12

Sie wurden langsamer, als der Adrenalinspiegel in ihrem Blut sank. Cliff spürte, wie die Kraft sie verließ. Er hatte einen säuerlichen Geschmack im Mund, als aus dem schnellen Laufen erst ein langsames wurde und dann ein Gehen. Sie versuchten, wieder zu Atem zu kommen.

Zirruswolken filterten das Licht von Wickramsinghs Stern und verwandelten es in ein mattes rotes Glühen. In allen Richtungen erstreckte sich ein Wald, der in einzelne Schichten unterteilt zu sein schien. Die hohen Bäume hatten mehrere Etagen, von offenen Bereichen unterteilt. Cliff fragte sich, ob es ein Ergebnis der hiesigen Evolution war; vielleicht sollten die unterschiedlichen Vegetationsschichten genug Sonnenlicht empfangen, während die hohen Bäume im Wind schwankten. Die breiten Wipfel wurden größer, als die Gruppe eine Anhöhe erkletterte und sich auf der anderen Seite an den Abstieg machte. Je öfter Cliff die Bäume betrachtete, desto seltsamer erschienen sie ihm. Oft waren sie oben dicker als unten, und eine mächtige raue Borke bedeckte die Stämme.

Er bemerkte zahlreiche Vögel im Geäst der Bäume und größere, mit breiten Schwingen, am Himmel, von denen gelegentlich krächzende Laute kamen. Bei einer Gravitation von 0,8 g musste das Fliegen leichter sein, überlegte Cliff. Auch kleinere Vögel waren weit über den Bäumen zu sehen und zogen in zwitschernden Schwärmen übers Firmament.

Er schob sein wissenschaftliches Interesse beiseite und hielt nach Verfolgern Ausschau. Nichts deutete darauf hin, dass sich jemand an ihre Fersen geheftet hatte, und zwei Stunden vergingen ohne Zwischenfall. Sie alle beobachteten den Wald, und Köpfe drehten sich ruckartig, wenn es irgendwo im Gebüsch raschelte. Trotzdem, nach und nach entspannten sie sich.

»Wir müssen versuchen, von dem zu leben, was uns diese Welt bietet«, sagte Terry, als sie eine Pause einlegten. »Auf unsere Vorräte sollten wir nur im Notfall zurückgreifen. Cliff, du bist Biologe. Hast du etwas gesehen, das wir essen können?«

»Das lässt sich auf einen Blick nicht feststellen, Terry. Untersuchungen sind nötig, um herauszufinden, was wir verdauen können. Meine Aufmerksamkeit galt vor allem eventuellen Verfolgern.«

»Wir sollten uns von den fremden Wesen fernhalten«, sagte Aybe. »Bis wir wissen, wie die hiesige Situation beschaffen ist.«

Cliff bezweifelte, dass sie sich so einfach einen Überblick verschaffen konnten, aber er schwieg. Dies war eine kleine Gruppe, und sie mussten zunächst einmal lernen, zusammenzuarbeiten und die wesentlichen Dinge im Auge zu behalten. »Wie viele Nahrungsmittel haben wir?«

Eine kurze Bestandsaufnahme ergab, dass ihr Proviant zum größten Teil aus Nahrungskonzentraten bestand, und abgesehen davon hatten sie nur einige Werkzeuge und ihre Kommunikatoren dabei.

»Ich schlage vor, wir gehen auf die Jagd«, sagte Irma munter. »Das habe ich früher gemacht. Hat mir immer sehr gefallen.«

»Und womit jagen wir?« Terrys Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er Irma gewiss nicht für eine Jägerin gehalten hatte, obwohl sie mit ihrer kräftigen Statur durchaus wie eine Frau wirkte, die sich oft in der freien Natur aufhielt. »Die Laser brauchen eine Weile, um sich aufzuladen.«

Irma drehte sich um und zeigte den Solarkollektor auf ihrem Rücken. »Meiner ist schon wieder geladen. Bei der Jagd gewinnen wir einen guten Eindruck von den hiesigen Tieren.«

»Und umgekehrt«, warf der Techniker Aybe ein.

