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Ich befolgte Vivians Rat und machte mich auf die Suche nach meiner Schwester.
Ich beantragte längst überfälligen Urlaub. Weder mein direkter Vorgesetzter noch die Nazi-Roboter in der Personalabteilung machten irgendwelche Schwierigkeiten. Aber ich sah ihre ausweichenden Blicke, als ich die Formulare abgab und meine vagen Pläne erläuterte. Meine Tage bei Hyf waren gezählt. Zur Hölle damit.
Ich fuhr nach Norden. Das Autoradio war auf den Nachrichtenkanal eingestellt und lief die ganze Zeit. Hauptthema des Tages – neben Sport und den nutzlosen Verkehrsmeldungen – war zweifellos die Kuiper-Anomalie. Vollauf von meinen eigenen Angelegenheiten in Anspruch genommen, hatte ich gar nicht bemerkt, mit welcher Geschwindigkeit sich diese Geschichte weiter im öffentlichen Bewusstsein ausgebreitet hatte.
Gegen zehn Uhr abends war ich in Manchester. Ich fuhr zu dem Hotel im Stadtzentrum, in dem ich schon beim letzten Mal abgestiegen war. Ich parkte sogar den Wagen. Aber ich stieg nicht aus. Mir fiel wieder ein, was Vivian gesagt hatte: Du musst die abgerissenen Verbindungen wieder herstellen. Hier war ich am falschen Platz.
Ich wendete und fuhr zum Stadtrand hinaus. Die Hotelreservierung sagte ich per Handy ab.
Vor dem Haus meines Vaters hing die Tafel eines Immobilienmaklers. Es war mir unangenehm, Peter zu stören, aber als ich an seine Tür klopfte, war er wach – ich hörte das Summen der PC-Lüfter; vielleicht arbeitete er –, und er war gern bereit, mir den Schlüssel zu geben. Ich sperrte auf und betrat Dads Haus. Drinnen war es warm und sauber, aber die Möbel waren natürlich fort; irgendwie hatte ich es mir nicht so recht vorstellen können. Helle Stellen auf der Tapete verrieten, wo jahrelang die Möbel gestanden hatten. Selbst dem leeren Haus gelang es noch, muffig zu riechen.
Zu meinem Verdruss klopfte ich schließlich wieder an Peters Tür. Ich borgte mir einen Schlafsack, ein Kissen und eine Thermosflasche mit Tee und verbrachte die Nacht auf dem dicken Teppich meines alten Zimmers. Eingelullt vom Geräusch ferner Züge in der Nacht, schlief ich in der vertrauten Umgebung so gut wie schon seit Jahren nicht mehr.
Um acht Uhr früh tauchte Peter auf. Es war ein heller, frischer Morgen, und der Himmel war tiefblau. Peter brachte Seife, Handtücher, ein Glas Orangensaft und eine Einladung zum Frühstück drüben bei ihm mit. Ich nahm an, schwor mir aber, gleich anschließend einkaufen zu gehen.
Peters Haus stand auf der anderen Straßenseite und war ein Spiegelbild meines Elternhauses; die Treppe und die Zimmer waren auf unheimliche Weise von links nach rechts versetzt. Ich betrat es mit einer gewissen Beklommenheit: Dies war schließlich das Reich von Peter, dem einsamen Spinner. Nun, soweit ich sehen konnte, waren die Wände mit einer schlichten, nichts sagenden Pastellfarbe gestrichen, unter der sich alte Tapeten verbargen. Die Möbel wirkten ein bisschen alt und waren sicherlich nicht modern, aber auch keineswegs schäbig. Überall waren Bücherregale, sogar in der Diele. Die Bücher schienen säuberlich, aber nicht zwanghaft geordnet zu sein.
Peter trug einen grauen Jogginganzug aus weichem Stoff und dicke Bergsteigersocken – keine Schuhe oder Pantoffeln.
Wir frühstückten in der Küche; es gab Müsli und Kaffee. Ich erzählte ihm, dass ich ihn im Fernsehen gesehen hatte, und wir sprachen über den Medienwirbel um Kuiper. Peter meinte, es habe alles mit positiver Rückkopplung zu tun.
