30

Es tut mir leid, Mr. President, aber auch wenn Ihnen der Gouverneur von Louisiana sehr sympathisch ist und Sie ihm gerne helfen wollen, können Sie nicht einfach einen Zivilisten hinter feindlichen Linien absetzen lassen. – Nein, Sir, nicht einmal, wenn sie tatsächlich dazu in der Lage wäre, alle Gegner auszuschalten.

Ein anonymer Berater zum Präsidenten

Cam starrte in die Krone eines Baums und versuchte wieder in der Wirklichkeit Fuß zu fassen. Das Prasseln des Feuers hinter ihm, der Geruch von brennendem Metall und verkohltem Gras, das Geplapper des SWAT-Teams und das Herumgemecker der FBI-Männer sowie das Rotoren-Geräusch der verschiedenen Nachrichten-Helikopter über ihnen – einfach alles um ihn herum vermischte sich, verschmolz miteinander und verkam zu einem großen Missklang, der Cams ohnehin schon verzehrende Wut nur noch mehr anfachte. Er durfte den Gedanken, dass Bobbie Faye tot sein könnte, gar nicht erst zulassen. Er würde zu verhindern wissen, dass so etwas passierte.

Er stierte weiter hinauf in den Baum, überhörte jeden, der auf ihn einredete, und ignorierte sogar seine Männer, die sich abmühten, ihn von dort wegzuschaffen und in den Heli oder zurück aufs Revier zu bringen. Er würde nicht gehen.

Nicht, solange er sie nicht gefunden hatte.

Und auch wenn er es nicht hätte erklären können, irgendetwas an diesem Baum war seltsam, das spürte er.

Er musste einen Zugang zu diesem ganze Durcheinander finden, musste irgendwo anfangen, brauchte etwas, worauf er sich konzentrieren konnte. Was immer es auch war, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte, musste als Zeichen gedeutet werden, aber er konnte noch nicht recht einschätzen, wieso, oder was es überhaupt war.

Bis es plötzlich Klick bei ihm machte.

Oben auf dem Baum war eine Kamera montiert. Auf den ersten Blick fiel sie gar nicht auf, da man sie als Nest eines Eichhörnchens getarnt hatte. Er trat näher an den Baum heran und bemerkte, dass er sie wohl niemals entdeckt hätte, wenn durch die Explosion nicht Trümmer dagegen geschleudert und Teile des Baus fortgerissen worden wären, sodass nun das wasserdichte Gehäuse mit einem Loch für die Linse zu erkennen war. Er drehte sich langsam im Kreis und suchte die Bäume um die Hütte herum ab, wobei er eine ungewöhnlich große Anzahl von Eichhörnchennestern entdeckte, die in genau derselben Höhe wie das erste hingen und ungefähr die gleiche Größe hatten. Sie waren so angeordnet, dass sie einen Kreis um die Hütte bildeten. Er untersuchte die glühenden Trümmer um sich herum und überquerte dabei den Pier, bis er einen Pfosten fand, auf dessen Spitze etwas steckte, das wie ein Nistkasten aussah. An der Stelle, wo das Schlupfloch für die Vögel sein sollte, befand sich allerdings eine Linse.

Ups.

Er ließ seinen Blick über die brennende Hütte schweifen, und ein Funken Hoffnung keimte wieder in ihm auf, milderte ein wenig die Wut, durch welche sein Puls und damit das Rauschen in seinen Ohren angestiegen war.

Nur ein Boot lag am Pier. Er meinte jedoch mindestens zwei oder drei Leute hinter Bobbie Faye und Cormier gesehen zu haben, wenn es nicht sogar mehr gewesen waren. Konnten so viele Personen in einem so kleinen Boot hierhergekommen sein? Völlig unmöglich war das zwar nicht, aber um die Hütte herum gab es neben denen von Bobbie Faye und ihrem Begleiter keine weiteren Fußabdrücke. Seltsam.

Wie waren dann die anderen Leute in die Hütte gekommen?

