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Wenn ich Bobbie Faye betreuen muss, kündige ich.
Diane Patterson, ehemalige Berufsberaterin an der Highschool
Bobbie Faye rückte ihrem Fahrer auf die Pelle, als sie über die Kreuzung fuhren, an der ein kleines Einkaufszentrum aus dem Boden gestampft worden war. Es gab zwei Tankstellen und drei Einheimische, die auf dem mit Schotter bedeckten Parkplatz aus ihren Wohnmobilen heraus von Shrimps bis hin zu Wassermelonen nahezu alles verkauften. Bobbie Faye entdeckte den Saab, der auf einer Parallelstraße fuhr. Sie reckte den Hals, um besser sehen zu können, versperrte ihrem Fahrer dabei jedoch den Blick auf die Straße. Dieser riss daraufhin das Lenkrad herum und fuhr eine scharfe Linkskurve, sodass Bobbie Faye mit Schwung gegen die Beifahrertür geworfen wurde.
»Das haben Sie absichtlich gemacht!«
»Ja, das nennt man fahren im Sinne von vorwärtskommen, und darum geht es hier doch auch, oder?!«
Bobbie Fayes Handy klingelte. Es war Nina. Sie klappte es auf, während sie aus dem Augenwinkel heraus beobachtete, wie der Saab scharf nach rechts abbog. »Im Moment passt es gerade nicht so gut«, sagte sie zu ihrer Freundin.
»Sicher, B. Ich dachte nur, du wolltest vielleicht ein Wörtchen dabei mitreden, ob dein Trailer wiederaufgerichtet werden soll.«
»Wiederaufgerichtet? Was zum Teufel …? Ich bin davon ausgegangen, du würdest meine Sachen verteidigen?«
Bobbie Faye hörte eine Peitsche knallen und verbarg das Gesicht in ihrer freien Hand. »Oh Gott, bitte sag mir, dass das nicht die Peitsche war.«
»Die Peitsche?«, fragte ihr grimmiger Fahrer, aber sie ignorierte ihn.
»Okay. Das war nicht die Peitsche.«
»Mensch, Nina, es ist gerade mal zehn Uhr morgens. Findest du nicht, dass es ein bisschen früh dafür ist?«
»Es gibt also eine angemessene Zeit für eine Peitsche?«, erkundigte sich ihre Geisel.
Bobbie Faye funkelte den Mann neben sich wütend an. »Es ist nicht meine Peitsche, also hören Sie auf, so ein hoffnungsfrohes Gesicht zu machen.«
»Oooooh. Du hast einen Kerl bei dir, der an meiner Peitsche interessiert ist?«, erkundigte sich Nina.
»Nein. Er ist kein Kerl.«
»Also für mich hört er sich definitiv nach einem richtigen Kerl an. Und er klingt sexy.«
»Fang gar nicht erst mit so was an. Er ist kein Kerl, den ich date. Er ist meine Geisel.«
»Oh, Bobbie Faye! Nicht schon wieder.«
»Lady, ich bin nicht Ihre Geisel. Abgesehen von der Belohnung, die Sie mir versprochen haben, sind Sie nur deshalb nicht aus meinem Wagen geflogen, weil sie so verstört ausgesehen haben.«
Nina lachte. »Du kannst verstört aussehen? Als wärst du knapp davor, Amok zu laufen?«
»Ziemlich genau so«, erwiderte Bobbie Faye gereizt in Richtung ihres Fahrers, der Nina offensichtlich hören konnte. »Ich habe auf seinen Pick-up geschossen.«
»Ist der schön?«
»Nein, das Ding fungiert als riesiger Schwanzersatz.«
»War ja klar. Aber zumindest hat er sich für die Peitsche interessiert. Er zeigt Potenzial.«
»Nein. Er ist ausdrücklich nicht interessiert. Nicht an der Peitsche oder an irgendwelchen anderen … äh … Dingen, die du in deinem Kofferraum mit dir herumfährst.« Bobbie Faye warf ihrem Fahrer einen fragenden Blick zu und hätte ihn für sein spitzbübisches Grinsen am liebsten erwürgt. Sie versetzte sich innerlich eine Ohrfeige. Es kümmerte sie natürlich absolut nicht, wofür er sich interessierte. Egal, wie gut sein Bizeps auch aussah.
