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Sechs kleine Weltkugeln bildeten eine Reihe, jeweils mit einem Durchmesser von drei bis vier Metern und in einem Abstand von einem halben Kilometer. Welten, aber nicht wie die Erde. Eine war größer als die anderen und ganz blau. Eine andere zeigte ein fast uniformes Weiß, abgesehen von einem schmalen Bereich am Äquator. Bei keiner dieser Kugeln gab es Öffnungen, durch die man ins Innere gelangen konnte.

Die letzte Weltkugel, die sie nach einem einstündigen Fußmarsch erreichten, zeigte Landmassen in einem globalen blauen Ozean. Beth und die anderen näherten sich ihr vorsichtig, nutzten dabei Deckung und Schatten von Baumgruppen und Büschen. Vogel-Leute unterschiedlicher Arten strömten auf ein großes Gewölbe zu, und zum Glück schienen sie nicht auf ihre Umgebung zu achten. Sie schnatterten und quiekten, stimmten einen sonderbaren Singsang an.

Tananareve schlich zum Eingang des Gebäudes, drückte sich an die gläserne Wand und warf einen vorsichtigen Blick um die Ecke. »Da drin wird getanzt«, sagte sie. »Es ist ein Tanzsaal.«

Lau Pin erschien neben ihr und beobachtete das Geschehen im Innern des Gebäudes. »Scheint mir ein Paarungsritual zu sein.«

»Gibt es da einen Unterschied?«, fragte Beth.

Das leise Lachen, das diesem schwachen Witz folgte, wies Beth auf die Anspannung der anderen hin.

Sie stand nun ebenfalls an der gläsernen Wand und hörte hämmernde Musik, von schnellen Untertönen durchsetzt. Es war eine einfache Melodie, begleitet von Schlagzeugrhythmen. Die Vogel-Leute bewegten sich im Takt, neigten dabei den Kopf nach hinten und sahen nach oben.

Sonne und Jet befanden sich hinter ihnen, dachte Beth – vom Tanzsaal aus durchs getönte Glas gesehen hielt man sie vielleicht für Sträucher oder Büsche, solange sie sich nicht bewegten. Plattformen erstreckten sich im Innern des Gebäudes, und hinzu kamen Podeste und Sockel, auch so etwas wie Sofas und … Netze. Tausende von Vogel-Leuten, unter ihnen auch einige große Astronomen, befanden sich dort und achteten auf nichts anderes als ihre Artgenossen. Einige tanzten, andere kämpften, und wieder andere … schienen sich zu paaren. Die Astronomen nahmen nicht an diesen Aktivitäten teil. Waren sie als Aufseher zugegen? Oder als Voyeure?

»Nichts, womit wir etwas anfangen könnten«, sagte Mayra.

»Aber diese Darstellungen von Meeren und Kontinenten, Mayra – es muss eine Karte von Glory sein! Es ist die letzte Kugel des Parks!«

»Na schön, machen wir einige Aufnahmen.«

Sie fertigten mit ihren Kommunikatoren weitere Aufzeichnungen an und setzten anschließend den Weg fort.

Erneut folgten sie dem Verlauf des Höhenzugs, der sich vom Park aus in Richtung Schalenmitte fortsetzte. Die Vegetation wurde spärlicher und bot weniger Deckung. Und es gab nichts zu essen.

Das nächste Gebäude war eine silberne Kuppel, so groß wie mehrere Fußballfelder, mit einer weiten quadratischen Öffnung, durch die mehrere Gleise führten. Waggons kamen heraus oder verschwanden im Innern des Gebäudes, offene Käfige mit …

»Die Waggons enthalten lebende Tiere«, stellte Tananareve fest.

»Und auch Pflanzen«, sagte Lau Pin. »Dies muss eine Art Lagerhaus sein. Hat jemand Hunger?«

Sie schlichen hinein, blieben dabei im Schatten eines langsam dahingleitenden Wagens und huschten davon, bevor er die Entladestation erreichte.

Vogel-Leute stapften umher, von der großen Sorte. Einige von ihnen mochten Wächter sein, aber die anderen arbeiteten und waren damit beschäftigt, die Waggons zu be- oder entladen. In die Wagen kamen Kisten mit Melonen, Pflanzen und Tieren aus dem Garten, in dem die Menschen gefangen gewesen waren. Abgeladen wurden tonnenweise Äquivalente von Farnen und Riedgras. Vermutlich Nahrung für Vogel-Leute aller Gattungen, dachte Beth.

Sie und ihre Gefährten beobachteten, bis sie ein Muster in den Bewegungen erkannten. Wenn die Behälter mit den Nahrungsmitteln abgeladen waren, schenkten ihnen die Arbeiter keine Beachtung mehr. Die Menschen warteten mit knurrendem Magen und näherten sich dann einem Käfig-Wagen, blieben dabei in der Deckung von Kürbissen und Melonen so groß wie Autos. Eine dieser Früchte schnitten sie unten auf, und herrlicher Saft strömte heraus. Sie begannen mit einem Festmahl.

Fred deutete zu einem Gitter in der Wand; Wind kam hindurch. »Wir sollten dort sein«, sagte er.

»Warum?«, fragte Beth.

»Weil wir stinken«, antwortete Fred.

Sie sahen sich an – und nickten. Die Vogel-Leute hatten große Nasen und bestimmt einen guten Geruchssinn. Beths Gruppe begab sich unter die Belüftungsanlage, nahm dabei einige kleinere Melonen, andere Früchte und ein totes Tier mit. Der Wind war erfrischend.