Aber vielleicht hatte er sich diese ja auch nur eingebildet. Vielleicht gab es in Wirklichkeit nur zwei weitere Personen, und für die wäre das Boot völlig ausreichend gewesen.

Und vielleicht sollte er auch einfach aufhören, sich den Kopf zu zerbrechen, und stattdessen endlich etwas unternehmen.

Er folgte den Fußspuren von Bobbie Faye und Cormier zurück zu dem Flussboot der beiden.

»Wonach suchen Sie?«, wollte Zeke wissen. »Wir wissen doch bereits, dass sie dort drin waren.«

Cam antwortete ihm nicht. Er wusste ja selbst nicht genau, wonach er suchte. Nur dass irgendetwas nicht stimmte und er herausfinden musste, was es war. Und bis dahin wollte er unbedingt diesen Zeke loswerden. Bei dem Gedanken daran war ihm offenbar sein Pokerface entglitten, und man hatte ihm seine Geringschätzung ansehen können.

»Ich werde nicht verschwinden«, erklärte dieser nämlich, »bis ich Cormier in einem Leichensack abtransportieren kann, sollte er überhaupt schon tot sein. Falls nicht, muss ich eben selbst dafür sorgen.«

Cam verkniff sich jede Gefühlsregung. Das widersprach den Informationen, über die der Captain verfügte. Aber es wäre auch nicht das erste Mal, dass die Feds in einer Angelegenheit ihre ganz eigenen Pläne verfolgten, von denen alle anderen nichts wussten. Wie auch immer, es machte Cam jedenfalls immer neugieriger auf diesen Cormier.

»Sie klingen, als wären Sie der Überzeugung, dass er noch am Leben ist.«

»Ich werde zumindest niemals den Fehler begehen, Cormier zu unterschätzen«, erwiderte Zeke. »Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft er schon für tot erklärt worden ist. Und ich werde es erst dann glauben, wenn zumindest Teile von ihm auf einem Seziertisch liegen.«

»Gesetzt den Fall, der Mann ist tatsächlich so gut in dem, was er tut. Wofür, glauben Sie, braucht er dann jemanden wie Bobbie Faye?«

Zeke schien abzuwägen, ob er mehr verraten sollte, doch schließlich zuckte er nur mit den Schultern, als spielte dies nun auch schon keine Rolle mehr. »Wir glauben, dass Bobbie Faye irgendetwas Wertvolles besitzt, das er haben will.«

Das passte zu dem, was Jason mitgeschnitten hatte, aber Cam musste Zeke dazu bringen, mit mehr rauszurücken.

»Bobbie Faye? Etwas Wertvolles?«, fragte er und gab sich ungläubig. »Sprechen wir von derselben Frau, die ihren Wagen mitten auf den Schienen angehalten hat und ausgestiegen ist, weil ein Scheck über zwölf Dollar und achtzehn Cents aus dem Autofenster auf das Eisenbahngleis geweht worden war. Von der Frau, die dann den Wagen nicht wieder in Gang bekommen hat, weswegen ein ganzer Zug entgleist ist? Von der Bobbie Faye?«

»Ich weiß nur, dass Cormier nichts ohne Hintergedanken tut«, erwiderte Zeke und betrachtete die qualmenden Trümmer der Hütte. Seine Gesichtszüge verhärteten sich. »Nicht einmal das hier.«

Der FBI-Agent hielt einen Moment lang inne, und Cam fragte sich, ob er wohl die Kameras entdeckt hatte.

»Er hat überlebt. Irgendwie«, murmelte Zeke.

Cam konnte nur hoffen, dass Cormier für das, was er im Schilde führte, Bobbie Faye lebendig brauchte.

Bobbie Faye wusste, dass Cam die Kameras aufgefallen waren. Zwar hatte er sich Mühe gegeben, sich nichts anmerken zu lassen, aber jede einzelne war von ihm kurz mit den Augen fixiert worden, als er zwischen den Bäumen nach ihnen gesucht hatte. Sie spürte förmlich, wie er sich vor Ärger verspannte, Wut, Hass – und zwar großgeschrieben. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er anfangen würde, sich durch die Überreste der Hütte zu graben, um nachzusehen, was sich darunter befand. Und das wiederum bedeutete: Sie mussten schleunigst verschwinden.

