20
Im Wartezimmer sitzen fünf gestandene Männer, alle leiden unter Kurzatmigkeit, Panikattacken, Benommenheit, Ausschlag, und einer hat sich auf dem Boden zusammengerollt, lutscht an seinem Daumen und möchte, dass ich seine Mami anrufe.
Dr. Pam Dumond zu Schwester Jennara über den Ansturm neuer Patienten während der letzten Bobbie-Faye-Katastrophe
Der Polizeihelikopter wurde heftig durchgeschüttelt, als die Ölplattform explodierte. Metallsplitter zischten wie Schrapnelle durch die Luft, und ein mächtiger Feuerball stieg dreißig Meter hoch in den strahlend blauen Himmel. Cams Pilot bekam den Hubschrauber schnell wieder unter Kontrolle und drehte in Richtung der Unglücksstelle ab. Dort, direkt am See, schlugen nun die Flammen fünfzehn Meter hoch in den Himmel. Der Brand wurde von dem auslaufenden Öl der Plattform genährt und war ein weiterer Beweis für Cams schlechtes Gefühl im Magen. Doch zunächst konnte er gar nicht fassen, was sich dort eigentlich abspielte.
Er starrte in das Feuer, starrte auf all die Zerstörung, und um ihn herum wurde alles ganz still. Die Welt schien ihre Farbe zu verlieren und was blieb, war nichts: kein Gefühl, keine Wärme, kein Laut, kein Licht. Dann tauchten nach und nach Bilder von Bobbie Faye vor seinem geistigen Auge auf. Wäre er ein Mann gewesen, der auf seine innere Stimme hörte, hätte er bemerkt, dass es ihm nicht möglich war, sich auch nur eine einzige Erinnerung an sie ins Gedächtnis zu rufen, wie sie wütend war, die Augen vor Zorn weit aufgerissenen hatte oder ihm anderweitig das Leben schwer gemacht hatte. Ihm wäre auch aufgefallen, dass nur positive Gedanken an sie durch seinen Kopf huschten. Wie sie lächelte oder wie sie roch oder wie sie sich in seine Armbeuge kuschelte. Aber so ein Mann war er nun mal nicht. Er schloss die Augen und schob all diese Erinnerungen beiseite. Er wollte nicht einmal an Bobbie Faye denken. Es gab nichts, woran es sich zu denken lohnte. Sie hatte nur einen kurzen Abschnitt seines Lebens mit ihm geteilt, der längst vorbei war, endgültig und für immer.
Er hatte Schwierigkeiten, den Knopf für das Funkgerät zu finden, und fummelte an seinem Mikrofon herum. Seine Finger fühlten sich taub an. Aber warum? Und weshalb konnte er nichts hören? Er nahm Kontakt zu Jason auf. Seine Stimme klang roboterhaft, als er diesem berichtete, was passiert war, und Teams anforderte, die für diese Art von Unfällen ausgebildet waren.
Es gab nichts, worüber er nachdenken konnte. Nichts.
Der Helikopter schwebte in sicherem Abstand vor der Ölplattform, als sich völlig unvermittelt und mit einem lauten Knacken der Nachrichten-Heli über Funk meldete. Die Journalisten hatten sich auf dieselbe Frequenz geschaltet, die Cam benutzte, um die Rettungsarbeiten zu koordinieren.
»Wir haben da etwas!«, ertönte die Stimme des Kameramanns aus dem Lautsprecher. »Im Ernst jetzt, wir haben etwas. Das müssen Sie sich ansehen.«
Cam schlug einen Ort vor, an dem sie landen könnten, und musste feststellen, dass auch die Jungs vom FBI seine Frequenz abgehört hatten, da diese sich nun ebenfalls meldeten und ankündigten, dazuzustoßen.
Bobbie Faye hatte die Wucht der Explosion schon gespürt, bevor diese überhaupt zu hören gewesen war. Oder zumindest glaubte sie das, denn tatsächlich etwas vernommen hatte sie eigentlich nicht. Was natürlich auch ein bisschen schwierig war, wenn eine innere Stimme unablässig »Heilige Scheiße, heilige Scheiße, heilige Scheiße!« schrie, als wollte sie bei den Olympischen Spielen der Durchgeknallten die Goldmedaille gewinnen.
Trevor indes wurde von der Druckwelle nach vorn geworfen. Er prallte gegen sie und riss sie durch seinen Schwung mit auf den Boden des Rettungsboots, wo er sie für einen kurzen Moment mit seinem Gewicht gegen die Planken drückte, bevor er den Kopf schüttelte, um wieder klar denken zu können, und sich aufrappelte.
