12
Morgens nimmst du den Wetterhelikopter und fliegst über ihren Trailerpark. Achte auf ihr Auto. Sobald Bobbie Faye auf der Arbeit ist, kannst du Entwarnung geben.
Anweisung an Jerry Gill, den neuen Nachrichtenmann bei Traffic Watch, dem Sender für die Verkehrsbeobachtung
»Stopp«, sagte Bobbie Faye und trat einen Schritt zurück. Sie hatte das Gefühl, jede Sekunde einer Herzattacke zu erliegen. »Bisher war es eher eine leichte Abneigung. Aber allmählich wachsen Sie mir richtig ans Herz. Und das mit Ihrem Pick-up tut mir wirklich sehr, sehr leid.«
»Wir müssen den Hunden irgendetwas von Ihnen geben, was sie finden können.«
»Oh nein, ich werde schön alle meine Körperteile behalten, vielen Dank.«
Genervt verdrehte er die Augen. »Sundance, komm her. Ich werde ein Stück vom Saum Ihres Oberteils abschneiden.«
»Na toll, Sie geben mir den Spitznamen eines Kerls, der im Film stirbt. Ich breche angesichts dieses Messers in Ihrer Hand nicht gerade in Begeisterungsstürme aus.«
Er schien ernsthaft verwirrt zu sein. »Ich habe Ihnen nichts getan, als Sie auf meinen Pick-up geschossen haben. Warum sollte ich gerade jetzt damit anfangen?«
»Sie haben ein besseres Alibi?«
Er lachte. »An diesem verzögert auftretenden Überlebenstrieb müssen wir wirklich noch arbeiten, Sundance. Und jetzt kommen Sie, wir haben nicht viel Zeit.«
Und verdammt noch mal, sie musste grinsen und trat tatsächlich einen Schritt auf ihn zu. Dieser Mann konnte wahrscheinlich Medusa die Schlangen auf ihrem Kopf abschwatzen und sie gleichzeitig davon überzeugen, dass es ihre eigene Idee gewesen wäre. Er schnitt ein paar Zentimeter von Bobbie Fayes Oberteil ab und riss es in mehrere faserige Streifen. Dann sah Bobbie Faye ihm dabei zu, wie er am Ufer verschiedene Dinge einsammelte – einen kleinen Stein, einen Zweig und ein Stück Borke von einem verrottenden Baum. Er wickelte die Stofffetzen darum oder stopfte sie in Spalten, damit sie nicht wegflogen.
»Ein guter Hundeführer wird wahrscheinlich erkennen, dass Sie sich die Fetzen nicht beim Laufen abgerissen haben«, erklärte Trevor, als er das leichteste Stück bei ihnen in der Nähe ans Ufer warf und ein weiteres etwas weiter flussabwärts. »Aber um sicherzugehen, muss er sie sich erst genau ansehen, die Hunde daran schnuppern lassen und dann herausfinden, ob unsere Spur von der Fundstelle aus wieder zurück in den Wald führt.« Er warf auch die restlichen Fetzen in verschiedene Richtungen davon. »Das kleine Verwirrspiel wird uns zehn, vielleicht fünfzehn Minuten Zeit verschaffen.« Der letzte Köder war das schwere Stück Borke, das er in einem wunderschönen hohen Bogen weit den Fluss hinunter bis auf die andere Uferseite warf. Es landete raschelnd in einem Baum, die Rinde zerbarst, und der weiße Stoff fiel zu Boden.
Bobbie Faye bedeutete Trevor, einen Moment lang zu warten. Dann lief sie am Ufer entlang stromabwärts, ohne auf seine Fragen zu hören, die er ihr nachrief. Sie rannte immer schneller und näherte sich langsam dem Wasser, wobei sie ein wenig ins Rutschen kam, aber schöne, sichtbare Fußabdrücke hinterließ. Schließlich sprang sie in den Fluss und watete wieder zu der Stelle zurück, wo Trevor auf sie wartete. Als sie ihn endlich wieder erreicht hatte, blickte er sie mit einem Ausdruck in den Augen an, den sie nicht wirklich einordnen konnte. Es sah fast so aus, als würde er sie bewundern, doch im nächsten Moment war er wieder ganz der alte.
