20
Leesil wartete angespannt, ohne zu ahnen, dass der Kampf bereits begonnen hatte. Der Schuppen, in dem er hockte, diente niemandem als Behausung. Er bot Karlin und ihm gerade genug Platz, sich darin zu verstecken. Es musste einmal ein Werkzeugschuppen gewesen sein, doch jetzt waren hier nur noch Spinnen und eine zerbrochene Harke zu Hause.
»Es ist schon eine ganze Weile nach Sonnenuntergang«, flüsterte Karlin. »Sollte nicht etwas passiert sein?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Leesil ehrlich. »Wenn die Untoten gemerkt haben, dass wir vorbereitet sind, müssen wir vielleicht noch länger warten.«
»Die Leute zittern bereits vor Furcht. Wenn es noch lange so weitergeht, sind sie erschöpft.«
»Sie müssen sich wie wir in Geduld fassen.«
Leesil spähte durch einen Spalt in der Tür und versuchte, irgendetwas zu erkennen, als plötzlich Rose schrie. Der Schrei durchbohrte ihn wie ein Pfeil, und ohne nachzudenken, stürzte er auf die Straße.
»Rose?«, rief er und rannte in Richtung Stall die Straße hinauf.
Ein zweiter Schrei erklang, und verwirrt wandte er sich der Taverne zu. Karlin stand jetzt neben ihm.
Weitere Schreie hallten durch die Stadt um ihn herum.
Leesil drehte sich um und sah, wie zwei Hafenarbeiter voller Panik aus ihren Verstecken liefen. Lautes Geknurre und Geheul folgte den Schreien, und Leesil stand verblüfft da, ohne zu wissen, was er tun sollte.
Wölfe.
Langbeinige, wütende Tiere liefen durch die Straßen und griffen Miiskas Bürger an. Einige sprangen sogar durch Fenster. Karlins Sohn Geoffry hielt einen großen schwarzen Wolf mit einem improvisierten Speer zurück. Leesil ließ seine Axt fallen, riss Karlin die Armbrust aus den Händen, schoss und traf das Tier am Hals.
»Bring dich in Sicherheit!«, rief er Geoffry zu.
Chaos breitete sich in den Straßen aus. Leesils einfacher, aber gut vorbereiteter Plan wurde von einem Augenblick zum anderen über den Haufen geworfen, als weitere Wölfe aus den Seitenstraßen kamen und Menschen aus ihren Verstecken trieben. Die Gedanken an Untote wurden beiseitegedrängt; die Waffen richteten sich auf neue Ziele.
Die Wölfe waren nicht dürr und halb verhungert, sondern gesund und kräftig. Aber irgendetwas hatte sie so sehr durchdrehen lassen, dass sie jeden Menschen angriffen, den sie sahen. Leesil und Magiere hatten bei ihren Reisen in Strawinien einige Erfahrungen mit Wölfen gesammelt. Normalerweise wagten sie nur dann Angriffe auf Menschen, wenn der Hunger sie dazu trieb. Wölfe mieden Siedlungen. Doch diese großen, grauen und schwarzen Tiere liefen durch die Straßen und fielen über alles her, das sich bewegte. Entsetzte Schreie erklangen.
»Leesil!«, rief Karlin. »Die Taverne brennt.«
Rashed schickte die Wölfe voraus und folgte ihnen durch den Wald nach Miiska. Diesmal würde die Jägerin überrascht und vom Blutbad in der Stadt abgelenkt sein – diesmal kam er mit einer Streitmacht zu ihr. Wölfe waren keine sehr komplexen Geschöpfe, aber sie befolgten seine Aufträge mit großer Zielstrebigkeit. Mit einem Gedankenbild befahl er ihnen, in der Stadt jeden Menschen anzugreifen, den sie sahen, und sie gehorchten.
Als er den Stadtrand erreichte, zögerte Rashed nicht. Mit langen Schritten ging er weiter, in der einen Hand eine brennende Fackel und in der anderen sein Schwert. Er versuchte gar nicht, sich in den Schatten zu verbergen.
Er fühlte keine Zufriedenheit, als das Geschrei begann. Planlose Gewalt war abscheulich und ohne Ehre. Selbst das Töten, um Blut zu trinken, fand er dumm, denn es weckte Argwohn und verringerte das lokale Nahrungsangebot. Aber die Jägerin hatte sich zurückgezogen und in Miiska versteckt, und deshalb musste er die Stadtbewohner anderweitig beschäftigen, damit er die Jägerin aus ihrem Versteck holen und diese Sache beenden konnte. Sie zwang ihn dazu, solche Maßnahmen zu ergreifen.
