5

Pech: 10381

Bobbie Faye: 0

Graffiti, gesehen an einer Brücke

»Ich habe die Bank nicht überfallen!«, brüllte sie ins Handy und lehnte sich vor, als würde Trevors Pick-up dadurch schneller werden. »Ich habe die Bank vielleicht aus Versehen ausgeraubt, was absolut nicht dasselbe ist.«

»Sie haben die Bank ausgeraubt?«, fragte Trevor und schlug mit der Handfläche aufs Lenkrad. »Was zum Teufel hab ich mir nur gedacht? Natürlich haben Sie sie ausgeraubt. Sie hatten eine Waffe. Und ich bin auf Ihre rührselige Geschichte reingefallen.«

»Ich habe Ihnen keine rührselige Geschichte erzählt, Sie Idiot. Ich hab nur auf Ihren Wagen geschossen. Und du«, wandte sie sich wieder an Roy, »solltest mich besser kennen. Die anderen Typen haben sie überfallen. Hätte ich sie ausgeraubt, hätte ich jetzt auch das Geld und das … äh … Ding.« Sie warf Trevor einen flüchtigen Blick zu, weil sie bemerkte, dass er lauschte. »Und dem jagen wir gerade nach.«

»Wer ist wir?«, fragte Roy.

»Unwichtig.«

»Was zum Teufel ist das für ein Ding, das Sie mitgenommen haben?«, wollte Trevor wissen, doch sie winkte ab. Auf einmal drang der schmeichelnde Bariton eines anderen Mannes über das Handy an ihr Ohr.

»Bobbie Faye«, sagte der Fremde, und trotz seines sanften Tonfalls war ihm eine gewisse Ungeduld anzumerken, »ich will das Diadem haben. Sofort!«

»Ich arbeite daran!«

»Dann arbeite schneller«, erwiderte er, »oder ich fange an, dir deinen Bruder in kleinen Stücken zurückzuschicken.« Er legte auf.

»Warten Sie!« Aber er wartete nicht. Frustriert sank Bobbie Faye in ihren Sitz zurück.

»Was ist hier eigentlich los?«, fragte Trevor. Eine nicht ganz unbegründete Frage, das wusste sie. Doch sie konnte es nicht riskieren, ihm alles zu erklären. Schließlich war er nur wegen der Belohnung dabei. Das Letzte, was sie jetzt noch gebrauchen konnte, war, dass er es sich anders überlegte und sie im Stich ließ.

»Nichts weiter, mein Leben zerbröckelt nur gerade auf ziemlich spektakuläre Weise in seine Bestandteile«, antwortete sie und ließ dabei den Wagen vor sich nicht aus den Augen.

»Diese Typen haben also irgendetwas, das wichtig für Sie ist?«, fasste Trevor zusammen, und sie verdrehte die Augen. Vielleicht war er gar nicht so clever, wie er am Anfang gewirkt hatte.

»Und Sie sind sicher, dass es nicht jemand anderes war, ja? Wir verfolgen die richtigen Typen?«

»Glauben Sie wirklich, ich wüsste nicht, wer das verdammte Ding geklaut hat?«

Er fuhr rechts ran, parkte, griff über sie hinweg, wobei er die Waffe in ihrer Hand ignorierte, öffnete die Tür und zeigte hinaus. »Erster Stock, Süßwaren auf der linken Seite, Elektroschocker rechts. Passen Sie auf die Stufe auf und rufen Sie das nächste Mal ein Taxi.«

»Aber … aber … was ist mit der Belohnung?«

»Komplizen eines bewaffneten Raubüberfalls haben normalerweise keine Zeit, Motorrad zu fahren. Raus!« Er blickte sich um. Bobbie Faye sah ebenfalls nach hinten und fragte sich, ob sich die Polizei vielleicht bereits von dort an sie heranschlich.

»Ich habe kein Geld für ein Taxi«, sagte sie.

