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Der Magnetwagen glitt erneut über den Hang des Berges, aber diesmal nach unten. Magnetfelder schützten vor allen Unebenheiten, und Aybe steuerte das Fahrzeug so, als bestünde der Hang aus abfederndem Gummi.
Die anderen brachten ihn schließlich dazu, die Geschwindigkeit zu reduzieren, aber er ließ den Wagen immer rutschen, wenn sich weiter unten ein Auffangbecken befand. Dann bremste er am gegenüberliegenden Hang mithilfe der Magnetfelder, die nur einen Meter über den Felsen erstaunlich stark waren.
Die meisten Auffangbecken enthielten tiefes blaues Wasser. Der Anblick von Bergseen mit Bäumen an den Ufern erinnerte Cliff an Wandertouren durch die Sierras, die damals genauso ausgesehen hatten wie auf den Fotos von Ansel Adams.
Die Menschen hatten die von ihnen selbst zerstörte Umwelt im einundzwanzigsten und zweiundzwanzigsten Jahrhundert im Rahmen der Großen Rückführung restauriert. In Sibirien hatte eine Pleistozän-Umgestaltung stattgefunden, mit der fast ausgestorbene Karnivoren wie Wölfe, Luchse, Pumas, Vielfraße, Bären und Seeotter zurückgebracht worden waren. Nachdem die menschliche Bevölkerung auf zwei Milliarden gesunken war, gab es Platz genug.
Cliff hatte dabei als Junge in Kalifornien geholfen. Nicht mit Biotech und dergleichen, sondern beim Entfernen invasiver Spezies. Im Sommer war er bei Sonnenaufgang aufgebrochen, mit einer Ölzeughose, die vor den Dornen schützte, einem großen Messer, einer Hacke und einem Feldstecher. Morgenstund hat Gold im Mund, hatte sein Vater immer gesagt. Als er sich daran erinnerte, fühlte er einen Stich tief in seinem Innern, denn sein Vater, von dem er sich mit einem kräftigen Händeschütteln verabschiedet hatte, lebte längst nicht mehr.
Damals, an jenen hellen Sommertagen, hatte er Pampasgras ausgerissen, dessen Wurzeln dem kalifornischen Boden Nährstoffe entzogen, ohne seinerseits irgendetwas Nützliches zum Ökosystem beizutragen. Büschel so groß wie ein Haus hatte er allein mit seinem Messer beseitigt. Ein echter Bio-Fanatiker war er gewesen, jemand, der sich über alle Pflanzen ärgerte, die aus ganz anderen Regionen stammten und nicht zu den ursprünglichen Biotopen gehörten. Es fühlte sich gut an, das Pampasgras auszureißen und anschließend die Wurzeln zu besprühen, sie mit dem chemischen Tod zu bearbeiten, auf dass sich die Pflanze nicht wieder erholen konnte.
Die Erinnerung daran brachte ihn zu der Frage zurück, welche Art von Bewusstsein die gewaltige künstliche Welt der Schale konzipiert und geschaffen hatte. Sie war viele Millionen Mal größer als die ganze Erde. Wie gingen die Erbauer mit den vielen Spezies und der Veränderung um?
Die goldenen Hügel von Cliffs Kindheit waren das Ergebnis von invasiven spanischen Gräsern, die das einheimische Horstgras verdrängt hatten, deren tiefere Wurzeln dafür sorgten, dass es das ganze Jahr über grün blieb. Doch die Klimaerwärmung im einundzwanzigsten Jahrhundert begünstigte die widerstandsfähigen Einwanderer, die man oft »Unkraut« nannte – womit Pflanzen gemeint waren, die niemand mochte – und robuster waren als die einheimischen Gewächse. Dadurch hatte sich die Vegetation verändert, und solche Veränderungen konnten sich auch in dieser Schalenwelt ausbreiten.
Dies alles ließ sich Cliff durch den Kopf gehen, als Terry ihn anstieß. »Etwas Großes.«
Aybe bemerkte es ebenfalls und steuerte den Wagen unter einen Felsvorsprung. Ein blaugrünes röhrenförmiges Gebilde schwebte hoch am Himmel, und sein Bug zeigte in ihre Richtung.