Magiere, die rückgratlose Jägerin, hatte eine Falle vorbereitet und hielt sich hinter einfachen Leuten verborgen. Der Gedanke machte Rashed zornig.
Niemand bemerkte ihn, als er entschlossen zur Taverne ging. Erst als er dem Gebäude schon recht nahe war, versuchte jemand, ihn aufzuhalten. Ein junger Wächter zielte mit einer Armbrust auf einen Wolf. Als er Rashed sah, zuckte er zusammen, richtete die Waffe auf ihn und schoss.
Mit voller Kraft und Konzentration griff der Edle Tote einfach nach dem heranfliegenden Bolzen und warf ihn beiseite.
Der Wächter riss die Augen auf und rannte fort.
Rashed folgte ihm nicht. Stattdessen ging er zum »Seelöwen«, trat einige Bretter lose und hielt die Fackel daran. Das Holz der Taverne war alt und trocken, es brannte sofort. Auf beiden Seiten des Gebäudes wiederholte er diesen Vorgang, nahm sich die Rückseite zum Schluss vor und warf die Fackel durchs Obergeschossfenster in Magieres Zimmer. Dann kehrte er nach vorn zurück und wartete auf die Jägerin. Sie befand sich in der Taverne. Nach den Begegnungen mit ihr spürte Rashed ihre Präsenz.
Zuerst sah er nichts. Dann bemerkte er eine Bewegung am kleinen Fenster links von der Tür. Sein Blick wanderte zwischen der Tür und dem Hauptfenster des Schankraums hin und her. Ein Fensterladen war dort abgerissen und lag auf dem Boden.
Magiere erschien an dem großen Fenster.
Dass sie sich ihm plötzlich zeigte, überraschte Rashed nicht, wohl aber ihre Gelassenheit. Das Haar war zusammengebunden, die Lederrüstung sauber, das Gesicht ruhig. Sie wirkte ausgeruht und nicht wie jemand, der Nacht für Nacht gekämpft hatte. Das Feuer breitete sich in der Taverne aus, doch es ließ sie ebenso unbeeindruckt wie das Chaos in den Straßen. Warum verließ sie das Gebäude nicht?
Sie standen beide da und starrten sich an. Magiere hielt ihr Falchion in der einen Hand; die andere blieb auf dem Rücken.
Wortlos hob sie die verborgene Hand. Für einen Moment konnte Rashed durch den Schein der Flammen nicht erkennen, was sie hielt. Etwas baumelte an langen braunen Haaren.
Teeshas Kopf.
Der eigene Körper bereitete Leesil immer größere Probleme, und Verzweiflung trieb ihm Schweiß aus den Poren, der kalt auf der Haut lag. Er hatte sich einen Weg durch das Chaos gebahnt und versucht, die Tiere zurückzutreiben, die die Menschen in den Straßen angriffen. Jetzt fand er sich unweit des Ufers wieder, südlich des Hafens und nördlich der Taverne. Alles war zu einem großen Durcheinander geworden.
Plötzlich hörte er Karlins Ruf.
Der »Seelöwe« stand in Flammen.
Zwei Leichen mit zerrissenen Kehlen lagen zwischen Leesil und der brennenden Taverne. In seinem gegenwärtigen Zustand konnte er Magiere keine Hilfe beim Kampf leisten, selbst dann nicht, wenn er sie erreichte. Mit jedem verstreichenden Moment fiel es ihm schwerer, sich auf den Beinen zu halten.
Leesil sah sich um, doch es gab niemanden, der ihm dabei helfen konnte, das Feuer zu löschen. Alle flohen oder kämpften um ihr Leben.
Chap kam hinter der Taverne hervor, trug etwas von den Flammen fort und versuchte, trotz der Last möglichst schnell zu laufen.
Wenn Chap aus der Taverne gekommen war … Es bedeutete, dass sich Magiere noch darin befand. Warum half der Hund ihr nicht?
»Chap!«, rief Leesil. »Komm her, Junge.«
Er ließ die Armbrust fallen, stützte sich an Wänden ab und setzte mühsam einen Fuß vor den anderen.
Chap war etwa anderthalb Gebäude von der Taverne entfernt, als er Leesil sah, stehen blieb und seine Last absetzte. Dann sprang er bellend neben dem Bündel hin und her und wollte es offenbar nicht verlassen. Leesil verstand den Grund, als er den Hund erreichte.
Die halb bewusstlose Rose lag auf dem Boden. Deshalb hatte Chap Magiere verlassen.
»Schon gut«, sagte Leesil.
