Der ist im selben Moment auf seiner Dachterrasse gesessen, hat über den üppigen Oleander in den Terracottatöpfen am Terrassenrand geschaut und über ganz Massa Marittima und bis zum Meer hinuntersehen können in dieser typisch toskanischen wolkenlosen Nacht, es war halb elf und hatte noch immer 22 Grad. Ein Sternenhimmel über ihm, zum Träumen.
Aber nicht zum Träumen war, dass ihn diese Frau schon wieder telefonisch versetzt hatte!
Fünfmal am Tag checkte er seine E-Mails, aber nichts. Er hatte schon ein paar Zeilen an sie aufgesetzt, aber noch unter Entwürfe gespeichert.
E-Mail-Regel Nummer eins: Schreibe nie etwas im Affekt!
Lass es lieber ein paar Tage ruhen, schreibe immer mal wieder um, und im Zweifelsfall: In den Papierkorb damit, weil der Text nach drei, vier Tagen vermutlich ohnehin veraltet ist. Und genau das hatte er gemacht.
Und jetzt war er viel zu stolz, sie anzurufen. Denn sie war dran.
Am Montag, als er sie angerufen hatte, unvermittelt am Vormittag, da war er so entschlossen gewesen. Manchmal muss man einer spontanen Eingebung einfach folgen.
Nie im Leben hätte er gedacht, dass ihm noch einmal eine Frau des Lebens begegnen würde. Nicht nach Lavinias Tod. Zehn lange Jahre nur Lavinia in seinen Gedanken, in seinem Herzen, in seinem Leben, obwohl sie tot war, vielleicht, weil sie tot war. Sie war nach einer langen und elenden Krebserkrankung gestorben, und er hatte an ihrer Seite gekämpft. Bis zum Schluss. Aber er war immer noch da.
Zehn lange Jahre das Spiel mit den Frauen, aber keine, die auch nur annähernd Lavinias Rang hätte erreichen können. Dürfen.
Santa Lavinia.
Und dann war Katharina in seinem Leben aufgetaucht. Katharina in ihrer verschwitzten Wäsche, Katharina in ihrem weißen Kleid, mit ihren langen blonden Haaren und diesen tiefdunklen Augen, und immer eine Sorgenfalte zwischen den Brauen. Ihr Geruch nach Jasmin und wie sie Pizza isst, sie zieht erst einmal den Käse herunter und den ganzen Belag, und den Rand lässt sie über. Er liebt den Pizzarand. Und dann Katharinas Blut zwischen seinen Fingern. Katharina, die kein Eis isst, aber diese furchtbaren Eiswaffeln liebt, die er wegwirft. Katharina, die keine Kinder bekommen wird. Seinetwegen.
Katharina, an der alles perfekt war.
Alles.
Außer – dass sie machte, was sie wollte, und nicht, was er sich gewünscht hätte.
Seit sie fort war, seit sie wieder nach Deutschland gegangen war, fühlte er sich leer und müde. Zuerst hatte er sich eingeredet, dass diese Fernbeziehung funktionieren und man zweimal im Jahr ein paar Wochen miteinander irgendwo verbringen und in dieser Zeit alles aufholen würde.
Aber das klappte nicht, es machte ihn verrückt. Er war unkonzentriert, konnte nicht mehr denken, nicht mehr arbeiten.
Es gab überhaupt nur eine Lösung, und nachdem er das ganze Wochenende mit Nachdenken verbracht hatte, hatte er sich Montagmorgen entschlossen.
Er wollte sie anrufen.
Und ihr seine Liebe gestehen und mehr: Ich will dich. Komm zu mir zurück und nimm mich, der so dämlich war, dich einfach gehen zu lassen. Wenn ich manchmal kühl war, verzeih mir. Du hast mich befreit von den Geistern meiner Vergangenheit, und ich will den Rest meines Lebens neben dir aufwachen.
So oder so ähnlich.
Aber leider, leider klappt es am Telefon nie so, wie man es sich vorher zurechtlegt.
Wirklich nie.
Sie hatte ihn nach ein paar oberflächlichen Floskeln wissen lassen, es sei gerade ungünstig, weil jemand da sei und sie an der Pforte, und: Ich ruf dich später zurück, ti richiamo dopo, occhei? – Ja. Sicher. – Okay, bis später. Ciao. – Katharina, warte! – Was ist?
Wie blöd kann man sein, Matteo, sag es ihr, frag sie, frag sie nicht, am Telefon ist das einfach bescheuert, unromantisch von hinten bis vorne, und warum ist sie schon wieder so kurz angebunden? – Nichts. Es ist nur …
(Ich. Liebe. Dich.)
… Du fehlst mir. Bis dann. – Du bist … süß. Ich ruf dich zurück.
Aber sie hatte nicht zurückgerufen, keine Mail, noch nicht mal eine SMS. Und jetzt war schon Donnerstagnacht. Und er saß da, neben ihm eine leere Flasche Merlot, ein kleiner Rest Wein in seinem edlen Kristallglas, das er auf der schmalen Steinbrüstung der Dachterrasse abgestellt hatte. Sein iPhone lag daneben, er gab ihm einen leichten Schubs, so dass es sich um die eigene Achse drehte auf seiner abgerundeten weißen Gehäuseschale, und fing es im letzten Moment auf.
Jetzt war er stolz und gekränkt und eifersüchtig und enttäuscht und all das, was sich manchmal in eine Beziehung frisst.
Er schob das Kristallglas mit seinem linken Zeigefinger ganz langsam über die Steinbrüstung, bis es kippte, ins Nichts fiel und vier Stockwerke unter ihm auf dem Steinpflaster der Altstadtgasse in tausend Stücke zerbarst.