»Lady, Sie haben die Bank ausgeraubt.«

»Ich habe die Bank nicht ausgeraubt. Würden Sie bitte aufhören, mir das zu unterstellen?! Ich meine, Himmel, Arsch und Zwirn, sehe ich etwa aus wie jemand, der …« Sie hielt inne, als sie bemerkte, wie er auf den Knack-mich-lutsch-mich-Aufdruck auf ihrem T-Shirt und die Waffe in ihrer Hand schielte. »Schon gut, Sie brauchen mir nicht zu antworten. Ich mache Ihnen folgendes Angebot: Ich muss unbedingt etwas zurückbekommen, denn wenn ich nicht …«

»Ja, klar, es geht um Leben und Tod, stimmt’s?«, fragte er und unterbrach sie damit, noch bevor sie ihren patentierten Sumrall-Charme einsetzen konnte. Er tippte mit dem Finger auf den GPS-Empfänger in seinem Pick-up, als wäre dieser weitaus interessanter als sie. Bobbie Faye knirschte hinter ihrem charmantesten Lächeln mit den Backenzähnen, während sie gegen das heftige Bedürfnis ankämpfte, den verdammten GPS-Empfänger einfach so zum Spaß über den Haufen zu schießen.

»Das kaufe ich Ihnen nicht ab, Lady«, fuhr Trevor fort. »Sie ziehen jede Art von Katastrophe magisch an, und ich werde jede einzelne Minute, die Sie noch länger in diesem Wagen bleiben, teuer bezahlen müssen. Sie sind wirklich sehr süß und …«

»Ich werde Sie bezahlen«, erklärte sie. »Wenn Sie mir helfen«, fügte sie hinzu, als er schmunzelte. Sein Lächeln gefiel ihr überhaupt nicht. Es wirkte sehr gefährlich, wie eines von jener Sorte, mit dem man jemanden davon überzeugen könnte, dass es völlig in Ordnung war, von einer Klippe zu springen. Zudem mochte sie sein braunes, lockiges Haar und die Narbe neben seinem Auge nicht. Ebenso missfiel ihr, wie blau seine Augen aufgrund seiner gebräunten Haut herausstachen. Braune Augen hatten etwas viel Vertrauenerweckenderes. Irgendwie musste sie wieder die Oberhand gewinnen, und offensichtlich war die Waffe nicht das richtige Mittel dafür, es sei denn, sie hätte tatsächlich vor, auf ihn zu schießen. Dies stand jedoch absolut nicht zur Debatte, schließlich hatte sie schon genug Ärger am Hals.

Bobbie Faye ließ ihren Blick wieder zu dem Saab schweifen, der immer noch auf derselben Straße fuhr, nun jedoch an jeder Ampel wegen des dichten Querverkehrs steckenblieb. Offenbar wollten die Jungs es nicht riskieren, bei Rot über die Kreuzung zu fahren. Sie versuchte es mit einem betörenden Augenaufschlag in Trevors Richtung und betete zu Gott, dass sie sich irgendwann an diesem Tag die Haare gebürstet und hoffentlich nichts zwischen ihren Zähnen hatte. Dann setzte sie ihr ebenfalls patentiertes Du-willst-mir-doch-helfen-Lächeln auf.

Er schüttelte den Kopf. »Wie wollen Sie mich bezahlen? Sie können sich doch nicht mal ein Taxi leisten, erinnern Sie sich? Ich muss mir das alles wirklich nicht geben. Steigen Sie aus. Erzählen Sie den Cops, Sie hätten in der Bank einen Nervenzusammenbruch wegen Ihres … hatten Sie nicht irgendetwas von Ihrem Bruder gesagt? Dann werden die schon nett zu Ihnen sein.«

»Ich hatte aber keinen Nervenzusammenbruch. Und sollten Sie mich rauswerfen, erzähle ich der Polizei, dass der Überfall ganz allein Ihre Idee war. Und niemand … nicht Sie oder Gott oder irgendjemand dazwischen wird sich mir in den Weg stellen, wenn ich meinem Bruder helfen muss. Und jetzt fahren Sie!«

Seine Miene veränderte sich von Nein zu Verdammt, nein. Versuch niemals, einen Mann zu manipulieren, der so geübt in der Kunst des Nein-Sagens ist, dass er ein ganzes Repertoire von Gesichtsausdrücken dafür beherrscht. Sie musste irgendetwas unternehmen, musste einen Weg finden, seinen Schutzpanzer zu knacken. Schließlich wusste sie nicht, ob sie die Typen noch einholen würden, wenn diese erst in die unübersichtliche Innenstadt abgebogen waren.

