Walzwerke



Isabell war nicht sonderlich überrascht, dass sich die beiden Prinzen im Hause Fechter einquartierten. Sie war aber auch nicht erfreut.

Besonders Prinz Finyon erwies sich von Tag zu Tag weniger als ein vielversprechender Königsspross. Er mäkelte über das ausgezeichnete Essen und forderte, der Diener habe zu jeder Uhrzeit bereit zu stehen, um seinen Wünschen nach frisch bereiteter Limonade oder Eiern im Glas zu willfahren. Dann mussten seine plissierten Hemden geplättet, seine Schuhe poliert und die silbernen Manschettenknöpfe blank gerieben werden. Als er bei Isabells Vater dann allen Ernstes eine Anleihe auf das zu erwartende Erbe aufnehmen wollte, riss Isabell der Geduldsfaden.

Da sich Meleon im Laden seinen Schokoladen widmete, musste sie sich selbst mit Seiner Hoheit auseinandersetzen. Danach war Prinz Finyon zutiefst gekränkt und drohte, abzureisen.

„Wir bedauern natürlich, dass Sie uns schon verlassen, Königliche Hoheit“, sagte Isabell kühl. „Möchten Sie vorher noch einen Imbiss nehmen? Wann soll Ihr Gepäck bereit stehen?“

Prinz Finyon zog scharf die Luft ein.

„Wären wir auf Halaîn, würde ich eine solch unverschämte Weibsperson züchtigen lassen!“

„Ich versuche nur, behilflich zu sein“, behauptete Isabell. „Und darüber hinaus bewahre ich das nicht unerschöpfliche Vermögen meiner Familie davor, sich zu verflüchtigen.“

Seine Hoheit schloss sehr nachdrücklich die Tür zwischen sich und Isabell. Bemerkenswerterweise führte er jedoch keine Klage bei Meleon, der am Abend zum Essen kam, und es wurde auch nicht von Abreise geredet.

Nach der Mahlzeit erzählte sie Meleon von der Angelegenheit und er gab einen gequälten Ton von sich.

„Seine Hoheit hat nie gelernt, zu wirtschaften“, sagte er. „Da ist Florindel glücklicherweise anders. Er zieht als Zimmermannsgeselle durch die Lande, versteht es durchaus, anzupacken und seine Vergnügungen mit ein paar Groschen zu bestreiten. Ich habe Prinz Finyon bereits mehrmals recht hohe Summen vorgestreckt – wohl wissend, dass ich sie niemals wieder sehen werde.“

„Scheint es mir nur so, oder hatten die Untertanen so manchen Grund, aufzubegehren?“

„Sie hatten deren viele“, entgegnete Meleon. „Manche davon waren nachvollziehbar, andere weniger. Ich muss allerdings gestehen, dass die hohe Verschuldung des gesamten Staatswesens das Gemeinwohl erheblich belastete. Ein nicht geringer Teil dieser Verschuldung war dem Kronprinzen anzurechnen, dessen Prunkbauten, Mätressen, Kutschen, Reitpferde und Diamantknöpfe ungeheure Summen verschlangen. So hielt er sich für die fehlende elterliche Zuwendung schadlos. Aber ich plaudere aus der Schule.“

„Vielleicht solltest du das“, sagte Isabell. „Wenn wir wirklich heiraten sollten…“

„Natürlich heiraten wir“, sagte Meleon und zog sie an sich. Seine Lippen waren nur um die Breite eines Fingers von ihrem Mund entfernt, als eine Tür klappte. Dann stand Prinz Florindel auch schon mitten im Zimmer.

„Ich bedauere die Störung“, sagte er. „Aber ich glaube, ich habe eben durchs Fenster eine Raubkatze gesehen.“

Meleon ließ Isabell los.

„Seid Ihr sicher?“

„Nun, es war eine Katze, so groß, wie sie hier nicht vorkommen, jedenfalls nicht auf diesen Breitengraden. Und sie war schwarz.“

Meleon atmete konzentriert ein, riss die Faust hoch und kurz darauf zischte einer der Lichtsphären am Fenster vorbei.

„Wenn es so sein sollte, wird dieser Sekoy seine Keckheit bereuen. Leider ist er nicht erste, den wir hier zu Gesicht bekommen. Man scheint entschlossen, uns auch aus unserem Exil zu vertreiben, vielleicht sogar zu stellen.“

Florindel nickte.

„Und genau das sage ich meinem Vater bereits seit sieben Monaten.“

„Und was erwidert Euer Vater, wenn Ihr dieses Thema anschneidet?“

Prinz Florindel war Isabell einen schnellen, abschätzenden Blick zu.

