DREI

Als sich die Katharina dann am Abend in ihrem Austragshäusl einen Wein aufgemacht hat – einen roten Italiener, einen Merlot, um genau zu sein, weil der perfekt zu den zwei Leberwurstbroten gepasst hat, die sie sich schon geschmiert gehabt hat –, da hat sie noch einmal ihren ersten Arbeitstag in Weil Revue passieren lassen und ihr halbes Leben nebenbei auch. Weil, egal wo du aufgewachsen bist, wenn du jahrelang fort warst und dann wieder heimkommst und alles ist noch so wie früher, dann erinnert dich das an deine Kindheit, jedes Detail. Und jeder Geruch. Zum Beispiel die Leberwurst vom Metzger Harlander, die riecht heute noch genauso wie damals.

Also der Katharina ihre Revue.

Am Morgen dem Brunner seine schlechte Laune, die erste Begegnung mit dem Hansi und der Anni, der Besuch beim Hafner, wo sie den Fichtner Jakob kennengelernt hat, ihr Golf angefahren und repariert worden ist, dem Tandler seine Geschichte vom Altmann Thomas und seinen Jaguars und Frauen, chronologisch: Anna, schwarz, 300 PS, Exfrau Clara, golden, Sabine, Tierärztin aus Süchting, weiß mit blauroten Sprenklern. Das hat sie sich nach alter Manier in ein kleines Heft notiert, weil es schon manchmal hilft, wenn ein paar Gedankengänge da schwarz auf weiß stehen, du sie weglegen und bei Bedarf wieder rausholen kannst.

Auf dem Rückweg von Halling nach Weil heute Vormittag hat die Katharina sich noch einen kleinen Umweg erlaubt, über Süchting, das so seine 10, 12 km östlich von Halling liegt. Ein kleines Kaff eigentlich, aber einen Metzger und sogar einen Friseur gibt es dort schon. Und beim Friseur hat sie dann nach der Tierarztpraxis gefragt, weil wenn du was wissen willst auf dem Land, dann gehst du zum Friseur.

In der Tierarztpraxis war sie anschließend auch noch – ein wunderschöner, teuer ausgestatteter, eingeschossiger Neubau, an einen alten Hof drangebaut. Dahinter ist es noch weitergegangen, das hat man aber von der Straße aus nicht wirklich sehen können, Privathaus wahrscheinlich, alles neu und tipptopp, dass du dich fragst, wie jemand im lupenreinen Außenbereich eine Baugenehmigung für so was kriegt. Da hat die Katharina irgendwie das Gefühl gehabt, dass die Tierärztin wohl schon die richtigen Leute kennt da heraußen.

Es war dann aber nur die Sprechstundenhilfe da, und die Katharina hat sich extra einen Grund für ihren Besuch zurechtgelegt gehabt, nämlich einen Milbenbefall bei den Hühnern von ihren Vermietern. Frau Doktor von Hohenstein sei momentan im Außendienst, hat die Sprechstundenhilfe gemeint, rufe aber gerne zurück. Wenn die Frau Berger ihre Nummer dalassen möchte?

Zurück in der Dienststelle in Weil hat sie einen kurzen Aktenvermerk gemacht, da war der Mittag auch schon rum. Dann ist der Brunner wieder erschienen und hat der Katharina ihre Tüchtigkeit und Selbstständigkeit bewundert und gelobt, dass es ihr fast schon unangenehm war, und die ganze Dienststelle auf ein paar Harlander-Leberkassemmeln eingeladen. Und alle haben dieses Friedensangebot gleich angenommen, auch die Katharina, obwohl sie Leberkäse gar nicht mehr gemocht hat. Wenn du dich erst einmal deine ganze Kindheit über auf dem Land durch Leberkassemmeln gefressen hast, dann langt’s dir eigentlich fürs Leben.

Der Nachmittag ist ruhiger gewesen. Ein paar Reklamationen über längst fällige Verwarnungsgelder, ansonsten nichts los. Bis der Brunner mit der Katharina kurz vor Dienstschluss dann doch noch ausgerückt ist, weil es in dem kleinen Asylantenheim in Derdorf einen Streit zwischen einem Kosovo-Albaner und einem Schwarzafrikaner gegeben hat. Was sich dann aber als Missverständnis herausgestellt hat.