Sie gab es auf, so zu tun, als wäre sie kurz davor, auf ihn zu schießen. »Haben Sie Geschwister?«

»Wollen Sie die auch noch entführen?«

»Wenn es irgendwie hilft, ja. Und, haben Sie?«

»Drei verzogene Schwestern, die direkt aus der Hölle geliefert worden sind.«

»Kein Wunder bei einem Bruder wie Ihnen.«

»Bitte sagen Sie mir, dass irgendwo eine Sammelbüchse mit Ihrem Bild drauf herumsteht, mit der Geld für Ihre Therapie gesammelt wird.«

Bobbie Faye warf einen Blick in den Seitenspiegel und runzelte die Stirn. »Ich muss das Ding, das mir geklaut wurde, wiederbekommen, oder die Leute, die es darauf abgesehen haben, werden meinem Bruder sehr wehtun.«

»Dafür wurde einmal der Mord an Unbeteiligten erfunden«, murmelte er und beobachtete ebenfalls irgendetwas in seinem Seitenspiegel.

»Bringen Sie mich bloß nicht auf dumme Gedanken. Und jetzt fahren Sie bitte. Wir verlieren das Auto sonst noch.« Sie richtete ihre Waffe wieder auf ihn und beobachtete, wie er weiterhin bloß in den Seitenspiegel starrte und seine Stirn dabei weitaus stärker in Falten legte, als er es beim ersten Blick in die Mündung ihrer Pistole getan hatte. Mit einem Blick durch die Heckscheibe konnte sie einen silbernen Taurus entdecken, der ein paar Wagenlängen hinter ihnen am Kantstein parkte. Ein Yuppie-Typ, dessen gut sitzender Anzug seine breiten Schultern betonte, stieg auf der Fahrerseite aus und trat vor das Schaufenster eines Ladens. Er kam ihr irgendwie bekannt vor, doch sie wusste nicht, wieso. Sie kniff die Augen zusammen und sah, dass das Geschäft leer war und der Kerl etwas zu intensiv hineinstarrte, wobei er sich halb vom Pick-up abwandte.

»Hey«, wandte sie sich an Trevor, »beobachtet uns der Typ etwa? Unser Spiegelbild in der Glasscheibe?«

»Hat der Kerl irgendwas mit den anderen beiden zu tun, die Ihre Sachen geklaut haben?«

»Nein … zumindest nicht, dass ich wüsste. Wieso?«

Über ihnen tauchte ein Helikopter auf, und Trevor zeigte ihr sein bisher grimmigstes Gesicht.

»Verdammt, Lady, jetzt schulden Sie mir aber richtig was. Aber richtig richtig.« Er setzte den Pick-up mit einer solchen Wucht zurück, dass Bobbie Faye gegen das Armaturenbrett flog, mit ihrem Handgelenk an das Handschuhfach stieß und sich ein Schuss löste. Die Kugel jagte ein Loch in den Wagenboden.

Nun gab Trevor Gas, zog den Wagen auf die Straße, und noch bevor Bobbie Faye sich wieder aufgerichtet hatte, schlugen Kugeln in die Heckklappe.

»Nicht den Pick-up! Verflucht! Langsam nehme ich die Sache persönlich.«

Und dann tat er etwas, das Bobbie Faye den Eindruck vermittelte, es könnte vielleicht doch keine so gute Idee gewesen sein, ausgerechnet in seinen Wagen zu steigen: Er begann ebenfalls auf den Yuppie-Typen zu schießen, der hinter ihnen herlief.

»Hören Sie auf damit! Sie könnten jemanden verletzen!«

»Sie haben auf mich geschossen«, erinnerte er Bobbie Faye.

»Hab ich nicht. Ich habe auf Ihren Pick-up geschossen.« Sie ignorierte seinen wütenden Blick. Er hätte seine Drohung, sie hinauszuwerfen, wahrscheinlich tatsächlich wahrgemacht, wäre er in diesem Moment nicht gerade irgendwelche Seitenstraßen entlanggerast, die in die gleiche Richtung führten, in die der Saab fuhr. Quer über die Fahrbahn waren von Laterne zu Laterne Transparente zur Ankündigung des Piraten-Festivals gespannt. Dutzende von Leuten liefen bereits in ihren Kostümen mit falschen Schwertern, Bier und Softdrinks in den Händen herum. Bobbie Faye schrie auf, als sie um eine Kurve schossen und fast durch einen Haufen Schulkinder gepflügt wären, der gerade die Straße überquerte.

