27 Grad waren es immer noch, und über Rom hatte sich ein Sternenhimmel gebreitet, dass man sich hätte fragen können, wie so ein schwaches Leuchten längst verglühter Himmelskörper überhaupt den Großstadtsmog durchdringen kann.
Matteo Lucarelli war noch ganz bewegt und ergriffen von der Vorstellung, als er auf die Via delle Terme di Caracalla trat, über die sich riesig die Pinien zu beiden Seiten des Straßenrandes aufschirmten. Stimmen, Lachen, das Hupen der Taxis, die Luxuskarossen, die die Ehrengäste einsammelten, um sie zu ihren Dinnerreservierungen zu fahren. Die Terme di Caracalla waren ein würdiger Hintergrund für die Werke großer Komponisten.
Wie ›Carmen‹, das sie diesen Spätsommer dort gaben. Gott sei Dank hatte er vor Monaten schon geistesgegenwärtig die Tickets geordert, da war schon fast alles ausgebucht gewesen. Große Musik vor fantastischer Kulisse unter offenem Himmel in der Ewigen Stadt.
Das zweite Ticket hatte er demonstrativ verfallen lassen wollen, aber dann hatte Francesca angerufen, sie sei in der Stadt, l’urbe, wie der Römer auch heute noch genauso stolz sagt wie vor 2000 Jahren, leider nur für ein paar Tage, dann müsse sie wieder zurück nach Genf. Ob er Zeit habe? Aber ja, er hatte nicht nur Zeit, sondern auch zwei Operntickets, ob sie Lust habe? Aber sicher, immer ein Vergnügen, Matteo zu beobachten, wie er sich von einer Oper verzaubern ließ, certo, ich komme mit, und kein Problem, du kannst gerne bei mir übernachten, es sei denn, du ziehst den Zimmerservice in einem Hotel vor? Francesca, lieber einen starken Caffè frühmorgens bei dir.
Dass sie immer noch ihre teure Wohnung an der Piazza di Santa Maria in Trastevere hielt!
In Ordnung, eine wunderschöne Wohnung, tolles Ambiente, und die Lage, man kann nichts sagen. Aber als Zweitwohnsitz ein gewisser Luxus, wenn man sie selten nutzt, wie Francesca es tat.
Francesca war immer eine schöne Ablenkung, immer gut gelaunt, immer so voller Leben, keine Ahnung, wie sie das machte, als Richterin, die über so viel Unrecht urteilen musste, so positiv den Menschen und dem Leben entgegenzutreten.
Eigentlich hatte er gehofft, hatte er sich vorgestellt, hatte er geplant – nun ja, was soll’s.
Also hatte er Francesca eingeladen.
›Carmen‹ hinterließ bei Lucarelli stets ein Gefühl der Befreiung. Befreiung, egal, was sie koste, und koste sie das Leben, die Liebe. Befreiung. Freiheit.
Obwohl Carmen ein furchtbares Ende findet und Don José aufgrund verschmähter Liebe dieses Ende durch einen Dolch selbst herbeiführt. Tragisch im Grunde! José liebt Carmen, aber ihr ist die Freiheit wichtiger, und sie wirft ihm seinen Ring vor die Füße, was für eine Geste.
Lucarelli stellte sich Katharina als Carmen vor, aber das Leben war keine Oper, und eine Beretta war kein Dolch, aber es schmerzte genauso sehr. Was half da besser, als sich mit Francesca noch ins Nachtleben in Trastevere zu stürzen?
Sein Handy hatte er der Oper wegen lautlos gestellt, und anschließend hat er auch nicht mehr aufs Display geschaut, ob ihm irgendein Anruf entgangen sein könnte.
Stattdessen haben ihn Francescas Geschichten und der Wein des »Ristorante Sabatini« einen wunderbaren Abend lang von seinem Kummer befreit.