Schnell lief er zum Steuer und manövrierte das Boot ein ganzes Stück den Kanal hinauf. Doch die künstliche Wasserstraße war wie ein U angelegt und führte im Bogen wieder zurück in den See. Bobbie Faye setzte sich auf und sah zu, wie er probierte, eine Wunde auf der Rückseite seines linken Oberschenkels zu versorgen, wo ein kleines, gezacktes Stück Metall aus seiner Hose ragte. Sie nahm an, dass es von der Ölplattform stammte. Er verzog das Gesicht, als wolle er laut aufschreien, aber Bobbie Faye hatte in ihrer Nachbarschaft schon Schlimmeres gesehen. Noch bevor er irgendetwas sagen konnte, packte sie beherzt zu und zog den Splitter heraus, um ihm zu beweisen, wie unbedeutend die Verletzung war.
»Verfluchte Scheiße!«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und drückte beide Hände auf den Schnitt.
»Ach je, ach je! Das blutet ja nicht mal.« Sie betrachtete die Wunde genauer. »Sehr«, fügte sie dann hinzu und starrte immer noch auf die Verletzung, aus der nun eine beträchtliche Menge Blut rann. »Iiieh! Sie sollten wirklich was dagegen unternehmen«, sagte sie und wich dann lieber schnell einen Schritt zurück, damit er sie nicht aus dem Rettungsboot werfen konnte.
Trevor nahm das Gas zurück, sodass sie nur noch langsam dahintuckerten. Dann versuchte er, einen Blick auf die Wunde zu werfen, schaffte es jedoch nicht wirklich, weil sie sich genau auf der Rückseite seines Oberschenkels befand.
»Okay, geben Sie mir Ihr Messer«, meinte Bobbie Faye.
»Einen Teufel werde ich tun.«
»Damit ich Ihr Hemd zerschneiden kann und wir die Wunde verbinden können, Sie Idiot.«
Trevor zog den kleinen Außenbordmotor aus dem Wasser, nahm sein Messer und begann, sein Hemd zu zerschneiden. Ein paar Minuten lang trieben sie nur so dahin. Bobbie Faye verschränkte die Arme. Es ärgerte sie, dass er, obwohl er selbst nicht vernünftig an die Verletzung herankam, nicht um Hilfe bat.
Schließlich gab er doch nach und reichte ihr zögerlich die Stoffstreifen, die einmal sein Hemd gewesen waren. Sie verkniff sich das: »Na also, geht doch«, das ihr auf der Zunge lag, verband gekonnt seine Wunde und verknotete die Enden des Stoffs miteinander.
Trevor inspizierte genau, was sie getan hatte.
»Es macht mir wirklich Sorgen, dass Sie so gut Verbände anlegen können.«
Ein metallisches Klacken hallte durch den Wald. In ihrer unmittelbaren Nähe wurden deutlich hörbar Gewehre durchgeladen.
»Es ist nicht das Einzige, worüber Sie sich Sorgen machen sollten«, sagte ein Mann hinter Bobbie Faye.
»Ich möchte eure Hände sehen«, befahl ein zweiter, und sie und Trevor hoben die Arme, während ihr Rettungsboot sanft im Wasser schaukelte.
»Oh, Scheiße!«, murmelte sie, obwohl sie sich noch nicht mal zu den Typen umgedreht hatten.
»Ich kümmere mich darum«, flüsterte Trevor. »Wenn es eng wird, schwimmen Sie zur Ölplattform. Dort müssten inzwischen die Cops eingetroffen sein.«
Doch das würde nichts helfen. Niemals würde sie es bis dorthin schaffen. Sie hatte bereits genug gehört, um zu wissen, dass sie weit tiefer in der Patsche saßen, als Trevor ahnte.
Cam musste sich zusammenreißen, um dem Piloten des Polizeihubschraubers nicht ins Handwerk zu pfuschen, damit dieser schneller landete. Noch bevor die Kufen den Boden berührten, sprang er aus der Maschine und lief hinüber zu dem Nachrichten-Heli. Auf halbem Weg schlossen sich ihm Zeke und einer seiner Kollegen vom FBI an.
»Detective Moreau, das ist Special Agent Wellesly”, stellte Zeke die beiden Männer einander vor, als sie gemeinsam den Nachrichten-Helikopter erreichten.