»Oh, Scheiße«, sagte sie, und Trevor schaute in dieselbe Richtung wie sie. Die Kamera am Pier fing einen der Nachrichten-Helikopter ein, der nicht weit von der brennenden Hütte entfernt in der Luft schwebte. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und sah, dass sie kein Netz hatte. Voller Panik fuhr sie zu ihm herum. Trevor blickte sie ruhig an.

»Mir war nicht klar, dass man hier drinnen keinen Empfang haben würde! Das Ultimatum. Oh, Mist. Ich muss da unbedingt anrufen. Die werden glauben, ich sei tot. Und dann werden sie Roy etwas antun!«

»Das glaube ich nicht«, meinte Trevor. Dann, als wäre es das Natürlichste der Welt, legte er ihr die Hände auf die Schultern und begann ihr die Verspannungen wegzumassieren. »Die können ja gar nicht sicher sein, ob du überhaupt in der Hütte gewesen bist, solange die Polizei es ihnen nicht mitteilt. Und ich bezweifle, dass die überhaupt Informationen rausgeben wird, bevor sie nicht ganz genau weiß, was passiert ist. Die Entführer können also höchstens vermuten, dass du dich hier irgendwo in der Nähe aufgehalten hast, aber sie werden ihr Druckmittel nicht aufs Spiel setzen, bevor dies nicht auf die eine oder andere Weise bestätigt worden ist.«

Trevor wandte sich nun an Alex. »Ich nehme an, dass sich hier irgendwo ein Hinterausgang befindet, sonst hättest du uns nicht hierher geführt.«

»Natürlich. Es gibt sogar zwei Zugänge. Einer davon ist eine lange, schräg abfallende Rampe, die früher dazu benutzt wurde, die Gerätschaften für den Salzstock, der sich übrigens unter uns befindet, reinzubringen. Ich habe die Tür tarnen lassen, damit sie niemand entdeckt.«

»Gut, dann nichts wie los.«

»Nicht so eilig.« Alex ging hinüber zu einem der Monitore und deutete im Bild auf eine Stelle am Boden. »Hier ist der geheime Zugang zum Tunnel. Die versteckte Tür befindet sich also genau dort, wo sich gerade das FBI herumtreibt. Und solange die Leute nicht fort sind, werden wir hier nicht ungesehen rauskommen. Und das kann dauern, vielleicht sogar Tage.«

Alle blickten zu Bobbie Faye hinüber, die energisch den Kopf schüttelte. »So viel Zeit habe ich aber nicht.«

»Das habe ich mir schon gedacht, chère«, erwiderte Alex lächelnd. »Bei dir ist es nie mal der einfache Weg, oder?« Er hob die Hände, als sie zu ihm herumwirbelte. »Zum anderen Ausgang müsst ihr quer durch den Salzstock.«

»Du meinst … da runter? Wie das?«

»Am anderen Ende der Anlage wird immer noch Salz abgebaut. Dort gibt es einen Eingang.« Er deutete auf die Tür zu seiner Rechten. »Ihr nehmt den Fahrstuhl runter in den Salzstock. Dort liegt lauter alte Ausrüstung, an der ihr einfach vorbeilauft. Das Salz lässt alles schnell rosten, und es ist weder die Zeit noch das Geld wert, alles wieder nach oben zu bringen, weshalb es dort unten liegen gelassen wird. Dann gibt es noch ein paar große Räume, die als Lager benutzt werden. Wenn ihr mich fragt, haben die im Laufe der Jahre einfach nur eine ganze Menge Kram vergessen, während sie auf der anderen Seite geschürft haben.«

Sie warf einen Blick auf die Monitore, musterte die FBI-Leute, das SWAT-Team, die Polizei und natürlich Cam, der in der Nähe der Luke herumschwirrte. Am Himmel zogen Gott weiß wie viele Helikopter ihre Kreise. Es war folglich absolut unmöglich, ungesehen dort herauszukommen. Aber in die Dunkelheit eines Salzstocks hinabzusteigen? Ebenso gut hätte sie freiwillig ihr eigenes Grab schaufeln können.

