Dreiundzwanzig

In den Tagen nach ihrer Rückkehr aus Lanzarote hatten die Freundinnen alle drei das Bedürfnis, ein paar Tage getrennt voneinander zu verbringen. Nachdem sie einander eine ganze Woche auf der Pelle gesessen hatten, war das sicher ganz gesund. Holly blieb für sich. Ciara war praktisch unerreichbar, weil sie entweder in Daniels Club arbeitete oder mit Mathew zusammen war. Jack verbrachte die wertvollen letzten Ferienwochen in Cork bei Abbeys Eltern, und Declan war … nun, wo Declan sich herumtrieb, das wusste niemand so genau.

Jetzt, wo sie wieder hier war, ödete sie ihr Leben zwar nicht unbedingt an, aber sie war auch nicht gerade überglücklich. Alles schien so ziellos. Vorher hatte sie sich auf den Urlaub gefreut, jetzt hatte sie gar keinen richtigen Grund mehr, sich morgens aus dem Bett zu quälen. Nach der Woche in der Wärme von Lanzarote wirkte Dublin besonders nass und scheußlich.

An manchen Tagen stand sie einfach nicht auf, sondern sah fern und wartete … wartete auf den nächsten Monat und den nächsten Brief von Gerry und fragte sich, auf welche Reise er sie als Nächstes schicken würde. Sie wusste, dass ihre Freunde es nicht gut finden würden, dass sie sich nach den schönen Ferien so hängen ließ. Solange Gerry am Leben gewesen war, hatte Holly für ihn gelebt, und nun, wo er tot war, lebte sie für seine Briefe. Alles drehte sich um ihn. Sie hatte wirklich geglaubt, dass es der Sinn ihres Lebens war, Gerry begegnet zu sein und mit ihm zusammen alt zu werden. Welchen Sinn hatte ihr Leben dann jetzt noch? Gab es überhaupt einen Sinn, oder war der Verwaltung da oben schlicht und einfach ein Irrtum unterlaufen?

Nur eins ließ ihr keine Ruhe: Sie wollte endlich den Heinzelmann erwischen. Allmählich kam sie zu der Überzeugung, dass es sich doch um irgendein Missverständnis handeln musste. Wahrscheinlich hatte ein Gärtner sich aus Versehen den falschen Garten vorgenommen. Jeden Tag ging sie die Post sorgfältig durch, ob eine Rechnung für Gartenarbeiten dabei war, damit sie sich rechtzeitig weigern konnte, sie zu begleichen. Aber keine derartige Rechnung kam. Ansonsten gab es genug zu bezahlen, und das Geld wurde immer knapper. Inzwischen hatte sich ein ganzer Schuldenberg angehäuft: Stromrechnungen, Telefonrechnungen, Versicherungen – durch den Briefschlitz kam nichts anderes mehr als Rechnungen, und sie hatte keinen Plan, wie sie das alles bezahlen sollte. Andererseits war es ihr vollkommen gleichgültig. Solche unwichtigen Probleme regten sie nicht mehr auf. Sie träumte nur ihre unmöglichen Träume.

Eines Tages begriff Holly schlagartig, dass in ihrem Garten nur gearbeitet wurde, wenn sie nicht zu Hause war. Also stand sie eines Morgens früh auf und fuhr ihren Wagen um die Ecke. Von dort ging sie zurück ins Haus, setzte sich aufs Bett und wartete, dass der mysteriöse Gärtner auftauchte. Nach drei Tagen Regen war die Sonne heute wieder zum Vorschein gekommen. Holly war schon drauf und dran, die Hoffnung sinken zu lassen, als sie endlich hörte, wie jemand sich dem Garten näherte. Vorsichtig spähte sie aus dem Fenster und entdeckte einen ungefähr zwölfjährigen Jungen, der einen Rasenmäher hinter sich herzog. Sie warf Gerrys alten Bademantel über und rannte die Treppe hinunter. Ihr war völlig egal, wie sie aussah.

Als sie die Haustür aufriss, machte der Junge vor Schreck einen Satz. Mit offenem Mund starrte er die Frau im Bademantel an.