Der Kameramann war gerade dabei, einen Monitor anzuschließen. »Ich glaube, ich habe sie im Kasten.« Er schob ein Band in ein Abspielgerät und tippte auf Schnellvorlauf, bis die Aufnahme von der Bootsjagd begann. Dann deutete er auf den Bildschirm und zeigte den anderen, in welchem Boot sich Trevor und Bobbie Faye befanden. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass das hier die beiden sind. Ich hab sie rangezoomt, aber wie Sie sehen, waren wir noch ein bisschen zu weit entfernt, um ein wirklich scharfes Bild zu bekommen. Hier sind wir dann direkt auf sie zugeflogen.«
Cam beobachtete, wie das Schnellboot einen Satz nach vorn machte. Und es war Bobbie Faye, wie der Kameramann vermutet hatte. Ihre Gestik würde Cam immer wiedererkennen, besonders in diesem Augenblick, da sie offenbar mit dem Mann, wahrscheinlich Cormier, stritt. Cam zeigte keinerlei Regung, als das Boot seitlich aufgerichtet durch die erste Pfeilerreihe der Plattform schoss. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er zu sehen, dass Cormier Bobbie Faye festhielt, bevor das Boot dann weiter auf die gegenüberliegende Seite der Ölbohrplattform zusteuerte. Es geriet außer Sicht, explodierte und eine Minute später stand auch die Plattform in Flammen.
»Und jetzt sehen Sie sich das mal an«, sagte der Kameramann und spulte das Tape bis zu der Stelle zurück, an der Cam geglaubt hatte zu sehen, wie Cormier Bobbie Faye festhielt. Der Kameramann zeigte ein Standbild. Cormier schien irgendetwas in die Luft zu halten. Vielleicht ein Seil? Cam war sich nicht sicher, aber er konnte sehen, wie Bobbie Faye sich eng an den Mann schmiegte. Der Journalist ließ die Szene ganz langsam, Bild für Bild, weiterlaufen. Das Boot glitt hinter die Ölplattform, und dann folgte die Explosion.
Cam hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen, stand jedoch einfach nur völlig regungslos da.
»Wir werden für eine Weile nicht dorthin können«, hörte er sich selbst sagen. Seine Stimme klang ruhig und beherrscht. Schon seltsam, wie er das hinbekam. »Das Notfall-Team ist bereits unterwegs. Die Jungs müssen erst das Feuer löschen und das Bohrloch verschließen, bevor wir unsere Leute von der Spurensicherung hinschicken können.«
»Wie lange wird das dauern? Stunden oder was?«, wollte Zeke wissen.
Cam stieß ein höhnisches Schnauben aus. »Wir können uns glücklich schätzen, wenn es nicht sogar Tage dauert. Bei so einem Bohrloch kann man schließlich nicht einfach den Hahn zudrehen.«
Sie sahen sich die Aufnahmen noch zwei weitere Male an und ließen sie Bild für Bild durchlaufen, doch keiner von ihnen konnte erkennen, was mit Bobbie Faye, Cormier oder dem Boot passiert war.
»Tja, das war’s dann wohl«, meinte Wellesly. »Sie sind wohl tot.«
Zeke schüttelte den Kopf. »Dass Cormier tot ist, glaube ich erst dann, wenn ich seine Überreste in einem Leichensack vor mir liegen habe.«
Cam drehte sich um und lief zurück zu seinem Hubschrauber. Zum ersten Mal hoffte er, dass der FBI-Agent recht behalten würde.
»Ich hab wirklich schon richtig harte Hunde ein paar echt verrückte Stunts abziehen sehen, aber ihr beide habt den Vogel abgeschossen. Was zum Teufel habt ihr euch dabei gedacht, mein Boot zu klauen?«
»Ehrlich gesagt, gab es ein großes Durcheinander«, meinte Trevor, und Bobbie Faye verdrehte die Augen. So würde das nicht funktionieren.
»Wie jetzt?«, spottete der Mann hinter ihr. »Wie in deinem Kopf oder was?!«
»Ach, verdammt noch mal, Alex«, sagte Bobbie Faye und wandte sich zu dem Mann um, der die Waffenschmuggler anführte. »Es war doch nur ein popeliges, kleines Boot.«
»Herrgott noch mal, so eine Kacke! Ich hab’s ja schon geahnt, dass du das bist«, fluchte Alex, und Bobbie Faye und er funkelten einander wütend an. Die übrigen Waffenschmuggler grinsten wie ein Haufen Schuljungen, die gerade erst bemerkt hatten, dass sie bei einem tollen Feuerwerk in der ersten Reihe sitzen durften, während sie ihre Blicke immer wieder von Bobbie Faye zu ihrem Boss und dann wieder zurück wandern ließen.