In der Zwischenzeit ist der Autotandler da gewesen, hat den Einsatzwagen 2 mitgebracht und dem Hansi und der Anni seine Vermisstenanzeige dagelassen, so dass die Katharina im Nachhinein den Eindruck gewonnen hat, dass der vielleicht im Grunde ganz zuverlässig ist, ausschweifendes Gelaber hin oder her.

Um fünf war für sie Dienstschluss, und sie ist schnell noch beim Edeka vorbeigefahren, Espresso kaufen und Wein vor allem. So was darf ja nie ausgehen.

Und dann heim ins Austragshäusl.

Der Peter hat sie aus der Stalltüre heraus begrüßt, wo er gerade ökologisch ausgemistet hat, mit Schubkarrn und Handgerät. Da hat sich die Katharina ganz heimatlich gefühlt.

Sie hat sich Leberwurstbrote gemacht und den Merlot geöffnet, sich Gedanken über Italien und ihren Matteo gemacht, mit dem sie vorgestern das letzte Mal telefoniert hatte. Da hatte sie angerufen, deswegen war jetzt eigentlich er dran.

So was ist ja praktisch ein Naturgesetz in einer noch recht frischen Beziehung, wo man sich nie ganz sicher sein kann. Immer abwechselnd anrufen oder e-mailen. Ganz wenige Ausnahmen verträgt die Regel zwar, aber nur ganz selten.

Eine E-Mail hat sie auch nicht bekommen, das hat die Katharina schnell gecheckt. Notebook hochgefahren, nach dem fünften Einwahlversuch ins Internet, E-Mails abgerufen, aber nur Werbung und Spam. Dann hat sie sich vors Haus in die Abendsonne gesetzt mit ihrem Wein und ihren Broten.

Die Tierärztin hatte noch nicht zurückgerufen bis jetzt.

Aber der Peter ist recht schüchtern dahergekommen und hat aus ein paar Metern Entfernung gefragt: »Servus, Kathi. Wia is’n glaffa heit, an deim ersten Tag?«

Da hat die Katharina sich irgendwie gefreut, dass da jemand ist, der sich quasi nach ihrem Befinden erkundigt.

»Geht scho. Recht ruhig eigentlich. Magst di ned hersetzen?« Sie hat Platz gemacht auf der Bank, und der Peter hat sich ein bisschen zögerlich zu ihr gesetzt. »Magst a Brot?«, hat sie gefragt und ihm den Teller hingehalten. Er hat kurz auf den Teller geschaut, dann auf die Kathi und dann wieder auf die Brote.

»Du, i wuj dir nix wegessen.«

»Schmarrn! I hab scho no mehra da«, hat die Katharina gelacht und ihn ein bisschen gedrängt: »Jetz nimm hoit, du hast doch an Hunger, oder?«

Und dann hat er sich doch eins von den Leberwurstbroten genommen, Danke gesagt und reingebissen. Und dabei ausgesehen wie ein kleiner Bub, wie er da so sein Brot gegessen hat, in seiner Arbeitshose, in seiner blauen, die so wunderbar nach Kuhstall gerochen hat. Auf der Katharina ihr Drängen hin hat er auch einen Schluck Wein aus ihrem Glas getrunken. Recht wortkarg. Aber trotzdem schön, wenn du Gesellschaft hast beim Essen oder Rumsitzen, grad, wenn du sonst immer alleine bist. Da ist es den beiden im Prinzip gleich gegangen.

Und gegangen ist dann auch das Telefon, also der Katharina ihr Handy. Und der Peter hat so getan, als wär er gar nicht da. Er hat in die andere Richtung geschaut. Aber zuhören tut man ja trotzdem, wenn der Telefonierende zwei Meter von einem entfernt sitzt. Nur verstanden hat er nichts, weil das Telefonat auf Italienisch stattgefunden hat.