Trevor zog das Steuer stark nach rechts, sodass Bobbie Faye gegen ihn geschleudert wurde. (Oh verdammt, Männer sollten nicht so gut riechen, wenn man gerade um sein Leben rannte!) Noch bevor sie sich aufsetzen konnte, um zu schauen, wo sie sich befanden, spannte er auch noch seinen Bizeps an ihrer linken Wange an. Fast hätte er sie mit dem Ellbogen k.o. geschlagen, als er das Lenkrad herumriss, um jemandem auszuweichen, den sie nicht sehen konnte, da er sofort wieder aufs Gas trat. Mit weit aufgerissenen Augen stierte sie durch die Windschutzscheibe, als der Pick-up sich plötzlich vorn aufrichtete – und abhob. Trevor hupte wie wild, um Fußgänger zu verscheuchen.

Dann landeten sie wieder. Hart. In irgendetwas Rotem. Es war einer der Festwagen, die auf ihren Einsatz warteten.

»Wir sind gerade auf einer Languste gelandet«, merkte Bobbie Faye an.

»Danke. Das ist mir schon aufgefallen.« Trevor klang nicht gerade begeistert.

Zwei Streifenwagen rasten an ihnen vorbei, und Bobbie Faye war dankbar dafür, dass ihnen die riesigen roten Scheren aus Pappmaschee, die sie umschlossen, augenscheinlich gute Deckung boten. Doch die Freude währte nur kurz, denn eine ganze Meute ziemlich aufgebrachter Cajuns stürmte von den anderen Festwagen herüber und hielt nach jemandem Ausschau, dem sie den Kopf abreißen könnte. Bobbie Faye ließ ihren Blick über das Chaos, die Cops und die verrückten Möchtegern-Piraten, die überall herumliefen, schweifen. Da die ersten Umzugswagen, welche die Parade anführten, bereits losgefahren waren, hatte sich ein Stau gebildet.

Und dann entdeckte sie ihn: den Saab. Nur ein paar Blocks von ihnen entfernt versuchten die Bankräuber ebenfalls, dem wilden Durcheinander zu entkommen.

»Verdammt, da sind sie. Wir müssen uns beeilen.«

Trevor starrte Bobbie Faye an, als könnte das nicht ihr Ernst sein, und als er keinerlei Anstalten machte, sich in Bewegung zu setzen, legte sie selbst einen Gang ein und trat das Gaspedal durch.

Die mächtigen Räder des Pick-ups gruben sich in den Unterbau des Festwagens und griffen. Trevor hatte ernsthaft mit dem Steuer zu kämpfen, damit er den Wagen unter Kontrolle behielt. Gleichzeitig drückte er ununterbrochen auf die Hupe, um den Schaulustigen auf dem Bürgersteig klarzumachen, dass sie sich besser schleunigst verziehen sollten. Unaufhaltsam preschte der Pick-up aus dem Umzugswagen heraus und zog noch einiges an Langusten-Resten mehrere Blocks weit hinter sich her.

Die Cops machten einen U-Turn, um zu ihnen zurückzukommen, wurden aber von den Festwagen aufgehalten, die ihrerseits schwankend dazu gezwungen wurden, dem Langusten-Pick-up, der ihnen nun plötzlich entgegenkam, auszuweichen. Bobbie Faye griff ins Lenkrad, als Trevor sich von dem Saab entfernen wollte. Aber er brachte es wieder unter seine Kontrolle und deutete entschieden auf den Beifahrersitz.

»Sie«, zischte er, »bleiben da drüben!«

»Sie wissen offenbar nicht, was Sie da tun!«

Als sie merkte, wie unglaublich wütend er war, beschloss sie, dass es vielleicht gar keine so schlechte Idee war, sich auf ihre Seite zurückzuziehen.

Er funkelte sie an. »Ein schneller Schuss in den Kopf, und niemand hätte etwas bemerkt.«

Sie tat so, als würde sie ihn nicht hören und spähte aus dem Heckfenster. Fast hätte sie der Schlag getroffen, als sie beobachtete, wie viele Cops versuchten, sich einen Weg durch die verstopften Straßen zu bahnen und die Verfolgung aufzunehmen.