»Es hat uns gesehen«, sagte Terry. »Es kommt auf uns zu und wird schneller.«
Cliff blickte nach oben. »Die Bewohner dieser Welt haben also Luftschiffe. Das ergibt durchaus einen Sinn in dieser Atmosphäre.«
»Ja«, bestätigte Aybe. »Hier gibt es keine fossilen Brennstoffe, und wie sollten Flugzeuge ohne so etwas fliegen? Schweben ist einfacher.«
Irma streckte den Arm aus. »Das ist kein Luftschiff. Es hat … Flossen, die sich bewegen. Ein Geschöpf, das am Himmel … schwimmt?« Sie blickte durch den Feldstecher. »Ich kann Augen erkennen.«
»Ein lebendes Luftschiff«, sagte Cliff. »Das ist eine Anpassung, die ich nicht für möglich gehalten hätte.«
Er machte von seinem eigenen Feldstecher Gebrauch und beobachtete die warzige Flanke des großen Wesens. Dellen und Höcker durchzogen die Haut, und an anderen Stellen bemerkte er Dinge, die ihn an Türme und Schleusen erinnerten. Ja, es gab tatsächlich Augen und auch große Flossen, wie die Segel eines besonders großen Schiffes – sie bewegten sich, als wollten sie den Wind einfangen. Am Heck bemerkte Cliff weitere Augen.
Wie konnte sich ein solches Lebewesen entwickeln? Er hatte schwebende vogelartige Geschöpfe mit orangefarbenen Kehlen beobachtet, die diese Tiere aufblasen konnten. Aber er hatte vermutet, dass es sich dabei um Balzrituale handelte, nicht um einen navigatorischen Trick. An den Seiten wies das »Luftschiff« seltsame Schlitze auf. Bei höchster Zoomstufe des Feldstechers erkannte Cliff Bewegungen an den betreffenden Stellen, und plötzlich wurde ihm klar: Was er dort sah, waren lange Fenster, und bei den winzigen Gestalten handelte es sich um Vogel-Leute. »Ein lebendes Wesen«, sagte er. »Mit Passagieren an Bord.«
»Es muss ziemlich groß sein«, sagte Irma. »Die Entfernung lässt sich nur schwer abschätzen. Vielleicht zehn Kilometer oder mehr.«
»Dann muss es wirklich groß sein«, ließ sich Terry vernehmen.
»Wir sollten uns besser auf und davon machen«, sagte Aybe, lenkte den Magnetwagen wieder über den Hang und aktivierte das Kraftfeld, das den Fahrtwind von ihnen fernhielt.
»Wähl eine Route, die uns vor Beobachtung schützt«, sagte Terry.
»Ja«, brummte Cliff und überlegte schnell. »Bring uns in die Schluchten. Dort unten können uns das Luftschiff und die Vogel-Leute an Bord nicht sehen.«
Aybe steuerte den Wagen über den manchmal recht steilen Hang und blieb dabei den Felsen so nahe, dass Kollisionen manchmal unausweichlich schienen.
»Halte dich in der Nähe der Bäume!«, rief Terry. »Wenn wir mit dieser Geschwindigkeit gegen einen Felsen prallen …«
»Lenk mich nicht ab!« Aybe kniff die Augen zusammen und schloss die Hand noch etwas fester um den Steuerknüppel. Schweiß perlte auf seiner Stirn.
Sie erreichten eine schmale Schlucht, als etwas heranraste: ein kleines Flugzeug mit deutlich erkennbaren Piloten. »Hätte mir denken können, dass sie was Schnelleres schicken. Glaubt ihr, sie haben uns wirklich bemerkt?«
»Wir waren nur für einige Sekunden zu sehen …«
Etwas traf die Schluchtwand und explodierte. Plötzlich regnete es Gesteinssplitter, die das Kraftfeld des Fahrtwindschutzes glücklicherweise von ihnen fernhielt. Cliff beobachtete, wie ein Brocken größer als sein Kopf vom schützenden Schirmfeld abprallte.
Aybe drückte den Steuerknüppel nach vorn, und sofort wurde der Magnetwagen schneller. Nur einen Meter über dem Boden sauste er dahin und erzitterte immer wieder, als das Kraftfeld mit all den Splittern fertigwerden musste.
