Der Brunner ist da gewesen, und der Moser Rudi, was der Katharina nicht ungelegen gekommen ist, der Aigner Martin von der Kripo Mühldorf, der Hansi fürs Protokollschreiben und eben die Katharina – also eine kleine Besprechung.
Der Präside von Mühldorf war immer noch auf Ischia, aber dafür war ja unter anderem das Protokoll da, um ihn bei seiner Rückkehr gleich mit einem ordentlichen Kriminalfall zu konfrontieren. Damit er einmal sieht, was so los ist in seinem Landkreis, dass andere was arbeiten, während er sich sein Tiroler Nussöl auf die Wampe schmiert, so oder so ähnlich und mindestens genauso gehässig hat der Brunner es ausgedrückt.
Auf die Kooperation mit der Kripo hat sich der Brunner freilich eingelassen, wie mit dem Ischia-Urlauber vereinbart, obwohl der Brunner den Aigner Martin weder gekannt noch ihn auf Anhieb gemocht hat. Durchaus eine Angelegenheit von Gegenseitigkeit. Der Aigner war auch nicht gerade begeistert, dass der Präside dem Dorfschandi Brunner den Kriminalfall überantwortet hat und die Kripo Mühldorf jetzt der Weiler Polizeiinspektion hat zuarbeiten dürfen sozusagen. Ermittlungsleiter war ja der Brunner, und der Aigner wär das schon auch gern gewesen.
Dieser blasse, rotblonde, dürre Bursch, höchstens halb so alt wie der Brunner, aber fast schon dieselbe Besoldungsgruppe. Nichtssagend. Den Mund aufmachen hat er sich auch kaum getraut, höchstens einmal, wenn er was ganz was Wichtiges und Gescheites zu sagen gehabt hat, also wirklich keiner, den du aufgrund von seinem Charme gleich ins Herz schließt.
Der Moser Rudi war da schon redseliger. Und der hat jetzt auch über die Zwischenergebnisse gesprochen.
Die Reifenspuren am Weiher waren tatsächlich von dem Jaguar, außerdem noch ein paar nicht identifizierte Reifenspuren und Fußabdrücke, das dauert aber noch. Die Theorie darüber, wie der Tote in den Weiher gerauscht ist, hat man als bestätigt erachten können. Und die Ergebnisse aus der Pathologie in München waren auch schon da, also die vorläufigen.
Bei dem Toten hat es sich um einen in Derdorf gemeldeten Polen gehandelt, der bereits wegen einer tätlichen Auseinandersetzung polizeilich registriert war. Und zwar wegen einer Schlägerei im Asylantenheim in Derdorf, wo er als Übersetzer und Aufseher gearbeitet hat, halbe Stelle und unzuverlässig, die andere Hälfte der Zeit war er irgendwo in Polen tätig, und sein Name war Jurek Pawliczyk.
Die Katharina war wie vom Donner gerührt bei dieser unerwarteten Informationsfülle, und sofort sind bei ihr eine Menge Zahnräder ineinandergerastet.
Jetzt hat sie trotzdem versucht, sich nicht allzu viel anmerken zu lassen. Aber zu spät.
Der Brunner hat nämlich gleich gemerkt, dass da was nicht stimmt, und vermutet, dass die Kathi Informationen hat, die er nicht hat. Zu Recht. Blöd war er ja nicht.
»Was is’n los, Kathi?«, hat er also wissen wollen, weil die Katharina gerade so still und blass geworden ist.
»Nix.«
Dieses Nix ist dem Brunner jetzt ein bisschen zu schnell gekommen.
»Ah, nix? Woaßt was? Mir zwoa redn im Anschluss no amoi alloa, über nix, in Ordnung?«
Die Katharina hat nur genickt. Aber ihre Beweismittel hat sie dem Moser jetzt im Moment freilich auch nicht unauffällig unterschieben können.
Also haben sie erst einmal einen Beschluss für die weitere Ermittlung gefasst: Fuß- und Wagenspuren werden noch analysiert, so der Moser. Eine Delegation sollte das Asylantenheim auf den Kopf stellen und sich den Fall der tätlichen Auseinandersetzung näher anschauen und nachprüfen, um was es dabei gegangen und wer beteiligt gewesen ist. Das wollte Mühldorf machen. Die Polizei in Weil sollte alles über den Altmann herausfinden und zusammentragen und alles Relevante aus dem Altmann seinem Haus beschlagnahmen, beim Spurensichern dort sollten der Moser und seine Kollegen dabei sein.
Es war noch überhaupt nicht klar, wie der Jurek Pawliczyk ans Steuer vom Altmann seinem E-Type geraten ist und warum er damit im Derdorfer Weiher abgetaucht ist, für immer quasi. Noch hat alles für einen Selbstmord gesprochen, aber ein Motiv hat es nicht gegeben.