Er ging in die Hocke und musste sich mit einer Hand am Boden abstützen, um nicht nach vorn zu kippen. Rose hob den Kopf; Tränen hatten feuchte Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen.
»Leesil!«, schluchzte sie und griff nach seiner Hand.
Das war gut. Sie konnte noch reden und sich bewegen, was bedeutete: Was auch immer geschehen war, es hatte keine bleibenden Schäden hinterlassen. Leesil bezweifelte, dass er in der Lage war, zu Magiere zu gelangen, und den Stadtleuten konnte er nicht mehr helfen. Aber er konnte Rose retten.
Der Hund jaulte und leckte über sein Gesicht. Rose stand auf, schlang ihm die Arme um den Hals und hielt sich fest. Sie wog nicht viel, aber selbst ihr geringes Gewicht bescherte ihm neue Schmerzen in Brust und Rücken.
»Kannst du gehen?«, schnaufte er. »Ich kann dich nicht tragen.«
Die Worte schienen Rose zu verwirren, doch dann nickte sie. »Ja.«
»Bring mich zum Stall, zu den anderen Kindern.«
Für ein so kleines und verängstigtes Kind verstand sie schnell, was er meinte. Sie nahm ihn bei der Hand und eilte zum Stall, lief dabei schneller als Leesil und versuchte, ihn mit sich zu ziehen. Chap blieb an seiner Seite und drehte immer wieder die Ohren, als er in den Seitenstraßen die Geräusche von Kämpfen hörte. Die Nacht wurde dunkler, als sie sich von der brennenden Taverne entfernten. Leesil konzentrierte sich ganz auf die Notwendigkeit, in Bewegung zu bleiben, schenkte allem anderen keine Beachtung. Als sie den Stall erreichten, zerrte er die Tür auf und erstarrte.
Zwei große Wölfe – der eine schwarz, der andere grau – liefen umher, schnüffelten, kratzten am Boden und suchten nach einem Weg zu den Kindern, die sie weiter unten witterten. Beide hoben den Kopf und starrten die Neuankömmlinge aus gelben Augen an.
Der schwarze Wolf knurrte, und Chap sprang. Zwei pelzige Körper prallten gegeneinander.
»Rose, hoch ins Heu!«, rief Leesil und sah sich nach etwas um, das er als Waffe verwenden konnte. Aber alle Heugabeln und Schaufeln, die sich hier befunden hatten, waren an die Stadtbewohner verteilt worden.
Rose kletterte den Heuhaufen zwischen den Ballen hoch. Chap und der schwarze Wolf rollten mit zornigem Knurren über den hölzernen Boden.
Leesil sah, wie der graue Wolf die Zähne fletschte und seine Muskeln spannte. Mit zwei langen Sätzen kam er heran. Der halbe Elf handelte instinktiv, ohne nachzudenken.
Der eine Arm kam nach oben, um Kopf und Hals zu schützen, und der andere schwang mit einer plötzlichen Bewegung nach unten. Die Messerscheide am Unterarm öffnete sich, und plötzlich hielt Leesil ein Stilett in der Hand. Der Wolf schnappte nach dem erhobenen Arm.
Als die Vorderpfoten des Tieres gegen Leesils Brust prallten, bohrten sich ihm die gebrochenen Rippen tiefer in den Körper, und jäher Schmerz nahm ihm den Atem. Das Gewicht des Wolfs warf ihn zu Boden.
Der Aufprall ließ eine Welle der Qual durch Leesils Leib rasen.
Mit der gleichen fließenden Bewegung, mit der er Brenden auf den Boden der Taverne gedrückt hatte, rollte Leesil herum, nutzte dabei das Gewicht des Wolfs und hielt den Kopf des Tieres an den Boden gepresst. Mit dem letzten Bewegungsmoment rammte er das Stilett in ein gelbes Auge.
Es knirschte, als die Klinge Knochen durchdrang und das Innere des Schädels erreichte. Der pelzige Körper zuckte einmal und erschlaffte dann. Leesil kroch zur Seite und versuchte, wieder Luft in die Lungen zu bekommen.
Chap kämpfte noch immer gegen den anderen Wolf, schnappte und trat nach ihm. Leesil wollte auf die Beine kommen und seinem Hund helfen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Er atmete kurz und flach, begleitet von so heftigen Schmerzen, dass er am liebsten ganz mit dem Atmen aufgehört hätte.
Es kam nicht ein Geräusch von den Kindern weiter unten. Angst oder Vernunft hatten sie daran gehindert, ihr Versteck preiszugeben.