Pronto? – Cara mia! Come mi manchi! – Mi manchi anche tu. – Come va, bella? Com’è andato il tuo primo giorno in polizia? – Abbastanza bene 

Der Anruf, auf den sie seit zwei Tagen gewartet hatte, war nicht besonders lang, aber hinterher hat die Katharina ganz glücklich gewirkt. Und dem Peter hat das Leberwurstbrot dann gar nicht mehr so gut geschmeckt wie vorher. Noch bevor ihr Handy ein zweites Mal gegangen ist, ist der Peter aufgestanden, hat noch einmal Danke gesagt und »I muaß de Heena no in’n Stoj doa. Pfiat di!«

Das zweite Telefonat war von Teilnehmer unbekannt.

»Katharina Berger, hallo?«

Eine angenehme tiefe Frauenstimme hat sich gemeldet.

»Frau Berger, entschuldigen Sie meinen späten Anruf. Hier ist Sabine von Hohenstein.«

Die Tierärztin! Halb neun Uhr abends noch im Dienst? Aber ihren Doktor hat sie nicht genannt, und Ärzte machen das eigentlich immer, vor allem, wenn sie im Dienst sind. Es gibt nur zwei Ausnahmen: Privatanruf oder Understatement.

»Danke für Ihren Anruf, Frau Dr. von Hohenstein. Ich war heute –«

»Sie waren heute in meiner Praxis, die Sprechstundenhilfe hat es mir ausgerichtet, ja. Und auch Ihre Bitte um Rückruf. Wie kann ich Ihnen helfen?« Die Tierärztin hat dermaßen Hochdeutsch gesprochen, dass die Katharina gleich gewusst hat, die kommt aus der Stadt, aber was sie wohl aufs Land raus verschlagen hat, wer weiß.

»Ich hatte Ihrer Sprechstundenhilfe gesagt, die Hühner meiner Vermieter hätten Milben«, hat die Katharina jetzt umständlich angefangen, aber nicht dass die Hohenstein schwer von Begriff gewesen wäre.

»Ein netter und durchaus plausibler Vorwand, um ein Gespräch mit mir zu suchen, Frau Berger. Aber ich hab auch gehört, Sie seien in Ihrer Polizeiuniform erschienen.« Schon wieder ein Zivilist, der die Katharina auf eine ihrer Unachtsamkeiten hingewiesen hat. »Ich nehme an, es geht um das Verschwinden von Thomas Altmann.«

Auf den Punkt gebracht von einer anscheinend resoluten Frau mit Doktor- und Adelstitel. Nicht unsympathisch eigentlich, diese direkte Art. Wenn die Katharina sich nicht plötzlich so klein, deppert und unbedeutend gefühlt hätte.

»Sie haben vollkommen recht, Frau von Hohenstein«, hat die Katharina mit offenen Karten weitergespielt, und den Doktortitel hat sie auch gleich weggelassen, um die Tierärztin wieder ein bisschen runter auf ihre eigene Augenhöhe zu bringen. »Wann hätten Sie denn Zeit für ein Gespräch?«

»Ich sitze im Auto, da ich gerade von einem Außentermin komme, und ich könnte jetzt gleich bei Ihnen vorbeikommen – privat, was mir ohnehin lieber wäre, als in die Polizeidienststelle von Weil zu müssen. Wenn es Sie nicht stört? Und Sie Zeit haben?«

Die Katharina hat in die untergehende Sonne geschaut und dann auf ihr angebissenes Leberwurstbrot. Wirklich eine ziemlich direkte Person, diese Tierärztin. Aber der Katharina war das schon recht. Sie hat sich nämlich ohne die Uniform und in ihrem Austragshäusl sowieso viel wohler gefühlt als in der kleinen förmlichen und stickigen Dienststelle.

Obwohl, der Vorschlag, noch vorbeizukommen, war auch fast ein bisschen übergriffig von dieser Hohenstein. Aber die Katharina hat gleich gespürt, an dem Fall ist mehr dran. Die Eile und die unausgesprochene Bitte um Diskretion seitens der Tierärztin haben ihr gesagt, dass sie heute Abend ganz was Wichtiges erzählt kriegt.