»Zuerst sollten wir Wasser suchen«, sagte Howard. Sein Arm heilte schnell, und er wirkte nicht sonderlich geschwächt. Gesundheit und die Fähigkeit der schnellen Regeneration hatten zu den Kriterien gehört, nach denen die Besatzungsmitglieder der SunSeeker ausgewählt worden waren.

»Hier sind wir zu leicht zu entdecken.« Cliff sah zum Horizont. »Wasser finden wir weiter unten. Dort ist es ohnehin sicherer.«

Sie setzten den Weg fort, in Richtung eines dichteren Teils des Waldes, und dabei nutzten sie jede Deckung. Irma bestand darauf, ganz vorn zu gehen; sie hielt den Laser schussbereit in der Hand und blickte wachsam. Hinter ihr kam Aybe, und Cliff beschloss, ihm seinen Laser zu geben. Er wollte nicht Schütze sein und gleichzeitig als Biologe die Umgebung beobachten müssen. Als er die Waffe nicht mehr in der Hand hielt, fühlte er sich sonderbar nackt. Es erinnerte ihn daran, dass er kein Jäger war, sondern ein gejagter Fremder in dieser Welt. Das galt für sie alle, aber den anderen war das vielleicht noch nicht richtig klar geworden.

Alle schienen damit einverstanden zu sein, dass Cliff zumindest vorerst in die Rolle des Anführers schlüpfte. Er behielt die Zweifel an seiner Eignung für sich und versuchte, selbstbewusst zu wirken.

Also … Was tun? Konzentriere dich auf die unmittelbaren Dinge. Lerne und lass die Zeit dein Lehrmeister sein.

Die erste wichtige Entscheidung traf er, als er über eine aus dem Boden ragende knorrige Wurzel stolperte und der Länge nach hinfiel. Als er aufstand, taten ihm alle Knochen weh, deutliches Zeichen seiner Müdigkeit. Sie alle waren müde.

Seine Augen brannten. »Lasst uns ein Nickerchen machen«, sagte er.

Die anderen murrten ein bisschen. Aybe war noch immer aufgedreht, aber die blassen Gesichter der anderen zeigten Erschöpfung.

»Wie sollen wir in diesem hellen Licht schlafen?«, fragte Irma. Sie war unruhig, schien den Weg fortsetzen zu wollen.

»Im Schatten«, erwiderte Cliff mit ruhiger Entschlossenheit, und nach einem kurzen Zögern fand sich die Gruppe damit ab.

»Zünden wir ein Feuer an«, sagte Aybe.

»Wir könnten Suppe und Tee kochen«, fügte Irma hoffnungsvoll hinzu.

Cliff schüttelte den Kopf. »Der Rauch würde vielleicht Aufmerksamkeit erregen.«

Irma blinzelte. »Die Aufmerksamkeit von wem? Der Vogel-Leute?«

Cliff nickte. »Und die anderer Wesen, von denen wir noch nichts wissen.«

»Wie sieht unsere Strategie aus?«, fragte Aybe. Er stand da, die Hände in die Hüften gestemmt. »Verstecken wir uns?«

»Ja. Wenn wir können.«

»Für wie lange?«

Das war der springende Punkt. »Zunächst einmal. Bis wir uns zurechtgefunden haben. Dann sehen wir weiter.«

Aybe schniefte. »Als Strategie taugt das nicht viel, wenn du mich fragst.«

Cliff war müde, sein Rücken schmerzte, und er wollte sich mit diesen Dingen nicht ausgerechnet jetzt beschäftigen. »Zum Glück fragt dich niemand.«

Aybe runzelte die Stirn. »Was soll das denn heißen?«

»Zuerst müssen wir uns orientieren«, sagte Cliff und achtete darauf, ruhig zu sprechen.