So würde sie Stacey jedenfalls nicht finden können, geschweige denn Roy retten. Sie warf einen Blick auf ihr totes Handy.

»Hier unten verläuft eine alte Landleitung. Ich denke, sie ist immer noch intakt. Und die Cops werden nicht im Traum daran denken, dass du über diesen Weg verschwinden könntest, und demzufolge auch nicht am anderen Ende auf dich warten.«

Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und hatte das Gefühl, als würde ein enormes Gewicht auf ihrer Brust lasten, ihr das Herz zerquetschen. Doch ihr blieb keine andere Wahl. Also ergab sie sich in ihr Schicksal, sah zu Alex und Trevor auf und nickte.

»Alex? Ich brauche das Diadem.«

Der Schmuggler betrachtete es eine Weile. Nach kurzem Zögern warf er es Bobbie Faye dann jedoch zu. Trevor bekam die Taschenlampe.

»Aber behaupte nie, ich hätte nicht alles für dich getan, chère. Hörst du?«

»Danke, Alex«, sagte sie.

Er nickte. »Und vergiss nicht, mir meine Sachen zurückzugeben.« Seine Worte hallten von den Tunnelwänden wider, während er den Raum verließ und sich zu seinem eigenen Ausgang aufmachte.

»Ich bin beeindruckt«, meinte Trevor, nachdem Alex verschwunden war und sie den anderen Weg nach draußen genommen hatten, der hinunter in den Salzstock führte.

»Wieso?«

»Du hast das Diadem von ihm bekommen, ohne auf ihn schießen zu müssen.«

»Oh, er hat gewusst, dass ich schießen würde. Deswegen hat er es mir gegeben.«

»Ihr beide müsst eine interessante Beziehung geführt haben.«

»Nur wenn man notorische Lügner interessant findet«, erwiderte sie und registrierte seinen neugierigen Blick. »Frag gar nicht erst. Ich weiß bis heute noch nicht, wie ich so hirntot sein konnte, mit diesem Mann auszugehen. Jedenfalls ist mir nicht im Entferntesten bewusst gewesen, womit er seine Brötchen verdient, als wir uns kennengelernt haben.«

»Du bedeutest ihm immer noch etwas«, stellte Trevor fest, und sie bemerkte einen seltsamen Unterton in seiner Stimme.

»Und was interessiert dich das?«

»Nichts. Ist mir nur so aufgefallen«, antwortete er, während sie durch den Gang auf einen alten Fahrstuhl zuliefen. »Der Mann liebt dich ganz offensichtlich immer noch.«

»In der Schule war er immer der Poet. Er ist ganz vernarrt in das Konzept der ewigen Liebe.« Sie blieben vor der verstaubten, rostigen Fahrstuhltür stehen. »In der realen Welt aber kam es ihm dann aber doch immer mehr auf das Aussehen der Frau an, als auf das, was sie im Hirn hat.«

Trevor hob eine Augenbraue.

»Ja. Ich weiß auch nicht, was zum Teufel er sich dabei gedacht hat, sich überhaupt mit mir einzulassen.«

Sie drückte auf den Rufknopf des Fahrstuhls, aber nichts geschah. Sie drückte erneut darauf und noch einmal. Immer noch nichts. Nun hämmerte sie mit der Faust auf den verfluchten Knopf. Und trotzdem rührte sich nichts. Kein Geräusch, kein Lufthauch, kein Stöhnen, kein Ächzen kein Zeichen, dass die Fahrstuhlkabine sich in ihre Richtung bewegte.

Trevor betätigte den Knopf noch einmal. Bobbie Faye sah ihn aus funkelnden Augen an.

