FUCHZEHN

Zwei Stunden hat der Matteo Lucarelli jetzt schon auf diesen Arzt gewartet, der versprochen hat, so schnell wie möglich zu kommen. Ein bisschen wie in Italien, nichts von wegen deutscher Pünktlichkeit, gar nichts, und er hat sich noch nicht einmal richtig aufregen können, weil ihn sowieso keiner verstanden hätte. Man ist ja schon irgendwie hilflos in einem Land, wenn man die Sprache nicht wenigstens ansatzweise versteht. Und nicht einmal ansatzweise verstanden wird, höchstens einmal von einem Pizzabäcker, aber die sprechen erstens oft gar kein richtiges Italienisch mehr, weil sie in der dritten Generation in Deutschland leben, oder sie kommen schon gar nicht mehr aus Italien, sondern irgendwo aus dem Osten, und dann kannst du als Italiener bei ihnen noch nicht einmal mehr deine Pizza bestellen, und wenn es dir doch gelingt, kriegst du einen schweren ölgetränkten Teiglappen, der mit dem italienischsten aller italienischen Nationalgerichte überhaupt nichts mehr zu tun hat.

Und dann diese Internetverbindung. Mit WLAN war überhaupt nichts los. Das DSL-Kabel hat nur bis zum Küchentisch gereicht. Eine Einwahlverbindung auf seinem eigenen Laptop hat der Lucarelli nicht hingekriegt. Also der Katharina ihren benutzen. Wie schafft eine Polizistin es, ihren mobilen Computer noch nicht einmal mit einem Passwort abzusichern? Na ja, besser so, sonst hätte er sie eh nur aufwecken müssen.

Auf seinem MacBook hat er parallel Mozart laufen lassen, ›La Finta Semplice‹, während er sein iPhone aufgeladen hat.

Und jetzt, Lucarelli, mit System.

Der Katharina ihren Dell.

Fenster eins: Online-Wörterbuch Italienisch-Deutsch. Fenster zwei: Google, pizzeria+weil+muehldorf. Fenster drei: Google Earth. Das Update hat so viel Zeit in Anspruch genommen, dass der Lucarelli sofort verstanden hat, dass es sich keineswegs um eine DSL-Verbindung handelt.

Also erst einmal essen. Die Italiener haben ja einen siebten Sinn für gutes Essen, und der Matteo Lucarelli hat es praktisch auf Anhieb geschafft, aus den Google-Suchergebnissen die beste Pizzeria im Landkreis herauszufischen, Glück hat er auch noch gehabt, weil sie ist tatsächlich noch von einem italienischen Gastronomen geführt worden, und der Chef selbst war am Telefon.

»Rufen Sie aus Italien an?!«

»Nein, wieso?«

»Na wegen Ihrer Nummer – nach Italien liefern wir leider nicht, Signore. Hahaha.« Neapolitanische Sprachfärbung und ein fieses Lachen.

»Es reicht mir, wenn du mir meine Bestellung nach Weil lieferst, okay? Und zwar Folgendes, mach mir eine Pizza, so, wie du sie auch deiner Mutter vorsetzen würdest, Margherita semplice, und eine bianca, aber nur bestes Olivenöl, kein Knoblauch. Hast du irgendeine Fischsuppe?«

»Certo, mach ich dir. Hab cefalo da, aus dem mediterraneo. Ganz frisch von heute.«

»Bottarga auch?«

»In die Suppe?!« Der Chef war ehrlich entsetzt.

»Wo denkst du hin! Extra, als Vorspeise, sottilissima, mit Tomate, Olivenöl, Zitrone, kein extra Salz! Und die Suppe ganz leicht, als Krankenkost für die Signora, capisci

»Certo che caspisco. Noch extra Brot?«

»Nein danke, wenn du mir die bianca nicht in Öl ertränkst, reicht mir das.«

»Wein, Wasser?«

»Deinen besten Weißen, zwei Flaschen San Pellegrino, zweimal Acqua Panna.«

»In Ordnung. Sonst noch was? Qualcosa di dolce? Oder sorgst du für eure Nachspeise selbst? Hahaha.«

»Ja, für das Süße sorge ich selbst, mein Freund.« Ganz eisig hat er klingen können, der Matteo.

Und am Ton von seiner Stimme hat der Pizzeria-Chef gleich gemerkt: Schluss mit Anzüglichkeiten.