Jetzt hat die Katharina dann doch noch ihre Vermutung geäußert: »Die Fenster von dem Auto waren vielleicht offen, weil man des a so macht an am hoaßen Tag, wenn des Auto koa Klimaanlage hat. Es muaß ja koa selbstmörderische Absicht sei, wenn man mit offenem Fenster ummanandafahrt.«
Der Moser Rudi hat zustimmend genickt. »Hast scho recht. Des wirft a bisse a anders Licht auf den Foj, und vielleicht erklärt des aa des mit de zusätzlichen Reifenspuren.«
»Die könnten natürlich von jedem x-beliebigen Badegast am Weiher stammen«, hat der Aigner Martin gscheid-haflerisch bemerkt.
»Schon möglich«, hat die Katharina zu bedenken gegeben, »aber vielleicht ist der Pole ja genötigt worden, diese letzte Reise auf diesem Weg genau so anzutreten, wie er es gemacht hat.«
Der Moser Rudi hat genickt. »Er is unverletzt gwen. Aber ob er bedroht worn is, des kann uns die Pathologie freilich ned sagn. Siggt ma ja ned an der Leich.«
»Aber vielleicht is er bedroht worden, verfolgt und genötigt, es wia an Selbstmord ausschaung zum Lassen? Untersuachts den Wagen doch aa auf Schuss- und Schmauchspuren. Wer woaß«, hat die Katharina vorgeschlagen.
»Logisch. Wemma no was findt, nach dem Einlegen im Moorwasser, dann finden mir des aa«, hat der Moser Rudi gegrinst. Sogar der Aigner hat gelächelt und beipflichtend genickt.
Weil es in dem Moment perfekt gepasst hat, hat die Katharina jetzt doch noch einen kleinen Plastikbeutel aus der Hosentasche hervorgezogen, mit zwei Zigarettenkippen, einem Papiertaschentuch und einer Quittung drin. Alle haben ganz interessiert geschaut.
»Daadst du mir des aa no untersuacha, wennst grad Zeit hast?« Mit diesen Worten hat sie dem Rudi das Tütchen gereicht. Er hat sie fragend angeschaut, also hat die Katharina erklärt, wonach sie der Brunner sowieso gleich gefragt hätte, alloa, im Anschluss. Und außerdem hat sie geahnt, dass dem Brunner seine Wut etwas milder ausfällt, solange der Hansi und der Moser dabei sind.
»Des is aus dem Altmann seinem Wochenendjaguar. Einem silbernen XKR. Mit dem Auto war er am Wochenende vor seinem Verschwinden unterwegs, am Chiemsee, hat seine Nochehefrau Clara mir erzählt.«
Damit die Katharina sich auch ja nicht im Anflug eines Triumphes sonnen kann, hat der Brunner gleich dazwischengesprochen. »Aha, intressant. Und jetz verzojt uns die Katharina amoi, was s’ no so ojs woaß. Oder hat.«
Und dann hat die Katharina ein bisschen erzählt, aber zum Beispiel den Hafner als Quelle verschwiegen, weil sonst hätte der ihr wahrscheinlich in Zukunft gar nichts mehr gesagt, und er wollte ja weiterreden, hat er ihr versprochen gehabt, sobald die polnische Staatsangehörigkeit der Leiche bekannt ist. Dass sie in dem Altmann seinem Häusl schon drin gewesen ist, das hat sie auch nicht gesagt, nur, dass laut dem Altmann seiner Ex der Tandler der Vermieter ist und wahrscheinlich einen Schlüssel hat. Und dass die Clara ihr auch das mit der Existenz von dem silbernen XKR erzählt hat. Wo genau sie den untersucht hat, hat sie aber auch erst einmal unter den Tisch fallen lassen. Dass der Altmann gelegentlich aus Polen importierte Jaguars kauft von einem Brüderpaar, das wundersamerweise ebenfalls Pawliczyk heißt, hat sie erzählt, wie häufig dieser Name in Polen ist, keine Ahnung. Dass der Jakob die Autos danach herrichtet, das hat sie wieder für sich behalten. Und dass jetzt ihre neue Putzfrau die alte Putzfrau vom Altmann ist und nebenbei auch polnisch und mit einem polnischen Autoverkäufer aus Leśna verheiratet, das hat sie im Moment auch noch als Freizeit-Information betrachtet, privat, und deswegen verschwiegen.
Aber immerhin, ein paar Sachen hat sie ja nun schon erzählt, also vermutlich ebenso viel Information zu dieser Besprechung beigetragen wie der Moser.
Ganz still ist der Brunner danach gewesen, und ebenso ruhig hat er dann gesagt: »Sag amoi, warum verzojst du uns des ojs jetz erst?«
Die Katharina hat müde gelächelt. Ein bisschen elend hat sie auch ausgesehen, kein Wunder, mit ihrem Kopfweh, irgendwann sieht man es jemandem schon auch an, wenn es tagelang anhält.
»Mir is a Krangahausaufenthalt dazwischenkema. Wie ihr sicher wissts. An dem Abend, wo i den Aktenvermerk über der Altmann Clara ihre Aussage hätt schreiben wollen. I hoj des nach.«
Und irgendwas in dem Brunner seinem Gesicht hat ausgesehen, als täte ihm die Kathi jetzt plötzlich sehr, sehr leid, da war wieder sein Vormundsgefühl – und nichts, aber auch gar nichts von wegen Tobsuchtsanfall. Und auch nichts mehr von wegen wir sprechen uns im Anschluss noch unter vier Augen.