»Es ist genauso wie bei dieser Marsgeschichte vor ein paar Jahren. Du weißt schon, wo sie fossile Bakterien in einem Meteoriten gefunden hatten…«
»Gefunden zu haben glaubten.«
»Und Clinton hat seinen Hosenstall lange genug zugemacht, um zu verkünden, dass die NASA Leben auf dem Mars entdeckt habe. Auf einmal war es überall. Die Story wurde selbst zur Story.« Das liege im Wesen der heutigen weltumspannenden Medien, erklärte er mir. »Die Zeiten, in denen die Nachrichten von ein paar Sendern, den großen Networks, kontrolliert wurden, sind längst vorbei. Jetzt gibt es CNN, Sky und Nachrichtenseiten im Internet: tausende von Nachrichtenquellen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Und sie behalten sich alle im Auge. Irgendwo erwacht eine Story zum Leben. Die anderen Sender verfolgen die Story und die Reaktionen und greifen sie auf…« Er war überaus vertraut mit diesen Dingen und redete häufig zu schnell; manchmal verfiel er in den Jargon der Spezialisten und gebrauchte Worte wie »Mediensphäre«. Er zeigte mir einen Zeitungsausschnitt aus dem Guardian, einen Kommentar, der die Seifenblase der Kuiper-Hysterie beklagte. »Es gibt sogar Nachrichten über Nachrichten, die selbst zum Teil der Story werden. Für gewöhnlich endet es dann mit einem Anfall von Selbsthass. ›Was diese Hysterie über unsere Gesellschaft aussagt.‹ Wirklich krankhaft. Aber es zeigt, in was für einer Welt wir heute leben. Wir sind alle eng miteinander verbunden, ob es uns gefällt oder nicht, und solche Rückkopplungsschleifen gibt es immer wieder.«
Eng miteinander verbunden. Aus irgendeinem Grund gefiel mir diese Formulierung. »Aber für dich war das Tamtam um Kuiper gut«, sagte ich.
»O ja«, sagte er. »Für mich war’s gut.«
Wir schenkten uns beide noch einmal Kaffee nach, dann führte Peter mich in sein Wohnzimmer. Vor einem großen, doppelt verglasten Panoramafenster lag ein leuchtend grüner Garten im weichen Licht des Herbstmorgens. Das Zimmer diente offenbar als Büro. Außer einem Hifi-Rack und einem Breitbild-Fernseher mit diversen Recordern und Set-Top-Boxen stand ein großer Tisch darin, der vollständig von Computertechnik eingenommen wurde: einem großen, allem Anschein nach leistungsstarken Desktop, einem Laptop, diversen Handhelds, einem Scanner, einem Joystick und anderen Gerätschaften, die ich nicht kannte. Der Desktop war eingeschaltet. Auf dem Schreibtisch und dem Fußboden stapelten sich Bücher und Printouts.
Es sah alles so aus wie bei einem zu Hause arbeitenden Freiberufler. Was fehlte, war Stilbewusstsein, und es herrschte ein gewisser Mangel an Zierrat und Dekoration – nirgends auch nur ein einziges Foto, zum Beispiel –, ein Mangel an Persönlichkeit.
Die einzige Ausnahme stellte der kleine Alkoven über dem Kamin dar. Bei uns zu Hause hatten meine Eltern darin alberne Souvenirs aufbewahrt – winzige Holzclogs aus Amsterdam, einen kleinen Eiffelturm, anderen Familiennippes. Peter hatte darin eine Reihe gusseiserner Spielzeugmodelle aufgestellt. Fasziniert fragte ich: »Darf ich?« Peter zuckte die Achseln. Ich nahm ein klobiges grünes Flugzeug heraus. Es war eine Thunderbird Two, schwer und metallisch-kalt. Ich drehte sie um und suchte nach den Herstellerangaben. Etwas klapperte in der Triebwerksgondel. An den Tragflächenkanten und an der Unterseite war der Lack abgeblättert und abgeschabt.