„Nun, wir sprachen ja schon einmal darüber, dass wir gedenken, uns hier dauerhaft niederzulassen, fürs Erste den deutschen Kaiserthron zu besteigen …“

Isabell starrte ihn an.

„Natürlich erst, wenn wir gewissermaßen etabliert sind“, ergänzte der Prinz liebenswürdig.

Meleon schüttelte den Kopf.

„Davon kann bisher keine Rede sein, Hoheit. Außerdem habe ich meine diesbezüglichen Bedenken bereits vorgetragen.“

„Meine Idee war es ja nicht“, sagte Prinz Florindel. „Mir wäre eher danach, mein Glück auf den südlichen Kontinenten zu suchen. Kaffeeanbau könnte mich reizen. Und ich meine, auch Kokosnüsse könnten langfristig durchaus einige Gedanken wert sein. Dann wäre da natürlich auch die Möglichkeiten, Kakaoplantagen aufzukaufen…“

„Man kann diese Welt nicht beherrschen, indem man den Nachschub an Schokolade kontrolliert“, sagte Meleon. „Habe ich Euch darauf nicht das eine oder andere Mal hingewiesen?“

Der Prinz lächelte schlau.

„Ich habe mich kundig gemacht. Diese Welt besitzt eigentlich gar keine Monarchien im eigentlichen Sinne mehr. Die Staaten sind Plutokatien. Kurz gesagt: Wer Geld hat, der hat die Macht. Ich will die Macht. Folglich werde ich Geld anhäufen. Soweit könnt Ihr mir gewiss folgen.“

Meleons Spott war nicht zu überhören, als er fragte: „Und womit gedenkt Ihr dieses Geld zu machen, Hoheit?“

„Wirtschaft. Handel. Kaufmännische Eroberungen“, sagte Prinz Florindel lässig.

„Handel womit? Mit Dachsparren und Kanthölzern?“

„Nein. Ich denke, als Zimmermannsgeselle habe ich genügend Erfahrungen gesammelt. Ich werde mich vielmehr mit der Herstellung von Produkten und ihrem Vertrieb beschäftigen.“

„Wovon?“, fragte Meleon, der die Antwort anscheinend schon kannte und immer ungehaltener wirkte.

„Nun, von Schokolade eben“, sagte der Prinz. „Diese Welt kennt nur raue und wenig schmackhafte Schokoladen, doch mit geeigneten Walzwerken…“

„Nein“, sagte Meleon knapp.

„Und weshalb nicht?“, fragte der Prinz überfreundlich.

„Weil das magisches Wissen ist, das Euch nicht zusteht, und das nicht in einem Wirtschaftsbetrieb zur Anwendung kommen wird.“

„Und Euer eigener Laden?“, fragte Florindel, womöglich noch freundlicher.

„Das ist meine Sache.“

„Ist es nicht“, entgegnete der Prinz. „Ich erkläre hiermit, dass ich eine Handelsgesellschaft gründen werde, die sich mit dem Einkauf, der Verarbeitung…“

„Shediramach!“

„Na, na, nicht unhöflich werden! Immerhin bin ich ein Prinz und so weiter“, sagte Florindel, der aussah, wie jemand, der einen Sieg errungen hat.

Meleon ließ eine längere Bemerkung in seiner Sprache folgen, nach der Florindel nicht mehr so gelassen wirkte. Hocherhobenen Hauptes verließ er das Zimmer.

„Na, so ein kleines Luder!“, murmelte Meleon. „Aber warte, dir werde ich diese Flausen schon austreiben!“

Er sank in einen Sessel und brütete dort vor sich hin, bis Isabell sich neben ihm auf die breite Lehne setzte.

„Wie gefährlich ist das alles wirklich?“

Er sah zu ihr auf.

„Möchtest du schon von unserer Verlobung zurücktreten?“, fragte er und zog sie zu sich, sodass sie das Gleichgewicht verlor und in seinen Armen landete. Ehe sie sich aufrichten konnte, hatte er sie umschlungen und küsste ihren Hals. „Das wäre klug, weißt du“, murmelte er. „Denn du hast recht: Es ist gefährlich. Zwischen Fisary und Königshaus könnten wir leicht zerquetscht werden.“

Isabell entwand sich ihm, kam auf die Füße und richtete ihr Haar.

„Warum gibst du ihnen kein Gestaltwandler-Konfekt und verwünschst auf diese Weise beide in Kröten?“, fragte sie.

Meleon lachte.