Alex hatte sich kaum verändert, war immer noch so, wie Bobbie Faye ihn in Erinnerung hatte: dunkel, drahtig, muskulös, mit einer Hakennase und einem kantigen Gesicht. Sein schulterlanges schwarzes Haar passte allerdings gut zu ihm. Er war halb Cajun, halb Choctaw-Indianer, und auch wenn ihn wohl niemand als gut aussehend beschrieben hätte, besaß er doch ein gewisses Charisma, das ihn zu einem Anführer machte, dem seine Männer treu ergeben waren. Die Jahre hatten ihm nicht unbedingt geschadet, was sie – verflucht noch mal – wirklich ärgerte.
»Ich habe in den Nachrichten gesehen, dass du auf der Flucht bist«, fuhr Alex fort, und Bobbie Faye spürte mit Genugtuung, wie er kochte. »Und du musstest natürlich den ganzen verdammten Staat bis vor meine Haustür führen. Hast du den Verstand verloren?« Er winkte ab. »Ach, was habe ich denn auch anderes erwartet?«
»Erstens wusste ich nicht, dass dieses beschissene Boot dir gehört. Und zweitens hätte ich die anderen auch gleich mit in die Luft gejagt, wäre es mir klar gewesen.«
Trevor sah sie an, und in seinem Gesicht spiegelte sich eine gewisse Ungläubigkeit wider. »Vielleicht ist Ihnen noch nicht aufgefallen, wer hier auf wen zielt.«
»Oh, das weiß sie ganz genau«, erklärte ein weiterer Mann, der neben Alex stand. Er sah aus wie ein Stumpen: klein und kompakt, am Kinn Krümel von Kautabak, auf dem er beständig mit seinen fauligen Zähnen herumzukauen schien. »Die beiden waren mal zusammen.«
»Verdammt, erinner mich nicht daran, Marcel«, fuhr Alex ihn an.
Bobbie Faye merkte, wie es Trevor langsam dämmerte. »Deshalb wussten Sie also, dass wir es mit Waffenschmugglern zu tun haben. Und deswegen können Sie auch so gut schießen.«
Sie verstand nicht, warum er so verärgert war. »Ich wusste aber nicht, dass es sich um Alex’ Camp handelte. Dieses ist jedenfalls sehr viel schicker als das letzte. Er zieht viel durch die Gegend, weil er vollkommen nutzloser, widerlicher menschlicher Abschaum ist.«
»Versprechen Sie mir, dass Sie bei einer Geisellage niemals die Verhandlungen übernehmen werden?«
Alex lief vor Wut im Gesicht rot an. »Ich hätte dich umlegen sollen, als ich noch die Gelegenheit dazu hatte.«
»Er konnte vor Gericht ein Kontaktverbot gegen sie durchsetzen«, sagte Marcel, »nachdem sie sein Lieblingsauto in die Luft gesprengt hatte.«
»Ich hatte es auf das Camp abgesehen«, wandte sich Bobbie Faye an Trevor. »Alex und ich sind uns noch nie bei irgendetwas einig gewesen.«
»Ich hätte sie gern tot gesehen, aber sie wollte sich meinen Wünschen nicht fügen.«
»Allmählich kann ich mir gut vorstellen, was Sie meinen«, murmelte Trevor und erntete von Bobbie Faye einen eisigen Blick. »Und«, fragte er Alex, »warum haben Sie sie diesmal nicht erschossen?«
Alex starrte Bobbie Faye an. Sie konnte erkennen, wie aufgewühlt er innerlich war, aber sie wusste auch, dass noch mehr dahintersteckte. Sie hatte nämlich ein Druckmittel in der Hand.
Die Frage brachte Alex zum Schweigen, veranlasste Marcel jedoch dazu, sich plötzlich an die Männer um ihn herum zu wenden. »Zeigt ein wenig Respekt, Leute. Ihr könnt eure Waffen doch nicht auf die Piratenkönigin richten!«
Wie bei einer Einheit schwangen alle Männer ihre Gewehre zu Trevor hinüber und zielten auf ihn.