»Okay. Die Suppe koch ich extra für dich, dauert alles ein bisschen, wird auch ein bisschen teurer.«

»Kein Problem. Geld spielt keine Rolle, solang du mich nicht bescheißt, also mach.«

»Non c’è problema, ich lass dir alles bringen. Name, Adresse?«

»Commissario Lucarelli, Allmandinger-Hof in Weil, findet ihr den?«

»Certo, Signor Commissario

So, das Zweitwichtigste war gemacht, und das Wichtigste war, noch einmal nach der Katharina zu sehen, und sie hat geschlafen, was gut war.

Der Matteo hat sich wieder an den Computer gesetzt und der Katharina ihr schwarzes Notizheft aufgeschlagen. Bei Gelegenheit wird er daran denken müssen, ihr italienische Moleskine-Hefte zu besorgen, einen ganzen Karton, die mit den Linien.

Akkurat hat sie hinten im Heft die Adressen derer notiert, deren Namen sie ihm genannt gehabt hat. Sabine von Hohenstein aus Süchting, zum Beispiel, und die Garage vom Hafner Andreas, am Ortsrand von Halling, in der der Jaguar XKR gestanden ist. Er hat alle relevant scheinenden Namen und Nummern in sein iPhone kopiert, die Adressen in Google Earth herausgesucht und sich, weil die Katharina keinen Drucker gehabt hat, die Screenshots dazu mit den Wegbeschreibungen auf sein Telefon gezogen, weil die Internetverbindung übers italienische iPhone hat er in Weil nicht hingekriegt.

Bis es schließlich an der Tür geklopft und der Pizzadienst das Essen gebracht hat, inklusive zweier schöner Wein- und Wassergläser. Er hat dem Lieferanten noch ein Trinkgeld gegeben.

»Danke, Commissario, schönes Auto, nebenbei.«

»Richte deinem Chef einen Gruß aus, ich bin zufrieden.«

»Mach ich. Die Suppe muss noch einmal aufs Feuer, kleine Flamme, nicht kochen, für 15 Minuten, soll ich Ihnen bestellen.«

»Alles klar, ciao, buona sera

Kaum war alles vorbereitet, Essen und Trinken zwischen den Laptops ausgepackt und die Suppe auf dem Herd, da ist der Doktor Lechner dahergekommen. Recht viel Zeit hat er sich gelassen, alle Achtung, dafür, dass laut Google Earth die Entfernung zwischen seiner Praxis und dem Allmandinger-Hof nur knapp 4 km beträgt. Drei Stunden hat er gebraucht. Es war schon Nachmittag.

»Doktor Vincent Lechner«, hat er sich vorgestellt und dem Lucarelli die Hand gegeben. Ein fester, bestimmter Händedruck. Einer, der zupackt. Wo die Patientin ist, hat er auf Englisch gefragt. Der Matteo hat ihn hinaufgeführt und die Katharina sanft geweckt.

»Frau Berger, Lechner«, hat der Doktor sich vorgestellt, während er seinen Arztkoffer geöffnet, auf der Bettkante Platz genommen und ihr die Hand auf die Stirn gelegt hat.

Der Matteo hat sich an der Katharina ihre andere Seite gesetzt und aufmerksam zugesehen. Den Arzt gemustert.

Der Dr. Lechner war ein hochgewachsener, gut aussehender Endvierziger, dunkles Haar, grau durchsetzt, perfekter Schnitt, geschmackvoll gekleidet mit einem teuren Anzug, nichts von wegen Arztkittel, und ohne seinen edlen Arztkoffer hätte man ihm seinen Beruf auch nicht angesehen. So ein Modell, wie sie es früher gehabt haben, die Ärzte, aber auf den ersten Blick hat der Matteo erkannt, dass dieser Koffer neu und handgearbeitet war. Und an der ganzen Art von dem Doktor hat er ablesen können, dass der Geld hat, vielleicht mehr, als ein Allgemeinarzt auf dem Land verdienen kann. Man erkennt es, wenn man in derselben Liga spielt.

Der Doktor hat sehr akzentuiert und sauber gesprochen, so dass sogar der Lucarelli das Gefühl gehabt hat, ein wenig Deutsch zu verstehen. Außerdem hat er eine melodische tiefe Stimme mit einem sehr beruhigenden Tonfall gehabt, perfekt für einen Arzt. Der Matteo hat sich für einen Moment all die Frauen vorgestellt, die Patientinnen, die irgendwelche Krankheiten simulieren, nur um zum Dr. Lechner in die Sprechstunde kommen zu dürfen. So einer wie der Lechner kann durchaus zu einer Belastung für die allgemeinen Krankenkassen werden.