Aybe richtete einen finsteren Blick auf ihn. »Gibst du hier die Befehle?«

Cliff seufzte. Er war müde. »Ich denke schon. Wir befinden uns in einer fremden Welt, und ich bin Biologe und der ranghöchste Offizier dieser Gruppe. Zuerst die lokalen Lebensformen kennenlernen und herausfinden, womit wir es zu tun haben – das scheint mir tatsächlich die richtige Strategie zu sein.«

»Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir dich zum Anführer gewählt haben.«

Cliff zuckte die Schultern. »Dies ist keine Wahlversammlung.«

»Scheint mir auch so.« Aybe verzog das Gesicht und wollte noch mehr sagen, aber Irma kam ihm zuvor. »Wir sind ganz auf uns allein gestellt in einer völlig fremden Welt voller fremder Wesen … Da kann schnell Schluss mit lustig sein.«

Sie lächelten schief und sahen sich an.

»Lasst uns ausruhen, Jungs«, fügte Irma fast beschwörend hinzu.

Cliff nickte erneut. Diese Sache war noch nicht ausgestanden, aber fürs Erste schien alles geregelt zu sein. Vielleicht musste er die anderen daran erinnern, dass er Erster Offizier war. Wissenschaftler scherten sich kaum um die Kommandohierarchie, aber sie befanden sich hier nicht in einem Laboratorium.

Als sie sich gesetzt und etwas gegessen hatten, legte sich die entstandene Anspannung schnell. Sie sprachen ein wenig und schauten in die Ferne, über den Wald hinweg, der sich für sie alle seltsam anfühlte, die dunstigen Täler, in denen blaugraues Wasser floss. Es war ein idyllischer Anblick. Leichter Wind wehte, und die Luft roch frisch und würzig. Eine beruhigend wirkende Szenerie. Sie waren noch immer damit beschäftigt, die jüngsten dramatischen Ereignisse zu verarbeiten; zu viel war zu schnell passiert.

Dann bemerkte Cliff in der Ferne einen runden Fleck hoch in der Luft. Ein Objekt dunkel und klein – selbst mit Zoom-Linsen ließ sich die Entfernung nicht abschätzen. Eine Bewegung war nicht zu erkennen. Er beobachtete es eine Zeit lang und überlegte, ob es sich um ein schwebendes Artefakt handelte. Ein weiteres Rätsel.

Cliff trank Wasser, rollte sich dann unter einigen tief hängenden Zweigen zusammen und schloss die Augen. Dunkel wurde es dadurch nicht; Licht drang durch die Lider. Er öffnete die Augen wieder, sah zu den anderen und begegnete Irmas Blick. Sie zuckte die Schultern. Es nützte alles nichts; sie mussten versuchen trotz des Lichts zu schlafen.

»Aybe, bist du bereit, die erste Wache zu übernehmen?«, fragte Cliff.

»In Ordnung.« Der schlanke, muskulöse Mann kletterte auf einen dicken Ast, um einen besseren Überblick zu haben.

Die anderen legten sich hin, schlossen die Augen … und schliefen irgendwann ein, trotz des Lichts.

Cliff erwachte zwei Stunden später und setzte sich verwirrt auf. Er hatte von Beth geträumt, ein Durcheinander aus Bildern, die irgendwie ein Gefühl von Gefahr vermittelt hatten. Aybe lag auf dem dicken Ast, den Kopf zur anderen Seite gedreht. Cliff ging um ihn herum und sah ihm ins Gesicht. Aybe öffnete die Augen und richtete sich erschrocken auf. »Ich …«

»Schon gut. Der Schlafrhythmus dürfte für eine Weile ein Problem sein.«

Die anderen erwachten ebenfalls und standen langsam auf. Howards Gesicht war grau und eingefallen, und Irma sah sich seine Wunde an. Sie aßen und tranken im ewigen Sonnenlicht und wechselten dabei nur wenige Worte. Die Luft war trocken und staubig, und der nun stärkere Wind wirbelte in der Ferne Staubwolken auf. Cliff fragte sich, wie man hier das Wetter vorhersagen sollte. Vielleicht gab es ein Äquivalent zu Hadley-Zirkulationsmustern, denn die Tassenwelt war nicht rund, aber angesichts der kolossalen Ausmaße der Schale fiel es Cliff schwer, sich Hadley-Zellen an diesem Ort vorzustellen. Die Oberflächenschwerkraft variierte über die ganze Halbkugel hinweg, im Gegensatz zur einfallenden Sonnenenergie, die immer konstant blieb. Wie sah die atmosphärische Dynamik unter solchen Voraussetzungen aus? Es schien unwahrscheinlich zu sein, dass es auf der Tassenwelt Jahreszeiten gab, denn es fehlte eine Achsenneigung. Was verteilte die Feuchtigkeit, und wie sahen die Verteilungsmuster aus? Was geschah mit der Evolution ohne den Einfluss von Jahreszeiten?