»Das ist ein echtes Dinky von 1967«, sagte Peter.
Ich barg es in meiner hohlen Hand wie ein Vogelküken. »Ich hatte nie so eins. Meine Eltern haben mir als Ersatz ein Plastikmodell zum Zusammenstecken besorgt.«
»Ohne abnehmbare Triebwerksgondel? Ich fühle mit dir.«
»Sie kannten sich halt nicht damit aus. Das hier muss einiges wert sein.«
Er nahm es an sich und stellte es wieder an seinen Platz. »Nein. Nicht ohne die Originalschachtel, und es ist nicht gerade in fabrikneuem Zustand.«
»Aber dafür heiß geliebt.«
»O ja.«
Ich ging zu dem großen, mit Geräten voll gestellten Tisch hinüber. Der Geruch eines Möbelpflegemittels stieg mir in die Nase, und mir fiel auf, dass das Thunderbird-Modell staubfrei gewesen war. Der Bildschirm des PC zeigte so etwas wie den Prototyp einer Website. Sie war komplex, überladen und teilweise animiert, mit rasch wechselnden Notenzeilen und einer Art binärem Code, den ich nicht kannte. Peter stand linkisch neben dem Tisch, die großen Hände um seine Kaffeetasse gelegt.
»Ist das deine Arbeit? – Peter, ich geb’s ja nur ungern zu, aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, was du jetzt so machst, nachdem du aus dem Polizeidienst ausgeschieden bist.«
Er zuckte die Achseln. »Nach der Beerdigung hattest du andere Sachen im Kopf.« Seine Stimme hatte einen gewissen Beiklang. Einen Subtext. Ich bin daran gewöhnt. »Aber dein Interesse ist erwacht, als du mich im Fernsehen gesehen hast. Das ist schon okay. Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt mit Webdesign – hauptsächlich Firmen-Websites – und Spieledesign.«
»Spiele?«
»Internetbasierte Multiuserspiele. Ich war immer gut in Computerspielen. Hängt mit der Fähigkeit zur Erkennung von Mustern in lückenhaften und disparaten Informationen zusammen, glaube ich. Hat auch einen guten Cop aus mir gemacht. Das und die Machtlosigkeit.«
»Machtlosigkeit?«
In seinem Grinsen lag ein Anflug von Selbsterniedrigung. »Du kennst mich doch, George. Was mein Leben betrifft, hatte ich kaum je irgendwas im Griff. In sozialen Dingen war ich immer unbeholfen. Ich hab nie kapiert, was sich da abspielte -Sachen, die andere anscheinend erkennen konnten, ohne darüber nachzudenken.« Da hatte er Recht. In späteren Jahren hatten wir, seine Freunde, sogar vermutet, dass er vielleicht ein bisschen autistisch war. »Ich bin es gewohnt, mich in Situationen zu befinden, in denen ich die Regeln nicht kenne, weißt du, und mir doch irgendwie einen Weg zu suchen. Eine chaotische Landschaft zu dekodieren.«
»Und ist das da eines deiner Spiele?«
»Es ist ein persönliches Projekt.«
Ich zeigte auf den Bildschirm. »Ich sehe Noten, aber ich erkenne sie nicht. Ein Verschlüsselungssystem?«
»Ja, in gewissem Sinn, aber das ist nicht der eigentliche Zweck.« Er wirkte einen Moment lang verlegen, sah mir aber entschlossen ins Gesicht. »Es ist eine SETI-Site.«
»SETI?«
»Suche nach extraterrestrischer Intelligenz.«
»Aha, verstehe.«
Er sprach schnell. »Wir haben jetzt vierzig Jahre lang auf Radiowellengeflüster vom Himmel gelauscht. Aber das ist die Denkweise des zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn du eine ETI wärst und etwas über die Erde erfahren wolltest, was würdest du studieren? Das Internet natürlich, was sonst? Es ist bei weitem die größte und bestorganisierte Informationsquelle auf dem Planeten.«
»Du denkst, Aliens loggen sich ein?«, fragte ich vorsichtig nach.