»Schade«, meinte Nina, und Bobbie Faye hörte, wie sie erneut die Peitsche knallen ließ und ein Mann aufschrie. »Würdest du mir vielleicht mal erklären, was zum Teufel da los ist?«
»Vielleicht später. Zuerst muss ich noch etwas holen.«
»Deinen Verstand zum Beispiel?«
»Warum genau bist du noch mal meine beste Freundin?«
»Ich bin die psychisch Stabilere.«
»Klar, du und deine Peitsche.«
»Nun ja …« Nina schnurrte, und Bobbie Faye konnte regelrecht die Befriedigung spüren, die ihre Freundin dabei empfand, wenn sie wie eine Katze mit den Männern um sich herum spielte. »Diese Peitsche ist eine weitaus effektivere Waffe als die Eiswürfelzange. Trotzdem musst du nun eine Entscheidung treffen. Ich kann entweder deinen Trailer oder deine Sachen beschützen.«
»Was meinst du mit ›den Trailer beschützen‹?«
»Die LeBlanc-Brüder sind hier und haben Winden an ihren Trucks. Sie sind vollends überzeugt davon, deinen Trailer wiederaufrichten zu können. Aber ich dachte mir, du solltest wissen, dass deine Nachbarn zwei zu eins wetten, dass dieser Versuch übel danebengehen wird.«
»Heilige Scheiße.«
»Falls es dich etwas tröstet, der Katastrophen-Wetttopf ist ganz schön voll geworden, und es hat einen Riesenstreit darüber gegeben, wer den richtigen Zeitpunkt tippt, zu dem du mit Sicherheit jemanden umbringst.«
»Wenn Claude versucht, meinen Trailer aufzurichten, wird ganz schnell jemand gewinnen. Hol ihn mir mal ans Telefon.«
Der Saab bog nach links ab, sie folgten ihm und holten langsam auf.
Sie hörte, wie Nina den neunzehn Jahre alten Claude zu sich herüberrief, und als er zu zögern schien, knallte wieder die Peitsche. Bobbie Faye zuckte zusammen. Der grimmige Fahrer an ihrer Seite folgte dem Saab gerade durch das Industriegebiet von Lake Charles, als Claude sich endlich am anderen Ende der Leitung meldete.
»Wir versuchen nur zu helfen«, meinte er, und Bobbie Faye konnte sein verbissen ernsthaftes Gesicht regelrecht vor sich sehen, das sie immer an einen pummeligen, übergroßen Welpen erinnerte, der ganz, ganz bestimmt nicht auf den Teppich hatte pinkeln wollen. Nicht schon wieder.
»Claude, ich schwöre bei Gott, wenn du mit Jemy zusammen versuchen solltest, meinen Trailer aufzurichten, werde ich allen erzählen, dass du deine Cousine geküsst hast und die Mutter Oberin in Ohnmacht gefallen ist, als sie euch dabei erwischt hat.«
»Wann zum Teufel soll denn das gewesen sein? In der siebten Klasse?«, erkundigte sich ihre Geisel.
»Letztes Jahr«, formte sie mit den Lippen.
»Ich habe nur geübt!«, protestierte Claude. »Ich hatte eine wichtige Verabredung, und wie soll ich es sonst lernen? Du willst es mir ja nicht beibringen.«
»Claude, diese Diskussion hatten wir doch bereits.«
»Aber wie soll ich aus der Kindergarten-Liga aufsteigen, wenn ich keinen Coach habe?«
»So sind die Regeln, Claude. Tut mir leid.«
Bobbie Faye hörte, wie das Telefon zurück an Nina gereicht wurde.
»Oh, B., jetzt schmollt er. Das kannst du ihm doch nicht antun.«
»Komm bloß nicht auf dumme Gedanken.«
»Du bist so eine Spielverderberin.«
»Und setz dich auf den verdammten Trailer drauf, wenn es sein muss. Kannst du meine Sachen nicht so nah an ihn heranlegen, dass du alles mit der Peitsche erreichen kannst?«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt«, sagte Nina und legte auf.
Mit gerunzelter Stirn betrachtete Bobbie Faye ihren amüsiert grinsenden Fahrer und unterdrückte das irrationale Bedürfnis, ihm mitten ins Gesicht zu boxen. »Halten Sie einfach die Klappe.«
»Ich habe doch gar nichts gesagt.«
»Das brauchten Sie auch nicht.«
»Haben Sie schon immer so einen Sprung in der Schüssel gehabt?«
»Mein Freund, was Sie hier gerade erleben, ist vollkommen normal. Den Sprung in der Schüssel wollen Sie gar nicht sehen.«
»Ich heiße übrigens Trevor. Nur für den Fall, dass ich irgendwann tot sein sollte und man Sie fragt, wen Sie entführt haben.«
»Optimismus ist wohl nicht gerade Ihr Ding, Trevor.«
»Hab ich mir vor geraumer Zeit wegen all der durchgeknallten Frauen in meinem Leben abgewöhnt.«
»Ich bin nicht durchgeknallt.«
