17
Nachdem Leesil Brenden bei seiner Hütte zurückgelassen hatte, machte er sich auf den Weg zurück zum »Seelöwen«, überlegte es sich dann aber anders. Er wollte noch etwas mehr Zeit für sich, bevor er heimkehrte, und deshalb wandte er sich in Richtung Meer.
Er hatte Mitleid mit Brenden, aber ihn beunruhigte auch die Erkenntnis, dass er sich wünschte, seinem Freund die Wahrheit erzählen zu können – vielleicht nicht die ganze Wahrheit, aber doch den Teil, der Magiere und ihn betraf, wie sie sich über mehrere Jahre hinweg den Lebensunterhalt verdient hatten. Wie würde der Schmied reagieren, wenn er erfuhr, dass er bei der Jagd nach Untoten sein Leben in Begleitung von zwei Personen riskiert hatte, die von solchen Geschöpfen vielleicht noch weniger wussten als er?
Andererseits: Sie hatten alle überlebt und waren erfolgreich gewesen. Vielleicht spielte die Wahrheit keine Rolle.
Vor ihm erstreckten sich Sand und Kies an der bewaldeten Küste entlang bis zum Hafen. Wellen rollten an den Strand, und im Mondschein wirkte die Szene seltsam beruhigend.
Leesil versuchte, alle seine Sorgen beiseitezuschieben und sich allein auf den Moment zu besinnen. Natürlich suchten ihn einige alte Erinnerungen ständig heim, ganz gleich, was geschah. Aber in dieser Nacht war der Strand friedlich, Magiere lebte, und Brenden mochte imstande sein, um seine Schwester zu trauern und über ihren Verlust hinwegzukommen. Und Chap erholte sich. Was konnte man sich vom Leben mehr erhoffen?
Er schlenderte über den Strand, und es dauerte nicht lange, bis er an das Dach der Taverne dachte, und daran, Magiere um einen Vorschuss für neue Kleidung zu bitten. Sie brauchte ebenfalls welche. Hatte sie nicht erwähnt, eine neue Lederrüstung bestellt zu haben?
Magiere.
Leesil gab sich alle Mühe, nicht an die vergangene Nacht zu denken, doch seine Finger verrieten ihn, indem sie nach dem Verband an seinem Handgelenk tasteten. Fast glaubte er, noch ihre Lippen und Zähne an seinem Arm zu spüren.
Leesil schüttelte den Kopf. Schlimm genug, dass alles so makaber und grotesk gewesen war – es war auch eine sonderbare Verlockung davon ausgegangen. Aber vielleicht lag das nicht an den Ereignissen selbst, sondern an Magiere und an den Dingen, die er hatte tun müssen, um sie nicht zu verlieren.
Eine kleine Welle rollte auf seinen Fuß zu, und plötzlich erklang ein schrilles Heulen an der Baumgrenze. Leesil erstarrte.
Unmöglich.
Chap konnte unmöglich auf der Jagd sein. Auf diese Weise heulte er nur, wenn er Vampire verfolgte. Aber es gab keine mehr, die er verfolgen konnte.
Leesil lief über den Strand in Richtung Hafen.
»Chap!«, rief er. »Halt! Warte auf mich!«
Die kleine Bucht wurde schmaler, als er sich den Anlegestellen näherte, und der Strand verschwand – am Rand der Stadt ragte die felsige Küste steil nach oben. Leesil begann zu klettern und hielt nicht einmal bei den Resten des verbrannten Lagerhauses inne. Er verharrte erst, als er nicht mehr weit vom »Seelöwen« entfernt war, lauschte und drehte den Kopf dabei langsam von einer Seite zur anderen.
Wieder erklang Chaps Heulen, und diesmal zwischen den Bäumen hinter der Taverne, am südlichen Ende der Stadt. Leesil lief erneut los und dachte nicht daran, was ihn erwartete, wenn er seinen Hund erreichte.
»Chap!«, rief er unterwegs. »Hör auf! Ich meine es ernst!«
Das Heulen verstummte kurz, aber Leesil wusste nicht, ob es an seinem Befehl lag oder ganz andere Gründe dafür verantwortlich waren. So plötzlich, wie es aufgehört hatte, ertönte es erneut, kam jedoch aus einer anderen Richtung.
Leesil blieb auf einer kleinen Lichtung stehen und keuchte, umgeben von großen Fichten und Gebüsch. Hier war es fast völlig dunkel. Er zwang sich, ganz still zu stehen und nur zu lauschen. Das Heulen wurde schnell lauter, unterbrochen von gelegentlichem Bellen und Knurren. Plötzlich begriff Leesil, dass der Hund – und das, was er jagte – direkt auf ihn zukam.
Fast zu spät warf er sich zu Boden und versuchte, zur Seite zu rollen. Ein Schemen kam aus dem Nichts herangerast und traf ihn am Kinn. Benommen und noch immer schwer atmend sah er sich um, nicht sicher, was ihn getroffen hatte.