»Aha!«, rief Holly. »Jetzt habe ich mein kleines Heinzelmännchen also erwischt!«

Der Junge machte den Mund auf und zu wie ein Goldfisch und wusste nicht, was er sagen sollte. Nach einigen Sekunden verzog sich sein Gesicht, als wollte er weinen, und er schrie: »Dad!«

Inzwischen war sein Vater aus einem Lieferwagen gestiegen, hatte die Wagentür zugeschlagen und kam auf Hollys Haus zu.

»Was ist denn los, Junge?«, fragte er, legte den Arm um die Schulter des Knaben und musterte Holly prüfend.

Aber Holly ließ sich nicht verschaukeln. »Ich wollte ihren Sohn gerade auf Ihren kleinen Trick ansprechen.«

»Welchen Trick?« Der Mann wirkte ziemlich ungehalten.

»Dass Sie ohne meine Zustimmung in meinem Garten arbeiten und dann erwarten, dass ich dafür bezahle. So was hab ich schon öfter gehört.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und versuchte, ein möglichst selbstbewusstes Gesicht zu machen.

Der Mann sah sie verwundert an. »Tut mir Leid, ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, aber wir haben noch nie in Ihrem Garten gearbeitet. Ich hab schon öfter in dieser Straße zu tun gehabt, aber nicht in Ihrem Garten, und um den werde ich mich auch in Zukunft ganz sicher nicht kümmern.«

Holly machte ein langes Gesicht. »Aber ich dachte … «

»Es ist mir ganz egal, was Sie gedacht haben«, fiel er ihr ins Wort. »Halten Sie sich in Zukunft an die Tatsachen, ehe Sie meinen Sohn terrorisieren.«

Holly sah den Jungen an, dessen Augen sich mit Tränen füllten. »Oje, das tut mir schrecklich Leid«, entschuldigte sie sich. »Warten Sie bitte einen Moment.«

Damit rannte sie ins Haus, holte ihre Handtasche und drückte dem Kind ihren letzten Fünfeuroschein in die Hand. Sofort begann sein Gesicht wieder zu strahlen.

»Na gut, gehen wir«, sagte der Vater, nahm seinen Sohn bei der Schulter und führte ihn die Auffahrt hinunter.

»Dad, ich möchte lieber nicht mehr mit dir arbeiten«, jammerte der Junge, während sie zum Nachbarhaus gingen.

»Ach, mach dir keine Sorgen, Junge, es sind nicht alle so irre.«

Holly schloss die Tür und betrachtete sich im Spiegel. Der Mann hatte Recht; sie hatte sich in eine Irre verwandelt. Jetzt fehlte ihr nur noch ein Rudel Katzen.

Das Telefon klingelte. »Hallo?«, meldete sich Holly.

»Hi, wie geht’s?«, fragte Denise fröhlich.

»Oh, reichlich gesegnet mit den Freuden des Lebens«, antwortete Holly ironisch. Danke, dass du mich in den letzten drei Wochen so oft angerufen hast, hätte sie gern hinzugefügt.

»Ich auch!«, kicherte Denise.

»Wirklich? Was macht dich so fröhlich?«

»Ach, nichts Besonderes, nur das Leben im Allgemeinen«, kicherte sie weiter.

Natürlich. Das Leben im Allgemeinen. Das wunderbare schöne Leben. Was für eine blöde Frage.

»Was gibt’s Neues?«

»Ich wollte dich morgen Abend zum Essen einladen. Ich weiß, es ist ein bisschen kurzfristig, aber wenn du schon was anderes vorhast, sag es bitte ab!«

»Warte mal, ich sehe mal in meinem Terminkalender nach«, entgegnete Holly sarkastisch.

»Kein Problem«, meinte Denise in vollem Ernst und wartete schweigend.