»Frau Berger, erinnern Sie sich?«, hat der Dr. Lechner gefragt, während er ihren Blutdruck gemessen hat. »Ich habe Sie letzte Woche schon einmal besucht. Nach Ihrem Kollaps. Sie waren kurz wach, erinnern Sie sich?«

»Ich glaube, ja«, hat sie leise geantwortet. Sein Gesicht ist ihr bekannt vorgekommen, wenn nicht sogar vertraut.

»Sie hatten – haben – eine Commotio cerebri, eine Gehirnerschütterung. Normalerweise vergehen Folgen wie Kopfschmerzen nach wenigen Tagen. Wenn man sich jedoch, wie Sie, vom Krankenbett losreißt, ohne auf eine Genesung zu warten, können sich diese negativen Begleiterscheinungen länger hinziehen. Wann sind Sie raus?«

Der Matteo war froh, wenigstens die medizinischen Fachbegriffe zu verstehen. Soll noch einmal einer sagen, Latein oder Altgriechisch wären sinnlos.

»Donnerstag.«

Der Dr. Lechner hat genickt. »Das war dann aber erstaunlich früh. Oder haben Sie sich unvernünftigerweise am Ende selbst entlassen?« Er hat sie erwartungsvoll angeschaut, um ihre Bestätigung zu hören.

»Kann sein, ich weiß nicht mehr, es war wegen dem Fall, den ich bearbeite.«

Er hat ihr mit einer Lampe in die Pupillen geleuchtet, die wichtigsten Reflexe getestet und nach Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinsstörungen und neurologischen Ausfällen gefragt.

Der Katharina hat der schmerzende Kopf geschwirrt, und sie hat recht einsilbig geantwortet mit ja, nein, kann schon sein und weiß nicht, aber eigentlich hat sie die ganze Zeit nur gedacht: Lasst mich einfach in Ruhe.

Am Ende der Untersuchung hat der Dr. Lechner mit dem Matteo gesprochen, mit Gesten und einem ordentlichen Englischvokabular. Sie brauche Ruhe, er schreibe sie die ganze Woche krank, keinesfalls solle sie sich mit ihrer Arbeit befassen. Er, der Lucarelli, solle sie gut beobachten und, wenn sich irgendwas verschlimmere, trotz der verschriebenen Schmerzmittel die Kopfschmerzen anhielten, Bewusstseinsstörungen oder neurologische Ausfälle einträten, sofort mit ihr in die Notaufnahme der Neurochirurgie in die Mühldorfer Klinik fahren, die 2092 nach Mühldorf, nach der Innbrücke rechts, dann links, ganz einfach. Ob er alles verstanden habe?

Seh ich aus wie ein Trottel, Signor Medico? Ja, alles verstanden.

Der Dr. Lechner hat mit einem mobilen Scanner der Katharina ihre Karte eingelesen, ein Rezept und ein ausgefülltes Überweisungsformular dagelassen und empfohlen, dass sie auf alle Fälle in den kommenden Tagen zur Kontrolle in die Neurochirurgie gehen soll, um, nur zur Sicherheit, ein MRT machen zu lassen.

Und dann ist er dem Matteo nach unten in die Küche gefolgt. Hat ihm gesagt, dass er froh sei, dass der Matteo sich jetzt um die Katharina kümmere, und wie gut es in solchen Situationen sei, wenn man jemanden aus der Familie dahabe.

Der Matteo hat nach der Suppe geschaut, während der Dr. Lechner ihm noch ein bisschen was erzählt hat, zum Thema Familie, smalltalkmäßig, als hätte er alle Zeit der Welt. Der Matteo hat sich aus Freundlichkeit nach der Familie vom Herrn Doktor erkundigt, weil er irgendwie gespürt hat, dass der keine eigene Familie hat. Weil wenn einer einem Fremden Privates erzählt, dann oft, weil er daheim niemanden hat, dem er was erzählen kann.