Eine Viertelstunde später ist dann ein recht neuer, aber von den vielen Außeneinsätzen auf diversen Bauernhöfen auch recht verdreckter dunkelgrüner V70 auf den Hof gerauscht, und ausgestiegen ist eine Frau, dass sich die Katharina als Mann gleich alle zehn Finger abgeschleckt hätte nach der.

Das hat der Hafner schon treffend beschrieben, das Attraktive, aber nicht dass die Hohenstein das irgendwie bewusst unterstrichen hätte.

Ein ganz ein normales Gewand hat sie angehabt, fast ein bisschen gewollt schlampig, Hosen mit aufgesetzten Taschen, wohin du nur schaust, und ein langes T-Shirt, beides in Tarngrün und noch verdreckter als ihr Auto. Nach Kuhstall hat sie gerochen, das hat ihr, ohne dass sie es hätte ahnen können, bei der Katharina einen dicken Pluspunkt eingebracht.

Die dunklen Locken waren zu einem unordentlichen Zopf gebunden, die leicht gebräunte Haut voller Sommersprossen, und ihre Augen so klar und grün wie ein Gebirgsbach. Eine natürliche Schönheit. Bewegt hat sie sich wie eine Adlige. Eine gschtörte Stalkerin hat die Katharina sich zumindest anders vorgestellt.

Die Tierärztin hat nett gelächelt und der Katharina ihre Hand geschüttelt, und die Katharina hat gemerkt, was für einen festen Händedruck die Tierärztin hat. Das war eine, die gut zupacken kann. Musst du auch als Tierärztin, wenn du zum Beispiel bei einer Kuh Geburtshilfe leistest.

»Sabine von Hohenstein.«

»Katharina Berger.«

»Freut mich sehr. Auch, dass ich so spontan vorbeikommen durfte.« Sie hat sich kurz umgeblickt. »Wunderschöner Hof. Sie wohnen im Austragshäusl?«

»Die Allmandingers haben mich aufgenommen wie eine Tochter«, hat die Katharina nicht ohne Stolz erklärt.

»Ich war noch nie hier. Entweder sie haben einen anderen Tierarzt, was ich natürlich bedauern würde, oder aber einfach nur gesundes Vieh.«

»Letzteres, tät ich sagen. Liegt vielleicht daran, dass das hier seit Jahrzehnten ein Biohof ist«, hat die Katharina lächelnd nachgeschoben.

»Ja, ich hab das Bioland- und das Demeterschild an der Hauswand bei der Hofeinfahrt gesehen.« Aufmerksame Frau, die Tierärztin. Sie hat sich noch einmal kurz umgeblickt, und der Katharina ist es so vorgekommen, als ob die Hohenstein sich vergewissern hat wollen, dass sie alleine waren.

»Schönes Eck«, hat die Tierärztin sich wiederholt. »Sieht mir gar nicht wie das Zuhause einer Polizistin aus.«

Irgendwas an dieser Bemerkung hat die Katharina auf einmal gestört. »Wie sieht denn das Zuhause einer Polizistin Ihrer Meinung nach aus?«, hat sie deswegen ein bisschen bissig gefragt.

»Weiß nicht«, hat die Hohenstein gleich einen Rückzieher gemacht. »Weniger … natürlich, weniger inspirierend.«

Da ist der Katharina einfach nichts mehr eingefallen. Aber der Hohenstein natürlich schon. Auch wieder so eine, die ganz gern geredet hat. »Nun, Sie sehen ja auch nicht wie eine typische Polizistin aus.« Weil die Katharina darauf nicht reagiert hat, ist die Hohenstein von ihren Floskeln und Klischees runtergekommen und hat gesagt: »Aber ich komme ja wegen unseres Telefonats.«

Die Katharina hat genickt, obwohl sie lieber angewidert den Kopf geschüttelt hätte, als die Hohenstein da eben auf so eine arrogante Art und Weise den Genitiv verwendet hat, den du im Bairischen praktisch gar nicht kennst, und den manche Leute gern benutzen, wenn sie meinen, sich intellektuell distanzieren zu müssen. »Und Sie möchten nicht gerne hier draußen sprechen?«, hat sie der Hohenstein das Wort aus dem Mund genommen.

