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Memo des Heimatschutzministeriums
Cam sah, wie der Feuerball in den Himmel stieg, und er hörte, wie die Splitter der metallenen Außenverkleidung der Hütte Schrapnellen gleich in alle Richtungen davonflogen und sich in die umstehenden Bäume bohrten. Schwarzer Rauch stieg aus den Trümmern der Hütte auf, in der Bobbie Faye gerade noch gestanden hatte – lebendig, atmend. Es war keine fünf Minuten her. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er lief hinüber zu den brennenden Resten, blinzelte wegen des beißenden Qualms, während die noch übrigen Wände im Feuer zu Asche verkohlten. Männer des SWAT-Teams packten ihn und zogen ihn zurück in Sicherheit.
Doch er wollte nicht in Sicherheit sein.
Er wollte in den Trümmern graben, das brennende Holz mit bloßen Händen beiseite ziehen und sie finden, denn sie musste dort sein. Sie war okay, sie atmete, er wusste es. Denn es konnte einfach nicht anders sein. Er würde sie finden, und wenn er damit fertig wäre, sie anzubrüllen, was durchaus fünf Jahre dauern konnte, würde er ihr Handschellen anlegen und sie in die robusteste Zelle stecken, die er finden konnte. Und dort, verdammt, würde sie bleiben, dort wäre sie in Sicherheit, selbst wenn er dafür alle anderen umbringen müsste.
Zeke kam herübergeeilt und wirkte nicht besonders glücklich. Wie jemand, der das große Los knapp verfehlt hatte. Cam war sich nicht sicher, was der FBI-Mann jetzt vorhatte, und offen gesagt war es ihm auch egal. Er starrte auf das Feuer, auf die verkohlten Überreste der Wände und des Daches, bis Zeke in sein Blickfeld trat.
»Sie sind ein verdammter Idiot«, brüllte dieser ihn an. »Warum haben Sie es zugelassen, dass dieses Miststück uns in die Quere …«
Ehe er auch nur eine Sekunde darüber nachdenken konnte, hatte Cam den Agenten auch schon an der Kehle gepackt und ihn gegen den nächsten Baum gestoßen. Doch die Männer vom SWAT-Team zogen Cam zurück. Daraufhin rappelte Zeke sich auf und zupfte sorgfältig seinen Kampfanzug zurecht.
»Sie können sich glücklich schätzen, dass ich keine Lust habe, mich mit dem ganzen Papierkram herumzuschlagen, den es brauchen würde, um Sie feuern zu lassen«, sagte Zeke.
Cam lachte. »Als ob mich das interessieren würde«, erwiderte er und wandte sich wieder der brennenden Hütte zu. Ein kaltes, dumpfes Gefühl schien sich in seinem ganzen Körper auszubreiten. So nahm er kaum wahr, dass der Leiter des SWAT-Teams mit einem der Satellitentelefone das CSI anforderte.
Bobbie Faye stolperte eine Wendeltreppe hinunter. Die brennende Hütte lag nun zwei Stockwerke über ihnen. In der fast völligen Dunkelheit verlor sie fast die Orientierung. Mit aller Kraft versuchte sie, rational zu denken, denn sie war sich ziemlich sicher, schon in jene Phase eingetreten zu sein, in der man gewöhnlich den Verstand verlor. Während sie weiter hinunter in die völlige Dunkelheit stiegen, schöpfte sie den leisen Verdacht, dass ihr Verstand in dem Moment irgendwo über den Rand einer imaginären Klippe gestürzt war, als Alex sie alle zu der versteckten Wendeltreppe gescheucht und dann den Zeitzünder für die Explosion eingestellt hatte.
Trevor lief vor ihr, und sie hatte eine Hand auf seiner Schulter, um das Gleichgewicht zu halten. Alex, der ihnen zwei Windungen voraus war, besaß als Einziger eine Taschenlampe. Sie durchlief ein Wechselbad der Gefühle, doch das, was immer wiederkehrte, wurde gemeinhin pure Verzweiflung genannt.
