Unglück im Glück auch, dass die Katharina viel zu früh geweckt worden ist am Freitag in der Früh, und zwar von einem Handyanruf.
Trotz ihrer Kopfschmerzen ist es ihr aber gelungen, mit ihrem verschwommenen Morgenblick auf dem gesprungenen Display den Namen Josef Brunner zu erkennen, und die Uhrzeit auch noch, zehn nach sieben. Also ist sie drangegangen.
»Ja?«
»Was hab i ghert? Du bist scho wieder dahoam?!«
Kein Griaß de, kein Brunner, kein gar nichts. Nur ein sehr strenger Ton in der Stimme ihres Ziehvaters.
»I hab’s nimmer ausghoitn im Krangahaus.«
»Aha. So ähnlich habns mir des aa grad gsagt, im Krangahaus, wiar i vorhin da ogruafa hab. Auf eigene Faust bist auße, und zwar gestürmt, hat die Schwester gsagt. Was war denn da jetzad scho wieder so wichtig, dass du di losreißt und ned amoi wartst, bis a Ansatz von Genesung eintritt?«
»Ich hab’s nimmer ausghoitn im –«
»Des hast mir grad scho amoi gsagt. Aber woaßt was, du bist erwachsen, und des is dei Angelegenheit. Ned de meine. I mach mir nur Sorgn, Kathi, deim Vater warad des ned recht gwen.«
»I woaß scho.«
»Aber des soj jetz sowieso koa Kontrollanruf ned sei vo mir. Sondern was anders.«
»Was is’n?«, hat die Katharina recht schwach und verschlafen rausgebracht.
»Oiso, i woaß ja, dass du eigentlich freihast, weil i hab ja höchstpersönlich sejber dei Krankmeldung weidagebn. Aber die Anni und der Hansi sand heit bei ana Demo, oiso ned beim Demonstrieren, sondern als Polizeischutz in Minga, und den Merkl kann i dabei ned braacha.«
»Bei was denn?«
»I hätt hoit gern di dabei, so als oide Kriminalerin hast du hoit scho an wahnsinns guadn Blick für Details.« Die Spannung steigern und ein paar schmeichelhafte Komplimente einstreuen, da war der Brunner schon recht gut drin. Und im Drumherumreden.
»Bei was denn?«
Aber jetzt nichts mehr von wegen drum herum.
»Die habn a Auto gfunden. Im Derdorfer Weiher. Und in einer hoibn Stund ziagn s’ an außa, den Karrn. Und jetz rat amoi, was für a Marke.«
Raten hat die Katharina gar nicht müssen. Sie hat einfach das Nächstliegende gesagt.
»An Jaguar?«
»Genauso is’s.«
Und jetzt war die Katharina natürlich gleich hellwach, Kopfweh hin oder her. Ruf der Verbrechensbekämpfung, Weckruf sozusagen.
Gefunden hat den Wagen ein junges Pärchen gehabt, der Silbereisen Vinzenz und die Bauer Anne-Marie, beide Anfang zwanzig. Wenn du Anfang zwanzig bist und verliebt und es ist Sommer, dann schaust du, dass du mit deinem Freund oder deiner Freundin ganz viel draußen unternimmst.
Der Vinzenz hat gerade Koch gelernt, und die Anne-Marie hat Hotelfachgehilfin im selben Betrieb gemacht, im Posthotel in Derdorf. Ein riesiger Familienbetrieb war das, Hotel und Gaststätte und ein traumhafter Biergarten drum herum, der im Sommer immer bis 23 Uhr gesteckt voll war, ohne Ausnahme, jeden Tag. Sogar aus München sind sie hergekommen, und das war mit Sicherheit auch das Verdienst der Köche, also unter anderem das Verdienst vom Silbereisen Vinzenz.
Am Donnerstag sind also der Vinzenz und die Anne-Marie nach Schichtende um sieben an den Derdorfer Weiher hinaus. Es war noch richtig schön warm, das Moorwasser im Weiher ganz dunkelbraun und weich, das ist dann einfach herrlich, wenn du auf dem kleinen Wiesenstück zwischen dem Schilf dein Zeug ausziehst und hineinspringst, nackt, wie Gott dich schuf.
Wahnsinns gut für die Haut ist so ein Bad im Moorweiher.
Und dem Vinzenz hat es auch nichts ausgemacht, dass es in dem Weiher ein bisschen schlammig und sumpfig war, ist halt so, die Natur. Getaucht hat er ohnehin gerne, wenn man auch in so einem Weiher höchstens einen halben Meter weit sieht. Die Anne-Marie hat da eher ein bisschen Angst gehabt, weil sie einmal eine Gruselgeschichte mit einem Weiher gelesen hatte, aber mit dem Vinzenz zusammen hat sie sich schon reingetraut. Und dann sind sie bis zu der verankerten Plattform mitten auf dem Weiher geschwommen, haben sich drauf hingelegt, das Holz war ganz warm, und sie haben gekuschelt und gewartet, dass sie in den letzten Sonnenstrahlen noch trocknen. Aber dann ist die Sonne hinter den Fichten verschwunden, und der Vinzenz hat wieder mit seiner Taucherei angefangen, obwohl es der Anne-Marie inzwischen schon ein bisschen unwohl war. Aber der Vinzenz wollte halt endlich einmal ausprobieren, wie weit er runterkommt, weil er gedacht hat, so um die Plattform herum, das müsste doch eigentlich die tiefste Stelle von dem Weiher sein.