»Warum läufst du nicht?«, fragte eine vertraut klingende, spöttische Stimme. »Lauf los, damit ich dich erneut einholen kann.«
Trotz der Benommenheit stemmte sich Leesil hoch und sah das Geschöpf, das ihn verspottete: das dreckige Schmuddelkind mit dem bleichen, eingefallenen Gesicht und der zerrissenen Kleidung.
Rattenjunge.
»Wie ist das möglich?«, wollte er flüstern, doch sein Mund war wie gelähmt.
Unnatürlich schnell ging Rattenjunge in die Hocke. Er lächelte dünn.
»Weißt du«, sagte er, »ich habe nie zuvor mit meiner Nahrung gespielt, aber jetzt mag ich es, mir ein wenig Zeit zu lassen.« Das Lächeln verschwand. »Wo ist dein Öl? Wo sind deine Pflöcke? Und wo bleibt die Jägerin?«
Leesil versuchte, zu schlucken und nachzudenken. Ein Stilett konnte er von einem Augenblick zum anderen zücken, aber würde ihm solch eine Waffe etwas nützen? Konnte er überhaupt in die Nähe dieses ungeheuer schnellen Geschöpfs gelangen?
Chaps Heulen wurde lauter, und Leesil hoffte inständig, dass er bald eintraf. Wie hatte Rattenjunge das Feuer überlebt?
Leesil blickte in das Gesicht des vor ihm hockenden Wesens. So menschlich, so jung und hager, in den braunen Augen der Glanz von Hass und Triumph … Leesil musste sich daran erinnern, dass er es nicht mit einem verwahrlosten Jugendlichen zu tun hatte.
Wo war Chap?
»Vielleicht könnten wir dies ein Unentschieden nennen«, sagte Leesil und versuchte, Zeit zu gewinnen. »Ich verspreche dir, dich nicht zu verletzen.«
»Oh, aber ich möchte dich verletzen.«
Rattenjunge sprang auf und trat Leesil mit solcher Wucht gegen den Brustkorb, dass der Halbelf nach hinten auf den Rücken fiel. Leesil hörte ein lautes Knacken, das aus dem eigenen Körper kam, und er fühlte, dass mindestens zwei seiner Rippen gebrochen waren. Heftiger Schmerz ließ für einen Moment das Bild vor seinen Augen verschwimmen.
Und dann hörte das gespenstische Heulen und Bellen plötzlich auf, so als wäre Chap auf einmal verschwunden.
Rattenjunge sah kurz zu den Bäumen.
»Hast du auf den Hund gewartet? Ich bin jetzt auch für ihn stark genug, aber ich nehme an, meine hübsche Partnerin ist mit dem Schmied fertig und kommt, um mir zu helfen. Ich bitte um Entschuldigung.«
Er bückte sich und packte Leesil am Hemd.
Als Rattenjunge ihn auf die Beine zog, bewegte der Elf die Hände auf eine bestimmte Art und Weise, wodurch sich die Messerscheiden an den Unterarmen öffneten. Plötzlich hielt er in jeder Hand ein Stilett.
Er rammte sie beide bis zum Heft in Rattenjunges Seiten.
»Wie du mir … so ich dir«, schnaufte Leesil und drückte die Klingen nach unten.
Rattenjunges Mund klappte auf, als er hörte, wie seine eigenen Rippen nachgaben. Das Heft eines Stiletts rutschte Leesil aus der Hand, als die Klinge im Körper des Vampirs abbrach.
Rattenjunge warf den Elf mühelos durch die Luft.
Leesil prallte von einem Baumstamm ab und fiel auf einen niedrigen Ast. Unter seinem Gewicht gab der Ast nach, und er stürzte zu Boden.
Er schnappte nach Luft, und die Schmerzen waren so stark, dass er kaum mehr etwas sah. Instinktiv hielt er ein Teil des gebrochenen Astes fest.
Magiere verfluchte ihr langes Kleid, als sie durch den Wald lief und sich von Chaps Heulen die Richtung weisen ließ. Der schwere Stoff behinderte sie, schlug ihr an die Fußknöchel und verhedderte sich im Gebüsch.
Etwas sagte ihr, dass es besser wäre, still zu sein und nicht nach dem Hund zu rufen.
Wer hatte Brenden ermordet? Wie viele Vampire waren Leesils Feuer entkommen? Warum hatten sie Chap in den Wald gelockt? Wenn sie den Hund töten wollten, so hätten sie das tun können, während er am Kamin der Taverne schlief.
Plötzlich hörte Chaps Heulen auf. Magiere blieb stehen.
Zwei Atemzüge später begann das Heulen erneut, und Magiere stellte fest, dass der Hund die Richtung geändert hatte. Er verfolgte etwas durch den Wald. Oder führte man ihn in die Irre?
Magiere begriff: Sie verriet sich, wenn sie wie ein verwundeter Bär durch den Wald trampelte. Mit einer Hand raffte sie das Kleid zusammen, hielt das Falchion in der anderen und setzte den Weg vorsichtiger fort.