Chaps Schnauze fand ein Vorderbein seines Gegners, und sofort bohrte er die Zähne hinein. Ein lautes Knacken, gefolgt von einem Jaulen, signalisierte das Ende des Kampfes, und für einen Moment fühlte Leesil Stolz. Chap war mit Untoten fertiggeworden; einen Wolf erledigte er im Handumdrehen.
Das verletzte Tier hinkte aus dem Stall und hatte es dabei sehr eilig. Chap ließ seinen Gegner davonziehen, kehrte zu Leesil zurück und erreichte ihn zusammen mit der vom Heuhaufen herunterkletternden Rose.
»Nach unten«, brachte Leesil hervor. »Versteck dich bei den anderen.«
Rose blieb neben ihm stehen. Sie wollte ihn nicht verlassen.
»Hör zu …«, zischte er zornig, brachte den Satz aber nicht zu Ende. Dunkelheit überschwemmte ihn, und er verlor das Bewusstsein.
Als Magiere Teeshas Kopf hob, rechnete sie damit, Zorn und das Verlangen nach Rache in Rasheds Gesicht zu sehen. Sie hoffte, ihn dadurch zu unüberlegten Aktionen zu veranlassen.
Zuerst zeigte sich völliges Unverständnis in seinen hellen Augen, dann Entsetzen und schließlich etwas zwischen Furcht und Schmerz.
»Teesha?« Die Lippen formten dieses Wort – im Tosen der Flammen konnte Magiere seine Stimme nicht hören.
Unerwartete und unwillkommene Schuldgefühle regten sich in Magiere. Sie schob sie sofort beiseite.
»Hier bin ich!«, rief sie, dazu entschlossen, das zu beenden, was er begonnen hatte. »Warum kommst du nicht, um dir meinen Kopf zu holen?«
Er konnte sie wohl kaum verstanden haben, aber Magieres Worte führten zu einer Reaktion. Rashed stieß einen unartikulierten Schrei aus und sprang durchs Fenster – das Holz der Wand gab unter seinen Beinen nach. Um ihn herum fielen brennende Bretter, aber er achtete gar nicht darauf, hielt sein Schwert mit beiden Händen.
Magiere nahm bei ihrem Gegner noch immer nicht die Gefühle wahr, mit denen sie gerechnet hatte. Kummer war in dem Schrei erklungen, keine Wut.
»Feigling!«, donnerte er und holte mit dem Schwert aus. Magiere ließ Teeshas Kopf fallen und sprang zurück, anstatt den Hieb zu parieren. Sein Angriff weckte die Kraft in ihr, die sie jetzt brauchte.
Bei Teesha hatte sie den Zorn und seinen Einfluss auf ihr Verhalten kontrolliert, und sie glaubte, dass sie auch jetzt dazu imstande gewesen wäre. Aber das wollte sie nicht, ließ sich stattdessen davon mitreißen. Die Schärfe in ihrem Mund war willkommen, nicht mehr beunruhigend. Um Rashed zu vernichten, wurde sie wie er, zu einem Geschöpf von seiner Art.
Zuvor hatte sie den Schankraum für groß und offen gehalten, aber als sie nun vor Rashed zurückwich und die Hitze der Flammen spürte, fühlte sie sich an einem zu kleinen Ort in die Enge getrieben. Die physische Präsenz ihres Gegners war zu nahe, zu unmittelbar.
Rashed blieb zwischen ihr und dem Loch in der Wand stehen, wartete dort ab. Er war ein blutgieriges Ungetüm, das sie verabscheute und hasste, aber sie bewunderte auch seine Strategie in all diesem Wahnsinn. Er wollte sie nicht nach draußen lassen. Entweder tötete er sie mit dem Schwert, oder sie verbrannte im Feuer. Es dauerte sicher nicht mehr lange, bis das Obergeschoss einstürzte.
Wenn das sein Plan war … Sollte er es nur versuchen. Magiere griff an.
Stahl klirrte auf Stahl, und Magiere vergaß Rasheds Kummer über Teeshas Tod.
Jede seiner Bewegungen war vertraut, als ahnte sie sie voraus. Magiere schlug zu, parierte, holte erneut aus. Irgendwo in ihrem Hinterkopf flüsterte der Gedanke, dass sie beide verbrannten, wenn sie die Taverne nicht bald verließen. Spielte es eine Rolle? Für Rashed offenbar nicht. Und für Magiere ebenso wenig – ihr ging es nur darum, den Gegner zu enthaupten.
Die Flammen wurden größer und heißer, und Rauch ließ Magiere husten. Rasheds Klinge hätte sie fast an der Schulter getroffen, als sie nach Luft schnappte. Er riss sein Schwert nach oben und hob es mit der Absicht, Magiere den Schädel zu spalten. Magiere versuchte nicht, den Hieb zu parieren, sprang vor und zielte auf Rasheds Bauch.