Wie konnte es sein, dass Cam sich nicht auf die Suche nach Stacey gemacht hatte? Er liebte das Kind. Auf der anderen Seite, dachte sie, hatte er sie auch geliebt, was für ihn jedoch kein Hinderungsgrund gewesen war, das Leben ihrer Schwester und ihrer Nichte zu zerstören, indem er Lori Ann verhaftete. Sie konnte einfach nicht fassen, dass er offenbar tatsächlich nicht versucht hatte, ihrer Nichte zu retten. Er musste sie so sehr hassen, dass es ihm wichtiger war, sie ins Gefängnis zu stecken, als Stacey das Leben zu retten. Als ihr das klar wurde, brach etwas in ihr zusammen. Sie versuchte, die Erkenntnis in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins zu schieben, aber der Gedanke drängte sich ihr sofort wieder auf, während sie weiter hinunter in die völlige Dunkelheit stiegen. Irgendwie hatte sie geglaubt, er würde sie noch lieben. Sie hatten immer furchtbar gestritten, sie waren auseinandergegangen, und jeder hatte sein Leben weitergelebt, oder etwa nicht? Klar. Aber in ihrer Brust schien es zu brennen, als sie erkannte, dass er offensichtlich mit ihr fertig war. Nach allem, was sie zusammen durchgestanden hatten. Da war immer noch der kleine Funken Hoffnung in ihr gewesen, dass er irgendwann zur Vernunft kommen, erkennen, wie sehr er sie hintergangen hatte, und sie zurückhaben wollen würde. Und zwar wirklich sie und nicht irgendeinen pflegeleichten Abklatsch von ihr.
Sie hörte Alex’ Stimme durch den Treppenschacht zu ihr heraufhallen, konnte jedoch nicht genau verstehen, was er sagte. Da antwortete Trevor bereits: »Ein Salzstock? Du machst Witze. Hier?«
Schließlich erreichten sie ebenen Boden. Bobbie Faye kam ins Straucheln, und Trevor fing sie auf und hielt sie einen Moment länger fest, als sie erwartet hätte. Sanft rieb er ihren Nacken, beugte sich zu ihr herunter und flüsterte: »Bist du okay?« Sie nickte an seiner Wange, als plötzlich Licht aufflammte und einen großen Raum erleuchtete. Er war ungefähr zehn mal zwölf Meter groß, Monitore nahmen eine ganze Wand ein, an den Stirnseiten befanden sich zwei Ausgänge.
Trevor sah auf seine Uhr.
»Zwanzig Minuten, Bobbie Faye.«
»Wo zum Teufel sind wir?«
Alex schaltete einen Monitor nach dem anderen an und erzeugte so eine Dreihundertsechzig-Grad-Ansicht der brennenden Hütte, die offensichtlich von Kameras geliefert wurde, die dort oben im Sumpf verborgen waren. Welche Sorgen sie sich gemacht hatte, begriff sie erst, als sie Cam lebendig vor sich sah, der mit den Leuten vom SWAT-Team sprach. Bei seinem Anblick atmete sie einmal tief durch, dann vernahm sie Alex’ verächtliches Lachen.
»Nein, Bobbie Faye, ich habe deinen Freund nicht in die Luft gejagt, obwohl das eine gute Gelegenheit gewesen wäre«, erklärte Alex.
»Exfreund«, korrigierte sie, und als sie das Leuchten in seinen Augen sah, hob sie die Hand und setzte hinzu: »Fang gar nicht erst an.«
»Ach, chère, ich wollte ihn nur im Club willkommen heißen. Freut mich, dass auch er überlebt hat. Wir sollten vielleicht Trophäen verteilen oder irgendetwas Ähnliches.«
»Ich frage dich jetzt noch mal, Alex, wo zum Teufel sind wir?«
»Dies ist ein längst in Vergessenheit geratener Hintereingang zu einem Salzstock. Das Gelände hat ein paarmal den Besitzer gewechselt. Auf der anderen Seite hat man einen besseren Zugang gebaut und ein paar Büros errichtet, als alles modernisiert wurde. Da aber niemand wusste, dass auch noch dieser Zugang hier existiert …«
»Verdammt«, meinte sie. »Kein Wunder, dass die Feds nie herausbekommen haben, warum du ihnen immer wieder durch die Finger schlüpfen konntest.« Sie musterte sein zufriedenes Grinsen und wusste nur zu gut, wie viel er sich auf seinen Sinn für Strategie einbildete. »Aber jetzt hast du dein Versteck gerade in die Luft gejagt. Bist du beknackt?«
»Er hat es getan, um Zeit für uns zu schinden, Bobbie Faye«, erklärte Trevor, und sie blickte von ihm zu Alex. Irgendwie schienen die beiden einander zu schätzen – was ihr total auf die Nerven ging.