Sie brachen wieder auf und gingen, den Wind im Rücken, seitlich über den Hang – dadurch konnten sie weit genug nach vorn und nach hinten sehen und brauchten keine Überraschungen zu fürchten, zumindest nicht von Tieren. Die intelligenten Vogel-Leute verfügten über Technik und konnten damit von überall her kommen.

Auch vom Himmel? Cliff schaute ins zarte Blau über ihnen. Unterschiedlich große Vögel flogen am weiten Himmel. Von der Körperform her wirkten sie vertraut und boten damit ein gutes Beispiel für konvergente Evolution – die Gesetze der Physik hatten sie geformt. Aber es gab auch andere, seltsamere fliegende Geschöpfe, die sich von Aufwinden weit nach oben tragen ließen und im Dunst oder dem Hintergrundgleißen des Jets verschwanden. Die Sicht trübende Industrieabgase gab es hier nicht. Irgendwo dort draußen sind die Vogel-Leute und suchen nach uns, dachte Cliff. Unser einziger Vorteil ist die enorme Größe dieser Welt.

Sie erreichten ein Tal, ständig umgeben von einer seltsamen Mischung aus Vertrautem und Fremdartigem, die ständige Wachsamkeit verlangte. Cliff ging den anderen mit gutem Beispiel voran, indem er sich ständig umsah und kaum sprach. Dadurch konnten sie hören, ob sich ihnen etwas näherte.

Irma brachte es auf den Punkt. »Stellt euch vor, wir sind in Afrika«, sagte sie. »Überall könnten Löwen auf der Lauer liegen.«

Howard Blaire und Terry Gould, erst vor kurzer Zeit aus dem Kälteschlaf geweckt, waren gute Techniker, hatten aber kaum Felderfahrung. Unterwegs sprachen sie immer wieder miteinander, und Irma forderte sie mehrmals auf, still zu sein. Die Bäume wurden kleiner, und um sie herum gab es mehr braune Büsche und hohes graues Gras. Vögel zwitscherten und sangen in den Baumwipfeln, verstummten aber, wenn sich die Menschen näherten.

Vorsichtig schritten sie durchs hohe Gras, das trocken knisterte, als sie es bewegten. Nach dreißig Metern merkte Cliff, wie sich vor ihnen etwas bewegte.

Es lief ihm kalt über den Rücken, und ein plötzlicher Adrenalinschub ließ ihn zittern. Zusammen mit den anderen duckte er sich im hohen Gras und beobachtete, wie ein gelbbrauner Dorn etwa zwanzig Meter vor ihnen über den Weg strich, den sie genommen hätten. Der Dorn – oder vielleicht das Ende eines Schwanzes – drehte sich, kam ihnen ein oder zwei Meter entgegen und verharrte.

Cliff und seine Begleiter warteten angespannt.

Dann setzte sich das Geschöpf wieder in Bewegung und entfernte sich recht schnell – vielleicht rochen die Menschen zu seltsam. Oder das Wesen holt Verstärkung, dachte Cliff.

Es war ein Fehler gewesen, durchs Gras zu gehen. Mit ihren Lasern konnten sie sich auf eine Entfernung von etwa zehn Metern zur Wehr setzen, aber diese Distanz schrumpfte, wenn ihnen dichter Wald oder hohes Gras die Sicht nahmen. Cliff wurde nervös, und den anderen erging es ebenso. So schnell wie möglich verließen sie das Gras und kletterten an der Seite des schmalen Tals empor, um einen weiten Blick zu haben. Sie suchten noch immer nach Wasser, und Cliff ordnete unterwegs eine neuerliche Bestandsaufnahme an.