»Hast guad gmacht.« Das war alles, was der Brunner gesagt hat. Und dann hat er sich an den Rudi gewandt. »Des machst morgn, die Untersuchung von der Kathi ihrm Sach. Mir wurscht, ob Sonntag is.«
»Mir aa«, hat der Rudi ungerührt geantwortet, sich erhoben und den Plastikbeutel eingesteckt. »I pack’s dann, wenn’s recht is, wei mei Bua hat no a Hockeyspui, und i hab eam versprocha, dass i kimm.«
Der Brunner hat genickt und ihn mit einer Handbewegung entlassen. Der Aigner hat die Chance genutzt und ist auch gleich mit raus.
»Wart amoi, Moser!«, hat die Katharina den Spurensicherer noch schnell aufgehalten. »Schaug doch aa amoi, ob die Bluatspritzer auf der Motorhaubn von dem weißen Jaguar ebenfalls a polnische Staatsangehörigkeit habn.«
»Im Vertrauen, des hätt i sowieso gmacht, glei nach deinem Beweismaterial.«
Und dann hat der Moser Rudi sich seine Lederjacke übergeworfen und ist zum Hockeyspiel von seinem Sohn gegangen.
Es gibt praktisch keinen besseren Platz zum Telefonieren als ein Auto, in dem man gerade unterwegs ist. Rundum geschützt und intim, die moderne Telefonzelle quasi, und: Carpe diem, die Zeit, die man im Kfz verhockt, ist auch gleich sinnvoll genutzt.
»Hafner?«, hat der Tandler sich gemeldet.
»Herr Hafner, hier ist –«
»– die Frau Berger von der Polizei! Wo sand S’ denn grad?«
»Ich hock grad am Steier und fahr nach –«
»Was? Am Steier, im Auto – und da telefoniern S’? Passen S’ bittschee auf, dass die Polizei Eana ned dawischt!« Und dann hat er laut gelacht, der Hafner, aber überhaupt nicht versucht, die Katharina vom Weitertelefonieren abzuhalten. Im Gegenteil. Gut gelaunt und smalltalkmäßig war er drauf. »Wie geht’s Eana denn, Frau Berger?«
»Is scho besser ganga, aber –«
»A bisse z’ friar ausm Krangahaus auße?« Aha, von ihrer Krankenhausflucht hat er also auch schon wieder gewusst.
»Ko scho sei. Aber, Herr Hafner, warum i oruaf –«
»Ja? Is wieder was mit Eana Ihrem Einsatzwagen?«
»Naa.« Das ewige Unterbrochenwerden durch den Hafner hat die Katharina geradezu wahnsinnig gemacht. »Eher was mit dem Altmann seinem Wagen. Indirekt sozumsagn.«
»Ah, jetz reden S’ doch ned dauernd ummadum, Frau Berger. War der Fahrer am End aus Polen?«
Jetzt hat es der Katharina gereicht mit den Spielchen vom Tandler. »Herr Hafner, i mecht Sie umgehend persönlich sprecha. Privat.«
»Was so vui hoaßt wia – jetz glei oder was? Sand S’ am End grad aufm Weg zu mir?«
»Naa. I hab z’erst no an Termin in Mujdorf, aber Halling daad auf meim Rückweg liegen.«
»Mei, schaad. I bin nämlich aa grad unterwegs.«
»Jetz kommen S’, Herr Hafner, telefoniern S’ am End am Steier?«
»Ja, logisch.« Wieder sein unverfrorenes Lachen.
Am liebsten hätte die Katharina ihm sofort eine Strafe fürs Telefonieren am Steuer aufgebrummt.
»Und in ana Stund, waradn S’ dann dahoam?«, hat sie gefragt.
»Naa, in ana Stund bin i schätzungsweise kurz hinter Prag.«
»Was?!« Die Katharina hat noch kurz gehofft, dass sie sich verhört hat, war aber leider Wunschdenken.
»Aber i versprich Eana, wenn i zruck bin –«
»Jetzt fahren S’ zurück!«, hat die Katharina es mit dem sanften Druck des Befehlstons probiert, ganz schlecht bei einem wie dem Hafner, dem das, was andere wollen, grundsätzlich nicht besonders imponiert. Und noch weniger interessiert.
»Frau Berger, i versteh Eana so schlecht, der Empfang is miserabel.«
»Sie verstengan mi sehr guad, Herr Hafner! Jetzt drahn S’ um!«
Aber dann hat es nichts mehr zu verstehen gegeben, weil die Verbindung war unterbrochen, und die Katharina hat noch nicht einmal mehr Zeit gefunden, sich zu ärgern, weil sie ist eben in Mühldorf angekommen und hat sich jetzt ganz darauf konzentrieren müssen, um kurz vor fünf noch schnell und rechtzeitig das Sportstudio zu finden, in dem die Sabine von Hohenstein eben gerade um diese Uhrzeit noch in ihrer Funktion als 3. Dan tätig war.