»Wir kommen schneller weiter, wenn wir so lange schwimmen, wie wir es nur irgend aushalten können«, schlug er vor, und Bobbie Faye nickte.
Cam folgte den Hunden, die ungefähr zwanzig Meter vor ihm herliefen, durch den Wald und lauschte auf ihr typisches Bellen, das anzeigen sollte: »Wir haben die Spur gefunden«. Doch bisher klang es nicht so eifrig, als hätten sie Bobbie Fayes Fährte bereits aufgenommen. Er hockte sich hin und untersuchte die matschigen Spuren, die Cormier und seine Begleiterin hinterlassen hatten, als sie dort entlanggekommen waren. So, wie Bobbie Fayes Abdrücke die des ehemaligen Agenten überlappten, war klar, dass sie dem Mann folgte und nicht andersherum, was die Theorie zerschlug, dass dieser sie gegen ihren Willen mitgenommen hatte. Natürlich wäre jeder arme Mensch, der versucht hätte, Bobbie Faye gegen ihren Willen mitzunehmen, zutiefst zu bedauern gewesen. Trotzdem warf diese Erkenntnis die Einsatzkräfte wieder ein Stück zurück.
Bobbie Fay lief hinter dem Mann her. Cormier hielt sie also nicht mit einer Waffe in Schach. Der bloße Gedanke daran, dass jemand, der stets ein Trümmerfeld hinterließ wie Bobbie Faye, sich, wenn auch aus purer Naivität, mit einem vorsätzlich so gewalttätigen Menschen wie dem Exagenten zusammentat und ihm auch noch half, ließ ihn erschaudern. Er war sich nicht sicher, ob dieses Land die beiden verkraften würde.
Sein Handy vibrierte, und er klappte es auf. Es war Jason aus der Zentrale. Er klang ein wenig besorgt.
»Cam, die Jungs im Heli sagen, der FBI-Hubschrauber ziehe immer engere Kreise um deine Position und werde bald über dir und den Hunden sein.«
»Bleib dran.« Cam legte den Kopf in den Nacken und suchte den Himmel ab. Er wollte die Feds nicht direkt über sich haben, von wo aus sie vielleicht Bobbie Faye entdecken könnten, bevor er ihr selbst nicht Handschellen angelegt hatte. Danach sollten sie ihren verdammten Agenten seinetwegen haben. »Ich möchte gern eine andere Verbindung zu dem Helikopter vom Sender haben. Keinen Funk, den könnten die Jungs vom FBI wahrscheinlich mithören.«
Jason hängte ihn in die Warteschleife, dann meldete er sich wieder und hatte die Handynummer des Kameramanns. »Vorausgesetzt, das Ding funktioniert da oben«, gab er zu bedenken.
Der Journalist ging an sein Handy. Cam stellte sich vor.
»Was können wir für Sie tun, Detective?«, fragte der Kameramann und der Unterton in seiner Stimme verriet dem Polizisten, dass ihn die Sache noch etwas kosten würde.
»Ihr müsst wieder zur Brücke abdrehen und so tun, als hättet ihr dort etwas gesehen. Es geht mir darum, die Feds neugierig zu machen und sie mir hier drüben vom Hals zu halten.«
»Einen Moment bitte«, antwortete der Mann, und Cam konnte hören, wie er sich mit dem Piloten besprach. Dann meldete er sich wieder: »Gern, aber unter einer Bedingung.«
»Komisch, dass mich das nicht überrascht.«
»Sobald das alles hier vorbei ist, geben Sie uns eine offizielle Erklärung dazu ab.«
Hurensohn. Jeder wusste, dass er sich niemals öffentlich zu Bobbie Faye äußerte. Seit Jahren hatten die Leute von den Medien versucht, ihm irgendeine Äußerung abzuringen, und seit Bobbie Faye und er sich getrennt hatten, war die Presse besonders unnachgiebig geworden.