»So ist es.«

»Ja, dann gehen wir hinein.« Und glaub ja nicht, ich entschuldige mich prophylaktisch für meine Unordnung! Bei mir ist nämlich alles ordentlich, ich bin ja auch bei der Polizei, Recht und Ordnung liegen uns im Blut. Uns Polizisten.

Dann sind sie in der Küche gesessen, an der Katharina ihrem kleinen uralten Holztisch. Das angebotene Glas Merlot hat die Tierärztin gerne angenommen, und ein paar Grissini hat die Katharina auch noch dagehabt. Aber die Tierärztin war mehr so eine Puristin, die hat den Wein lieber ohne was dazu getrunken. Obwohl: »Entschuldigen Sie, aber darf ich hier bei Ihnen drinnen eine rauchen?«

Die Katharina hat schon die ganze Zeit gemerkt, dass die Tierärztin furchtbar angespannt war, und aus einer angespannten Person bringst du recht schlecht was raus, also hat sie genickt und auch gleich einen Aschenbecher hervorgezogen, den sie noch aus ihrer Jugend aufgehoben gehabt hat, ein recht klumpiges Blechteil, aber was mit ideellem Wert eben. Und als die Tierärztin recht süchtig ihren ersten Zug gemacht hat, hat die Katharina gefragt: »Hätten Sie für mich auch eine?«

»Ach Gott, ja! Selbstverständlich! Ich bin nicht davon ausgegangen, dass ich Ihnen eine anbieten darf – ist die Polizei nicht, wie heißt es so schön, stark im Leben ohne Alkohol und Drogen?«

Die Hohenstein hat gehässig gegrinst, aber der Katharina war das wurscht. Das mit der Zigarette war nur einer ihrer Psychotricks. Wenn du mit einer fremden Person eine Zigarette rauchst, dann ist das praktisch eine Friedenspfeife, also zum Zwecke einer Verbrüderung. Nicht selten ist man danach per Du. Aber so weit hat die Katharina es dann doch nicht kommen lassen, als Polizeivollprofi kannst du nicht auf Du und Du gehen mit deinen Zeugen.

Aber die Entspannung hat beiden gutgetan, und danach hat die Hohenstein sich noch eine angezündet und angefangen zu reden.

»Sie wollten von mir wissen, was ich über das Verschwinden von Thomas Altmann weiß.«

Die Katharina hat nur stumm genickt. Unterbrich nie einen Zeugen, der von sich aus in Fahrt kommt.

»Ich bin seit etwa zwei Jahren mit Thomas liiert, wie Ihnen vielleicht bekannt sein dürfte. Er hat in dieser Zeit immer wieder Probleme mit seiner, ich nenn sie der Einfachheit halber jetzt mal Exfrau, Clara gehabt. Die Scheidung ist noch nicht ganz durch. Nun ja, wie auch immer, das ist deren Privatangelegenheit. In so etwas misch ich mich nicht ein. Auf jeden Fall kämpft Thomas um seinen Sohn, er ist sein Ein und Alles! Django hängt auch unglaublich an seinem Vater, wundervoll, die beiden zusammen zu erleben. Und Django ist das Druckmittel von Clara Altmann; wenn Thomas nicht mag, wie sie will, dann entzieht sie ihm den Jungen. Momentan ist die Regelung, dass er Django jedes zweite Wochenende bekommt. Dann war der Guten aber nicht recht, dass Thomas’ Freundin – also ich – in Djangos Nähe kommt an eben jenen Wochenenden. Das hieß für Thomas, dass er aus Süchting wegziehen musste. Er wohnt jetzt in einem kleinen wunderschönen Häuschen zwischen Derdorf und Weil, ein bisschen außerhalb. Thomas’ Ex wohlgemerkt lebt noch in Süchting. Allerdings auch außerhalb, auf einem gigantisch tollen Gutshof, nach dem Ortsausgang rechts den Hügel rauf, was für eine Lage! Da lebt sie jetzt allein mit ihrem Kind – von Thomas’ Geld. Vor etwa vier Wochen war ich das letzte Mal bei ihm in Weil. Dann kam das Wochenende mit seinem Sohn vor drei Wochen, da haben wir noch miteinander telefoniert. Er hat am Telefon einen sehr gehetzten und kurz angebundenen Eindruck gemacht. Im Nachhinein betrachtet kommt es mir komisch vor. Sonntagabend hab ich dann angerufen, da ist sein Sohn normalerweise wieder bei der Mutter. Aber Thomas ist nicht ans Handy gegangen. Ich hab es die folgenden Tage mehrfach versucht, aber Funkstille.«