»Klar«, meinte sie. »Wenn ein Mann genau das Gleiche tut, muss es natürlich funktionieren.«

Er lachte, legte die Taschenlampe auf den Boden, zog sein Ka-Bar-Messer aus der Scheide und stemmte damit die Tür auf. Dann leuchtete er hinunter in den Fahrstuhlschacht, der trotz des Lichts wie ein bodenloser Abgrund wirkte. Trevor nahm einen der vielen kleinen Brocken Salz, von denen genug herumlagen, und ließ ihn in den Schacht fallen. Dann zählte er die Sekunden, bis der Brocken irgendwo aufschlug. Es waren fast zehn.

»Es sind mindestens dreihundert Meter bis zu der Stelle, wo der Korb festhängt, wahrscheinlich sogar vierhundert. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so viel Pech auf einmal hat.«

»Oh, ich bin schon immer ziemlich ehrgeizig gewesen.«

Ce Ce hatte nicht die geringste Ahnung, wie es dazu hatte kommen können. Sie schüttelte den Kopf und gab es auf, irgendeinen Sinn darin erkennen zu wollen. Gerade erst hatten sie die Frau vom Sozialamt ins Hinterzimmer geschleppt und sie dort auf ein Feldbett gewuchtet, als Ce Ces Blick auf den Monitor ihrer Überwachungskamera gefallen war und sie gesehen hatte, wie ein Mann den Laden betrat, der mit Sicherheit ein Zivilpolizist war. Schnell stellte sie die Gegensprechanlage auf Hören, damit sie mitbekam, was er wollte.

»Ich bin Detective Benoit«, wandte er sich an Allison und Alicia.

Die Zwillinge lächelten und beugten sich über den Tresen, um ihm einen tiefen Einblick in ihre Dekolletés zu gewähren. Er erwiderte ihr strahlendes Lächeln, und Ce Ce nahm sich vor, den beiden Mädchen eine Gehaltserhöhung zu spendieren.

»Ich suche nach einer Mrs. Banyon vom Sozialamt. Sie soll vor etwa zwei Stunden hier eingetroffen sein. Haben Sie sie gesehen?«

»Wissen Sie, Officer«, sagte Allison (oder vielleicht war es auch Alicia), »es sind wirklich so viele Leute hier gewesen. Das hat was von Zuschauersport. Dabei ist es schon schwierig genug, den Überblick bei all jenen zu behalten, die wir kennen, ganz zu schweigen also von denjenigen, die wir nicht kennen.«

Scheiße. Ce Ce starrte hinunter auf die Frau, die ungefähr so schwer wie ein Leuchtturm war und mindestens ebenso massiv gebaut zu sein schien. Der Cop würde als Erstes in den hinteren Räumen des Ladens nachsehen wollen. Für die Zukunft würde sie sich folglich merken müssen, dass ihr Spezialtee in Kombination mit einem langsamen Stoffwechsel ziemlich übel enden konnte.

»Wo zum Teufel sollen wir sie hinschaffen?«, erkundigte sich Monique und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihre roten Haare standen wie Stacheln vom Kopf ab, und ihre rosafarbenen Sommersprossen waren durch die Anstrengung, welche die Aktion, diese Hundert-Kilo-Frau in das Hinterzimmer zu schleppen, mit sich brachte, hellrot geworden. »Hey, ich weiß was. Wir könnten sie in eins von deinen Kostümen stecken und ihr eine Maske aufsetzen. Dann wird der Cop denken, sie wäre eine Wachsfigur oder so was Ähnliches.«

»Sie schnarcht, Monique.«

»Wir könnten ihm sagen, dass sei ein Soundeffekt.«

Die Frau vom Sozialamt furzte.

Missmutig und mit zerknittertem Gesichtsausdruck blickten die beiden Frauen auf die Schlafende.

»Okay, vielleicht doch nicht«, korrigierte sich Monique.

Dann hörten sie, wie Detective Benoit den beiden Mädchen die vermisste Frau beschrieb, woraufhin Ce Ce die Gegensprechanlagen aller folgenden Räume abschaltete, während sie die schwere bewusstlose Frau durch die vollgestopften Gänge schleppten, wobei sie deren Körper einknicken mussten, um ihn überhaupt an den Warenstapeln im Lager vorbeizubekommen. Schließlich legte Ce Ce Mrs. Banyon kurz auf ein paar Kisten und einem alten Teppich ab.