Holly verdrehte die Augen. »Ach sieh mal einer an! Anscheinend bin ich morgen Abend tatsächlich frei.«

»Schön!«, rief Denise. »Wir treffen uns alle um acht bei Chang.«

»Wer sind denn ›alle‹?«

»Sharon und John kommen und ein paar von Toms Freunden. Wir waren schon seit einer Ewigkeit nicht mehr zusammen aus, ich freue mich unheimlich.«

»Okay, dann bis morgen.« Ärgerlich legte Holly auf. Hatte Denise denn völlig vergessen, dass Holly immer noch eine trauernde Witwe war und dass das Leben für sie kein Spaß war? Sie stürmte nach oben und riss ihren Kleiderschrank auf. Welche von diesen alten, abstoßenden Klamotten würde sie morgen anziehen, und wie in Dreiteufels Namen sollte sie ein teures Essen bezahlen? Sie konnte sich kaum noch Benzin für ihr Auto leisten. Mit einem Ruck riss sie sämtliche Kleider aus dem Schrank, schleuderte sie durchs Zimmer und schrie dabei so laut, dass die Wände wackelten. Irgendwann fühlte sie sich ein bisschen besser. Vielleicht würde sie sich morgen ein paar Katzen besorgen.


Zwanzig nach acht erschien Holly im Restaurant – sie hatte stundenlang verschiedene Sachen anprobiert und sich wieder vom Leib gerissen. Schließlich hatte sie sich für das entschieden, was sie nach Gerrys Anweisung bei der Karaoke-Veranstaltung getragen hatte, denn sie hoffte, sie würde sich ihm auf diese Weise näher fühlen. Die letzten Wochen waren schwierig für sie gewesen, es hatte mehr schlechte als gute Tage gegeben, und es war ihr sehr schwer gefallen, sich nach den schlechten wieder aufzurappeln. Sie sehnte sich nach besseren Zeiten, aber es war wie mit allem: Wenn man ganz besonders intensiv auf etwas wartete, stellte es sich garantiert nicht ein. In letzter Zeit fühlte sie sich verletzlich wie eine Schnecke, die ihr Haus verloren hat und sich nun vor allem und jedem ängstigt. Als sie sich dem Tisch im Restaurant näherte, sank ihr auch schon der Mut.

Nichts als Pärchen.

Auf halbem Weg blieb sie stehen und versteckte sich schnell hinter einer Mauer, ehe die anderen sie sehen konnten. Sie wusste nicht, ob sie den Abend überstehen würde. Ihr fehlte die Kraft, ständig mit ihren Gefühlen zu kämpfen, sie waren einfach zu stark. Da fiel ihr Blick auf den Notausgang neben der Küchentür, der offen stand, damit ein wenig Qualm abzog, und sie schlich sich nach draußen. Sobald sie an der frischen Luft war, fühlte sie sich wieder frei. Mit zügigen Schritten überquerte sie den Parkplatz und dachte sich dabei eine Ausrede für Denise und Sharon aus.

»Hi, Holly.«

Sie erstarrte und drehte sich langsam um, als ihr klar wurde, dass jemand sie erwischt hatte. Es war Daniel. Er lehnte an seinem Auto und rauchte eine Zigarette.

»Hallo, Daniel«, sagte sie und ging auf ihn zu. »Ich wusste gar nicht, dass du rauchst.«

»Nur wenn ich Stress habe.«

»Du hast also Stress?« Holly umarmte ihn zur Begrüßung.

»Ich habe mir gerade den Kopf darüber zerbrochen, ob ich mich den glücklichen Paaren da drin anschließen möchte oder eher nicht«, erklärte er mit einem Kopfnicken zum Restaurant.

Holly lächelte. »Du auch?«

»Ich werd’ dich nicht verraten«, lachte er.

»Du hast also beschlossen reinzugehen?«

»Irgendwann muss ich mich den Tatsachen ja stellen«, meinte er grimmig und drückte die Zigarette unter dem Absatz aus.

»Wahrscheinlich hast du Recht«, stimmte Holly ihm nachdenklich zu.

»Du musst nicht mitkommen, wenn du keine Lust hast. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen einen blöden Abend verbringst.«

»Im Gegenteil, ich denke, in Gesellschaft eines anderen Einzelgängers könnte es ganz nett sein. Es gibt nur so wenige von uns.«

Daniel lachte und hielt ihr den Arm hin. »Sollen wir?«

Holly hakte sich bei ihm unter, und sie gingen langsam hinein. Ein angenehmes Gefühl, dass sie nicht allein war mit ihrem Gefühl, allein zu sein.

»Übrigens verschwinde ich, sobald wir mit dem Hauptgang fertig sind«, lachte er.