Aber nicht, dass du, wenn du mitten in einer Kleinstadt was Gesuchtes gefunden hast, auch gleich einen Parkplatz dazu hast. Ob Kleinstadt oder Großstadt, es gibt in ganz Bayern ja kaum mehr eine Möglichkeit, ohne Parkausweis in einer Innenstadt zu parken. Und selbst wenn du bereit bist, eine Gebühr zu investieren, heißt das noch lange nicht Parkplatzgarantie.
Also ist die Katharina dreimal um den Stadtplatz herumgefahren, ist ja heutzutage alles Einbahnstraße, die reinste Autofahrerschikane. Und dann hat sie beschlossen, direkt vor dem Sportstudio in zweiter Reihe mit laufendem Motor stehen zu bleiben und die Hohenstein einfach abzupassen. Was auch gut funktioniert hat, weil um halb sechs hat die dann mit ihrer dunkelgrünen Sporttasche das Studio verlassen.
Die Katharina hat sie durchs offene Fenster hergerufen, und die Tierärztin hat den Golf samt Fahrerin auch gleich erkannt und die Katharina durchs Beifahrerfenster hinein gegrüßt.
»Frau Berger! Sie hier? Warten Sie etwa auf mich?«
»Können wir sprechen?«, hat die Katharina nach einem kurzen Nicken gefragt.
»Um Gottes willen, war das jetzt doch der Thomas?« Die Hohenstein hat es erschrocken klingen lassen, recht echt, hat sogar die Katharina zugeben müssen. Aber irgendwie auch falsch. Die hat schon gewusst, dass das am Steuer nicht der Thomas gewesen sein kann, und die Aufregung am Weiher gestern ist vielleicht nur gut inszeniert gewesen von ihr. Bei dem Altmann seiner Ex ist das zumindest authentischer gewesen, die ganze Reaktion und alles.
»Nein, es war jemand anderes. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, aber vor dem Pressetermin, wahrscheinlich Montagnachmittag, kann und darf ich Ihnen leider gar nichts sagen. Außer, unter uns, dass er es nicht war. Um Sie zu beruhigen.«
»Oh, Gott sei Dank!«, hat die Tierärztin geseufzt. Und ist dann wieder ganz ruhig gewesen. »Aber was brauchen Sie denn nun von mir? Wie kann ich Ihnen helfen? Ich hab schon alles über Thomas erzählt, was Ihnen dienlich sein könnte.«
»So durchs Fenster ist es irgendwie schlecht«, hat die Katharina mit recht steifem Hals gesagt, weil sie hat sich ja die ganze Zeit über den Beifahrersitz beugen müssen, um die Tierärztin sehen zu können.
»Sollen wir irgendwo einen Kaffee trinken gehen?«, hat die Hohenstein vorgeschlagen. »Oder bei mir in Süchting sprechen?«
»Wenn das passt? Ich fahr Ihnen hinterher«, hat die Katharina zugestimmt.
So haben sie es dann gemacht, und auf diese Weise hat die Katharina das wunderschöne, teuer ausgestattete Wohnhaus von der Tierärztin kennengelernt, einen Bungalowbau, gut abgeschirmt direkt hinter der Praxis gelegen. Die Reste von dem alten Hof waren subtil integriert, da hat der Architekt an jedem Ziegelstein persönlich herumgefeilt gehabt, dass sich da auch ja kein Wärmebrückchen zwischen Alt und Neu auftut. Das Grundstück ein wenig abschüssig hinter einer geschützten Terrasse, Naturstein, eine Pergola, gepflegte Pflanzen, südliches Flair, hinter dem Rasen hat der Wald angefangen, direkt neben der Terrasse beruhigend ein Teich geplätschert mit Froschgequake. Eine Idylle.
Und einen guten Wein hat sie auch dagehabt, da kann man trotz Kopfschmerzen nicht Nein sagen.
Geraucht hat die Tierärztin wie ein Fabrikschlot, eine nach der anderen, als sie so auf der Terrasse beieinandergesessen sind und geredet haben.
Übers Taekwondo. Und gewisse Namen.