Verdammter Welstiel. Wie hatte er davon gewusst? Leesil war weder achtlos noch dumm, und er hatte nicht einen Moment daran gezweifelt, dass nichts den Einsturz des brennenden Lagerhauses überleben konnte.
Das Gebüsch wurde dichter, und das Heulen schwoll an – sie näherte sich Chap. Seltsame Erleichterung begleitete Magieres Erkenntnis, dass sie gleich bei ihm sein würde. Und dann herrschte plötzlich Stille. Sie dauerte an – das Heulen wiederholte sich nicht. Magiere ließ alle Vorsicht beiseite und rannte in die Richtung, aus der das letzte Geheul gekommen war. Nach kurzer Zeit erreichte sie eine kleine Lichtung und glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können.
Eine schöne junge Frau mit dunkelbraunen Locken und einem zerrissenen roten Kleid stand ruhig da, die eine Hand ausgestreckt, und sprach sanfte Worte. Nur eine Armeslänge von ihr entfernt stand Chap und zitterte. Er knurrte, aber es klang nicht sonderlich überzeugt. Wenn er ein Mensch gewesen wäre, hätte Magiere ihn »verwirrt« genannt.
»Es ist alles in Ordnung, mein Lieber«, sagte die Frau und strich dem Hund mit ihrer kleinen, weißen Hand über den Kopf. »Komm und setz dich zu mir. Du bist etwas Besonderes.«
Hund und Frau waren so sehr aufeinander konzentriert, dass sie Magieres Eintreffen gar nicht bemerkten – obwohl sie alles andere als leise war.
»Chap!«, rief sie. »Weg von ihr.«
Beide Augenpaare richteten sich auf sie, und die trüben Augen des Hunds klärten sich wieder. Er schüttelte den Kopf und lief zu Magiere, jaulte einmal und beobachtete dann die Frau in Rot.
»Hast du Brenden auf diese Weise umgebracht?«, fragte Magiere und richtete die Spitze ihres Falchions auf die Frau.
Die Frau lächelte, und Magiere fühlte ihre Macht wie einen körperlichen Schlag. Kleine weiße Zähne glänzten in einem sanften, warmen und unschuldigen Gesicht, das man für den Inbegriff der Liebe halten konnte.
»Du möchtest mit jemandem reden«, sagte die Frau. »Du möchtest jemandem von deinen Problemen erzählen. Ich kenne mich mit solchen Dingen aus. Du hast deinen Freund verloren … Leesil? Ist das sein Name? Komm und setz dich zu mir. Ich höre dir zu. Erzähl mir alles; vielleicht können wir ihn dann zusammen finden.«
Magiere verspürte den starken Wunsch, neben der Frau auf den Boden zu sinken und von den letzten zwanzig Jahren ihres Lebens zu erzählen. Aber sie gab dieser Versuchung nicht nach und hieß stattdessen den in ihr emporquellenden Zorn willkommen. In ihrem Mund wurden die Eckzähne länger – sie wuchsen mit einer bereits vertrauten Schnelligkeit.
»Das funktioniert nicht«, sagte sie leise. »Nicht bei mir.« Sie trat näher. »Bist du bewaffnet? Ich hoffe es um deinetwillen.«
Bilder von der Frau strichen an Magieres innerem Auge vorbei.
Teesha. Sie hieß Teesha.
»Ich glaube nicht«, antwortete Teesha. »Warum sollte ich bewaffnet sein, wenn ich einen Schwertkämpfer habe?«
»Ich sehe ihn hier nicht«, erwiderte Magiere, aber der spöttische Wortwechsel fiel ihr schwerer, und sie befürchtete, die Kontrolle zu verlieren.
In Teeshas Augen zeigte sich weder Zorn noch Rachsucht oder Wahnsinn. Ihr Verhalten und ihre Worte basierten auf kühler Berechnung. Magiere zögerte unsicher. Die Macht dieses Geschöpfs unterschied sich von Rasheds oder Rattenjunges Fähigkeiten.
Chap knurrte leise, und Magiere hielt an rationalen Gedanken fest. Teesha wich langsam zu den Bäumen zurück – sie fürchtete sich.
»Du hast nicht damit gerechnet, dass ich hierherkomme, oder?«, fragte Magiere. »Sonst hättest du dich vorbereitet.« Die Wahrheit wurde klar. Dies alles gehörte zu dem Plan, Leesil und Brenden zu erledigen. »Ich kann dich töten, und du hast keine Möglichkeit, mich daran zu hindern.«
Sie trat vor und wollte mit dem Falchion ausholen, doch die Stelle, wo Teesha eben noch gestanden hatte, war leer. Eine schnell leiser werdende Stimme hallte durch den Wald.
»Erst musst du mich finden.«
Magiere nahm die Verfolgung auf. Hinter ihr jaulte Chap und bellte dann. Sie blieb stehen und drehte sich um. Der Hund verharrte auf der Lichtung, und sein Bellen galt ihr. Magieres Gedanken wurden wieder klar.