»Warum nicht? Auf diese Weise bringst du viel mehr über die Menschheit in Erfahrung, als wenn du einem Farmer aus Kansas eine Sonde ins Rektum schiebst.« Er schien zu spüren, was ich dachte, und verzog des Gesicht. »Sagen wir einfach, ich war seit der ersten Ausstrahlung von Fireball XL5 von dem Gedanken fasziniert, dass es extraterrestrische Intelligenz geben könnte. Du nicht?«
»Doch, wahrscheinlich. Aber du hast dir dein Interesse bewahrt. Du bist… äh… ein Experte in diesen Dingen geworden.«
»Nicht mehr als jeder andere auch. Ich bin bloß an die richtigen Netze angeschlossen, nehme ich an. Mein Name ist bekannt. So bin ich ins Fernsehen gekommen.«
»Und deine Site soll ihre Aufmerksamkeit erregen?« Ich betrachtete sie. »Mir kommt sie ein bisschen hektisch vor.«
»Also, ich bezweifle, dass sich eine ETI für schickes Webpage-Design interessieren wird. Die Site ist in erster Linie sehr informationsreich – was du hier siehst, sind die Werke von Chopin, in komprimiertem Binärformat dargestellt – und so codiert, dass die ETIs leicht auf sie stoßen müssten. Ein Köder, verstehst du. Und wenn die ETIs meine Site tatsächlich fänden – na ja, sehr wahrscheinlich ist das nicht, aber es kostet ja nicht viel, sie einzurichten und zu pflegen –, würde sich das ungeheuer auszahlen. Findest du nicht, dass sich der Versuch lohnt? Ich mache das übrigens nicht allein«, sagte er ein wenig defensiv. »Es gibt ein ganzes Netz von Forschern, größtenteils aus den Staaten…«
Er erzählte mir etwas über eine bizarr klingende Online-Community von Gleichgesinnten. »Wir nennen uns Slan(t).« Das musste er mir aufschreiben. »Slan ist eine Anspielung auf einen alten Science-Fiction-Begriff – in modernisierter Form, verstehst du… Das bringt ziemlich präzise unser Selbstverständnis zum Ausdruck. Die Slan(t)er sind eine neue Art von Gemeinschaft, ein Haufen Außenseiter, der Rand der Gesellschaft, vereint durch neue Technologie.«
»Da sind bestimmt ein Haufen Kalifornier dabei.«
Er grinste. »Ja, zufälligerweise. Die Gruppe ist schon lange vor meinem Beitritt entstanden.« Er sagte, bei Slan(t) gebe es keine Hierarchie; alles sei »bottom-up«. »Es ist eine sich selbst organisierende Community. Online am schwersten zu modellieren ist soziale Interaktion – die unbewusste Rückmeldung, die wir Menschen einander geben, wenn wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, eine Rückmeldung, die eine gewisse Mäßigung bewirkt. Deshalb haben wir ein System entwickelt, mit dem wir die Beiträge zum Klickstrom mäßigen. Wenn du unhöflich oder einfach nur uninteressant bist, gehen deine Werte runter, und jeder sieht es.«
»Ein bisschen so wie bei Ebay.«
»So ähnlich, ja.«
»Reichlich Möglichkeiten, jemanden zu drangsalieren.«
»Aber das ist ebenfalls asozial, und es gibt immer eine Menge Leute, die den Drangsalierer entsprechend herabstufen würden. Es funktioniert. Es ist homöostatisch – und sogar ein weiteres Beispiel für Rückkopplung. Aber hierbei handelt es sich um eine negative Rückkopplung, die ein System eher stabilisiert als außer Kontrolle geraten lässt.« Er sprach weiter und beschrieb mir die Projekte der Slan(t)er.