Was ihn selbst betraf … Er hatte sich in Hinsicht auf die fünfzehn Kilo Marschgepäck nicht für Proviant und Wasser entschieden, sondern unter anderem für einen Schlafsack und eine Kochausrüstung. Die technischen Spielereien, die an Bord der SunSeeker für planetare Einsätze zur Verfügung standen, hatte er zurückgelassen, denn die meisten von ihnen setzten eine Energiequelle für Aufladung voraus. In seinem Rucksack steckten zum Glück auch strapazierfähige Stiefel und, vielleicht noch wichtiger, Steigeisen, mit denen man einen Baum erklettern konnte. Sie bestanden aus Karboaluminium, wogen also nicht viel, und einmal angelegt brauchte man nur kurz die Hacken aneinanderzuschlagen, um sie ausklappen zu lassen.

Vorsichtig setzten sie einen Fuß vor den anderen und sprachen so wenig wie möglich. Sie alle waren in einer Stadt aufgewachsen, in einer von Technik bestimmten Umgebung, und hier erstreckte sich weit und breit wie unberührt erscheinende Natur. Trotzdem fühlten sie sich nicht völlig fehl am Platz, denn im Grunde genommen war dies eine technische Welt, eine gewaltige Maschine.

Eine Stunde wanderten sie über den Hang am Rand des Tals, und schließlich ließ ihre Aufmerksamkeit nach.

Von einem Augenblick zum anderen sprang ein drahtiges Geschöpf, das an ein Eichhörnchen erinnerte, aber mit langen Reißzähnen ausgestattet war, auf Irma herab und versuchte, sich durch ihre Kopfbedeckung zu beißen, eine Mütze aus ihrem Rucksack. Howard riss ihr die Mütze vom Kopf und warf sie fort. Das quiekende Geschöpf hielt daran fest, bis die Mütze in einem Dornenstrauch landete. Daraufhin ließ es sie los und sauste fort.

Irma steckte die Hand so vorsichtig nach ihrer Mütze aus, als befürchtete sie, davon gebissen zu werden. »Warum hat es das getan?«, fragte sie.

»Vielleicht hielt das Tier dich für einen Leckerbissen«, erwiderte Cliff und dachte, dass der Angriff auch schlimmer hätte ausgehen können. Aber er behielt den Gedanken für sich. »Oder es fand deine Mütze hübsch.«

Er sah die besorgten Gesichter der anderen und winkte ab. »Lauscht nach Wasser«, sagte er und wechselte damit das Thema. »Oder besser noch, schnuppert danach.«

»Wir sollen nach Wasser schnuppern?« Aybe runzelte die Stirn. »Wasser hat keinen Geruch.«

»Da irrst du dich.« Aybe und Terry waren wirklich zwei Techniker- und Computertypen, die von der Natur keine Ahnung hatten, dachte Cliff. Nur gut, dass sie nicht lernen mussten, wie man ein Feuer anzündete oder Pfeil und Bogen herstellte. Zumindest noch nicht.

Howard Blair sah Aybe an und grinste. Auf der Erde hatte er einen privaten Zoo geleitet und auch Geld dafür gesammelt. Er war alles andere als ein Stubenhocker und kannte den Geruch von Wasser. »Es riecht frisch«, sagte er.

Sie gingen weiter und schnupperten dabei. Cliff fragte sich, warum sie bisher noch keine Flugzeuge gesehen hatten; sie wären zweifellos das richtige Instrument für eine Suche gewesen. Und überhaupt, gab es hier keinen Luftverkehr, trotz der gigantischen Ausmaße dieser Welt? Auf der viel kleineren Erde hätten sie inzwischen das eine oder andere Flugzeug gesehen. Cliff erinnerte sich an ein wundervolles Rafting-Wochenende im Grand Canyon; Kondensstreifen waren dabei die einzigen Anzeichen von Zivilisation gewesen.

Doch dieser Ort war völlig fremd, und sie wussten noch nicht annähernd genug über ihn. Was hatte seine Mutter immer gesagt? Probleme sind nur verkleidete Möglichkeiten. Oh, sicher.