»Ich gebe normalerweise keine offiziellen Erklärungen ab«, erwiderte er. »Aber inoffiziell werde ich euch die Details verraten.«
»Nun ja, normalerweise führen wir das FBI auch nicht an der Nase herum. Außerdem«, fügte der Kameramann hinzu, »habe ich meine Mittel und Wege, selbst an die meisten Informationen heranzukommen.«
Cam hörte das Knattern des FBI-Hubschraubers, der sich langsam näherte. Gottverdammte Bobbie Faye!
Er ging davon aus, dass die Feds einen Scharfschützen in der Einstiegsluke hocken hatten, der nur darauf wartete, freies Schussfeld auf Cormier zu haben. Sollte Bobbie Faye immer noch hinter dem Mann herlaufen, konnte das FBI bei dem Versuch, seinen Exagenten zu eliminieren, folglich auch sie erwischen. Er hatte schon genug übereifrige Scharfschützen von SWAT-Teams die Kontrolle verlieren sehen, obwohl eine Geisellage relativ ruhig und stabil war. Doch dieses ganze Chaos bot sich für eine Katastrophe geradezu an. Er musste sich einfach jeden Vorteil verschaffen, den er bekommen konnte.
»Gut«, sagte er. »Eine Erklärung. Und nur, wenn die ganze Sache vorbei ist.« Er klappte das Handy zu. Unter der Voraussetzung, dass ich dann selbst noch am Leben bin.
Er rief Jason zurück, erklärte ihm seinen Plan und wies ihn an, den Polizeihelikopter ebenfalls hinüber zur Brücke zu schicken. Er bezweifelte zwar, dass er die Jungs vom FBI besonders lange würde täuschen können, aber wenn die Hunde so gut waren wie sonst, würde er die Feds für ein paar Minuten ablenken können.
Cam lief in dieselbe Richtung wie die Hunde, als sein Handy erneut vibrierte. Er klappte es auf, ohne dabei sein Tempo zu verringern.
»Du meintest doch, ich solle mich melden, wenn ich etwas Seltsames entdecken würde«, sagte Benoit statt einer Begrüßung. »Dieser Fred, der Bankräuber. Er ist Professor für Altertümer an der LSU. Keine Vorstrafen. Ein guter, rechtschaffener Bürger. Ich lasse Crowe und Fordoche gerade seine finanzielle Situation überprüfen.«
»Gibt es Hinweise auf frühere psychische Probleme?«
»Nicht bis heute Morgen, als bekannt wurde, dass er sich mit Bobbie Faye zusammengetan hat. Hey, warte mal. Sacre merde. Sein Anwalt ist gerade gekommen. Es ist Dellago.
Wieso zum Teufel verteidigte gerade der widerlichste und höchstbezahlte Anwalt des organisierten Verbrechens so einen Witz von Kriminellen? Jemandem, dem es nicht mal gelungen war, irgendwas mitgehen zu lassen.
Dellagos Auftauchen konnte nur eins bedeuten: In was auch immer Bobbie Faye da hineingeraten war, es musste bedeutend schlimmer sein, als Cam zunächst angenommen hatte. Sie zu verhaften war wahrscheinlich das geringste seiner Probleme. Dafür zu sorgen, dass sie bis zur Verhandlung am Leben blieb, dagegen … Er wollte sich lieber nicht ausmalen, wie schwierig es werden würde, wenn selbst Dellago schon in die Sache verwickelt war. Nun musste er es genau wissen. Er warf einen Blick auf die vielen Männer (und die vielen Hunde), die Bobbie Faye jagten. Sie hatte nicht die geringste Chance zu entkommen. Bald würde sie sich in Gewahrsam befinden und damit in Sicherheit.