Mir war unbehaglich zumute. Solche Gespräche hatten wir als Schulkinder oder später als Studenten im Vollsuff geführt: nervös, komplex, voller Ideen, je abgedrehter, desto besser. Darin war Peter immer gut gewesen, weil er es gelernt hatte. Andere dicke Kinder entgehen den Schikanen angeblich, indem sie komisch sind. Peters Verteidigung bestand darin, wildere Ideen zu haben als alle anderen. Aber jetzt war es nicht mehr dasselbe. Wir waren keine Kinder mehr.
Und da war noch etwas, was ich nicht ganz ergründen konnte – es lag an der Art, wie er sprach, dieser große, schwere, unbeholfene Mann mit den verschränkten Händen und seiner Angewohnheit, eine unsichtbare Brille zurechtzurücken, während er sich ernsthaft über irgendetwas ausließ. Ich hatte den Eindruck, als wären in der elektronischen Dunkelheit hinter ihm Schatten aufgereiht, als wäre er nur die Galionsfigur eines ganzen Netzwerks eng miteinander verbundener, gleich gesinnter Besessener, die allesamt auf etwas hinarbeiteten, was ich nicht verstand.
Und überhaupt, Slan(t) klang für mich wie ein einziges großes Computerspiel. »Interessant.«
»Das findest du eigentlich nicht«, sagte er. »Aber das ist schon in Ordnung.«
»Na ja«, sagte ich, »vielleicht sehen wir die Aliens tatsächlich gerade – in der Kuiper-Anomalie. Hast du das nicht im Fernsehen gesagt?«
»Sie ist offenkundig ein deutliches Zeichen, dass dort draußen etwas ist. Ja, es ist aufregend.« Seine Miene war verschlossen. »Aber ich habe das Gefühl, dass der Ursprung der Anomalie sich als noch seltsamer erweisen wird, als wir annehmen. Und außerdem ist sie nicht das einzige Indiz, über das wir verfügen.«
»So?«
»Vielleicht gibt es dort draußen tatsächlich Spuren, wenn man weiß, worauf man achten muss. Spuren von Leben oder anderen aktiven Intelligenzen. Sie sind allerdings fragmentarisch, und es fällt uns schwer, sie zu erkennen und zu deuten. Aber ich… na ja, wie gesagt, ich besitze halt diese Fähigkeit der Mustererkennung.«
Ich schaute in meine Kaffeetasse und fragte mich, wie ich das Gespräch beenden konnte, ohne unhöflich zu sein.
Er hatte sich mit seinem Stuhl jedoch schon zum Bildschirm umgedreht und bediente eifrig eine Maus. Bilder flimmerten über den Monitor. Er hielt bei einem offenkundig farbverstärkten Sternenfeld inne – die Sterne waren gelb, karmesinrot und blau vor einem purpur-schwarzen Hintergrund. Ein winziger, zentraler, orange-weißer Punkt war von zwei konzentrischen Kreisen umgeben, die wie Rauchringe aussahen. Der innere war sehr dünn; der äußere hatte etwa den vierfachen Durchmesser und war dicker und heller. Beide Ringe waren dezentriert und schartig, klumpig und durchbrochen.
