. Declan war vermutlich irgendwo unterwegs und nutzte die Uni als Tarnung. Dass ihre Mutter ihm das abnahm!

»Er arbeitet ziemlich fleißig, wenn er sich einmal dazu aufgerafft hat, Holly, und gerade steckt er in irgendeinem Projekt. Ich weiß nicht, was es ist, ich höre ihm nicht ständig so genau zu.«

»Hmmm«, machte Holly nur, überzeugt, dass nichts davon stimmte.

»Jedenfalls ist mein zukünftiger Schwiegersohn im Fernsehen, und ich muss Schluss machen«, meinte Elizabeth. »Hast du vielleicht Lust, rüberzukommen und dich zu uns zu setzen?«

»Nein danke, mir geht’s hier ganz gut.«

»In Ordnung, aber wenn du es dir doch noch anders überlegst, weißt du ja, wo wir sind. Mach’s gut, Liebes.«

Und dann war Holly wieder allein in dem leeren, stillen Haus.

Am nächsten Morgen wachte sie voll angezogen auf ihrem Bett auf. Anscheinend waren Gewohnheiten doch schwer abzulegen. Jeden Tag schmolzen ihre positiven Gedanken der letzten Wochen ein bisschen mehr dahin. Es war so anstrengend, ständig zu versuchen, gut drauf zu sein, sie hatte einfach nicht die Energie dafür. Wen kümmerte es denn auch, wenn ihr Haus im Chaos versank? Niemand außer ihr kriegte etwas davon mit, und ihr war es vollkommen gleichgültig. Wen kümmerte es, ob sie sich schminkte oder ob sie sich eine Woche lang nicht wusch? Der einzige Mensch, den sie regelmäßig sah, war der Knabe vom Pizzaservice, und dem musste sie ein Trinkgeld geben, damit er lächelte. Wen verdammt noch mal? Neben ihr vibrierte das Handy und zeigte eine SMS an. Sie kam von Sharon.

Club Diva Tel. 6700 700
Denk drüber nach. Könnte Spaß machen.
Tu’s für Gerry?

Am liebsten hätte sie geantwortet: Gerry ist tot, verdammt noch mal! Aber seit sie angefangen hatte, die Umschläge zu öffnen, hatte sie nicht mehr das Gefühl, dass er tot war. Es war eher, als wäre er in Urlaub gefahren und würde ihr ab und zu einen Brief schreiben. Zumindest konnte sie mal unverbindlich in dem Club anrufen und die Lage sondieren … Sie wählte die Nummer, und ein Mann ging dran. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und legte schnell wieder auf. Ach komm schon, Holly, redete sie sich gut zu, so schwer ist es doch nicht, sag einfach, eine Freundin interessiert sich fürs Karaoke-Singen, und weiß nicht, wie sie sich anmelden soll.

Also nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und drückte die Wahlwiederholung.

Die gleiche Stimme antwortete: »Club Diva.«

»Hallo, ich hätte gern gewusst, ob Sie Karaoke-Abende veranstalten?«

»Ja, das machen wir, und zwar am … « Holly hörte Papiergeraschel. »Ja, hier ist es, entschuldigen Sie: Karaoke ist donnerstags.«

»Donnerstags?«

»Nein, Entschuldigung, warten Sie … « Wieder Papiergeraschel. »Nein, dienstagabends.«

»Sicher?«

»Ja, Dienstag stimmt.«

»Na schön. Ich wollte gerne wissen, ob, äh … « Holly holte tief Luft und fing noch einmal von vorne an: »Meine Freundin interessiert sich fürs Karaoke-Singen und wie das genau funktioniert.«

Am anderen Ende der Leitung trat eine lange Pause ein.

»Hallo?« War der Mann ein bisschen begriffsstutzig?

»Ja, tut mir Leid, ich organisiere die Karaoke-Abende nicht selbst, deshalb … «

»Okay.« Allmählich verlor Holly die Geduld. Sie hatte sich überwinden müssen, um diesen Anruf überhaupt zu machen, und sie ließ sich jetzt nicht von irgendeinem unterbelichteten und nicht gerade hilfsbereiten Trottel abwimmeln, auf keinen Fall! »Ist denn irgendjemand erreichbar, der mir genauere Auskunft geben könnte?«

»Hmm, nein, momentan nicht, der Club ist noch nicht offen, es ist ja noch ziemlich früh am Vormittag«, kam die etwas ironisch klingende Antwort.

»Na, vielen Dank, Sie sind wirklich eine große Hilfe«, gab Holly zurück.