»Jakob Fichtner ist ein Zweihundertprozentiger«, hat die Hohenstein dank ihrem dritten Glas Rotwein geplaudert. »Seit drei Jahren dabei, er macht in ein paar Wochen seinen Schwarzgurt. Super trainiert, tolle Körperbeherrschung, perfekte Konzentration – und nebenbei ein absolut Netter, ein ganz höflicher junger Mann. Hat auch eine ganz nette Freundin – gehabt, muss man leider sagen. Sie war auch bei mir im Taekwondo, aber nachdem es vor etwa einem halben Jahr auseinandergegangen ist, hat Emma aufgehört. Jakob hat sie halt leider ein bisschen vernachlässigt. Immer nur arbeiten, auch am Wochenende. Beim Andi.« Die Katharina hat genickt, und die Hohenstein hat weitererzählt. »Also wirklich nichts mit anderen Frauen. Aber nicht dass Sie meinen, der Andi nutze ihn aus, so ist das gar nicht, Jakob verdient sich einfach was dazu. Er hat schon immer an den Autos von Thomas herumgeschraubt und -poliert, bis die wieder wie neu aussahen. Das ist seine Wochenendbeschäftigung. Und Thomas hat sich, soweit ich weiß, auch nie lumpen lassen. Das Zusatzgeschäft bringt Jakob wahrscheinlich mehr ein als sein Mechanikergehalt die ganze Woche über.«
»Wie viele Jaguars hat der Thomas denn zuletzt gehabt? Vor seinem Verschwinden? Das können Sie mir doch sicher sagen, nehme ich an?«
»Na ja, die drei, die er beim Andi untergestellt hat, also den schwarzen XJR, Baujahr 88, den goldenen X-Type Estate und den weißen XJ von 72, den hat er gekauft, als wir gerade frisch zusammen waren, den hat er geliebt und jeden Tag gefahren, und alle paar Wochen war dann was zu reparieren an dem alten Ding. Dann hat er noch einen XKR, silberfarben – keine Ahnung, wo der hin ist, vielleicht steht der am Chiemsee bei seinem Boot oder bei ihm daheim. Und den E-Type, den hat er immer in seiner Garage gehabt und nur ganz selten ausgefahren. Das waren alle. Soweit ich weiß. Ab und an einen Durchgangsposten – aber wie gesagt, fünf Wagen reichen ja auch für eine Person.« Jetzt hat sie ein bisschen vor sich hin gelächelt, da hat die Katharina gleich gemerkt, wie stolz sie auf dem Thomas seine Autos war. Und auf den Thomas auch.
»Haben Sie zufällig ein Foto vom Thomas für unsere Unterlagen?«, ist es ihr dann spontan eingefallen.
»Ja, sicher.« Die Tierärztin ist rein ins Haus und keine zwei Minuten später mit einem Bild erschienen, wo man gleich verstehen hat können – zumindest als Frau –, was die Sabine von Hohenstein an dem Mann gefunden hat. Der war nämlich nicht nur ein reicher Privatier, der seine Putzfrau und seinen Autoschrauber und weiß Gott wen noch gut bezahlt hat, sondern auch ein extrem gut aussehender Mann.
Die Hohenstein hat der Katharina ihren überraschten Blick genossen.
»Haben Sie etwas anderes erwartet?«, hat sie gefragt.
»Ähm – ich hab mir eigentlich bisher keine Vorstellung von Herrn Altmann gemacht«, hat die Katharina wahrheitsgemäß geantwortet. »Aber prinzipiell ist es schon wichtig zu wissen, wie derjenige aussieht, den man sucht. Meinen Sie nicht?«
»Ja, kann nicht schaden.« Und dann hat die Tierärztin über ihr Anwesen geblickt, und der Teich hat geplätschert, und die Katharina hat gewusst, jetzt kann sie fragen, was sie will, denn irgendwie war das Eis gebrochen durch die Tatsache, dass die Katharina von der Schönheit vom Altmann ganz gefangen war. Der Hohenstein ihr Besitzerstolz war bestätigt.
»Ganz was anderes. Warum nennen Sie den Herrn Hafner Andi?«, hat die Katharina jetzt wissen wollen.
Die Tierärztin hat kurz gelacht, fast schon verachtend, ist es der Katharina vorgekommen, so als würde sie, die Ermittlerin, etwas Offensichtliches übersehen.
»Warum ich ihn Andi nenne? Ich war viereinhalb Jahre mit ihm liiert. Und wenn sie es wissen wollen, ich habe die Beziehung beendet – war nicht immer leicht, all die Jahre, denn er ist ein extremer Egozentriker, der Andi.«
Jetzt war die Katharina erst einmal sprachlos.
Da ist es ihr gar nicht ungelegen gekommen, dass ihr Handy gegangen ist. Sie hat schon gehofft, dass es der Moser ist mit ersten Ergebnissen ihre Beweisstücke betreffend, was unwahrscheinlich war – doch dann war es laut Display 0039-Lucarelli. Das hat die Katharina gar nicht brauchen können jetzt. Überhaupt nicht. Aber die Tierärztin hat nur genickt, im Sinne von ist schon okay, gehen Sie ruhig ran, und die Katharina hat das Telefon ja schon in der Hand gehabt, und alles andere wäre kindisch gewesen.
»Pronto?« Kurze Pause am anderen Ende.
»Katharina. Ich. Ich wollte dir sagen. Ich wollte dir sagen, ich habe –«
»Getrunken?« Das hat jetzt spöttischer geklungen, als sie es gemeint hat.
»Nein. Das nicht! Überhaupt nicht! Es tut mir leid, das von heute Morgen, aber –«
»Matteo, senti … hör mal, es ist gerade ganz schlecht –« Die Katharina hat die Stimme gesenkt, aber trotzdem war das Telefonat über das Teichplätschern hinweg gut verständlich, zumindest für jemanden, der Italienisch kann.