Cliff hörte sich selbst keuchen. Die anderen hielten sich krampfhaft fest, als Aybe den Magnetwagen nach links riss und in eine kleinere Seitenschlucht zwang. Und wenn das eine Sackgasse ist?, fragte sich Cliff und entschied, den Gedanken für sich zu behalten. Es war ohnehin zu spät. Sie brachten eine scharfe Kurve hinter sich, und hinter ihnen donnerte eine zweite Explosion, die noch mehr Felssplitter gegen den Magnetwagen schleuderte. Cliff hob den Blick, konnte das Flugzeug aber nicht sehen. Aybe steuerte den Magnetwagen abrupt nach rechts, in eine schmale, steil nach oben führende Passage, in der nur ein kleiner Teil des Himmels zu sehen war.
»Wenn wir hier in der Falle sitzen …«, begann Irma.
»Wir fliehen nicht, wir verstecken uns«, erklärte Aybe. »Ich glaube nicht, dass sie uns so tief in der Schlucht sehen können.«
»Das hast du einfach so entschieden?«, fragte Terry.
»Es gab keine Zeit, euch zu fragen. Das Flugzeug hat viel zu schnell auf uns geschossen. Ich musste sofort handeln, sonst hätte es uns erwischt.«
»Du hast recht«, sagte Irma. »Jetzt gibt es ohnehin kein Zurück mehr.«
Terry starrte besorgt nach oben. »Und wenn die Burschen größere Geschosse verwenden?«
»Das bezweifle ich«, wandte Cliff ein. »Sie würden riskieren, die Struktur der Schale zu beschädigen. Schwere Waffen stehen ihnen vermutlich gar nicht zur Verfügung.«
»Hoffen wir’s«, sagte Terry.
Und so warteten sie. Das Schirmfeld ließen sie eingeschaltet, und es dämpfte die Geräusche. Gespannt blickten sie nach oben zum blauen Himmel, der nach kurzer Zeit weiß wurde, weil Wolken erschienen. Sie hörten nichts, weder das Flugzeug noch das große, einem Luftschiff ähnelnde Himmelswesen, und das kleine Stück sichtbarer Himmel über ihnen blieb leer.
Die weißen Wolken, die weit oben übers Firmament zogen, wurden dunkler. Für einen Moment deaktivierten sie das Kraftfeld und lauschten. Leichter Wind war zu hören, aber ansonsten blieb es still.
»Wir sollten besser noch eine Weile hierbleiben und uns nicht von der Stelle rühren«, sagte Aybe.
Sie warteten noch eine Stunde. Und eine weitere.
Terry wurde ungeduldig. Erneut schalteten sie das Schirmfeld aus und nutzten die Gelegenheit, den Magnetwagen zu verlassen und zu pinkeln. Cliff hockte sich in einer kleinen Seitenschlucht nieder und war gerade damit fertig, die mitgenommenen großen Blätter wie Toilettenpapier zu benutzen, als ihm plötzlich große Tropfen auf den Kopf klatschten. Weitere fielen während seiner hastigen Rückkehr zum Wagen. Als er ihn erreichte, war aus den Tropfen strömender Regen geworden, und Blitze flackerten am Himmel, brachten den Geruch von Ozon. Cliff war der letzte Rückkehrer, und alle wurden nass, als Aybe das Kraftfeld deaktivierte, um ihn einsteigen zu lassen.
Sie saßen da und beobachteten, wie der Regen gegen die Wände der Schlucht prasselte. Bäche bildeten sich und schwollen an. Schnell fließendes Wasser zerrte am Magnetwagen.
»Wir sollten besser von hier verschwinden«, sagte Terry.
Aybe warf einen argwöhnischen Blick auf das Wasser. »Na schön. Ich möchte nicht unbedingt ertrinken.«
»Wenn der Motor nass wird …« Cliff unterbrach sich. »Na ja, wir wissen ohnehin nicht, wie dieses Ding funktioniert.«
Das bereitete ihm Sorgen, aber er sah keinen Sinn darin, die anderen darauf hinzuweisen. Mit geschlossenem Mund lernt man mehr, dachte Cliff. Erstaunlich, wie oft das zutrifft. Eine Zeit lang gab niemand einen Ton von sich, während Regenwasser über das Schirmfeld strömte und ihnen die Sicht nahm.