»Wollen wir es mit dem Schrank versuchen?«

»Da kriegen wir sie nie im Leben rein. Außerdem könnte sie herauskippen. Das Schloss schließt nicht richtig.«

Ce Ce sah sich in dem überfüllten Lagerraum um. Zwar gab es noch ein paar Regale, sie waren jedoch zwischen anderen Borden eingeklemmt, vollgestopft mit allen nur denkbaren Merkwürdigkeiten, die sie vielleicht noch für ihre Tinkturen und Säfte, von manchen Leuten auch Zaubertränke genannt, brauchen würde. Neben diesem ganzen Krimskrams zum Mischen standen dort auch Bücher, die sich mehr mit der esoterischen Seite Süd-Louisianas und weniger mit bekannter Geschichte beschäftigten und in welchen man alte Berichte darüber fand, wie verschiedene Salben und Säfte wirkten, sowie Anekdoten über jene Personen, die vor Ce Ce diese Medizin erforscht hatten. Und vor den Regalen befanden sich schließlich noch die Waren für den Laden, hauptsächlich weitere Kartons mit Kristallen.

Was diese Kristalle anging, hatte Bobbie Faye also vielleicht recht gehabt.

Der Schrank war klein und rammelvoll mit Plunder. Plötzlich hörte Ce Ce über die Gegensprechanlage, wie Benoit die Zwillinge fragte: »Dann haben Sie doch sicher nichts dagegen, wenn ich mich mal in den hinteren Räumen umsehe? Vielleicht hat sie sich da ja irgendwo verlaufen.«

»Oh«, erwiderte eine der Zwillingsschwestern. »Da müssen wir zuerst Ce Ce fragen. Wir dürfen niemanden einfach so nach hinten lassen.«

Gott segne diese blondierten kleinen Herzchen. Sie würden in jedem Fall eine Gehaltserhöhung bekommen.

Alicia eilte in die hinteren Räumen des Ladens, während Ce Ce mitbekam, wie ihre Schwester versuchte, den Detective abzulenken. Er schien sich besonders für die Kristallmatrix und den Singsang zu interessieren, der noch immer kraftvoll durch den Raum schallte. Als Alicia ihren Kopf zum Lagerraum hereinsteckte, machte sie ziemlich große Augen und blieb abrupt stehen.

»Sieh mich nicht so an, Kind. Sie ist nicht tot. Geh nach vorn und lenk ihn noch ein bisschen ab, bis wir sie hier weggeschafft haben.«

»Welchen Weg nehmt ihr denn?«

»Zuerst durch das hintere Wohnzimmer, dann durch mein Büro. Sag ihm, dass ich mich hingelegt hätte, weil ich mich nicht besonders fühle. Sag ihm auch, dass ich wegen Bobbie Faye völlig aufgelöst sei. Er muss einfach später noch mal wiederkommen.«

Alicia nickte und ging zurück, während Ce Ce und Monique Mrs. Banyon wieder hochhievten und sie in den nächsten Raum schleppten. Sie bekamen eine kleine Verschnaufpause, als Benoits Handy klingelte und er darum bat, für das Telefonat in einen anderen Raum gehen zu dürfen. Ce Ce hatte schon immer gewusst, dass es einmal sehr nützlich sein würde, die Gegensprechanlage hinter einer Voodoomaske versteckt zu haben.

Ce Ce und Monique ließen die Frau vom Sozialamt mit einem dumpfen und etwas zu lautem Geräusch zu Boden fallen, nur um sich sofort um die Gegensprechanlage zu drängen und jedes Wort des Polizisten in sich aufzusaugen.