Eine Schwester hat der Doktor noch gehabt, die habe den Tod des Vaters nicht so gut verkraftet. Die Mutter sei auch vor einigen Jahren verstorben. Nach dem Tod der Eltern habe sich seine Beziehung zur Schwester noch verbessert, sie seien heute sehr eng miteinander. Innige Liebe könne es ja auch zu Familienmitgliedern geben, gerade wenn der Rest der Familie schon verstorben sei und die Eltern nicht immer einfach gewesen seien. So der Dr. Lechner.

Der Matteo hat kurz an seine Schwester Francesca und seine verstorbenen Eltern gedacht und den Lechner da schon verstanden.

Ein Anruf auf dem Dr. Lechner seinem Handy hat die Familiengeschichten dann aber abrupt beendet, und er hat sich danach recht schnell vom Matteo verabschiedet, der ihn noch auf den Hof begleitet hat, wo er in seinen Pseudo-Geländewagen gestiegen und zum nächsten Hausbesuch losgestartet ist.

Und weg war er.

Und dann hat der Lucarelli all das gute Essen hinaufgetragen und angefangen, die Katharina gegen ihren Willen zu füttern. Mit der Suppe, die wirklich hervorragend war, einen Löffel sie, einen er, einen sie, einen er.

»Bottarga?«

»Was ist das?«, hat sie mit schwacher Stimme gefragt.

»Probier es. Fischrogen, gesalzen und gepresst.«

»Ich weiß nicht.«

»Fisch ist perfekt für dich.«

Und die Pizza, und Acqua Panna.

Ungefähr eine Stunde Überzeugungsarbeit hat er gebraucht, bis er ein wenig Essen in sie hineinbekommen hat. Wie elend sie ausgesehen hat. Wie er sie liebte. In diesem Moment und in jedem anderen.

»Hey, commissaria – werd mir wieder gesund.«

»Mach ich, Lucarelli.«

 

Was der Lucarelli und die Katharina zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst haben: dass das mit dem Gesundwerden gar nicht so einfach war.

Und was sie zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht gewusst haben und was auch der Brunner Josef in seiner Pressemitteilung, die er genau in diesem Moment im Polizeipräsidium in Mühldorf verlesen hat, zurückgehalten hat, waren die Ergebnisse vom Moser Rudi die Beweisstücke betreffend, die die Katharina vor exakt einer Woche in einem silberfarbenen Jaguar XKR sichergestellt hat. Und die die Katharina brennend interessiert hätten – wäre sie nicht gerade eben wieder mit ihren furchtbaren Kopfschmerzen eingeschlafen.

Aber der Brunner hat ja versprochen gehabt, gegen Abend noch bei ihr vorbeizuschauen, und da ist es ihr gerade wieder ein bisschen besser gegangen, weil der Matteo am Nachmittag noch ihr Rezept eingelöst hat in der Apotheke und sie dann eine ordentliche Dosis Metamizol zu sich genommen hat. Danach ist er noch einmal losgefahren zum Einkaufen, wobei er sich beeilt hat, um die Katharina nicht zu lange allein zu lassen. Er ist zum Metzger Harlander und ist da gleich nett auf Englisch begrüßt worden. Dass er irgendwie der Mann von der Berger Katharina ist, das hat bereits die Runde gemacht gehabt, und dass sie krank ist, auch, und dass er als fürsorglicher Ehemann deswegen extra aus Italien angereist ist. Und deshalb hat der Harlander, der wegen seinem verdorbenen Fleischsalat ja eh noch ein mords schlechtes Gewissen gehabt hat, dem Signor Lucarelli ein superfrisches Rinderfilet zu einem Spottpreis überlassen, dass die Kunden im Laden nur noch getuschelt haben vor Neid, warum denn da so a Zuagroaster so eine Vorzugsbehandlung kriegt, und sie als alte Kunden, respektive Kundinnen, nicht. Beim Bäcker Pallinger hat der Matteo dann einfach das hellste Weißbrot gekauft, und falsch machen hat er da nichts können, weil der Pallinger hat noch selber gebacken, und außerdem hat der die Geschichten über die kleine Berger und ihren Italiener auch schon gewusst und dem Matteo aufgetragen, ihr einen schönen Gruß und gute Besserung auszurichten, was der Matteo aber nur so sinngemäß verstanden hat.

Da hast du ja gleich ein ganzes Dorf, das sich um dich kümmert, und genau dasselbe Dorf kümmert sich einen Dreck um einen verschwundenen Jaguarsammler. Schon seltsam, hat sich der Matteo gedacht. Die mögen den Jaguarsammler alle nicht recht.

