Prolog

Das Dorf hätte verlassen gewirkt, wenn nicht der Rauch gewesen wäre, der sich aus tönernen Schornsteinen kräuselte und in der Dunkelheit verlor. Alle Türen waren verriegelt und alle Fensterläden geschlossen; nur wenig Licht von den Kerzen und Lampen kroch durch Ritzen und Spalten. Der schlammige Weg durch das Dorf war menschenleer. Niemand sah das schemenhafte Etwas, das zu einer Hütte unweit der Baumgrenze huschte.

Der Schemen verharrte bei einer Hütte und zögerte. Langsam veränderte er sich und wurde länger, als er seine Tarnung aufgab. Aus Schatten wurden in Stiefeln steckende Füße und lange Arme, ein schlanker Oberkörper und ein Kopf mit zwei glühenden Punkten als Augen. Rasch erklomm die Gestalt einen Baum und sprang auf die Hütte.

Sie landete auf dem Strohdach, legte sich auf den Bauch und kletterte mit dem Kopf voran eine Wand hinunter. An den geschlossenen Läden eines Fensters hielt sie inne. Ein Finger streckte sich und schob einen klauenartigen Fingernagel zwischen die Läden. Er tastete umher und zog, bis der Riegel plötzlich mit einem Klacken aufsprang. Die Gestalt erstarrte und lauschte. Als es im Zimmer hinter dem Fenster still blieb, öffnete sie die Fensterläden.

Der Raum enthielt ein Bett, und darin lag eine kleine, alte Frau. Langes graues Haar, zu einem Zopf geflochten, ruhte neben ihr auf dem vergilbten Leinenkissen. Eine Steppdecke bedeckte die Alte.

Das Geschöpf streckte den Kopf durchs Fenster. Seine Stimme klang wie ein Echo über eine weite Ebene, als es flüsterte: »Darf ich hereinkommen?«

Die alte Frau bewegte sich ein wenig im Schlaf.

Wieder erklang die Stimme, mit einem Hauch von Verlangen. »Bitte, alte Mutter, darf ich hereinkommen?«

Die Frau stöhnte leise, rollte sich auf die Seite und wandte das Gesicht dem Fenster zu. Ihre runzlige Stirn zeigte eine weiße Narbe, halb verborgen zwischen den Falten hohen Alters. Ihre Augen blieben im Schlaf geschlossen, als sie eine Antwort murmelte. »Ja … ja, komm herein.«

Der Besucher streckte einen Arm durchs Fenster und nach oben, bis die Fingernägel die Wand erreichten. Er kroch zum oberen Rand des Fensters, ließ die Füße nach innen schwingen und sich lautlos auf den Boden des Schlafzimmers fallen. Am Bett hob er die Hand und drückte sie der Alten auf den Mund.

Sie erwachte, riss die Augen auf und reagierte mit Entsetzen, aber nur für einen Moment. Dann starrte sie mit leerem Blick in die Augen über ihr. Der nächtliche Besucher lockerte seinen Griff und senkte den Kopf zum Hals der Frau. Alles im Zimmer wurde still und zeitlos.

Nach einer Weile hob das Geschöpf den Kopf und sah zum offenen Fenster. Ein dunkler Fleck hatte sich am Hals der Alten gebildet. Der Besucher wandte sich erneut dem Hals zu, zögerte aber. Wie eine Eule drehte er den Kopf, blickte erneut zum Fenster und lauschte.

Draußen ging jemand über den Weg. Das Wesen eilte zum Fenster.

Eine junge Frau schritt über den Pfad zum Dorf, gekleidet in nietenbesetztes Leder und hohe, weiche Stiefel über einer erdfarbenen Kniehose. In der einen Hand hielt sie einen kurzen Stock und in der anderen ein langes Messer, mit dem sie den Stock zuspitzte. An ihrer Seite hing ein kurzes Falchion in einer abgenutzten Lederscheide. Die Nacht war zu dunkel für die meisten Augen, aber als die junge Frau den Mondschatten zwischen den Hütten und den nahen Bäumen verließ, bemerkte das Geschöpf ein rötliches Schimmern im dunklen Haar und glatte Haut, nur wenig mehr als zwei Jahrzehnte alt. Ihr Gebaren zeigte weder Furcht noch Unsicherheit, als sie durchs Dorf schritt und dabei den Stock zuspitzte.

»Jäger«, flüsterte das Geschöpf amüsiert.

Der Besucher fand den Anblick so lächerlich, dass er leise kicherte, als er aus dem Fenster sprang und spinnenartig an der Wand zum Dach emporkletterte. Dort schrumpfte die dunkle Gestalt und verschwand im nächtlichen Wald.