Sie aßen und schliefen und aßen noch etwas mehr. »Das ist die leichteste Methode, Nahrungsmittel zu transportieren: in uns«, sagte Fred und wurde mit einem Lachen belohnt.

»Ich glaube, mir ist da etwas klar geworden«, sagte Fred.

Die anderen hörten auf zu sprechen. »Was denn?«, fragte Beth nach einigen Sekunden.

»Es wird verrückt klingen.«

Beth sah sich um. »Wir sind hier wie Mäuse in einem riesigen fremden Supermarkt«, sagte sie. »Und der Supermarkt gehört zu einer riesigen künstlichen Welt in der Form eines Wok. Hier ist alles verrückt, Fred.«

»Die meisten Sterne haben einen stellaren Begleiter«, sagte Fred. »Doppelsterne sind sehr häufig.«

Die anderen nickten.

»Ich glaube, jene Kugel zeigte eine Karte der Erde. Bevor sich dort die Kontinente voneinander trennten.«

»Warum sollten die Vogel-Leute eine Karte von der Erde installieren?«, fragte Lau Pin.

»Weil sie Dinosaurier sind.«

Lau Pin lachte. »O ja, klar.« Die anderen lächelten.

»Einige Dinosaurier wurden intelligent und entwickelten die Raumfahrt. Sie machten sich daran, das Sonnensystem zu erforschen, und sie besuchten Sols Begleiter. Habt ihr euch jemals gefragt, wie die Dinosaurier warm genug blieben? Unsere Sonne war früher kühler.«

Lau Pin lächelte noch immer. »Ich bitte dich.«

»Der Begleitstern«, sagte Tananareve. »Die Vogel-Leute haben ihn gestohlen?«

»Es war ihrer. Auch die Erde gehörte ihnen. Sie ließen das Sonnensystem unverändert zurück, aber vielleicht nahmen sie die Planeten von Wickramsinghs Stern mit. Als Baumaterial.«

Beth beobachtete, dass Mayra nicht mehr lächelte, was bedeutete, dass sie wieder an ihren toten Mann dachte. Sie legte ihr den Arm um die Schultern und hörte zu, als die anderen über Freds tatsächlich verrückt klingende Idee sprachen.

Sie versuchte, ernsthaft darüber nachzudenken, ohne die ganze Sache von vorneherein für lächerlich zu halten. Die eindrucksvollen Bilder hatten ihnen den Bau der Schale gezeigt. Wenn sie sich nicht auf ihr befände, wenn sie das gewaltige Artefakt nicht mit eigenen Augen sähe … Würde sie die Existenz eines solchen Objekts für möglich halten? Tassenwelt. Die Luxusversion hatte Tag und Nacht, hervorgerufen von Teebeuteln im Orbit, und einen Raumhafen im Henkel.

Aber Fred meinte es ernst.

Intelligente Dinosaurier, die sich zum Vogel-Volk entwickelt hatten. Sie mussten schon damals Federn gehabt haben. »Es wäre möglich«, sagte Beth schließlich. »Dinosaurier denken in großen Maßstäben.«

Die Diskussion ging weiter. Wenigstens lenkte sie sie alle für eine Weile von ihrer Situation ab. Beth dachte daran, dass sie bald wieder aufbrechen mussten. Wohin sollten sie sich wenden? Sie waren nicht mehr hungrig und auch nicht gefangen, aber die niedrige Schwerkraft würde sie immer mehr schwächen, wenn sie hierblieben. Die Knochen würden ihre Festigkeit verlieren, und es drohten auch Beeinträchtigungen der neurologischen Funktionen.

Lau Pin und Fred beobachteten die Arbeiter in der Ferne, wie sie an einem großen Melonenstück knabberten. »Das sind Vogel-Leute der Gattung, die uns bewacht hat«, sagte Fred.

»Die uns auch zu essen gegeben haben«, gab Lau Pin zu bedenken.

»Nein, es gibt kleine Unterschiede. Die Farbmuster an den Seiten, siehst du? Wie Sterne. Und diese Vogel-Leute … Sie arbeiten nicht, gehen nur umher.«

»Als suchten sie etwas … Vielleicht uns?«

»Könnte gut sein. Wenn sie gründlich genug suchen, werden sie uns hier früher oder später entdecken«, sagte Fred.

»Eigentlich wundert es mich, dass wir nicht schon längst entdeckt worden sind.«

Beth wandte sich an Fred. »Hast du eine Ahnung, wie wir an ihnen vorbeikommen könnten?«

»Wir verstecken uns in einer der großen Melonen«, schlug Mayra vor. »Oder in zwei oder drei von ihnen. Dann warten wir, bis die Vogel-Leute an uns vorbei sind.«

»Ich möchte mir das Belüftungsgitter aus der Nähe ansehen«, sagte Fred.

Sie nahmen Farne zur Tarnung mit, lagen unter dem Gitter, durch das der Wind heulte, untersuchten es und behielten die Vogel-Leute im Auge, die sich langsam näherten, wie auf der Suche nach ihnen. Sie waren größer als Menschen, aber nicht so groß wie die Astronomen-Gattung.

Der Geruch von Dung, Pflanzen und großen Tieren wehte über sie hinweg.

»Der Belüftungsschacht bietet genug Platz für Wartungstechniker des Vogel-Volks; wir sollten da drin also keine Probleme haben«, sagte Lau Pin. »Achtet auf die Ventilatoren. Stoßt nicht dagegen.«

Sie nahmen so viel Nahrung mit, wie sie tragen konnten. Beth wollte zum Rand des Raumhafens und hoffte, dass sie dort ein Transportmittel fanden.