»Tut mir Leid, aber wenn Sie vielleicht noch einen Augenblick dranbleiben können, versuche ich, es für Sie in Erfahrung zu bringen.«

So landete Holly in der Warteschleife und musste sich die nächsten fünf Minuten »Greensleeves« anhören.

»Hallo, sind Sie noch da?«

»Gerade noch«, erwiderte sie verärgert.

»Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich musste kurz jemanden anrufen, um die Auskunft für Sie zu bekommen. Wie heißt denn Ihre Freundin?«

Holly erstarrte, darauf war sie nicht vorbereitet. Vielleicht konnte sie einfach ihren Namen sagen und dann als ihre Freundin zurückrufen und den Termin absagen?

»Ihr Name ist Holly Kennedy.«

»Also, der Karaoke-Wettbewerb ist dienstags. Es werden zwei von zehn Leuten ausgewählt, die dann im nächsten Monat bei der Endausscheidung singen.«

Holly schluckte, und ihr wurde etwas flau im Magen. Das war einfach nichts für sie.

»Leider ist für die nächsten Monate schon alles ausgebucht, also können Sie Ihrer Freundin Holly vielleicht sagen, dass sie es um Weihnachten herum noch mal versuchen soll.«

»Aha, okay.«

»Übrigens kommt mir der Name Holly Kennedy irgendwie bekannt vor. Ist das vielleicht Declan Kennedys Schwester?«

»Ja, woher kennen Sie die?«, erkundigte sich Holly schockiert.

»Ich würde nicht behaupten, dass ich sie kenne, ich bin ihr hier neulich abends zusammen mit ihrem Bruder kurz begegnet.«

Was? Holly war vollkommen verwirrt. Zog Declan etwa herum und stellte irgendwelche Mädchen als seine Schwester vor? Dieser kranke, perverse … Was?? Nein, das konnte nicht sein …?

»Hatte Declan im Club Diva einen Gig?«

»Nein, nein«, lachte der Mann. »Er ist mit seiner Band im Keller aufgetreten.«

Holly versuchte die Information möglichst schnell zu verdauen, bis endlich der Groschen fiel.

»Ist der Club Diva in Hogan’s Pub?«

Wieder lachte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Ja, im Obergeschoss. Vielleicht sollte ich ein bisschen mehr Werbung machen!«

»Spreche ich etwa mit Daniel?«, platzte Holly heraus und hätte sich im nächsten Augenblick gern selbst in den Hintern getreten.

»Ja, allerdings! Kenne ich Sie?«

»Nein, nein! Holly hat Sie nur mal im Gespräch erwähnt.« Dann dämmerte ihr, was für einen Eindruck das machte. »Ganz nebenbei natürlich«, fügte sie schnell hinzu. »Sie hat erzählt, dass Sie ihr netterweise einen Hocker gebracht haben.« Holly begann, ihren Kopf leicht gegen die Wand zu bummern.

Daniel lachte. »Tja, dann sagen Sie ihr doch, wenn sie an Weihnachten Karaoke singen möchte, kann ich mir ihren Namen gleich notieren. Sie glauben ja gar nicht, wie viele Leute bei diesen Veranstaltungen mitmachen wollen.«

»Echt?« Mehr brachte Holly nicht heraus. Sie kam sich völlig idiotisch vor.

»Ach, mit wem spreche ich eigentlich?«

Holly ging in ihrem Schlafzimmer auf und ab. »Mit Sharon, Sie sprechen mit Sharon.«

»Okay, Sharon, ich hab ihre Nummer auf dem Display, und falls jemand abspringt, rufe ich Sie an.«

»Gut, vielen Dank.«

Damit legte er auf.

Holly hechtete aufs Bett, zog sich die Decke über den Kopf, ignorierte das Klingeln des Telefons und beschimpfte sich für ihre Blödheit. Erst nach einiger Zeit kroch sie wieder hervor und drückte auf den rot blinkenden Knopf des Anrufbeantworters.

»Hallo Sharon, ich habe Sie wohl gerade verpasst. Hier ist Daniel vom Club Diva.« Er machte eine Pause und ergänzte: »Daniel von Hogan’s. Also, ich hab gerade die Namensliste durchgesehen, und anscheinend hat jemand Holly schon vor ein paar Monaten eintragen lassen. Sie ist sogar eine der Ersten für diesen Wettbewerb. Es sei denn, es gibt noch eine andere Holly Kennedy … Rufen Sie mich doch einfach an, wenn Sie Zeit haben, dann können wir die Sache klären. Danke.«

P.S. Ich liebe Dich
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