Dann ist er, zu Trainingszwecken und um seinen BMW mal wieder ordentlich auszufahren und in aller Ruhe eine Oper auf voller Lautstärke zu hören, cinque, dieci, venti, trenta, trentasei, quarantatré, die Strecken abgefahren, die er sich herausgesucht hatte. Über Mühldorf, wo er in einem kleinen Bioladen Gemüse und Obst gekauft hat, nach Halling, an der Auffahrt von der Autowerkstatt vorbei, die Stall-Garage hat er am Ortsausgang passiert, und dann ist er über Altötting nach Süchting gerauscht. Die Tierarztpraxis hat im Vorbeifahren tatsächlich so ausgesehen, wie die Katharina sie beschrieben hat. Dann hat sich der BMW vom Matteo mit ein paar landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen auf der kleinen Landstraße zurück nach Weil eine Art Slalomrennen geliefert, cinque, dieci, venti, trenta, trentasei, quarantatré, gewonnen hat der BMW, und alla fine hat der Wagen samt Fahrer für 70 km Überlandstrecke inklusive einkaufsbedingten Pit-Stops etwa eine Dreiviertelstunde gebraucht, und das am späten Nachmittag, wo der Verkehr recht üppig ausfällt.

Als der Matteo die Einkäufe in die Austragshäuslküche getragen hat, ist die Katharina schon wieder recht munter am Tisch gesessen und hat telefoniert.

Er hat alles abgestellt, sich zu ihr hinuntergebeugt und angefangen, sie überall zu küssen, wo er hingekommen ist, und sie damit dermaßen zu belästigen, dass sie ihr Telefonat ganz schnell zu Ende bringen hat müssen.

»Wer war das?«, hat er dann gefragt.

»Also, weißt du! Ich höre extra mit dem Telefonieren auf, weil du so aufdringlich bist – und jetzt hörst du auf?« Und dann hat sie so schön gelacht, dass er gewusst hat, es geht ihr wieder viel besser, und er hat schon kurz überlegt, ein dickes Dankesschreiben an diverse Pharmafirmen aufzusetzen.

»Na, also, wer war das?« Er hat sie wieder ein bisschen bedrängt, bitte, wenn sie schon wollte, er wollte ja auch, und sie ist nach hinten gesunken auf ihrer harten Holzbank und er auf sie, zwischen ihre angewinkelten Beine, ein schöner Platz eigentlich.

»Mit wem hast du telefoniert? Muss ich am Ende eifersüchtig sein?«

»Unsinn, Lucarelli. Das war die Jolli, meine polnische Putzfrau.«

Jetzt hat der Matteo innegehalten in seiner Zudringlichkeit, sich abgestützt und die Katharina ernst angesehen.

»Du weißt, dass der Arzt gesagt hat, du sollst den Fall ruhen lassen, wenigstens für eine Woche.«

»Und du weißt, dass so was nicht funktioniert!«

Und jetzt hat sie ihn ganz böse angesehen, und er hat ihr Nachthemd hochgeschoben, und seine linke Hand ist über ihre Haut geglitten, über ihren Bauch, mit dieser feinen Narbe von der Schussverletzung, und über ihre Brust, und mit der rechten hat er sich abgestützt auf der Bank.

»Und?«

»Und was?«

»Was wollte sie? Oder nein, lass mich raten, natürlich hast du angerufen, und was wolltest du?« Und seine Hand ist wieder tiefer gewandert.

»Ich wollte, dass sie zum Putzen kommt.«

»Ich kann für dich putzen. Ich kann alles. Pulire … Scopare …« Und seine Hand zwischen ihren Beinen. Ganz langsam. Ganz ruhig.

»Das weiß ich, Matteo.« Sie hat ein bisschen unregelmäßiger und schneller als vorher geatmet.

Und seine Finger. »Ich will dich.«

»Und ich wollte die Jolli fragen … nach Jurek Pawliczyk.«

»Und ich will dich jetzt

Und die Katharina hat ganz leise gestöhnt, als er wieder auf sie gesunken ist, vielleicht auch wegen seiner Finger, die genau am richtigen Platz waren, um seinem Wollen Nachdruck zu verleihen und sie willenlos zu machen. Und sie hat ihm ins Ohr geflüstert. »Ja, dann …«

Ja, dann hat es geklopft und amore finito, der Brunner ist vor der Tür gestanden.