Die untote Frau versuchte, sie davon abzulenken, weshalb sie hierhergekommen war.
Magiere drängte alles andere beiseite, konzentrierte sich und kehrte zu Chap zurück. »Lauf los. Ich folge dir.«
Chap sprang sofort in den Wald.
Leesil keuchte noch immer, hielt den abgebrochenen Ast und zwang sich zu warten, den verletzten Vogel zu spielen, der den Fuchs anlockte. Wenn er aus Verzweiflung angriff, würde er sterben.
Freude und Zuversicht von Rattenjunge hatten einen Dämpfer bekommen. Die Stilette in seinen Seiten konnten ihm keine sehr großen Schmerzen bereitet haben, aber er war nun wieder zornig. Und dadurch wurde er unvorsichtig. Er wirkte weniger menschlich und mehr wie ein schmutziges, wildes Wesen.
»Dies macht großen Spaß«, fauchte er, aber er lachte weniger als zuvor. »Ich könnte dich sogar nach Hause mitnehmen. Allerdings habe ich jetzt gar kein Zuhause mehr. Erinnerst du dich an Rashed? Groß, dunkelhaarig, helle Augen, langes Schwert? Oh, ich wette, er würde sich über die Gelegenheit freuen, ein Wörtchen mit dir zu reden. Weißt du, das Lagerhaus hat ihm viel bedeutet. Es war mehr für ihn als nur ein Geschäft. Es repräsentierte seine Fähigkeit, in deiner Welt zu existieren. Kann dein kleines Selbst solche Dinge verstehen?«
Leesils Brust schmerzte so sehr, dass jeder Atemzug große Mühe erforderte, doch er gewann seine Gelassenheit zurück und versuchte, ruhig zu wirken. Er setzte sich auf und lehnte den Rücken an den Baum.
»Wenn du mit deinem sinnlosen Geschwätz aufhörst, kannst du zu ihm gehen«, sagte Leesil. »Er würde sich bestimmt nicht so viel Zeit nehmen, mich zu töten.«
Der Rest von Häme verschwand aus Rattenjunges Gesicht. »Möchtest du sterben?«
»Dann muss ich dir wenigstens nicht mehr zuhören.«
Leesil spannte die Muskeln und rechnete damit, dass Rattenjunge auf ihn zusprang. Als sich Rattenjunge in einen heranrasenden Schemen verwandelte, ließ er sich in die Vergangenheit fallen und wurde zu dem, was seine Eltern ihm beigebracht hatten, zu jemandem, der Schmerz ignorieren und ein Ziel treffen konnte, ganz gleich wie schnell es war. Seine Hand bewegte sich von allein, bevor Rattenjunges Klauenfinger ihn erreichten.
Das spitze Ende des abgebrochenen Astes bohrte sich dem Angreifer mitten in die Brust, noch bevor sie beide begriffen, was geschah. Dunkles Blut spritzte an Leesils Kinn und Ohr, als er zur Seite rollte.
Rattenjunge schrie schockiert und auch voller Furcht. Er taumelte zurück, zerrte dabei an dem improvisierten Pflock in seiner Brust.
»Leesil! Wo bist du?«
Die Worte kamen nicht aus dem Mund des schmutzigen Untoten, sondern aus dem Wald.
Magiere war dort irgendwo. Erleichterung durchströmte Leesil, doch das Sprechen fiel ihm schwer.
»Hier«, versuchte er zu rufen. »Ich bin hier.«
Rattenjunge gelang es schließlich, den Ast aus der Wunde zu ziehen. Aber er verhielt sich nicht so wie bei jener Gelegenheit, als er den Armbrustbolzen aus seinem Körper gezogen hatte. Er schien kaum mehr Luft zu bekommen, und das Blut tropfte nicht aus der Wunde, sondern floss. Er würgte und ächzte, presste beide Hände auf das Loch in seiner Brust.
»Ich habe dein Herz getroffen, nicht wahr?«, brachte Leesil hervor. »Es ist nicht ganz durchbohrt, aber getroffen. Was passiert, wenn du zu viel Blut verlierst? Sinkst du dann zu Boden, zu schwach, um dich zu bewegen? Bleibst du dann liegen, bis die Sonne aufgeht?«
Rattenjunge zischte und gurgelte und starrte ihn voller Panik an. Leesil hörte Schritte, die sich näherten, und Chaps Knurren. Der Untote wandte sich hinkend zur Flucht.
Rattenjunge verschwand im Wald auf der einen Seite der Lichtung, als Chap auf der anderen erschien. Magiere folgte ihm dichtauf. Trotz seiner Benommenheit spürte Leesil, wie ihm der Hund das Gesicht ableckte, und Magieres Hände tasteten ihn nach Verletzungen ab.