»Ich bin in zehn Minuten da«, erklärte er Benoit. Dann legte er auf, drehte sich um und lief zurück zum Unfallort am See. Unterwegs rief er Kelvin an.
»Die Hunde werden immer aufgeregter«, sagte der Hundeführer. »Die Spur ist frisch. Wir holen sie ein. In ein paar Minuten müssten wir sie in Sichtweite haben.«
»Fang du sie ein. Ich muss zurück aufs Revier.«
»Ich verliere meine zwanzig Mäuse Wetteinsatz, wenn nicht du es bist, der ihr die Handschellen anlegt«, knurrte Kelvin.
»Ach, fahr zur Hölle!« Als er auflegte, hörte er noch, wie Kelvin lachte.
Er lief zurück zum Seeufer, wo bereits sein Boot mit laufendem Motor und bemannt mit einem Streifenpolizisten wartete. Cam warf einen Blick hinüber zur Brücke. Der Helikopter des Senders schwebte dicht über einem Stück Wald, nur ein paar Meter von der Stelle entfernt, zu der Bobbie Faye ursprünglich wohl hatte laufen wollen. Ganz in der Nähe kreiste der Polizei-Heli, und es sah so aus, als wären die Jungs vom FBI tatsächlich neugierig geworden und würden selbst einen Blick riskieren wollen.
Kelvin und das SWAT-Team könnten Bobbie Faye also in Ruhe verhaften. Es sei denn, es käme zu einer Geisellage. In diesem Fall hätte er, offen gesagt, wohl bessere Karten, wenn ein kaltblütiger Killer wie dieser Cormier Bobbie Faye als Geisel nähme als umgekehrt. Das einzig Gute an der Sache, das ihm einfiel, war die Tatsache, dass Bobbie Faye, auch wenn sie noch so sehr in die Ecke getrieben wurde, niemals auf die Hunde schießen würde. Die Männer dagegen, hoffte er zumindest, waren klug genug, nicht in ihre Schusslinie zu geraten.
Sie schwammen bereits einen Kilometer und passierten die Biegung des Flusses, als Trevor Bobbie Faye plötzlich ein Zeichen gab. Sie standen mitten in dem Wasserarm. Und nur wenige hundert Meter von ihnen entfernt sonnten sich zwei Alligatoren auf einem umgestürzten Baumstamm. Trevor warf einen prüfenden Blick über Bobbie Fayes Schulter. »Wenn wir umkehren, laufen wir ihnen direkt vor die Mäuler. Wir müssen noch ein kleines Stück den Fluss hinauf, bevor wir das Wasser verlassen können.«
»Vielleicht können wir einfach an den Biestern da vorn vorbeigehen. Mir hat mal jemand gesagt, Alligatoren seien ziemlich schüchtern.«
»Sind Sie sicher, dass derjenige, der Ihnen das gesagt hat, Sie besonders mochte?«
»Äh … nicht hundertprozentig.«
Er bemerkte ihren unsicheren Gesichtsausdruck und schüttelte nur den Kopf.
Dann wateten sie weiter durch das dunkle, brackige Wasser. Der beißende Gestank nach Fisch konkurrierte mit dem strengen Geruch nasser Erde und verrottenden Laubs darum, sie ihrer Sinne zu berauben, sodass sie keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen konnte. Dabei musste sie unbedingt einen klaren Kopf bewahren. Irgendein wichtiger Gedanke lag ganz tief in ihrem Unterbewusstsein vergraben, doch er war einfach nicht greifbar für sie.
Dabei stand sie kurz davor, ihn zu erfassen. Sie fühlte sich wie in der Schule, als sie unruhig an ihrem Tisch gesessen und sich nicht zwischen zwei ähnlichen Antworten in einem Multiple-Choice-Test hatte entscheiden können. Beide Lösungen kamen ihr irgendwie bekannt vor, und sie ließ die Spitze ihres Stifts hin und her schweben, während sie versuchte, sich zu entscheiden, ob die eine Antwort ihr geläufig vorkam, weil es die richtige war, oder nur, weil sie diese am häufigsten gegeben, sich aber dennoch geirrt hatte. Ihre ganze jetzige Situation kam ihr plötzlich wie der Multiple-Choice-Test des Jahrzehnts vor, bei dem ihre Antwort aber irgendwie im Verborgenen lag. Obwohl sie sich sicher war, die richtige Möglichkeit gewählt zu haben, quälte sie weiterhin das Gefühl, irgendetwas Wichtiges vergessen zu haben.