War es schon auch, aber trotzdem ist der Vinzenz nach ein paar Metern an etwas angestoßen, was sich jetzt nicht wirklich wie Natur angefühlt hat. Sondern eher metallisch. Er ist rauf, noch einmal Luft holen, und dann wieder abgetaucht, um zu fühlen, und da hat er eine Windschutzscheibe gefühlt und die Kante von einem offenen Autofenster, und dann ist er wieder aufgetaucht, wieder Luft holen und wieder runter und noch einmal fühlen, so lang, bis er sich sicher war, und auf die Automarke hätte er auch schwören können. Er ist ganz aufgeregt aufgetaucht nach seiner Diagnose und hat der Anne-Marie, die wegen seiner dauernden Auf- und Abtaucherei schon wahnsinns nervös gewesen ist, erzählt, was da am Grund von dem Weiher liegt. Und das war das letzte Mal, dass seine Freundin in irgendeinen Moorweiher zum Baden gegangen ist.
Am Ufer haben sie dann gleich vom Handy aus die Polizei in Weil angerufen, die Nachtschicht hat den Brunner verständigt, und weil ihm in letzter Zeit all diese Autogeschichten zu viel geworden sind und er sich wieder vorgestellt hat, wie der Präside jetzt gerade in diesem Moment auf Ischia seinem braun gebrutzelten Polizisten-Urlaubskörper die dritte Karaffe Rotwein gönnt, hat er gleich einen Sub-Auftrag nach Mühldorf rübergeschoben. Das heißt, er hat die Kripo mit ins Boot geholt, und das nicht bloß, weil es um ein Gewässer gegangen ist, sondern vor allem, weil sich das Kapitalverbrechen angebahnt hat. Vier Polizeitaucher haben sie dann hingeschickt nach Derdorf, die Mühldorfer, und den Kriminalhauptkommissar Martin Aigner, aber nachts in einem Moorweiher hast du null Chance, etwas zu finden, die Unterwasserlampen können vielleicht den Marianengraben ausleuchten, aber den Derdorfer Moorweiher, vergiss es. Also hat der Aigner beschlossen, per Autokran und Seilwinden anzurücken, sobald es wieder hell ist.
Der Brunner und die Katharina sind um acht Uhr früh dazugekommen, da hat die Mühldorfer Feuerwehr gerade den schlammigen Jaguar an die Wasseroberfläche gezogen gehabt, und jetzt war der Autokran dabei, ihn vollständig zu bergen. Also genau richtig, nicht zu früh und nicht zu spät, dass der Brunner und die Katharina dazukommen.
Die Polizeitaucher waren eben damit beschäftigt, sich umzuziehen, einer hat eine Zigarette geraucht, ein anderer Kaffee ausgeschenkt, und um sie herum haben die Staunzen getanzt und in den Morgensonnenstrahlen geglitzert. Eigentlich ein Bild des Friedens und der Ruhe.
Die Katharina, die gerade krankgeschrieben war und in Mühldorf im Krankenhaus hätte liegen sollen, hat versucht, sich alle Details zu merken.
Zum Beispiel den Anblick von dem dunkelgrünen Jaguar, wie der jetzt so halb aus dem Weiher geragt hat, das Altöttinger Kennzeichen mit dem H am Ende, aus den beiden halb offenen Fenstern ist das braune Moorwasser herausgeronnen, da hat sich der Autokran gleich leichter getan mit jedem Liter. Ein sehr, sehr schöner, sehr, sehr alter Jaguar war das, und zufällig hat die Katharina vor kurzem vom Fachmann erklärt bekommen, dass es von diesem Wagentyp, also dem E-Type, in so einem perfekten Zustand in ganz Deutschland nur fünf Stück gibt. Und jetzt waren es nur noch vier.
Die Fundstelle in der Nähe der Plattform war mit einer Boje markiert, eine dicke rote Kugel, die auf dem Weiher hin und her geschaukelt ist. Gute 20 Meter vom Uferrand entfernt, und bei einem stehenden Gewässer fragt man sich da natürlich gleich, wie der Karrn da so mittendrin landen hat können. Es hat ja durchaus eine Zufahrt zum Weiher gegeben, eine einzige hinter der Wiese, dahinter ein winziger Parkplatz, also mehr so eine Kiesfläche.
Die Wiese war abschüssig, der Autokran ist also recht schief gestanden. Das war eigentlich die einzige Möglichkeit, dass einer vom hintersten Ende von dem kleinen Parkplatz aus mit Karacho über die Zufahrt und dann über die Wiese gefahren und der Wagen dann praktisch durch die Luft hineingesegelt ist, mitten in den Weiher. Und da hat die Katharina irgendwie schon geahnt, dass der Wagen einen Fahrer gehabt haben muss. Und als das Wasser fast ganz ausgelaufen war aus dem Jaguar, da hat man den Fahrer dann auch gesehen, der ist nämlich immer noch in dem Jaguar gesessen.
Aber schon seit längerer Zeit, wie es ausgesehen hat.
Eine Moorwasserleiche wie aus dem Lehrbuch sozusagen.