»Nein, Katharina, nicht schon wieder, du hängst jetzt nicht ein! Bitte!«
»Matteo, ich bin eben bei einer Zeugenbefragung, und –«
»Es ist mir vollkommen egal, wie viele verdammte Zeugen zu wie vielen beschissenen Kriminalfällen du im Moment be-«
»Was soll das? Du hast überhaupt keine Ahnung, was ich eben –«
»Nein, du hast recht, ich habe keine Ahnung, ich habe auch keinen Kopf für so was im Moment, weil ich –«
»Weil du dich überhaupt nicht interessierst für das, was ich tue? Ist das so?«
»Nein! Nein! So ist das nicht, es ist nur so, dass ich –«
»Dass du was?«
Wieder ein kurzes Schweigen seinerseits. Und deutlich gefasster hat er dann gesagt: »Katharina, ich glaube nicht, dass ich Weihnachten komme –«
»Ach?« Jetzt hat es der Katharina gereicht, zumindest so weit, dass sie trotz Tierärztin nebendran richtig laut geworden ist. »Du bleibst in Italien und lässt dich von, wie war doch gleich ihr Name, Francesca, trösten?!«
»Ich hab mich gestern von ihr trösten lassen, wenn du so willst, aber –«
»Nein, Matteo, ich will es nicht so, aber wie es scheint, willst du es so, und ich denke, ich hänge jetzt –«
»Nein! Das tust du nicht, verdammt noch mal, Katharina! Hör mir bitte zu, lass dir erklären, ich wollte –«
»Per Telefon mit mir Schluss machen? Wie mutig! Du –« Sie hat sich selbst unterbrochen und Tränen der Wut unterdrückt. Die Tierärztin hat sie verständnisvoll angesehen.
»Katharina, ich, ich bin ein Trottel«, hat er gefleht, »ich bin ein Idiot, ich bin ein Was-dir-einfällt, was auch immer, aber hör mir bitte, bitte zu, lass mich –«
»Nein, Matteo, jetzt hörst du mir zu!«
»Katharina, per carità, lass mich einen Satz zu Ende sprechen! Bitte! Einen einzigen Satz!«
»Okay.« Sie hat versucht, gefasst zu klingen, was ihr sogar halbwegs gelungen ist. »Okay, einen einzigen letzten Satz.«
Er hat kurz gezögert. Und tief Luft geholt für seinen einzigen letzten Satz.
»Katharina Berger, mein Leben ist leer ohne dich, denn du bist das Erste, woran ich denke, wenn ich morgens aufwache, und das Letzte, woran ich denke, bevor ich abends einschlafe, und du bist einfach nicht da, und seitdem du fort bist, ist mein einziger Wunsch, du mögest bei mir sein, jeden Augenblick meines Tages und meiner Nacht, jeden Tag, jede Nacht will ich dich umarmen, dich riechen, dich spüren, das Salz und den Schweiß auf deiner Haut, will ich dir zusehen, wie du Pizza isst, wie du dich anziehst, wie du barfuß durch den Sand läufst, wie du einschläfst, wie du aufwachst, will ich dich hören, wie du meinen Namen sagst mit diesem wunderschönen leichten Akzent, will ich dein Atmen hören und dein Stöhnen und dein Lachen, will ich deine Hände auf meinem Körper spüren und mein Gesicht in deinem Haar vergraben, diesem wunderschönen blonden Haar, das so gut riecht, und auch auf die Gefahr hin, dass ich mich endgültig zum Volltrottel mache, will ich das jetzt sofort auf der Stelle und nicht irgendwann, denn das Leben ist jetzt, und ohne dich ist es kein Leben und kein Jetzt, und ich wünschte, ich könnte vor dir auf die Knie fallen und ich müsste das nicht am Telefon sagen, wo du nicht siehst, dass ich auf die Knie falle, aber ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen und – und – und – ich liebe dich.«
Und jetzt war die Katharina schon wieder sprachlos, weil wenn man vor Rührung weint, dann bringt man nichts mehr heraus.
»Katharina? Was ist denn? Hab ich mich eben endgültig zum Trottel gemacht? Dann kannst du jetzt auflegen.«
»Das war –«
»Was?«
»Deinen einzigen letzten Satz, würdest du ihn noch mal wiederholen?«
Wieder ein kurzes Zögern und dann ein ganz langes Lachen. »Ich glaube nicht, dass ich den noch einmal hinkriege. Außerdem dachte ich, du hast keine Zeit? Was macht dein Zeuge?«
Die Katharina hat einen flüchtigen Seitenblick in Richtung Tierärztin geworfen und die Stimme zu einem Flüstern gesenkt.
»Was sollte das mit dieser – Francesca?«
»Diese – Francesca wird in meinem Leben immer eine große Rolle spielen, das wirst du akzeptieren müssen – bitte unterbrich mich nicht –, und sie ist die Einzige, die mich immer vorbehaltlos so genommen hat, wie ich bin, die mich immer getröstet hat, so wie gestern und wie seit fünfundvierzig Jahren, denn Francesca ist meine große Schwester.«
Die Katharina hat nur den Kopf geschüttelt. »Matteo Lucarelli … Das ist nicht dein Ernst … Wenn das eben alles auch nur ansatzweise ernst gemeint war –«
»Katharina, was soll ich denn sonst sagen? Was willst du denn noch?«, hat er verzweifelt gefleht.
»Dich«, hat sie gehaucht.