Vielleicht war das alles auch nur Folge des ganzen Stresses. Vielleicht kam es daher, dass sie geglaubt hatte, die schwierigste Entscheidung, die sie an diesem Tag treffen müsste, würde darin bestehen, ob sie den Hummer lieber schon kochen sollte, bevor sie losfuhren, oder erst später, wenn er würziger war, weil er mehr Marinade aufgenommen hatte. Aber dann würde natürlich jeder einen haben wollen. Sie konzentrierte sich auf den Baumstamm, der fast über den halben Fluss ragte. Dieses quälende Gefühl der Furcht konnte natürlich auch etwas mit dem drei Meter langen Alligator zu tun haben, der dort vorn in der Sonne lag. Selbst wenn die Biester tatsächlich schüchtern waren, sie schienen ebenso unberechenbar zu sein und wirkten zutiefst Furcht einflößend.
Der Gedanke an fressende Alligatoren erinnerte sie an ihren Vetter Alfonse mit dem Fußstumpf, der in seine Einzelteile zerlegt unter einer Plane lag. Ein Bild, das es auch nicht gerade besser machte. Sie würde einfach nicht mehr über diese Tiere nachdenken.
Aber natürlich denkt man immer genau über das nach, worüber man nicht nachdenken will, und vielleicht sollte sie einfach an etwas ganz anderes denken – aber nein, es funktionierte nicht. Warum hatte sie sich nicht einfach vorgenommen, nicht an hübsche Blumen, Schokolade oder flauschige Hasen zu denken? Das wäre einfacher gewesen. Doch jetzt vermischte sich auf einmal alles und vor ihrem geistigen Auge tauchte unvermittelt ein Alligator auf, der ein schokoladenbraunes, flauschiges Häschen zerriss und es hinunterschlang. Beinah hätte sie laut aufgeschrien, weil das Bild so real und drastisch war, und sie stolperte.
Trevor schlang einen seiner gestählten Arme um ihre Taille, fing sie auf und gab ihr Halt, indem er sie gegen sich drückte. Als er sie so festhielt und sie ihn spüren konnte, schmiegte sie sich mit ihrem ganzen Körper an ihn. Plötzlich war ihr das Wasser ganz egal. Und der Alligator verdiente sich sehr schnell einen ganz besonderen Platz in ihrem Herzen, denn nun war sie Trevor so nah, dass sie die blond-roten Bartstoppeln auf seinen Wangen glitzern sah, die Narben der Stiche, mit denen einst die Wunde unter seinem Auge genäht worden waren, erkennen konnte und auch die grünen Tupfer im Blau seiner Iris bemerkte. Er blickte sie an. Sah sie wirklich richtig an, und seine ganze Mimik veränderte sich. Irgendetwas in seinen harten Gesichtszügen wurde weich, als würden diese schmelzen. Und verdammt noch mal, dieser neue Ausdruck hätte eigentlich verboten werden müssen. Denn er verriet ihr ganz deutlich, dass sie längst nackt und sehr, sehr glücklich sein würden, wenn sie nicht gerade inmitten eines Bayous bis zur Hüfte im Wasser stünden. Sie spürte, wie sie die Luft einsog, und wusste, dass er spüren konnte, wie sehr ihr Herz raste.
»Sind Sie okay?«, erkundigte er sich.
»Mhmmm.« Sie traute sich nicht, ihm ernsthaft zu antworten.