»Jemand könnte sich uns nähern, ohne dass wir es bemerken«, sagte Terry nach einer Weile. »Aber Bewegung weckt Aufmerksamkeit.«
Cliff erinnerte sich an einen Spruch seines Vaters: Der frühe Vogel fängt den Wurm, aber die zweite Maus bekommt den Käse.
»Wir können nicht einfach hier herumsitzen«, sagte Aybe mit Nachdruck. »Der lebende Ballon wird kommen und nach uns suchen.«
Irma nickte; ihr Haar war nass und zerzaust. Aybe betätigte die Kontrolle, und der Wagen reagierte mit einem beruhigenden Summen und stieg auf, über das schäumende Wasser. Vorsichtig steuerte Aybe ihr Gefährt in eine weitere Schlucht, die nach oben führte, und einige Minuten lang ging die Fahrt in diese neue Richtung. Dann hielt Aybe an, damit sie einen Eindruck von der Situation gewinnen konnten. Weiter vorn öffnete sich eine breite Schlucht, deren Einzelheiten hinter dichten Regenschleiern verborgen blieben.
»Das ist unsere Chance«, sagte Aybe und sah zu den anderen, die noch immer Nässe aus ihrer Kleidung wrangen. »Sieht nach einem langen Tal aus. Dort sollten wir uns weit genug von diesem Ort entfernen können, um dem Himmelswal zu entkommen.«
»Es sei denn, die Vogel-Leute in dem organischen Luftschiff verfügen über Ortungsgeräte, mit denen sie durch den Regen sehen können«, gab Terry zu bedenken. »Dann können sie uns aufs Korn nehmen.«
»Wenn du befürchtest, in Gefangenschaft zu geraten, kann ich dich beruhigen«, sagte Irma. »Dass die Vogel-Leute auf uns geschossen haben, zeigt deutlich: Sie wollen uns töten.«
Sie schwiegen und dachten darüber nach.
»Ähm«, sagte Aybe, »ich bleibe dicht an der Schluchtwand.«
»Das könnte hilfreich sein, aber …« Terry sah nach oben, konnte im strömenden Regen jedoch nichts erkennen. »Wir wissen nicht, wo sich der Himmelswal befindet.«
»Und vermutlich würden wir es erst erfahren, wenn es für uns zu spät ist«, warf Cliff ein.
»Lassen wir es darauf ankommen.« Aybe drückte den Steuerknüppel nach vorn, und der Magnetwagen beschleunigte.
Sie flogen durch die breite Schlucht, die sich oft nach rechts oder links wand. Aybe erhöhte die Geschwindigkeit und ließ den Magnetwagen sicherheitshalber einen weiteren Meter aufsteigen. Cliff schätzte, dass sie mit mindestens sechzig Stundenkilometern unterwegs waren, und erstaunlicherweise bekamen sie dadurch bessere Sicht, zumindest nach vorn, denn das Regenwasser strömte seitlich übers Schirmfeld ab.
Sie saßen da und gaben vor, sich keine Sorgen zu machen, wodurch das Schweigen zwischen ihnen länger wurde. Cliff erinnerte sich an Irmas Worte und begriff, dass sie recht hatte. Die Vogel-Leute versuchten nicht mehr, ihrer habhaft zu werden, wie kurz nach der Landung. Der Beschuss aus dem Flugzeug bedeutet, dass sie uns töten wollen, dachte Cliff. Woraus sich die Frage ergab: Was sollten sie tun, wenn die Fremden sie in die Enge trieben?
Aybe konzentrierte sich auf die Steuerung des Wagens und lenkte ihn an Felswänden vorbei, die plötzlich aus den Regenschlieren auftauchten und ebenso schnell wieder darin verschwanden. Cliff begriff, dass hier nur der Regen Schutz vor Entdeckung bot, denn eine Nacht, in der man sich unbemerkt bewegen konnte, gab es nicht. Er sah einige in der Nähe laufende Tiere und fragte sich, ob sie den Regen ausnutzten, um in ein neues Revier umzuziehen. Oder suchten sie vielleicht Partner für die Paarung?