»Ihr Narren!«, heulte jemand.
Der unerwartete Schrei überraschte sie beide, und keiner von ihnen traf das Ziel. Durch Rauch und Feuer sah Magiere ein grässliches Gesicht, und für einen Augenblick vergaß sie den Kampf.
Über Teeshas abgeschlagenem Haupt schwebte der Geist eines Geköpften. Langes blondes Haar hing von dem auf der Schulter ruhenden Kopf herab. Magiere hatte geglaubt, dass sie nichts mehr erschüttern konnte, aber trotz des Zorns zog der offene Hals des Mannes ihren Blick auf sich. Flammen leckten durch seinen transparenten Leib.
»Ihr Narren!«, wiederholte er. Sein Gesicht zeigte all die Wut, mit der Magiere bei Rashed gerechnet hatte.
»Fort mit dir, Edwan!«, rief Rashed. »Du kannst sie nicht rächen.«
»Rächen?«, fragte der Geist ungläubig. »Du hast Teesha getötet. Mit deinem Stolz. Begreift ihr beide denn nicht, was geschieht? Habt ihr dies gewollt?« Er kniete sich vor Teeshas Kopf und weinte ohne Tränen. »Du hast meine Teesha umgebracht.«
Magiere stolperte. Nichts ergab einen Sinn. Wie auch immer sie handelte, alles schien falsch zu sein. Die Hitze in ihr schwand, und dafür wurde eine andere Hitze deutlicher spürbar: die der Flammen. Ihre Lederrüstung schwelte an mehreren Stellen.
Als sie den Blick wieder auf Rashed richtete, sah sie die Treppe der Taverne hinter ihm und begriff, dass sie beim Kampf die Plätze getauscht hatten. Das von Rashed geschaffene Loch in der Wand befand sich jetzt hinter ihr.
Magiere wich zurück.
»Nein!«, rief Rashed. Seine hellen Augen reflektierten das Licht der Flammen.
Es knackte und knirschte laut. Magieres Blick glitt kurz nach oben – das Obergeschoss gab nach. Ihr Überlebensinstinkt setzte sich durch.
Sie wirbelte herum, lief los und sprang durch die Öffnung, den einen Arm vors Gesicht gehoben. Kühle Luft flutete ihr entgegen. Magiere rollte auf dem Boden ab, kam wieder auf die Beine und sah zur Taverne zurück.
Ein dicker Balken, breiter als seine Brust, drückte Rashed zu Boden. Die Flammen umgaben ihn, während er noch versuchte, sich zu befreien. Arme und Beine brannten, bewegten sich aber wie Flammen innerhalb von Flammen. Das Donnern des Feuers verschluckte alle anderen Geräusche, und Magiere fragte sich, ob Rashed schrie.
Der Geist des Geköpften schwebte im Schankraum umher, durch die Flammen, die Rashed verzehrten. Er schien zu lachen.
Magiere taumelte einige Schritte zurück und sank zu Boden. Sie beobachtete den brennenden Rashed, dessen Bewegungen schließlich aufhörten, und dann stürzte das Obergeschoss ein. Funken flogen wie tausend Glühwürmchen durch die Nacht.
Aus Legenden und Geschichten kannte Magiere viele Methoden, einen Untoten zu vernichten, und das Verbrennen zu Asche war so gut wie jede andere.
Woher sollte sie jetzt das tönerne Gefäß nehmen, um den Geist des Vampirs einzufangen? Wo waren die Bauern, die erleichtert seufzten? Wie tapfer von ihr, fortzuspringen und zu beobachten, wie ihr Gegner unter einem Balken eingezwängt lag und verbrannte.
Der Topas an ihrem Hals glühte gleichmäßig.
Ein Licht heller als die Flammen erstrahlte neben Magiere, und das grässliche Phantom des Geköpften schwebte dicht neben ihrem Gesicht. Magiere schrie auf und wich zurück.
»Es ist vorbei, vorbei, vorbei«, sang der Geist, während er über ihr in der Luft schwebte; der auf der Schulter ruhende Kopf war ihr so nahe, dass sie jedes Detail sah. »Vorbei, vorbei, vorbei, vorbei …«
Sein Licht trübte sich, und er verblasste immer mehr, bis nur noch die Nacht und die Flammen der Taverne übrig blieben. Magiere kniete auf dem Boden, im Innern taub, und hielt in dem brennenden Gebäude nach irgendeinem Anzeichen von Rashed Ausschau.
Doch es gab nur noch Feuer und Rauch in der Dunkelheit.