»Verräter«, lachte sie und knuffte ihn in den Arm. »Aber ich muss auch früh los, um den letzten Bus zu erwischen.« Die letzten Tage hatte sie nicht genug Geld für eine Tankfüllung gehabt.

»Na, dann haben wir doch die perfekten Ausreden parat. Ich würde sagen, wir müssen früh los, weil ich dich heimfahre. Wann musst du zu Hause sein?«

»Halb zwölf?« Gleich um Mitternacht wollte sie den September-Umschlag öffnen.

»Sehr gut«, lächelte er, und sie betraten das Restaurant beide in deutlich besserer Stimmung.

»Da sind sie ja!«, rief Denise, als sie zum Tisch kamen.

Holly setzte sich neben Daniel; sie hatte nicht vor, ihr Alibi aufzugeben. »Tut mir Leid, dass wir zu spät kommen«, entschuldigte sie sich.

»Holly, das sind Catherine und Thomas, Peter und Sue, Joanne und Paul, Tracey und Bryan, Geoffrey und Samantha, Des und Simon«, stellte ihr Denise die anderen vor.

Holly lächelte und grüßte in die Runde.

»Hallo allerseits, wir sind Daniel und Holly«, verkündete Daniel, und Holly kicherte leise.

»Wir mussten schon bestellen«, erklärte Denise. »Aber wir haben einfach viele verschiedene Sachen genommen, von denen alle probieren können. Ist das in Ordnung für euch?«

Holly und Daniel nickten.

Die Frau neben Holly, deren Namen sie vergessen hatte, wandte sich ihr zu und fragte laut: »Und was machst du so, Holly?«

Daniel zog argwöhnisch die Augenbrauen hoch.

»Wie meinst du das – was mache ich wann?«, gab Holly die Frage ernst zurück. Sie hasste Gespräche, die sich nur darum drehten, was man beruflich machte, vor allem, wenn es wildfremde Leute waren, die sie noch keine zwei Minuten kannte.

Sie merkte, dass Daniel neben ihr das Lachen unterdrückte.

»Ich meine beruflich«, erklärte die Frau irritiert.

Eigentlich hatte Holly vorgehabt, ihr eine lustige, aber etwas freche Antwort zu geben, aber dann stockte sie, weil am Tisch plötzlich alle Gespräche verstummt waren und alle Blicke auf ihr ruhten. Verlegen sah sie sich um und räusperte sich nervös. »Hmm … na ja … ich bin gerade auf Jobsuche«, antwortete sie schließlich.

Der Mund der Frau begann zu zucken, und sie kratzte sich ziemlich ungehobelt ein Stück Brot von den Zähnen.

»Und was machst du?«, fragte Daniel sie laut in das allgemeine Schweigen hinein.

»Oh, Geoffrey hat ein eigenes Unternehmen«, verkündete sie stolz und sah ihren Mann an.

»Aha, aber was machst du?«, wiederholte Daniel.

Die Frau geriet kurz aus dem Konzept, dann antwortete sie trotzig: »Also, ich beschäftige mich mit ganz verschiedenen Dingen. Schatz, warum erzählst du nicht ein bisschen von deiner Firma«, lenkte sie dann schnell ab.

Ihr Mann beugte sich vor. »Es ist bloß eine ganz kleine Firma«, wiegelte er ab, biss ein Stückchen von seinem Brötchen ab und kaute langsam, während alle darauf warteten, dass er endlich schluckte und weitersprach.

»Klein, aber sehr erfolgreich«, setzte seine Frau für ihn hinzu.

»Wir stellen Windschutzscheiben her«, erklärte er, als er seinen Bissen bewältigt hatte.

»Das ist ja sehr interessant«, meinte Daniel trocken, aber niemand außer Holly schien zu bemerken, wie frech das war.

»Und was machst du, Dermot?«, wandte sich die Frau nun an Daniel.

»Tut mir Leid, aber mein Name ist Daniel. Ich habe einen Pub.«

»Soso«, nickte sie und sah schnell weg. »Das Wetter ist ja mal wieder echt scheußlich«, wechselte sie dann flott das Thema und blickte erwartungsvoll in die Runde.