»Wisst ihr, es ist kein Wunder, dass die meisten Leute in der Nacht Sex haben«, sagte Cliff plötzlich. »Oder zumindest drinnen, in ihren Häusern und Wohnungen.« Vielleicht konnte er die anderen damit ein wenig ablenken, dachte er.
»Was?« Irma warf ihm einen warnenden Blick zu.
Cliff begann mit seinen Erklärungen, sprach von Furcht vor einem Angriff während der Paarung, weshalb sie häufig im Dunkeln stattfand, an geschützten Orten. Und darüber, dass Stammesregeln nötig waren, damit Paare nicht gestört wurden.
Es war eine aus dem Stegreif improvisierte Theorie, aber sie erfüllte ihren Zweck.
Aybe riss wie erwartet den ersten Witz. Es war kein besonders guter, und Terry brachte einen etwas besseren. Sie lachten, und die Sorgenfalten verschwanden nach und nach aus ihren Gesichtern.
Erleichterung durchströmte Cliff, als er merkte, wie die Gruppe wieder zusammenfand, erneut zu einer Einheit wurde. Er sprach weiter, nicht über Sex und dergleichen, sondern über die riesige künstliche Welt, über die bisher beobachteten Lebensformen. Es gab Blumen, was angesichts einer konvergenten Evolution kaum überraschte, aber hier blühten sie immer. Bäume warfen ihre Blätter nur ab, wenn sie starben, denn weder Herbst noch Winter bestimmten ihren Lebenszyklus. Bei den Tieren gab es keine langen Ruhezeiten oder jahreszeitlich bedingten Wanderungen, weshalb ihre Baue und Höhlen recht groß waren, und immer gut bewacht. Kleinere Tiere verteidigten ihre Nester mit großer Entschlossenheit, denn sie brauchten einen im Schatten liegenden Ruheplatz, an dem sie neue Kraft schöpfen und sich paaren konnten.
Irma warf Cliff einen skeptischen Blick zu, und daraufhin wurde ihm klar, dass sein Vortrag die anderen zu langweilen begann. Als er ihn unterbrach, fragte Irma: »Warum ist diese Welt so groß? Und warum ist niemand da?«
»Du meinst, warum gibt es so viel leeres Land?«, fragte Terry.
»Vielleicht mögen die Bewohner der Schale keine großen Städte«, spekulierte Aybe. »Bisher haben wir nur einige kleine Orte gesehen.«
Cliff nickte. »Selbst von der SunSeeker aus ließen sich keine großen urbanen Bereiche erkennen.«
»Vielleicht mögen die Vogel-Leute das Leben auf dem Land«, sagte Irma. »So wie ich.«
Sie kamen durch eine lange Kurve, und plötzlich hörte es auf zu regnen. Cliff und die anderen standen auf, um einen besseren Blick zu haben.
»Dort ist er, der Himmelswal!«, rief Terry.
Das organische Luftschiff schwebte über einer felsigen Landspitze. Cliff vermutete nun, dass es den Winden ausgesetzt war, die das Unwetter gebracht hatten. Mit anderen Worten: Das große schwebende Geschöpf war allein durch Zufall in ihre Nähe geraten.
Terry blickte durch seinen Feldstecher. »Gerade ist eins der kleinen, stillen Flugzeuge ausgeschleust worden. Es kommt hierher.«
Erst jetzt blickte Cliff in die andere Richtung und stellte fest, dass der Höhenzug hinter ihnen lag. »Verdammt!«, entfuhr es ihm. »Wir müssen dorthin zurück.«
Aybe drehte den Magnetwagen und steuerte ihn einmal mehr durch die Klamm, wieder in der Nähe der Felswände, damit sie vom Flugzeug aus nicht gesehen werden konnten. Mit hoher Geschwindigkeit hielten sie auf die tieferen Schluchten des Höhenrückens zu, die mehr Schutz versprachen. Cliff und die anderen schwiegen; erneut gejagt zu werden schlug ihnen aufs Gemüt.