»Hast du Schnittwunden erlitten?«, fragte sie. Als er nicht sofort antwortete, wiederholte sie die Frage lauter. »Hast du Schnittwunden erlitten? Verlierst du Blut?«
»Folge ihm«, flüsterte Leesil. »Schnell.«
»Nein, ich bringe dich nach Hause.«
»Brenden«, sagte er. »Wir müssen ihn warnen.«
Magiere bot ihm keinen Trost an. Tiefer Kummer erklang in ihrer Stimme, als sie erwiderte: »Brenden ist tot.«
Das Gebüsch wurde dichter, als sich Rattenjunge dem kleinen Meeresarm näherte, in dem das alte Schiff auf Grund lag. Er hatte keine Schmerzen, wie Sterbliche sie fühlten, aber Furcht und Erschöpfung in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß ließen ihn nur langsam vorankommen. Er dachte an Rashed, an das Schiff und an Hilfe. Sein Lebenssaft – das Blut des Mädchens mit der hellbraunen Haut – tropfte auf alle Blätter und Nesseln, an denen er vorbeikam. Er hatte keine Vorstellung von der Größe des Lochs in seiner Brust, aber die ganze Vorderseite des Hemdes war nass.
Wie? Wie war es dem sterblichen halben Elfen gelungen, ihn erneut zu verletzen?
Rattenjunge stützte sich an den Bäumen ab, als er durch den Wald wankte. Er wollte nur noch zu seiner eigenen Art zurück und dachte nicht mehr an Dinge wie Stolz und Scham.
Durch das dichte Grün um ihn herum erreichte ihn der Geruch von Leben. Verwirrt spannte er die Muskeln, und dann kam ein Reh fast direkt vor ihm aus dem Dickicht. Rattenjunge sah große Augen und einen weißen Schwanz, und der Instinkt ließ ihn handeln. Er sprang und schrie voller Verzweiflung, als er das Tier am Kopf packte und in den Hals biss.
Das Reh trat und zog ihn ein Stück mit sich, aber die Angst vor dem absoluten Tod gab Rattenjunge zusätzliche Kraft. Er klammerte sich mit den Armen fest und zerrte das Reh zu Boden. Es wurde schwächer und erschlaffte immer mehr in seinen Armen. Das Blut von Tieren war nicht annähernd so gut wie das von Menschen. Die Lebensenergie eines Tieres gab ihm weder Euphorie noch Zufriedenheit, bot aber Leben und Heilung. Er ließ das Reh los, als es starb.
Seine Panik legte sich, und die Öffnung in seiner Brust schloss sich genug, um weiteren Blutverlust zu verhindern. Er ließ das Tier mit weit aufgerissenen Augen am Boden liegen und setzte den Weg zum Schiff fort.
Der wahre Tod stand jetzt nicht mehr unmittelbar bevor, und dadurch veränderte sich Rattenjunges geistige Verfassung. Zuvor empfundene Angst und Hoffnung auf Rashed erfüllten ihn jetzt mit Verlegenheit. Untote wählten die Gesellschaft von Artgenossen, weil sie es so wollten, nicht aufgrund von Notwendigkeit.
Die wilde, saubere Lebenskraft des Rehs floss durch ihn, frei von menschlichen Beziehungen und emotionalen Bindungen. Rattenjunge fühlte den Herzschlag des Waldes in seinen Ohren. Wölfe heulten in der Ferne; eine Eule schrie.
Er wurde langsamer, sah auf seine Brust hinab und riss die Reste des Hemdes fort. Zerfetztes Fleisch bot sich seinen Blicken dar. Mit dem Blut eines Sterblichen konnte er die Heilung vervollständigen. Erneut dachte Rattenjunge über die beste Vorgehensweise nach.
Teesha wollte fliehen.
Rashed wollte bleiben und kämpfen.
Ihre Motive wurden klar. Rashed ging es darum, Rache zu üben und dafür zu sorgen, dass Teesha keine Gefahr von der Jägerin drohte. Teesha wiederum wollte Rashed von der Jägerin fernhalten. Spielte er, Rattenjunge, eine Rolle für sie? Er hatte all die Jahre bei ihnen verbracht, weil es ihm nicht gefiel, allein zu sein, aber als er jetzt im Wald stand und auf die Wunde in seiner Brust starrte … Er fragte sich plötzlich, ob er nicht die ganze Zeit über allein gewesen war.
»Sei nicht einer von ihnen«, erklang eine verrückte und doch vertraute Stimme.
Rattenjunge sah sich verwirrt um, sah aber niemanden. Er kannte die Stimme. Bilder von Parko tanzten in der Dunkelheit, und er sehnte sich nach der Freiheit, ohne Einschränkungen zu jagen und zu töten.
Parkos weißes Gesicht und irres Lachen folgten ihm, als er sich wieder in Bewegung setzte. Wo befand sich seine Leiche? Am Grund eines Flusses. Und wer trug dafür die Verantwortung? Eine Jägerin. Die gleiche Jägerin, die es auf ihn abgesehen hatte.