Vielleicht fürchteten die Bewohner der Tassenwelt, dass Flugzeuge die Atmosphärenmembran beschädigten. Cliff setzte diesen Punkt auf die Liste der ungelösten Rätsel und widmete sich wieder der Beobachtung des Waldes.

Sie waren halb über eine Lichtung, als etwas angriff.

Irma gelang ein Schuss auf das Wesen, das wie ein riesiger roter Dachs aussah, aber der Laserstrahl ließ es nicht einmal langsamer werden. Cliff und Irma wichen schnell zurück, und die anderen drei liefen zu den Bäumen.

Irma schoss erneut, und auch Howard machte von seiner Waffe Gebrauch, aber der Dachs schien davon gar nichts zu bemerken. Er wandte sich von ihnen ab und hatte es offenbar auf Cliff abgesehen.

Er lief los, zum nächsten Baum, und dabei sehnten sich seine Finger nach einem Laser. Er sprang, schlug die Hacken aneinander, und sofort bohrten sich die Spitzen der Steigeisen in die Baumrinde. Geschwind kletterte er nach oben, und einen Moment später war das Dachswesen heran und schnappte nach ihm. Es schien nur aus Krallen und Zähnen zu bestehen, und ein ziemlich übler Geruch ging von ihm aus.

Cliff kletterte auf einen dicken Ast und blickte sich um. Seine Gruppe war vollzählig und versuchte, höheres Gelände zu erreichen. Das Geschöpf hatte sich von Irma abgewandt, nachdem es von ihrem Laserstrahl an der Schnauze getroffen worden war. Aybe hatte sich als sehr agil erwiesen und befand sich inzwischen im Geäst eines hohen Baums.

Die Gruppe war verstreut, aber in Sicherheit. Der Dachs knurrte lauter und zuckte zusammen, als Irma und Aybe ihn mit ihren Lasern traktierten. Cliff beobachtete, wie kleine graue Wolken vom Fell aufstiegen, aber es war offenbar zu dick – die Strahlen erreichten nicht den Körper darunter.

Zwar befand sich die Beute außer Reichweite, und die Laserblitze mussten zumindest unangenehm sein, aber der Dachs gab nicht auf. Stundenlang strich er hungrig und zornig grollend um die Bäume. Vielleicht war er daran gewöhnt, sich in Geduld zu fassen. Zum Glück schien ihm das Klettern nicht zu gefallen.

Das Geschöpf sah nach einem Säugetier aus, aber dieser äußere Eindruck konnte täuschen. Konvergente Evolution passte das Leben den biologischen Nischen an. Wie Beuteltiere im Vergleich mit Plazentatieren: eine ähnliche Gestalt, aber eine ganz andere Physiologie.

Eine Zeit lang verständigten sie sich mit Rufen, aber schließlich wurden sie still. Erneut machte sich Müdigkeit bemerkbar. Wenigstens war es hier schattig. Cliff atmete die feuchte Luft im Zwielicht zwischen den Bäumen tief ein und spürte, wie die Anspannung langsam aus seinem Körper wich. Abgesehen vom kurzen Schlaf im hellen Licht war dies die erste echte Ruhepause seit Verlassen der Schleuse, und inzwischen war ziemlich viel Zeit verstrichen. Sein Magen knurrte. Er nahm etwas von den Nahrungskonzentraten, die er bei sich führte, und kaute nachdenklich. Sie erfreuten ihn mit herrlichem Zitronengeschmack, und anschließend trank er vorsichtig einen Schluck Wasser. Ah.

Dann lauschte er der Welt und versuchte dabei, das Knurren des Dachses auszublenden. Diese Welt summte (Insekten?) und bellte (in Rudeln lebende Prädatoren, die sich verständigten oder Territorium markierten?) und sirrte (was verbarg sich hinter diesem Geräusch?). Eine Symphonie des Lebens, ein seltsamer Gesang im größten aller Zoos …

Er schlief ein, ohne es zu wollen. Und er träumte von Beth in dunklen Bildern voller Verlangen und Sorge.