Plötzlich ließ Aybe den Magnetwagen etwas langsamer werden. »Ich hab’s! Die ganze Zeit habe ich über den Berg nachgedacht. Cliff, von der SunSeeker aus haben wir ein Muster solcher Höhenzüge gesehen, nicht wahr?«
»Ja, ich glaube schon.«
»Jetzt weiß ich auch, warum. Sie bilden ein Gitter, weil sie Teil des Strukturmusters der Schale sind. Es handelt sich um Belastungspunkte.«
Die anderen sahen ihn groß an. »Sie fungieren wie Gegengewichte, versteht ihr?« Aybe nahm die Hände von den Kontrollen und gestikulierte, die Hände senkrecht zueinander. »Dort sind Trossen verankert, wie die von Brücken.«
»Die riesige Schale ist wie eine Brücke konstruiert?«, fragte Irma verwundert.
»Ja«, erwiderte Aybe eifrig. »Eine, deren Enden miteinander verbunden sind.«
»Und wozu dient der Höhenzug?«, fragte Terry.
»Ich wette, an der Außenseite der Schale gibt es an der gleichen Stelle einen zweiten. Es geht darum, Belastungen auszugleichen.« Aybe bemerkte die verwirrten Blicke seiner Gefährten und fügte hinzu: »Stellt euch die ganze Sache wie einen Bogen vor, bei dem sich beide Seiten gegenseitig stützen.«
»Ein Bogen stützt sich selbst, um der Schwerkraft standzuhalten«, sagte Terry.
»Und hier muss die Zentrifugalkraft ausgeglichen werden, die wir als Schwerkraft empfinden«, erklärte Aybe triumphierend.
Cliff war froh darüber, dass Aybe für eine weitere Ablenkung gesorgt hatte, aber er kam nicht umhin zu fragen: »Und? Ich meine, das ist ja ganz nett, aber …«
»Verstehst du denn nicht?« Aybes Augen waren groß. »Die Belastungslinien wären der ideale Ort für ein Transitsystem. Dort werden die Stabilitätsprobleme gelöst. Dort kann man Schienen verlegen und dergleichen.«
Allmählich dämmerte es Cliff, aber … »Du glaubst also, der Höhenzug ist so etwas wie ein … Bahnhof?«
»Oder ein Aufzug«, sagte Aybe. »Bei einer so verrückten künstlichen Welt wie dieser läuft das praktisch aufs Gleiche hinaus.«
Cliff rief einige von den Sensoren und Teleskopen der SunSeeker stammende Bilder aufs Display seines Kommunikators. In der stärksten Vergrößerung konnte er winzige Nadelköpfe erkennen, die aus der Rückseite des Artefakts ragten und auf die Sterne deuteten. Sie bildeten ein Gitter, dem sie aber zu jenem Zeitpunkt keine besondere Bedeutung beigemessen hatten. Cliff erinnerte sich daran, viel zu sehr damit beschäftigt gewesen zu sein, seine Verblüffung angesichts der Existenz einer so kolossalen künstlichen Welt zu überwinden.
»Nun?«, fragte Terry. »Ein Flugzeug sucht nach uns, falls ihr das vergessen haben solltet …«
»Wir können versuchen, uns zu verstecken, aber wer weiß, über welche Detektoren die Vogel-Leute verfügen«, erwiderte Aybe. »Wenn wir ihnen entkommen wollen, müssen wir ganz von hier verschwinden.«
»In das U-Bahn-System, das du im Innern des Höhenrückens vermutest?«, fragte Irma.
Aybe hob den Daumen. »Du hast es erfasst! Und es könnte tatsächlich eine U-Bahn geben.«
»Wo ist sie?«, fragte Cliff.
»Irgendwo beim oder in dem Berg dort. In technischer Hinsicht ergibt das durchaus einen Sinn. Wie dumm von mir, das nicht schon vorher erkannt zu haben!«
Inzwischen standen sie alle, und Cliff klopfte Aybe auf die Schulter. »Großartig! Finde sie für uns.«
Irma umarmte Aybe, und Terry schüttelte ihm die Hand.
Plötzlich hörten sie ein Summen in der Ferne, und Terry drehte den Kopf. »Das Flugzeug nähert sich.«
»Wir sollten die U-Bahn möglichst schnell finden«, sagte Cliff.
Sie machten sich auf den Weg.