Und dann haben sie beide eine Weile geschwiegen, für teure Roaming-Gebühren, weil ja eine Telefonverbindung ins Ausland auch recht viel kostet, wenn man nichts sagt.
»Katharina. Darf ich zu dir kommen?«
»Wie? Wann?«
»Auto? Sechs Stunden?«
»Ja. Ja. Natürlich! Aber … Fahr vorsichtig. Bitte.«
»Ich tu alles für dich. Von mir aus auch vorsichtig fahren.«
Darüber hat sie gelacht.
Und er: »Ich liebe dein Lachen. A dopo, commissaria.«
Und sie: »A dopo, Lucarelli.«
»Was auch immer er gesagt hat, es war das Richtige, vermute ich«, hat die Hohenstein so vor sich hin gesagt. Natürlich auch an die Katharina gerichtet. Die hat nur genickt und sich verstohlen die Augen mit den Händen getrocknet, weil sie nichts Langärmliges angehabt hat, obwohl es jetzt schon dunkel geworden ist, kurz nach acht Uhr abends, und kühler.
»Woher können Sie so gut Italienisch, wenn ich fragen darf?«, war die Hohenstein jetzt recht interessiert, während sie eine Kerze angezündet hat, die in einem großen Glas vor dem Wind geschützt vor sich hin gebrannt und die Terrasse flackernd erhellt hat mit einem schwachen Schein.
»Von meiner Mutter. Ich bin zweisprachig aufgewachsen.«
»Schön, wirklich. Ich wünschte, ich könnte es nur halb so gut! Verstehen tu ich es einigermaßen – das eben am Telefon war aber eine nette Einhundertachtziggradwendung, alle Achtung. Freut mich für Sie.«
»Danke.«
Am Ton von der Tierärztin hat die Katharina jetzt schon gehört, dass für heute Schluss war mit Informationsbeschaffung. War aber in Ordnung so. Jede hat ein bisschen was Männermäßiges von der anderen erfahren gehabt, und dann haben sie noch ihren Wein ausgetrunken, sind bis halb elf vor dem Kerzenflackern gesessen, haben über das Italienische um sie herum philosophiert, eine letzte Friedenszigarette geraucht, und dann ist die Katharina heimgefahren, ein wenig ausgekühlt, dafür aber leicht alkoholisiert, ausreichend informiert und eigenartigerweise sehr glücklich und zufrieden.
Sogar das Kopfweh hat sie heute nicht mehr sonderlich gestört.
Einschlafen hat die Katharina dann nicht können, als sie zu Hause war, also hat sie sich wieder Notizen gemacht und überlegt, wer als Nächstes befragt werden soll.
Zum Beispiel der Hafner Andi, und zwar morgen, wurscht ob Sonntag oder nicht, er hat es ja nicht anders wollen. Und der Jakob, was er denn da im Einzelnen wann und an welchem Jaguar gemacht hat.
Und die Jolli anrufen, weil die wirklich eins a geputzt hat. Fragen, wann sie wieder Zeit hat, und bei der Gelegenheit den Namen Pawliczyk fallen lassen. Übrigens genau denselben Namen, den sie dem Hafner präsentieren wollte. Außerdem hat sich die Katharina plötzlich doch auch für die Exbeziehung von ihm mit der Tierärztin interessiert, warum sie Schluss macht und er sie dann als Stalkerin bezeichnet. Ratsch und Tratsch und Intimgeschichten im Grunde, aber vielleicht essenziell für den Fall.
Weil vom Altmann hat es immer noch nicht die leiseste Spur gegeben. Nur das Bild von einem schönen Mann, das da jetzt vor ihr auf dem Küchentisch gelegen ist. Neben ihren anderen Notizen, Bildern und Unterlagen zum Fall Altmann.
Dafür ist inzwischen eine ganze Reihe Autos aufgetaucht und jede Menge Polen. Alle in Verbindung mit Autos. Sogar die Putzfrau. Polin mit gutem Auto.
Also die Autos noch einmal anschauen. Dringend. Alle.
Und noch ein wichtiges Auto: das Taxi, das den Altmann am Mittwoch, dem 29. Juli, vom Tandlerhof abgeholt hat. Und apropos Fahren, jetzt hat sich die Katharina plötzlich wahnsinns Sorgen gemacht, dass der Matteo doch nicht so vorsichtig fährt, wie er ihr versprochen hat, und dass ihm was passieren könnte bei 200 Sachen auf der Autobahn, aber anrufen hat sie sich auch nicht getraut, weil telefonieren bei 200 Sachen auf der Autobahn ist ja auch nicht ungefährlich, und um sich zu beruhigen, hat sie ihre Unterlagen sortiert, alles, was sie ausgebreitet gehabt hat auf ihrem Küchentisch, und dabei hat sie eine Notiz vom Peter gefunden, einen Zettel, den er unter eine Schüssel mit frischen Eiern geklemmt gehabt hat.