Er hörte das Geräusch eines Hammers, der auf Holz schlug, und trat hastig hinter einen Baum. Kleine Wellen rollten mit leisem Rauschen ans Ufer des Meeresarms. Rashed stand nicht weit entfernt. Er hatte das Hemd abgelegt und versuchte, den Rumpf des Schiffes zu reparieren.
Rasheds weiße Haut war der einzige unnatürliche Aspekt seines Erscheinungsbildes. Die dicken Knochen seiner breiten Schultern und der geübte Umgang mit dem Hammer wirkten völlig menschlich. Weitere Werkzeuge und Planken lagen auf dem Boden und warteten darauf, verwendet zu werden.
»Ist er ein wahrer Edler Toter?«, flüsterte Parkos Stimme in Rattenjunges Ohr.
»Nein.« Rattenjunge schüttelte den Kopf. Er trat zurück und begriff die Sinnlosigkeit von Rasheds Gebaren – es war dumm, zu bleiben und auf einem Kampf gegen die Jägerin zu bestehen. Auch das Bedauern, Teesha zurückzulassen, wich aus ihm.
Es gab keine Unschlüssigkeit mehr in Rattenjunge – seine Entscheidung stand fest. Er würde nicht zurückkehren. Der Wald rief ihn. Er konnte unterwegs töten, die Kleidung der Opfer stehlen und seiner wahren Natur gerecht werden.
Ein letztes Mal regte sich Sehnsucht in ihm, als er an Teesha dachte. Dann verschwand er im Wald und machte sich auf den Weg nach Norden.
Das Loch im Rumpf des Schiffes war klein, aber Rashed musste sich allmählich der Erkenntnis stellen, dass er den Schaden ohne die richtigen Materialien nicht reparieren konnte. Und selbst dann wären mehrere Nächte notwendig gewesen, um das Schiff wieder seetüchtig zu machen. Er hatte einige Planken aus dem Deck gelöst, mit der Absicht, sie für den Rumpf zu verwenden. Zuerst befriedigte ihn die Arbeit, denn sie bot ihm etwas Konstruktives und erinnerte ihn daran, dass er Herr seines eigenen Schicksals war. Jetzt gelangte er zu dem Schluss, dass es besser wäre, auf eine Reparatur des Schiffes zu verzichten. Sie konnten den Weg über die Straße zum nächsten Ort nehmen und dort für eine Schiffspassage bezahlen.
Rashed runzelte die Stirn. Dazu brauchten sie Geld. Er hatte gehofft, sich nicht sofort um ihre finanzielle Situation kümmern zu müssen.
Seine Gedanken kehrten zu Teesha zurück.
Ihre Methode der Jagd bereitete ihm keine Sorgen. Trotzdem blickte er gelegentlich in den Wald und hoffte, dass sie bald erschien.
Ihm gefielen schöne Dinge, und er kam nicht umhin, Schönheit und Vielfalt des Waldlebens zu bewundern, das in der Nähe des Schiffes gedieh. Violette und weiße Kletterpflanzen verbanden hohe Tannen mit Fliederbüschen. Im Mondschein zeigte sich hellgrünes Moos, das viele Baumstämme und Wurzeln wie mit einem weichen Teppich bedeckte. Die Vorstellung, einen solchen Ort verlassen zu müssen, weckte in Rashed neuen Zorn auf die Jägerin, die seine bisherige Existenz zerstört hatte.
»Du hättest Zimmermann werden können«, erklang eine melodische Stimme hinter ihm.
Rashed drehte sich um und sah Teesha. Sie inspizierte seine Arbeit, von der er selbst nicht viel hielt. Dunkle Locken umrahmten ihr anmutiges Gesicht und fielen weich auf die Schultern. Die prächtigen Farben der Natur verblassten für Rashed – nichts hielt dem Vergleich mit Teesha stand.
»Ist der Schmied tot?«, fragte er, ohne zu erwähnen, wie sehr ihn ihre Rückkehr erleichterte.
»Ja …«
Etwas stimmte nicht. Rashed senkte den Hammer und trat auf sie zu.
»Was ist los? Ist der Elf Rattenjunge entkommen?«
Teesha hob den Kopf und sah ihn an.
»Ich glaube, Rattenjunge hat uns verlassen. Ich habe die Trennung gefühlt.«
Rashed verstand nicht, wusste aber, dass Teeshas geistige Fähigkeiten seine übertrafen. »Wie meinst du das?«
Teesha berührte ihn am Arm. Vor einer Weile hatte Rashed das Hemd abgelegt, um davon unbehindert zu arbeiten. Teeshas Finger auf seiner nackten Haut ließen ihn erzittern.
»Er ist fort«, sagte sie schlicht. »Er hat wie Parko den Wilden Weg eingeschlagen.«
Das Gefühl das Verlustes traf Rashed schwer. Es ging nicht etwa darum, dass er Rattenjunge lieb gewonnen hatte und ihn vermisste. Was ihn bestürzte, war der Umstand, dass sich seine sichere Welt auflöste und er offenbar nichts tun konnte, um das zu verhindern.