Alle nahmen ihre Gespräche wieder auf, und Daniel fragte Holly: »Wie war denn dein Urlaub?«

»Oh, es war toll«, antwortete sie und lächelte. »Wir haben uns so richtig entspannt, nichts Aufregendes.«

»Genau was du brauchst«, lächelte er. »Aber ich hab auch schon von eurer Katastrophe gehört.«

Holly verdrehte die Augen. »Von Denise, stimmt’s?«

Er nickte und lachte.

»Sie hat bestimmt übertrieben.«

»Eigentlich nicht. Sie hat nur gesagt, ihr wart von einem Rudel Haie umringt und musstet mit dem Hubschrauber gerettet werden.«

»Das hat sie nicht gesagt!«

»Nein, nein«, lachte er. »Aber ihr müsst ja interessante Gesprächsthemen gehabt haben, wenn ihr nicht mal gemerkt habt, wie ihr aufs offene Meer raustreibt.«

Holly wurde rot, als ihr einfiel, dass sie ausgerechnet über ihn geredet hatten.

»Hört mal alle her«, rief Denise in diesem Moment. »Wahrscheinlich fragt ihr euch schon, warum wir, Tom und ich, euch alle heute Abend eingeladen haben.«

»Die Untertreibung des Jahres«, murmelte Daniel. Holly kicherte.

»Wir haben nämlich etwas bekannt zu geben«, verkündete Denise, sah sich um und lächelte in die Runde. Holly sperrte die Augen auf.

»Tom und ich werden heiraten!«, rief sie dann, und Holly schlug sich vor Überraschung die Hand vor den Mund. Damit hatte sie überhaupt nicht gerechnet.

»O Denise!«, stieß sie hervor, sprang auf und umarmte ihre Freundin. »Das ist ja eine wundervolle Neuigkeit. Herzlichen Glückwunsch!«

Sie sah Daniel an, der kreidebleich geworden war.

Eine Flasche Sekt wurde geöffnet, und alle hoben die Gläser, während Jemima und Jim oder Samantha und Sam oder wie sie nun alle hießen einen Toast ausbrachten.

»Moment! Moment!«, hielt Denise sie in letzter Sekunde auf. »Hast du keinen Sekt abgekriegt, Sharon?«

Alle schauten Sharon an, die ein Glas Orangensaft in der Hand hielt.

»Hier, bitte«, sagte Tom und goss Sekt für sie ein.

»Nein, nein danke! Ich möchte keinen«, sagte sie.

»Warum denn nicht?« Denise klang etwas ungehalten.

John und Sharon sahen einander an. »Na ja, ich wollte eigentlich nichts sagen, weil es ja Denises und Toms Abend ist … na ja … «

» … ich bin schwanger! John und ich bekommen ein Baby!«

Johns Augen wurden feucht, und Holly erstarrte. Das kam genauso unerwartet! Mit Tränen in den Augen ging sie zu Sharon und John, um ihnen zu gratulieren, dann setzte sie sich wieder und atmete ein paar Mal tief durch. Sie war überwältigt.

»Dann trinken wir jetzt auf Toms und Denises Verlobung und auf Sharons und Johns Baby!«

Alle Gläser klirrten. Als das Essen serviert wurde, schmeckte Holly kaum etwas davon.

»Sollen wir unseren Termin lieber auf elf vorverlegen?«, fragte Daniel leise, und Holly nickte.

Nach dem Essen entschuldigten sie sich, und von den anderen gab sich keiner wirklich Mühe, sie zum Bleiben zu überreden.

»Was bekommst du von mir?«, erkundigte sich Holly bei Denise.

»Ach, mach dir doch deswegen keine Gedanken!«, winkte sie ab.

»Sei nicht albern.«

Die Frau neben ihr nahm sich die Speisekarte vor und fing an zu rechnen.

»Das läuft auf ungefähr dreißig Euro pro Person raus, inklusive Getränke.«

Holly schluckte und starrte auf den Zwanziger in ihrer Hand.

In diesem Moment zog Daniel sie vom Stuhl hoch. »Komm, Holly, wir gehen.«

Sie wollte eine Entschuldigung stammeln, dass sie nicht so viel Geld dabei hatte, aber als sie die Hand öffnete, steckte noch ein Zehner darin.

Dankbar lächelte sie Daniel an, sie zahlten und machten sich dann gemeinsam auf den Weg zum Auto.