»Wenn er Zeit für uns herausgeholt hat, dann war das ein netter Nebeneffekt. Alex denkt immer zuerst an sich selbst«, sagte sie zu Trevor, dann wandte sie sich dem Waffenhändler zu. »Weil du das Ding nämlich in die Luft gejagt hast, werden sie keinerlei Beweise dafür finden, dass du hiergewesen bist, sie werden vielleicht noch nicht einmal diesen Raum hier entdecken. Du könntest eine Weile warten, eine neue Hütte bauen und wärst sofort wieder im Geschäft.«
»Also Bobbie Faye, es verletzt mich wirklich sehr, wenn du denkst, ich wäre überhaupt nicht selbstlos.«
»Es würde mich zumindest sehr beeindrucken, wenn du mich vom Gegenteil überzeugen könntest, Alex. Zumal ich daran erkennen könnte, dass du überhaupt ein Herz hast und dann auch noch ein uneigennütziges …?«
»Autsch, chère. Das tut weh.«
Sie blickte von ihm zu den andern Männern, und zum ersten Mal, seit sie die Hütte betreten hatte, nahm sie wirklich Notiz von den Nerds, obwohl sie immer noch gefesselt waren und Alex’ Leibwächter sie festhielten. Sie richtete ihre Waffe auf den größten der Streber und sagte: »Ich will zum Teufel noch mal wissen, was in der Bank abgelaufen ist, und zwar sofort.« Sie streckte ihre freie Hand aus und zog ihm den Knebel aus dem Mund. Er begann zu zucken, sich zu krümmen und herumzuwanken. Wenn solche spastischen Bewegungen dazu dienten, Kugeln auszuweichen, war der Kleine so ziemlich auf der sicheren Seite.
»Ich weiß es nicht«, behauptete er.
»Wie heißt du?«
»Ben.«
»Also, Ben, dann schlage ich vor, du siehst dir mal den Mann da drüben an.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung Alex. »Er ist Waffenschmuggler, Kleiner. Er hat mir das Schießen beigebracht. Das kann ich besser als jeder, den du in deinem Leben noch kennenlernen wirst. Wenn du also in Zukunft nicht Sopran singen möchtest, dann empfehle ich dir, jetzt lieber zu reden.«
Der Kleine warf einen Blick hinüber zu Alex, der nickte und sagte: »Das Zweitblödeste, was ich jemals getan habe.«
Bobbie Faye hätte ihm gern einen wütenden Blick zugeworfen, aber sie wollte, dass Ben schnell einknickte, und im Moment konnte sie nichts anderes tun, als ihn einzuschüchtern.
»Ich weiß nur«, keuchte er, »dass der Professor gesagt hat, wir sollten als Verstärkung mitgehen. Er meinte, er müsse etwas holen und habe Sorge, dass jemand versuchen könnte, ihn daran zu hindern. Wir sollten dort sein, falls er in Schwierigkeiten gerate. Wir waren die Fahrer.«
»Was wollte er holen?«, fragte Bobbie Faye. Der Junge schüttelte zur Antwort den Kopf. Sie richtete die Waffe auf seinen Schritt, woraufhin er sich zusammenkrümmte.
»Ehrlich, Lady, ich weiß es nicht! Er hat sich wegen dieser Sache ganz komisch verhalten. Wir sind nur seine wissenschaftlichen Mitarbeiter. Er sagte, wir müssten ihm bei einem Projekt helfen. Und wenn wir es täten, bekämen wir ein zusätzliches Wochengehalt. Er meinte, für den Fall, dass wir uns verlieren sollten, würden wir uns hier treffen, und hat uns eine Karte mitgegeben. Das ist alles, was ich weiß.«
Sie waren also dorthin gekommen.
Bobbie Faye fuhr herum und warf sich auf Alex, doch Trevor packte sie blitzschnell von hinten und hielt sie zurück. Außerdem entwaffnete er sie dabei im Handumdrehen, was sie wirklich tierisch sauer machte.
»Die Cops würden den Schuss hören«, erklärte er auf ihren eisigen Blick hin. »Verschenk unseren Vorsprung nicht.«
Als sie sich wieder zu Alex umwandte, schüttelte der immer noch den Kopf. »Nein, Bobbie Faye, nein. Ich habe doch gesagt, dass ich nicht wusste, was da ablief. Ich habe einen Anruf von einem Kumpel bekommen. Er meinte, er kenne einen Kerl, der sich eine Weile verstecken müsse. Die Bezahlung war gut, also habe ich mir gedacht, warum nicht? Ich hatte keine Ahnung, dass es etwas mit dir zu tun haben würde.«
»Welcher Kumpel? Welcher Kerl?«
»Ach, du weißt schon, irgendein Kerl. Jemand, den du gar nicht kennst. Völlig anonym.«
»Warum zum Teufel sollte ich dir das glauben, Alex? Lügen sind doch dein Geschäft.«
»Bobbie Faye, glaubst du wirklich, dass ich jemals wieder, in welchem Universum auch immer, etwas mit dir zu tun haben möchte? Ich bin vielleicht ein bisschen verrückt, aber ich bin nicht blöd, chère.«
Sie wollte gerade etwas erwidern, als Trevor sie zu den Monitoren herumdrehte.
»Ich glaube, wir haben jetzt ein größeres Problem«, bemerkte er und machte sie darauf aufmerksam, was Cam gerade tat.