»Bei unserem nächsten Treffen«, flüsterte er, »bestimme ich den Ort.«
Sie lachte an seiner Schulter. Verdammt! Ein wirklich gut aussehender, erotischer Mann, der sie in einer so katastrophalen Situation zum Lachen bringen konnte … damit war einfach alles klar. Bei ihrem Glück mit Männern musste er die Wiedergeburt Satans – oder aber dem Untergang geweiht – sein. Ihr fiel auf, dass zumindest die Helikopter abgedreht hatten. Vielleicht würde ja doch noch alles gut werden.
Ce Ce starrte auf den Fernseher und beobachtete, wie die verschiedenen Hubschrauber (inzwischen waren es allein schon drei Nachrichten-Helis) zusammen mit der Landespolizei und dem FBI in der Nähe der Brücke kreisten, als hätten sie Bobbie Faye entdeckt. Die Aufregung im Laden war nahezu spürbar, und die Energie schien von den Wänden zurückgeworfen und von den Dutzenden und Aberdutzenden von Kristallen reflektiert zu werden, sodass sie sich dadurch immer weiter verstärkte.
Sie musste irgendetwas dagegen tun. Sie brauchte etwas, um die Energie umzuleiten. Sie gab Monique ein Zeichen mit dem Kopf, die nur nickte und dann hinter dem Tresen verschwand, um in einen der hinteren Räume zu gehen, während Ce Ce Kartons mit Kristallen aufriss, die sich in jeder freien Ecke des Ladens stapelten.
Als sie ihren Blick über die vielen Menschen in ihrem Laden schweifen ließ, seufzte sie erleichtert. Mit so viel Energie würde man sicher etwas bewirken können. Das musste einfach funktionieren. Jetzt war’s nur noch an ihr, diese auch zu kanalisieren. Sie klatschte in die Hände, und Monique kam mit einer Schüssel herein, in der sich eine aschige Mixtur befand, die Ce Ce bereits vor einiger Zeit zusammengebraut hatte. Nun roch sie jedoch seltsam nach Knoblauch, Blut, Leber und verbranntem Salbei.
»Machen wir uns an die Arbeit«, wandte sich Ce Ce an ihre Kunden und begann, Kristalle auszugeben, während sie allen erklärte, was damit zu tun sei, und Monique überall im Raum etwas von der Asche verteilte.
Während Trevor und Bobbie Faye weiter flussaufwärts wateten, konnte sie ihren Blick nicht von den Reptilien abwenden. Sie schienen irgendwie rastlos und auf dem Sprung zu sein, als wären sie jederzeit bereit, sich ins Wasser zu stürzen. Dabei hätten sie sich doch eigentlich ängstlich zurückziehen sollen. Verdammt noch mal! Sie musste endlich einen klaren Gedanken fassen.
Sie ließ ihren Blick über das absolut ruhig daliegende Gewässer gleiten und bemerkte, dass das Bellen der Hunde allmählich leiser wurde. Es war absolut windstill, nichts bewegte sich, es gab nur die pure, grüne Stille.
Grün. Das üppige, tiefe, reine Grün von Smaragden und Oliven und Jade und Salbei … jeder Baum und jeder Grashalm schien damit gesättigt zu sein.
Oh, Scheiße!
»Wir haben Ende April«, flüsterte sie, als ihr endlich einfiel, was sie vergessen hatte.
»Ja, und?«
»Nur weibliche Alligatoren verhalten sich aggressiv, und zwar dann, wenn jemand ihrem Nest zu nahe kommt. Jetzt gerade ist die Zeit, in der die Kleinen normalerweise schlüpfen.«
»So was Bescheuertes, dämlicher kann man ja wohl nicht sein.«
»Hey! Tut mir leid, verdammt noch mal. Ich hab’s doch nicht absichtlich vergessen.«
»Ich habe mich selbst gemeint«, erwiderte er, während sie sich dem Ufer zuwandte. »Daran hätte ich denken müssen.«
Sie konnte nicht anders, als einen Moment lang sein Profil anzustarren. Dann kletterten sie aus dem Wasser an Land.