»Das Kind habe ich immer noch nicht finden können«, sagte der Detective gerade und machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. »Hör mal, Cam, ich habe jeden, den ich beim FBI kenne, ausgequetscht, und alle schwören, dass sie die Kleine nicht haben. Und jetzt ist auch noch diese Frau vom Sozialamt verschwunden … Ja, das untersuche ich gerade. Irgendwie muss es da einen Zusammenhang geben. Oh, und Crowe und Fordoche haben endlich die finanziellen Verhältnisse des Professors überprüft. Er steckt bis zum Hals in Schulden … Ja, Kredithaie. Wie bist du nur darauf gekommen? … Ja. Es sieht so aus, als hätte er denen irgendwas verkauft, um seinen eigenen Arsch zu retten. Und auf der Straße hört man, dass die es wiederum für dickes Geld an einen Kunsthehler verkauft hätten, aber niemand weiß, was und wieso das alles etwas mit Bobbie Faye zu tun haben soll. Als ich versucht habe, den Professor ohne Dellago zu vernehmen, hat dieser Winkeladvokat das natürlich gleich mitbekommen und mich gezwungen, das Gespräch abzubrechen oder ihn miteinzubeziehen. Und wie läuft es bei dir?«

Es folgte eine lange Pause, und am liebsten wäre Ce Ce in den anderen Raum gestürmt und hätte dem Detective das Handy aus der Hand gerissen.

»Du hast sie gesehen?«

Benoit schwieg wieder einen Moment lang, und Ce Ce und Monique rückten noch näher an den Lautsprecher heran, um jede Silbe an Information zu bekommen, die überhaupt für sie abfallen würde.

»Heilige Scheiße, Cam. Ist das dein Ernst? Wie schlimm war es denn?« Dann fügte er leise hinzu. »War sie drin, als das Ding in die Luft geflogen ist?«

Ce Ce legte eine Hand an ihre üppige Brust und sackte gegen die Wand.

»Okay, und wo?«, fragte Benoit, und seine Stimme in der Gegensprechanlage wurde leiser.

»Ich glaube, er kommt in unsere Richtung«, flüsterte Monique. »Wir schaffen sie besser hier raus.«

Ce Ce half ihrer Freundin, die Frau wieder aufzuheben und durch einen weiteren Gang zu schleppen. Von dort aus wollten sie die Ohnmächtige durch das Büro hinaus auf eine private Veranda im Hinterhof hieven. Als sie gerade den nächsten Raum passierten, sahen sie sich plötzlich dem Detective gegenüber, der an eine Wand gelehnt telefonierte, und ließen die arme Frau erneut mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden plumpsen.

»Ja, danke, Cam«, sprach Benoit in das Handy. »Gut, dass du von der Gegensprechanlage gewusst hast.«

Dann beendete er das Gespräch und blickte von Ce Ce zu Monique, denen der Schweiß vor Anstrengung in Strömen über das Gesicht rann.

»Also, ich habe ziemlichen Durst«, verkündete Monique. »Das war ein hartes Stück Arbeit. Möchte sonst noch jemand einen Tee?«

»Nein!« Ce Ce schüttelte entschieden den Kopf, sodass ihre Rastalocken durch die Luft flogen. »Dieser Tee wird nicht mehr getrunken.«

»Aber der Detective hat vielleicht Durst. Außerdem herrscht hier eine Affenhitze. Es ist das Mindeste, was wir tun können.«

Ce Ce zog Monique nah zu sich heran. »Schätzchen, nein. Ich kann einem Cop keine Drogen einflößen«, flüsterte sie.

»Aber wenn die alle weiter so kopflos herumlaufen, wird ihn für die nächsten Stunden ohnehin niemand vermissen.«

»Keinen Tee!«

»Und schon gar nicht Ihre spezielle Mischung, Ce Ce«, meldete sich Benoit nun zu Wort, der offensichtlich alles mitgehört hatte. Er senkte seinen Blick und betrachtete die Frau vom Sozialamt. »Bitte sagen Sie mir, dass sie nicht tot ist.«

»Natürlich ist sie das nicht. Sie ist nur eingeschlafen. Wir versuchen gerade, sie zu einer Pritsche zu tragen.

»Eingeschlafen. Klar. Ce Ce, wir müssen reden.«

Verdammt! Das hieß nie etwas Gutes.