Die er ihr hingestellt gehabt hat. Der Peter. Dieses Herz von einem Kerl. Der nicht einmal gewusst hat, dass sie einen Freund hat. Und jetzt hat sie auch noch ein mords schlechtes Gewissen ihm gegenüber gekriegt. Weil irgendwie war das so ein Gefühl, wie wenn man sechzehn ist und der Freund kommt heimlich zum Übernachten und die Eltern dürfen nichts erfahren, sonst gibt’s Stress. Das hat die Katharina gestört, dass die Allmandingers plötzlich so einen gefühlten Familienstatus gehabt haben bei ihr.
So wie der Brunner, der sie am Freitag am Derdorfer Weiher zwischendurch gefragt hat, ob sie am Sonntag zum Essen kommt, weil seine Frau, die Therese, die Kathi ja auch schon ewig nicht mehr gesehen hat, und die Therese, also Resi, war ja so etwas wie eine Ziehmutter für die Kathi, und man möcht’s kaum glauben, man kann für Zieheltern ein Pflichtgefühl entwickeln, das wesentlich tiefer geht als irgendein Gefühl den eigenen Eltern gegenüber.
Deswegen hat sie zu der Sonntagsessenseinladung zugesagt gehabt.
Aber jetzt erst einmal die Notiz vom Peter lesen. Auf der gestanden ist, dass sich der Dr. Lechner, der die Katharina mit ins Krankenhaus begleitet hat nach ihrem Kollaps, beim Peter nach ihrem Befinden erkundigt hat. Und wegen der andauernden Kopfschmerzen, von denen ihm der Peter erzählt hat, morgen gerne einmal nach seiner Patientin sehen wollte. Also heute, weil es war schon ein Uhr nachts. Sie soll ihn doch bitte anrufen unter der angegebenen Handynummer.
Diesen Dr. Lechner hat die Katharina überhaupt nicht richtig in Erinnerung gehabt. Wie eine einzige Großfamilie, dieses Dorf, so ist es ihr vorgekommen. All die Sorgen anderer Leute um ihre Person. Und ihre Sorgen um ihren wiedergewonnenen dahergelogenen Ehemann.
Und dann ist sie vor ihrer Tür gesessen, auf der Schwelle, und hat ein bisschen gewartet und gehofft, dass er sich meldet. Ihr Handy in der Hand, aber niente. Ob er den Hof findet, Adresse und Beschreibung hat er gehabt, aber nachts um halb zwei in der bayerischen Provinz eine Adresse finden?
Aber so ein BMW M5 hat schon ein recht ein gutes Navi, und schnell ist er auch mit seinen 507 PS, selbst wenn man vorsichtig fährt, und um drei viertel zwei ist dann ein dunkelblauer Wagen auf den Allmandinger-Hof gerollt, mit einem italienischen Nummernschild, und die Katharina hat sich von ihrer Türschwelle erhoben und ist dagestanden in ihrem dünnen Nachtgewand, schon ein bisschen ausgekühlt, denn es war sehr frisch, eine Herbstnacht halt fast schon.
Und ein schöner großer Mann ist ausgestiegen aus dem BMW, ein bisschen elegant gekleidet, ein bisschen angegraut, ein bisschen unrasiert, ein bisschen gezeichnet von einer recht anstrengenden Autofahrt, auf der er bloß zwei kleine Autogrill-Pausen gemacht hat, um sich mit je einem doppio wieder wach zu kriegen.
Und ist auf sie zugekommen, hat die Arme ausgebreitet und sie umarmt, als hätte er sie nie zuvor umarmt und als würde er sie nie mehr loslassen wollen, auf diesem Hof von dem Biohof von der Familie Allmandinger, Weil, Kreis Mühldorf, 800 km von seiner italienischen Heimat entfernt, in der oberbayerischen Provinz.
Und man kann jemanden lieben, und wie, auch wenn man gerade an die 1000 km am Stück praktisch ohne Pause gefahren ist, und auch, wenn man furchtbares Kopfweh hat und einen ungelösten, unlösbar scheinenden Kriminalfall im Hinterkopf, und wenn man sich wochenlang vermisst hat, dann liebt man sich manchmal umso mehr.
Und immer noch, wenn die Sonne längst aufgegangen und der Tag angebrochen ist, und immer noch, wenn der Bauernsohn längst die Kühe gemolken und den dunklen teuren BMW aus Italien bemerkt hat, der da auf dem Hof parkt.
Aha, Besuch aus Italien, hat sich der Peter gedacht und geahnt, dass die Frau seiner Träume vielleicht auch die Frau der Träume eines anderen ist. Irgendwie hat er es ja schon längst gewusst. Weil die Katharina recht traurig gewesen ist die ganze letzte Zeit.
Und jetzt war er dran mit ein bisschen Traurigsein, da war es schon recht tröstlich, frühmorgens im dampfigen Stall zu stehen, die Hände auf das kurze borstige Fell einer warmen Kuh zu legen und den Geruch von der frischen Milch zu riechen, der sich mit dem Duft vom Heu und vom Stroh und dem Kuhmist vermischt. Und die Kuh würde bald kalben, und da war er ganz nah am Leben, an seinem Leben. So ist das Leben, und manchmal bleiben gebrochene Herzen irgendwo am Wegesrand über, und trotzdem geht es weiter.