Die Tierärztin hat sich eine neue Zigarette angezündet und vor sich hin gestarrt. In der Küche war es schon fast dunkel. So ist der Katharina jedes Mal, wenn die Hohenstein an ihrer Zigarette gezogen hat, aufgefallen, wie besorgt ihr Gesichtsausdruck ausgesehen hat im orangeroten Schein.

»Sie haben sich sicher Sorgen gemacht. Warum sind Sie nicht zur Polizei?«, wollte die Katharina jetzt wissen.

»Gute Frage.« Die Tierärztin hat wieder an ihrer Zigarette gezogen, und wieder der orangerote Schein im fast dunklen Zimmer. »Natürlich hab ich mir Sorgen gemacht. Aber nicht sofort. Thomas … Es ist so, er spürt hin und wieder einen gewissen Freiheitsdrang, dann setzt er sich in eins seiner Autos und verschwindet für ein, zwei Wochen, ohne irgendjemandem Bescheid zu geben. Auch wenn’s mir schwerfällt, das ist etwas, das ich akzeptieren muss.«

So weit haben sich die Aussagen vom Autotandler und der Tierärztin nicht widersprochen, auch wenn der Hafner das mit dem Freiheitsdrang nicht erwähnt hat. Aber Mann + Auto ergibt ja meistens als Nebenprodukt Freiheitsdrang.

»Aber jetzt machen Sie sich Sorgen?«, hat die Katharina noch einmal nachgefragt.

»Sicher. Jetzt schon. Jetzt, wo die Polizei in meiner Praxis aufgetaucht ist.« Ganz herausfordernd hat die Tierärztin die Katharina angeschaut, man hat es vor Dunkelheit kaum sehen können, aber gespürt hat die Katharina das sehr wohl. »Wie kamen Sie auf mich?«, hat die Hohenstein gefragt, und an dem Ton hat die Katharina schon gehört, dass die das ganz genau gewusst hat, die Gute.

»Der Autotan… Der Herr Hafner von der Autowerkstatt in Halling hat Vermisstenanzeige erstattet«, hat es die Katharina ganz neutral ausgedrückt.

»Ah ja, der Andi. Hab ich mir schon gedacht.« Die Tierärztin hat sich noch unterm Reden erhoben, was bedeutet hat, dass sie für heute nichts mehr erzählt, und schon gar nicht, warum sie den Autotandler mit einem im Hochdeutschen unüblichen Artikel davor Andi genannt hat. Auch was genau die Hohenstein sich gedacht hat, hat sie nicht mehr erzählt. Aber die Katharina hat schon vermutet, dass sie das bald genug erfahren wird, und damit ist sie dann auch gar nicht falsch gelegen. Für heute Abend war es sowieso schon genug Information, und sie wollte sich das bisschen Vertrauen, das sie bei der Tierärztin gewonnen hat, nicht gleich wieder durch lästiges Nachbohren verspielen.

Die Hohenstein hat ihre Karte dagelassen, mit Handynummer und allem, und die Katharina hat sie noch auf den Hof hinausbegleitet, wo die Tierärztin sich verabschiedet hat, in ihren dunkelgrünen V70 eingestiegen ist, gewendet hat und dann in die Nacht davongefahren ist.

Die Katharina hat noch lange in die Richtung geschaut, in der die Rücklichter von dem Volvo verschwunden sind, und sich ihre Gedanken über die Monologe vom Tandler und der Tierärztin gemacht, weil in vielen Punkten hat es Übereinstimmungen gegeben. Nur: Der Hafner hat sie als geldgierige Stalkerin beschrieben. Die Hohenstein sich selbst als besorgte Liebende.

Vom Ansatz her waren die beiden Geschichten also grundverschieden.