Schweigend saßen sie nebeneinander, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Holly hätte sich gern für ihre Freunde gefreut, aber sie konnte einfach das Gefühl nicht abschütteln, dass sie im Stich gelassen worden war. Bei allen entwickelte sich das Leben prächtig, nur bei ihr nicht.

Vor ihrem Haus hielt Daniel an. »Möchtest du auf einen Tee oder einen Kaffee reinkommen?« Holly rechnete fest damit, dass er ablehnen würde, und war beinahe schockiert, als er den Gurt löste und ihr Angebot dankend annahm. Sie mochte Daniel, er war nett und fürsorglich, aber eigentlich wäre sie jetzt lieber alleine gewesen.

»Das war ein Abend, was?«, meinte er, während er sich auf der Couch niederließ und einen Schluck Kaffee nahm. Auch Holly konnte nur ungläubig den Kopf schütteln.

»Ich kenne diese beiden Frauen praktisch mein ganzes Leben lang, aber darauf wäre ich absolut nicht gekommen.«

»Na ja, falls du dich dann besser fühlst – ich kenne Tom auch schon seit Jahren, und er hat kein Sterbenswörtchen davon erwähnt.«

»Obwohl Sharon schon auf Lanzarote keinen Alkohol getrunken hat … « Holly hatte überhaupt nicht gehört, was Daniel gesagt hatte. »Und einmal hat sie sich morgens übergeben, aber da hat sie behauptet, sie wäre seekrank … «

»Seekrank?«, wiederholte Daniel verwundert.

»Na, du weißt schon – nach unserer Matratzen-Katastrophe.«

»Ach so.«

Aber diesmal lachten sie nicht.

»Schon komisch«, meinte er und lehnte sich gemütlich zurück. O nein, dachte Holly, jetzt werde ich ihn nicht mehr los. »Meine Freunde haben mir immer prophezeit, dass Laura und ich als Erste heiraten würden«, fuhr er fort. »Aber ich hätte nie gedacht, dass Laura vor mir heiraten würde.«

»Sie will heiraten?«, fragte Holly.

Daniel nickte und sah weg. »Er war mit mir befreundet«, fügte er dann mit einem bitteren Lachen hinzu.

»Jetzt wohl nicht mehr.«

»Nein, natürlich nicht.«

»Das tut mir Leid«, sagte sie, und es kam von Herzen.

»Na ja, jeder hat sein Päckchen zu tragen. Das weißt du besser als alle anderen.«

»Hmm.«

»Aber irgendwann hat man auch wieder Glück.«

»Meinst du?«

»Ich hoffe es jedenfalls.«

Eine Weile schwiegen sie beide, und Holly sah auf die Uhr. Es war fünf nach zwölf. Sie musste Daniel irgendwie loswerden, damit sie endlich ihren Umschlag aufmachen konnte.

Er schien ihre Gedanken gelesen zu haben. »Wie geht’s denn mit den Briefen aus dem Jenseits?«

Holly stellte ihren Kaffeebecher auf den Tisch. »Heute Nacht darf ich wieder einen aufmachen. Also … « Sie sah ihn an.

»Oh, klar!« Er hatte sofort begriffen und stellte rasch seinen Becher weg. »Dann lasse ich dich jetzt lieber mal allein.«

Holly biss sich schuldbewusst auf die Unterlippe, weil sie ihn praktisch hinausgeworfen hatte, aber sie war auch froh, dass er endlich ging.

»Tausend Dank fürs Mitnehmen, Daniel«, sagte sie, während sie ihn zur Tür begleitete.

»Gern geschehen«, antwortete er, nahm seine Jacke vom Treppengeländer und ging zur Tür. Zum Abschied umarmten sie sich kurz.

»Bis bald«, sagte sie und während sie ihm nachsah, wie er durch den Regen zu seinem Auto eilte, kam sie sich gemein vor. Sie winkte ihm zu, und ihr schlechtes Gewissen legte sich sofort, als sie die Tür hinter ihm zugemacht hatte. »Also los, Gerry«, sagte sie, rannte in die Küche und nahm den Umschlag vom Tisch. »Was hast du dir denn diesen Monat für mich ausgedacht?«

P.S. Ich liebe Dich
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