Ich suchte nach Worten. »Sieht aus wie ein Bild unter dem Abspann von Fireball XL5.«
Manchmal mangelte es Peter an Humor. »Fireball war in Schwarzweiß.«
»Erklär mir, was ich da sehe, Peter.«
»Das ist das Zentrum der Galaxis«, sagte er. »Fünfundzwanzigtausend Lichtjahre entfernt. Natürlich eine Rekonstruktion aus Infrarot-, Röntgenstrahlen-, Gammastrahlen- und Radiobildern und so weiter; Staubwolken verhindern, dass uns das Licht aus dem Zentrum erreicht. Die Sonne ist einer von vierhundert Milliarden Sternen und befindet sich weit draußen in einem kleinen Spiralarm – du weißt ja, die Galaxis ist eine Spirale. Im Kern ist es viel voller. Und alles ist groß und hell. Ist wie in Texas da drin.« Er zeigte auf das Bild. »Einige dieser ›Sterne‹ sind in Wahrheit Sternhaufen. Diese Ringe sind Gas- und Staubwolken; der äußere hat einen Durchmesser von rund hundert Lichtjahren.«
»Und das helle Objekt im Zentrum?«
»Auch so ein Sternhaufen. Sehr dicht. Man glaubt, dass er ein schwarzes Loch mit der Masse einer Million Sonnen in sich birgt.«
»Ich sehe aber keine Aliens.«
Er fuhr die Ringe mit dem Finger nach. »Diese Ringe dehnen sich aus. Hunderte von Kilometern pro Sekunde. Und die weniger strukturierten Wolken sind heiß und turbulent. Man glaubt, dass es sich bei den großen Ringen um die Überreste starker Explosionen im Kern handelt. Vor ungefähr einer Million Jahren hat es einen großen Knall gegeben. Die letzte Eruption scheint vor siebenundzwanzigtausend Jahren stattgefunden zu haben. Das Licht hat fünfundzwanzigtausend Jahre gebraucht, um hierher zu gelangen – es ist also vor ungefähr zweitausend Jahren bei uns angekommen; kann sein, dass die Römer etwas gesehen haben… wenn man eine weniger starke Vergrößerung wählt, sieht man die Trümmer weiterer, noch länger zurückliegender Explosionen, die zum Teil noch viel gewaltiger waren.«
»Explosionen?«
»Niemand weiß, was sie verursacht. Physikalisch gesehen sind Sterne einfache Objekte, George. Genauso wie Galaxien. Viel einfacher als Bakterien, zum Beispiel. Es dürfte eigentlich keine solchen Rätsel geben. Ich halte es für möglich, dass hier Intelligenz am Werk ist – oder vielmehr Dummheit.«
Ich lachte, aber es war ein Lachen des Staunens über die Kühnheit der Idee. »Das Zentrum der Galaxis als Kriegszone?«
Er verzog keine Miene. »Warum nicht?«
Mich überlief ein eisiger Schauer, aber ich wusste nicht genau, weshalb. »Und wie passt Kuiper da hinein?«
»Ich habe keine Ahnung. Noch nicht.« Er rief ein Bild seines eigenen Gesichts auf CNN auf. »Aber wenn ich mir das Interesse an Kuiper zunutze machen kann, bekomme ich hoffentlich die nötigen Mittel, um einigen dieser Fragen weiter nachzugehen. So könnte es etwa Verbindungen zwischen den Explosionen im Kern und der irdischen Vergangenheit geben.«
»Verbindungen?«
»Nur ein Beispiel: Womöglich stehen die Explosionen im Zusammenhang mit Aussterbeereignissen.«
»Ich dachte, die Dinosaurier wären infolge eines Asteroideneinschlags ausgestorben.«
»Das war etwas Einmaliges. Es hat aber noch achtzehn andere solche Ereignisse gegeben. Man kann es im Fossilarchiv sehen. Achtzehn, von denen wir wissen.«
Ich hob meinen Becher an die Lippen, stellte jedoch fest, dass kein Kaffee mehr drin war. Ich stellte den Becher auf den Computertisch und stand auf. »Tja, ich glaube, ich muss langsam mal los.«
Er sah mich skeptisch an. »Ich habe dich voll gequatscht.
Tut mir Leid. Ich habe nur wenig Gelegenheit zu reden; die meisten Leute wollen überhaupt nicht zuhören… Du hältst mich für einen Spinner.«
»Ganz und gar nicht.«
»Natürlich tust du das.« Er erhob sich, sodass er über mir aufragte, und grinste. Wieder war da diese entwaffnende Selbsterniedrigung, und ich spürte mit abermaligem Unbehagen, dass er trotz meiner Reaktion wirklich froh war, seine Beziehung zu mir erneuert zu haben. »Vielleicht bin ich ja tatsächlich ein Spinner. Aber das heißt nicht, dass die Fragen nicht berechtigt wären. Und überhaupt, du bist doch derjenige mit der entführten Schwester.«
»Das stimmt. Ich sollte mich auf den Weg machen.«
»Komm mal wieder vorbei und erzähl mir, was du rausgefunden hast.«