»Am heutigen Tag«, sagte Trevor, »ergibt selbst das für mich irgendwie einen Sinn.«
»Und euch allen geht’s gut?«, fragte Bobbie Faye die Schmuggler, von denen die meisten nun rot wurden, während ein paar andere nur interessiert auf ihr bauchfreies Knack-mich-lutsch-mich-T-Shirt und ihre engen Jeans starrten. Sie musterte Alex, um zu sehen, ob er die Blicke seiner Leute registriert hatte. Und als dieser seine Männer böse anfunkelte, fanden die auf einmal Bobbie Fayes Stiefel unglaublich faszinierend.
»Was zum Teufel machst du hier draußen, Bobbie Faye? Und warum bist du so angezogen?« Er blickte zu Trevor hinüber. »Erlauben Sie ihr, so unter die Leute zu gehen?«
Trevor schien zunächst ziemlich verblüfft über diese Frage zu sein, dann zuckte er nur mit den Schultern. »Glauben Sie wirklich, dass irgendjemand auch nur den geringsten Einfluss auf sie hätte?«
Bobbie Faye hätte am liebsten beiden einen Tritt versetzt.
»Hey! In welchem Jahrhundert lebst du eigentlich, Alex? Es geht dich überhaupt nichts an, was ich anziehe.«
Alex schien sie mit seinem Blick regelrecht zu durchbohren. In einiger Entfernung, jenseits der mächtigen Rauchwolke, die über der Ölplattform schwebte, hörten sie das Dröhnen der Helikopter.
»Okay. Also, was zum Teufel machst du auf meinem Grundstück? Warum klaust du mein Boot? Langweilst du dich? Dachtest du dir, du schiebst mir mal einfach so zum Spaß einen Böller in den Arsch, um was zu lachen zu haben?«
Seine Nackenmuskeln waren deutlich angespannt, und sein rechter Mundwinkel zuckte leicht. Bobbie Faye wusste, dass dies ein schlechtes Zeichen war und Alex kurz davor stand, das bisschen Kontrolle, das er über seine Launen besaß, zu verlieren. Auch seine Männer wirkten plötzlich recht nervös und warfen ihr flehende Blicke zu. So gern sie sich auch mit ihm angelegt hätte, für so was hatte sie im Moment einfach keine Zeit.
»Eigentlich stecke ich ziemlich in Schwierigkeiten.«
»Schwierigkeiten sind doch dein Hobby, Bobbie Faye. Was wäre daran neu?«
»Ich meine es ernst.«
»Bitte sag mir, dass es was ganz Schlimmes ist.«
»Es geht um Roy. Eigentlich brauche ich deine Hilfe.«
Noch nie hatte sie so viele offen stehende Münder auf einmal gesehen. Bobbie Faye war sich nicht sicher, wen ihre Bitte am meisten schockierte: Alex, seine Männer oder Trevor.
»Wie wär’s, wenn ich dich stattdessen umlegen würde?«, erkundigte sich Alex schließlich und wandte sich zu seinen Männern um, die aber alle heftig den Kopf schüttelten.
»Scheiße!«, schnauzte er seine Leute an. »Ihr seid doch alle beknackt. Ich werde ihr nicht helfen. Es ist mir egal, ob ihre Mama fünfzehn Jahre lang die Piratenkönigin gewesen ist.«
»Aber jetzt, da ihre Mama tot ist, ist sie doch die Königin«, gab Marcel zu bedenken. »Es tat mir wirklich sehr leid, als ich von ihrem Tod gehört habe, Bobbie Faye.« Marcels wieselhaftes Gesicht nahm mit einem Mal ganz weiche Züge an. »Sie war eine wirklich gute Königin.«
»Danke, Marcel.«
»Abgesehen davon, Alex«, fügte Marcel hinzu, »steckt Roy böse in der Klemme.«
»Du glaubst ihr?«
»Bobbie Faye lügt nie. Sie ist zwar durchgeknallter als ein Waschbär mit Tabasco im Arsch, aber sie sagt immer die Wahrheit. Und es geht hier immerhin um Roy. Wir müssen ihm helfen.«
Bobbie Faye bemerkte, wie die restlichen Männer geschäftige Mienen aufsetzten, und ihr wurde ganz schwindelig, als ihr dämmerte, warum sie so reagierten.
»Du Mistkerl«, fuhr sie Alex an. »Du hast mir versprochen, Roy nie wieder für dich arbeiten zu lassen.«
Trevor trat mit einem Schritt vor Bobbie Faye, während Marcel sich sofort vor Alex stellte.