»Bisher haben Sie mich mit vorgehaltener Waffe gekidnappt. Dann ist da eine, so klingt es zumindest, mörderische Freundin mit einer fragwürdigen Vorliebe für Peitschen, die Dinge mit Leuten tut, nach denen ich gar nicht zu fragen wage. Und gerade haben Sie auch noch einer armen Seele mit Rufmord gedroht, obwohl der Junge sich so anhörte, als wollte er Ihnen nur helfen. Auf jeden Fall sind Sie heute etwas neben der Spur.«
»Ach, Sie können mich mal. Wo sind die Streber hin?«
»Über die Peitsche würde ich gern noch mal mehr erfahren.«
»Und ich würde gern noch mal auf Ihren Pick-up schießen. Wo sind die Nerds?«
»Direkt vor uns.«
»Danke. War das jetzt so schwer?!«
»Lady, Sie haben ja keine Ahnung.«
»Ich heiße Bobbie Faye.« Sie reckte sich, um einen Blick auf den weißen Saab zu erhaschen, wobei sie Trevor abermals die Sicht versperrte. Er schob sie zurück auf die Beifahrerseite, als erneut ihr Handy klingelte. Bobbie Faye warf einen Blick auf das Display, erblasste und nahm das Gespräch an. »Ich schwöre es dir, Roy. Ich versuche es zu bekommen. Wirklich.«
»Wo bist du … Warte mal, was meinst du mit versuchen?«
»Also, die Bank ist überfallen worden.« Sie gab Trevor einen Klaps auf den rechten Arm und bedeutete ihm, schneller zu fahren. »Die Räuber haben das Ding, und ich versuche, es zurückzuholen. Die ganze Sache müsste inzwischen schon in den Nachrichten laufen.«
Sie warf einen Blick aus dem Fenster zu dem Saab hinüber. Dessen Fahrer gelang es, den Abstand zu ihnen wieder zu vergrößern, was sie dazu veranlasste, mit ihrer Waffe erneut auf das Armaturenbrett zu zielen. »Wissen Sie überhaupt, wo das Gaspedal ist?«
Trevor murmelte, dass er sie gleich hätte erschießen und auf Notwehr plädieren sollen. Dann würde er nun schon längst zu Hause am Frühstückstisch sitzen. Bobbie Faye war geneigt, seinem Armaturenbrett schon aus Prinzip eine Kugel zu verpassen, wäre sie dabei nicht Gefahr gelaufen, auch den Motor zu treffen. Als sie Roy irgendetwas über die Berichterstattung im Fernsehen plappern hörte, war sie sofort wieder ganz Ohr.
Roy beobachtete, wie Vincent auf eine Fernbedienung drückte und sich eine ebenholzvertäfelte Blende zur Seite schob. Zum Vorschein kam ein hochmoderner Fernseher mit Satellitenempfang. Das Lokalprogramm wurde für einen aktuellen Nachrichtenblock unterbrochen, darin wurden Luftaufnahmen des Bankparkplatzes gezeigt, auf dem es inzwischen von Polizisten und Reportern nur so wimmelte.
Dann kam eine junge und überaus enthusiastische Reporterin ins Bild, die wild mit den Armen fuchtelte und in Richtung der Bank hinter sich gestikulierte, als glaube sie, gerade an einem Cheerleader-Wettbewerb teilzunehmen. Roy rechnete schon fast damit, dass sie am Ende ihres Beitrags von irgendwoher Pom-Poms hervorzaubern würde. »Wir sprechen hier mit Augenzeugen«, erklärte die Reporterin und fuchtelte mit ihrem Mikrofon vor der Kassiererin Avantee Miller herum, wobei sie es dieser gegen die Nase schlug. »Wie viele Leute waren an dem Überfall beteiligt?«, fragte die Journalistin, ohne zu bemerken, dass Avantee offensichtlich Schmerzen hatte.
»Mindestens sechs«, quiekte Avantee, »und jede Menge Waffen.«
»Hatten Sie Angst um ihr Leben?«
»Oh, absolut. Sie haben den ganzen Laden zusammengeschossen und uns bedroht. Und diese Bobbie Faye, Mann, die ist wirklich unheimlich, wenn sie schlechte Laune hat.«
»Sie haben es gehört, liebe Zuschauer«, schrie die Reporterin in ihr Mikrofon und schwenkte es wieder herum, sodass Avantee sich ducken musste, um ihm auszuweichen. »Diese brutale, hinterhältige Bande, angeblich angeführt von einer Verkäuferin aus dem Ort, Bobbie Faye Sumrall, ist völlig durchgedreht.«
Roy beugte sich vor, als die Aufnahmen der Überwachungskamera eingespielt wurden.
»Hey, deine Schwester sieht ganz schön sauer aus«, stellte Eddie fest und wirkte nicht mehr ganz so gelangweilt. Er legte sogar sein Magazin über Innenarchitektur zur Seite.
Und tatsächlich sah man in einer grobkörnigen Schwarz-Weiß-Aufnahme, wie Bobbie Faye zu Avantee ging, ihr das Geld aus der Hand riss und es dann dem nervösen Mann mit der Waffe reichte. Sie sagte etwas (es gab keinen Ton), und dann rannten plötzlich beide los … und stürzten … und Bobbie Faye griff sich die Pistole und lief zur Tür hinaus.
»Heilige Scheiße!«, rief Roy. »Bobbie Faye, du hast die Bank überfallen.«