Doch das Wichtigste für ihn stand neben ihm und brauchte noch immer seinen Schutz. Wenn er dazu fähig gewesen wäre, hätte er Teesha umarmt und ihr tröstende Worte zugeflüstert.
Aber das brachte er nicht fertig. Stattdessen wandte er sich halb dem Schiff zu und sagte: »Also sind nur noch wir beide übrig.«
»Und Edwan.«
Ja, Edwan. Warum vergaß er den Geist immer? »Natürlich«, erwiderte er.
Teesha zögerte. »Wir haben noch immer uns beide. Vielleicht sollten wir in Rattenjunges Entscheidung ein Zeichen sehen. Vielleicht sollten auch wir alles hier vergessen und gehen.«
Für einen Moment rang Rashed mit sich selbst. Teesha war bei ihm und in Sicherheit. Vielleicht konnten sie diesen Ort tatsächlich einfach verlassen und in der Nacht verschwinden. Doch dann dachte er an die Jägerin und erinnerte sich, wie er Teesha aus einstürzenden Tunneln gezogen hatte, während über ihnen ihr Zuhause niederbrannte.
»Nein, die Jägerin muss sterben. Anschließend machen wir uns auf den Weg. Ich töte sie selbst, morgen Nacht. Du bleibst hier. Es wird nicht lange dauern. Ich kann nicht das Risiko eingehen, dass sie uns folgt.« Rashed deutete zum Schiff. »Mit den mir zur Verfügung stehenden Werkzeugen und Materialien kann ich den Rumpf nicht reparieren, aber ich verspreche dir, dass wir bald aufbrechen. Heute Nacht muss ich noch etwas erledigen. Wir brauchen Geld für die Reise.«
Teesha senkte den Blick, und Sorge zeigte sich in ihrem Gesicht.
»Na schön«, sagte sie leise. »Aber du sollst wissen, dass ich mich fürchte, und es gibt wenig in dieser Welt, das Furcht in mir weckt.«
Das Drängen – und die Unfähigkeit –, sie zu trösten, wurde für Rashed fast schmerzhaft intensiv. »Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendein Leid geschieht.«
»Davor fürchte ich mich nicht.«
Rashed wartete vor der »Samtrose«, bis ein großer, teuer gekleideter Mann den Gasthof verließ. Daraufhin trat er aus den Schatten einer Gasse und schickte den Mann mit einem Schlag ins Gesicht zu Boden. Rasch nahm er dem Namenlosen den Geldbeutel ab, streifte seinen Umhang über und zog sich die Kapuze über den Kopf, sodass sein Gesicht nicht mehr zu sehen war. Manchmal hielten sich selbst zu dieser späten Stunde noch viele Gäste in der »Samtrose« auf, und Rashed wollte nicht erkannt werden.
Als er eintrat, sah er nur drei Personen: ein Dienstmädchen, einen Gast, der sich gerade auf den Weg machen wollte, und den Elfen Loni, der die Rolle des höflichen Gastwirts und Wächters spielte. Rasheds geistige Fähigkeiten reichten aus, um mit allen dreien fertigzuwerden. Seine projizierten Gedanken forderten sie auf, ihm keine Beachtung zu schenken. Teesha kam mit diesen Dingen besser zurecht, aber Rashed wusste, worauf es ankam.
Als er am Empfang vorbei war, ging er die Treppe hoch und klopfte an Ellinwoods Tür. Niemand reagierte, aber Rashed spürte die Präsenz des Konstablers im Zimmer.
Er drehte den Knauf – die Tür war nicht abgeschlossen – und trat ein.
Der große, dicke Ellinwood lag in einem mit Damast bezogenen Sessel. Die Augen waren halb geöffnet, und die Haut darum herum wirkte angeschwollen und hatte einen rosaroten Ton gewonnen. Speichel rann aus einem Mundwinkel und tropfte auf den Kragen seines grünen Hemdes. Auf dem Tisch neben ihm standen ein leeres, langstieliges Kristallglas, eine Urne und eine Flasche mit bernsteinfarbener Flüssigkeit. Rashed trat näher und sah in die Urne. Er kannte das gelbe Opiat darin. Während seiner Zeit als Soldat im Sumanischen Reich hatte er genug davon gesehen, in schäbigen Tavernen und Lasterhöhlen, wo sich die Verzweifelten trafen. Er vermutete seit Langem, dass Ellinwood sein Geld für irgendeine Sucht ausgab, hatte sich aber nie genug für den Konstabler interessiert, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Voller Abscheu sah Rashed auf den dicken Menschen hinab. Warum sollte jemand das Schicksal der Sterblichen beklagen, wenn sie so oft entschieden, sich selbst zu zerstören? Sumanisches Opiat war gefährlich. Es verzehrte jene, die davon abhängig waren. Bald würde der Konstabler alles tun, um mehr kaufen zu können.