»Oh, er arbeitet nicht mehr für Alex, Bobbie Faye. Nicht, seit das Auto in die Luft geflogen ist. Aber beim Pokern ist er immer noch gut.«
»Roy verliert immer!«, erwiderte sie.
»Deswegen ist er ja so gut«, erklärte Marcel, und die anderen Männer grinsten.
Trevor schlang einen Arm um Bobbie Fayes Taille, um sie daran zu hindern, sich auf Alex zu stürzen.
Sollten sie und Roy diese Geschichte überleben, schwor sich Bobbie Faye, würde sie es Alex heimzahlen. Und dann einen Funken Verstand in Roy hineinprügeln. Er hatte sie all die Jahre lang angelogen und sein ganzes Geld an die Schmuggler verloren. Und auch Alex hätte sie am liebsten augenblicklich in Grund und Boden gestampft, aber das musste warten.
»Ich weiß, dass du so ziemlich über alles informiert bist, was um diesen See herum und in den Bayous geschieht, Alex. Du hast schon immer überall deine Späher gehabt.«
»Was zum Teufel willst du von mir?«
»Ein paar Nerds haben etwas geklaut, das Mama gehört hat«, erklärte sie, nicht nur an Alex, sondern auch an die anderen Männer gerichtet. »Sie haben es mir weggenommen, und ich muss es unbedingt zurückbekommen. Die Leute, die Roy gefangen halten, werden ihn töten, sollte es mir nicht gelingen.«
»Und?«
Bobbie Faye ließ Alex nicht aus den Augen. Normalerweise war es schwer, ihn zu durchschauen, aber sie kannte ihn gut (viel zu gut, verdammt), und sie merkte ihm an, dass er mehr mit der Sache zu tun hatte, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Zum einen wirkte er nicht besonders überrascht, als sie die Jungs beschrieb, und zum anderen riss er auch keine Witze darüber, was für ein leckeres Alligatorenfutter solche Idioten wohl abgeben würden. Eigentlich lag es mehr an dem, was er nicht sagte.
»Also«, meinte sie und sah ihn forschend an, »du weißt, wohin sie fahren.«
»Ich hätte vielleicht die ein oder andere Idee.«
»Unterstützt du sie?«
»Nein«, mischte Marcel sich ein, sodass Alex ihm einen wütenden Blick zuwarf. »Vor ein paar Tagen haben wir von diesen Typen gehört, die einen Platz gesucht haben, um sich zu verstecken. Wir wussten ja nicht, dass sie dir etwas klauen wollten, Bobbie Faye. Ehrlich.«
»Sag mir, wo sie sind«, wandte sie sich an Alex, »und ich gebe dir deine Sachen zurück.«
Alex’ Pupillen weiteten sich, sonst verriet nichts an ihm, wie gern er diese besagten Sachen wieder in seinen Besitz bringen würde. Doch sie wusste es. Er sah sich um. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, wirkte er ein wenig besorgt, sie könnte vielleicht ausplaudern, worum es sich dabei handelte. Und auch sie musterte seine Männer prüfend. Doch schnell wurde klar, dass diese keine Ahnung hatten.
Sie setzte ein breites Grinsen auf, das nichts anderes ausdrücken sollte als: Jetzt hab ich dich am Arsch, mein Lieber!
»Alle meine Sachen?«, erkundigte er sich. »Und du übergibst sie mir persönlich?«
»Hör auf, dir wegen irgendwelcher Hintertürchen Sorgen zu machen, Alex. Ich gebe dir alles zurück. Irgendwann«, fügte sie so leise hinzu, dass er es nicht hören konnte. Er nickte, sehr zögerlich zwar, aber er nickte.
»Hey Boss«, sagte einer der anderen Waffenschmuggler. »Und was machen wir mit dem Kerl?« Er deutete auf Trevor.
Bobbie Faye trat augenblicklich vor ihren Begleiter und überraschte damit alle anderen Anwesenden. »Er gehört zu mir.«
»Grund genug, den armen Bastard von seinem Elend zu erlösen«, meinte Alex, und die anderen Männer lachten, senkten jedoch ihre Waffen. »Bring sie hier weg, Marcel. Hilf ihr, die Jungs zu finden«, wies Alex seinen Gefolgsmann an. Dann hob er warnend einen Zeigefinger und blickte in Richtung von Bobbie Faye. »Aber wehe, ich bekomme nicht alle meine Sachen zurück.«