»I hoff, i stör grad ned«, hat er die Nachthemd-Katharina begrüßt, die ein bisschen zerzaust vor ihm gestanden ist, ein bisschen rot im Gesicht, der Matteo einen halben Meter hinter ihr, auch er hat ein bisschen zerwühlt und ein bisschen verschämt ausgesehen.

»Naa, gar ned, kimm eina.«

Während der Matteo dann am Herd gewerkelt hat, um das Abendessen zuzubereiten, sind der Brunner und die Katharina um den Tisch herum gesessen, und der Brunner hat von dem nachmittäglichen Pressetermin erzählt und von den Ergebnissen vom Moser Rudi.

Mit den Beweisstücken hat es sich wie folgt verhalten: Das Taschentuch hat der Django zum Schneuzen und Mundabputzen benutzt. Die Altmann Clara hat bestätigt, dass ihr Sohn am Wochenende vom 25., 26. Juli verschnupft gewesen ist, eine Sommergrippe, die die Kinder in dem Alter ja oft einmal haben. Auch der Kassenzettel war interessant, das Blut darauf war identisch mit dem Blut auf der Motorhaube vom weißen Jaguar. Polnisch im Sinne von zum Jurek Pawlizcyk passend, aber auch Blut vom Altmann Thomas, auf beidem, Motorhaube und Quittung.

Jetzt hat der Brunner eine seiner typischen Spannungspausen eingelegt. Und die Katharina hat es nicht gleich kapiert. Der Matteo noch weniger, aber er hat es ja nicht einmal verstanden wegen der hundertprozentigen Sprachbarriere zwischen ihm und dem Brunner und eigentlich ja allem, was deutsch war. Die Katharina würde es ihm später noch übersetzen, aber im Moment war da wieder das Buch mit den sieben Siegeln, da hat er sich lieber auf das Rinderfilet konzentriert. Das hat er nämlich gut können.

»Oiso vermutlich a Schlägerei zwischen dem Pawliczyk und dem Altmann. Irgendwo zwischen die Autos, die zum sejben Zeitpunkt am sejben Ort gwen sei miassen. Der Bua ist zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich im Auto gesessen. Aber jetz, ganz komisch. Die zwoa Zigaretten. So a Zigrettn hat a ziemlich starke Aussagekraft.«

Wieder eine Pause.

Ob er zum Essen bleibt, der Brunner, hat der Matteo wissen wollen, und die Katharina hat ihn gefragt.

»Naa, i wuj eich ned störn, i mach eich des Ganze nur unromantisch, mit so am Oidn wia mi …«

»Ah, Josef, jetz dua ned bleed!«

»Naa, i verzoj dir des jetz no schnoj z’End, und dann habts mi los.«

»Mei, wennst ned wujst.«

»Oiso, wo war i? Ah ja, die Zigrettn …«

Der Brunner hat also jetzt erst einmal darüber referiert, was für Schadstoffe in einer Zigarette stecken: Essigsäure, Stearin, Toluol, Ammoniak, Methanol, Cadmium und lauter Gifte, bei denen sogar ein Nikotinsüchtiger sofort zum Nichtraucher wird, wenn er sich die einmal vor Augen führt. Aber den Kippen aus dem XKR war außerdem auch noch jede Menge Arsen zugesetzt, also hat der Moser Rudi aus Erfahrung und mit Sicherheit sagen können, dass es sich um Zigaretten aus polnischer Produktion gehandelt hat.

Jetzt hat sich der Brunner erlaubt, ein bisschen abzuschweifen, und hat der Katharina erzählt, dass der Hafner ihn mittags herum angerufen hat, weil er wissen wollte, wie es ihr geht, wo sie doch in der Früh in seiner Werkstatt fast umgekippt ist. Und als der Brunner ihm ausgerichtet hat: Alles bestens, sie ist daheim und in guten Händen, hat der Hafner Andreas vor Erleichterung weitererzählt. Und zwar, dass die Katharina zusammen mit ihm letzte Woche in seiner Garage einen gewissen silbernen XKR vom Altmann untersucht hat.

Die Katharina hat durchaus gemerkt, dass der Brunner ein ganz kleines bisschen angefressen war, weil sie ihm das verschwiegen gehabt hat.

Sie hat jetzt nur stumm genickt, war aber irgendwie froh, dass der Hafner das von sich aus dem Brunner erzählt hat. Das hat ihn wieder ein wenig unverdächtiger gemacht. War schon nicht blöd, der Hafner. Im Gegenteil, durchaus geschickt, der hätte genauso gut bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken können.