»Wach auf!«, befahl Rashed.
Ellinwoods Lider zitterten mehrmals, bevor sie sich ganz hoben. Zuerst war er benommen und fand nicht in die Wirklichkeit zurück. Dann erkannte er Rashed, und Entsetzen ersetzte die Verwirrung in seinem Gesicht.
»Rash…?«, brachte er hervor.
Er versuchte, sich aufzusetzen, aber die schlaffen Muskeln seines fetten Leibs gehorchten ihm nicht. Sein braunes Haar klebte feucht am Kopf.
»Ja, ich bin hier«, sagte Rashed ruhig. »Du träumst nicht. Ich brauche Geld.«
Ellinwood gewann mehr Kontrolle über seinen Körper und saß gerade.
»Du bist wegen Geld hier? Wie bist du aus dem brennenden Lagerhaus entkommen? Der Partner der Jägerin hat es niedergebrannt.«
»Wir haben alles verloren«, sagte Rashed, ohne auf die Frage einzugehen. »Ich muss Teesha von hier fortbringen. Wenn man bedenkt, wie viel wir dir bezahlt haben … Bestimmt kannst du etwas Geld entbehren.«
Er glaubte fast, die Gedanken hinter Ellinwoods schweißfeuchter Stirn zu sehen. Furcht und Sorge erschienen in dem verquollenen Gesicht, dann Schläue. Schließlich lächelte der Konstabler.
»Du glaubst doch nicht, dass ich mein Geld hier aufbewahre?« Sein Blick glitt kurz zum Kleiderschrank und kehrte dann zu Rashed zurück. »Ein diebisches Dienstmädchen könnte es mir stehlen.«
Rashed hatte keine Zeit für Spielchen, und der Abscheu diesem habgierigen Mann gegenüber verwandelte sich in Hass. Er änderte die Taktik und begann wieder mit geistiger Projektion.
»Du bist in Gefahr«, sagte er. »Ich bin gekommen, um dich in Sicherheit zu bringen. Hol dein Geld. Nimm, was du brauchst, und folge mir.«
Ellinwoods geschwächtes Bewusstsein, noch dazu getrübt von Opiat und Whisky, war leicht zu beeinflussen. Er glaubte sich plötzlich in Gefahr und hielt Rashed für seinen Retter.
»Ja, ja«, schnaufte er und versuchte in plötzlicher Panik, auf die Beine zu kommen. »Ich bin gleich so weit.«
»Wir gehen zum Hafen«, sagte Rashed. »Dort bist du sicher.«
»Sicher«, wiederholte Ellinwood.
Er eilte zum Kleiderschrank, schloss die oberste Schublade auf und entnahm ihr mehrere schwere Beutel, die in seinen Händen klimperten.
»Gib mir das Geld«, sagte Rashed. »Ich bewahre es für dich auf.«
Der Konstabler reichte ihm die Beutel. Rashed band sie an seinen Gürtel und zog sich wieder die Kapuze des Umhangs über den Kopf.
Sie gingen die Treppe hinunter, und diesmal verbarg sich Rashed einfach unter der Kapuze, als sie an Loni vorbeikamen. Ellinwood wohnte hier. Niemand würde ihn fragen, warum er den Gasthof mit einem Begleiter verließ. Leise und schnell schritten sie durch die stille Stadt zum Hafen, und dort trat Rashed ans Ende einer langen Anlegestelle.
»Hier«, sagte er. »Hier bist du sicher.«
»Sicher«, wiederholte Ellinwood erneut und lächelte.
Rashed konnte kaum glauben, wie leicht es war, die Gedanken dieses Mannes zu kontrollieren. Es kostete ihn kaum Mühe, obwohl es ihm normalerweise schwerfiel, die Wahrnehmungen einer anderen Person zu beeinflussen und bestimmte Vorstellungen in ihr zu wecken. Er streckte beide Hände aus, packte den Kopf des Konstablers und drehte ihn mit einem Ruck nach links. Es knackte, als das Genick brach. Ellinwood fühlte keinen Schmerz. Er war einfach von einem Augenblick zum anderen tot.
Rashed versuchte nicht, die schwere Leiche aufrecht zu halten. Er ließ sie nach hinten fallen, von der Anlegestelle ins Wasser. Niemand würde das Platschen hören. Die Strömung trug sie vielleicht aufs Meer hinaus oder spülte sie irgendwo ans Ufer. Wenn jemand den Toten fand, so sah er blutunterlaufene Augen, und später würde man das Opiat in seinem Zimmer entdecken. Wie auch immer: Wenn Ellinwood gefunden wurde, wollte Rashed Miiska längst verlassen haben.
Der Gedanke an Teesha allein im Schiff beunruhigte ihn. Rasch verließ er den Hafen, tastete nach den Geldbeuteln an seinem Gürtel und sah nicht einmal zu dem Ort zurück, an dem der Konstabler gestorben war.