»Des hättst scho verzojn derfa, wo genau du den Karrn mit dene Beweisstücke drin gfunden hast …«, hat der Brunner gemeint. Und weitererzählt: »Oiso guad. Mir sand hiegfahrn, der Moser und i, zum Tandler, habn den Karrn an Ort und Stelle aufgmacht, Fingerabdrücke in Hülle und Fülle gsichert, und außerdem no was.«

»Was?«

»Mir ham festgstojt, dass in dem Karrn außer dem Altmann Thomas und seim Buam no a Person gsessn is, und a Pawlizcyk war des ned. Besser gsagt, der Moser hat des durch sei Spurensicherung festgstojt. Die Hautschuppen auf der Rückbank und die, die wo auf den Zigarettenkippn waren, die sand identisch. Und in a paar Stund wissma aa, wem die ghern. An am Zigrettenfilter bleibn ojwei Hautschuppen pappen, weil der recht trocken is, außerdem Speichelreste. Oiso – wennst irgendwo dawischt werdn wujst, lass a Kippn fojn.«

Und mit diesen Worten hat sich der Brunner erhoben.

»Du, Josef, bevorst gehst – war des ojs, was in dem XKR drin war?«

»Ja, glangt dir des ned?« Der Brunner hat nur den Kopf geschüttelt.

»I moan, habts ihr die Verkleidung innen aufgmacht, da wo normalerweise Hohlräume sand, woaßt scho, für Airbags, an den Türen et cetera?«

»Naa, wiaso?«

Die Katharina hat nur müde gelächelt. »Da fahrts jetz in dersejben Besetzung no amoi hie und sagts am Hafner Andreas an scheena Gruaß vo mir, weil sei Polen-Connection hat auf jeder Jaguarfahrt jeden Hohlraum mit Schmuggelware ausgefujt.«

Jetzt war der Brunner baff. »Woher woaßt’n des scho wieder?«

»Ja, i hab doch mit Polen telefoniert – heit in der Friar, vom Hafner aus –, und der Karol Pawliczyk hat a bisse was verzojt. Oiso mehr o’deit. Und bevorst mi fragst – der Karol hat zwoa Briada, des hoaßt, wahrscheinlich nur no oan, den Wieslaw, weil der Jurek, der hat si in den Derdorfer Weiher abgsetzt. Aber ob der Sachverhalt dem Karol bekannt is, des woaß i ned, weil ojs ko sejbst i ned wissen.«

Da hat der Brunner gelacht und gesagt: »Dafür, dass d’ heit eigentlich gar ned zum Dienst erschienen bist, hast aber vui in Erfahrung bracht. Weiter so, Kathi – aber, i bitt di – setz mi in Zukunft vo sojche Ergebnisse zeitnah in Kenntnis. A ja, und außerdem.« Er hat sie noch einmal halb streng angeschaut, weil eigentlich war er zu stolz auf sie, um streng zu sein. »Schon di a bisse. Ned, dass du auf die Idee kimmst, da heit auf d’Nacht mitzumfahrn.«

»Naa, heit nimmer«, hat die Katharina nach einem flüchtigen Blick auf den Matteo versprochen. »Solang du, Josef, mi zeitnah über des Ergebnis von eurer Suche in Kenntnis setzt.«

Da haben sie beide gelacht, und der Brunner hat hoch und heilig versprochen, dass er das tun wird, und nach dem Verabschieden hat er noch im Hinausgehen den Moser Rudi angerufen, um mit ihm ein weiteres Date beim Hafner und beim Altmann seinem XKR auszumachen.

So hat ein jeder seine Verabredungen am Montagabend, die einen finden hinter der Innenverkleidung von einem versteckten Auto Hunderte von sauber verpackten Zigarettenschachteln, die billig in Polen hergestellt worden sind, um teuer in Deutschland verkauft zu werden, und die anderen finden kaum mehr Zeit, ihr Abendessen zu essen, weil sie nicht mehr darauf warten können, da weiterzumachen, wo sie zuvor gestört worden sind, und dann geht das ausnahmsweise auch mal zwischen dem Essen auf dem Küchentisch, egal, ob die Weingläser dabei runterfallen und sie in San Pellegrino baden, romantisch war es trotzdem im Schein all der brennenden Kerzen um sie herum.