„Welch verführerische Vorstellung! Aber ich bin Hofzauberer Seiner Majestät. Ich kann meinen Treueid nicht brechen. Es ist ein magischer Kontrakt, der sich nicht aufheben lässt. Wenn du genauer darüber nachdenkst, ist das zwingend. Zauberer sind mächtig – sie könnten ihre Herrscher behexen oder sich sogar an ihre Stelle setzen, wenn man ihre Macht nicht begrenzen würde. Um Hofzauberer zu werden, muss man also einen magisch gesiegelten Eid ablegen.“

„Was geschieht, wenn man ihn bricht?“

„Man kann ihn nicht brechen“, sagte Meleon.

„Oh, ich verstehe.“

Meleon lehnte sich vor, umfasste ihre Taille und zog sie zurück auf seinen Schoß.

„Was hältst du davon, wenn wir morgen früh auf die Schnelle heiraten?“, fragte er. „Wir werden keine Schwierigkeiten haben, all jene zu überzeugen, deren Zustimmung wir unbedingt brauchen. Oder legst du Wert auf eine große Feier, viele Gäste und nervenzehrende Vorbereitungen?“

„Was befürchtest du denn, dass du es gar so eilig hast?“

„Eine Zuspitzung der Lage. Und da wüsste ich gerne ein formales Band zwischen uns geknüpft. Nur für alle Fälle.“

Sie schob seine Hände fort und stand auf.

„Lass mich darüber schlafen!“, sagte sie.


Sie lag lange wach.

Meleon hatte natürlich längst Tatsachen geschaffen. Sie spürte ein angenehmes, sündiges Kribbeln, wenn sie an den Abend dachte, als sie die beiden Schokoladenkatzen gegessen hatten.

Und er hatte sie den Prinzen als seine künftige Frau vorgestellt, die Einwilligung ihrer Eltern eingeholt…

Isabell kuschelte sich unter ihrer Decke zusammen.

Was ließ sie zögern?

Hatte sie insgeheim Angst vor ihm? Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf und der Spitzenbesatz ihres Kissens kitzelte sie am Ohr.

Sie ärgerte sich immer wieder über ihn und seine zupackende Art. Es würde Streit geben. So, wie er mit seiner ersten Frau gestritten hatte. War sie eifersüchtig auf jene Lilya? Weil sie eine Prinzessin gewesen war?

Ihre Gedanken wanderten weiter. Sie hegte keinen Zweifel, dass Meleon hier in Ruhe leben könnte, wäre nur nicht sein Treueeid gegenüber dem Königshaus. Aber so waren ihm Leute wie Phineas auf den Fersen. Sekoy erschienen.

Beim Gedanken an die beiden schwarzen Panther war ihr gar nicht wohl.

So wälzte sie wohl zwei Stunden lang Gedanken, bis ihr auffiel, dass sie es vermied, sich zu fragen, ob sie Meleon liebte.

Gewiss war sie anfangs in ihn verliebt gewesen, wie wahrscheinlich viele seiner Kundinnen. Dann hatte sie den Kachmar gegessen.

In ungeordneter Folge gingen ihr Bilder durch den Kopf. Niklas. Meleon als Dashân, auf seinem Bett, mit Bernsteinaugen, die Pupillen geschlitzt… Sein rasanter Flug auf diesem merkwürdigen, tellerförmigen Objekt. Und wieder die beiden Panther.

Mit Meleon verheiratet zu sein, bedeutete unzweifelhaft Gefahr.

Isabell lächelte ins Dunkel.

Sie fand langsam Geschmack daran. Das war es doch, worüber sie sich immer beklagt hatte. Dass sie keinen Beruf erlernen durfte. Dass ihr nicht einmal erlaubt wurde, in der Praxis ihres Vaters zu helfen. Immer nur französische Vokabeln und Klavierstunden.

Und nun würde sie lernen, Schokolade von bisher nie gekanntem Schmelz zu machen! Meleon hatte tausenderlei Geheimnisse zu vergeben.

Und er war anziehend.

In er Erinnerung an ihr die gemeinsame Verwüstung des Ladens musste sie grinsen. Ein Leben mit Meleon war in jedem Fall… anders.


Das bestätigte sich am folgenden Morgen. Meleon erschien zum Frühstück, unterhielt die beiden Hoheiten mit kleinen Anekdoten aus seinem Laden, nahm Isabell später zur Seite und sagte: „Wir müssen die Hochzeit verschieben.“

„Aha.“

Er küsste ihre Finger.

„Ich muss für einige Tage fort. Es ist dringend. Und du solltest hier inzwischen auf alles gefasst sein. – Hast du übrigens eine Entscheidung getroffen?“

„Ich sollte dir irgendetwas um die Ohren hauen, anstatt deine Selbstüberzogenheit noch zu stärken!“

Er lächelte.

„Heißt das ja?“

Sie nickte leicht.

„Bilde dir nicht zu viel darauf ein! Und bleib nicht lange fort. Wer weiß, ob diese Lichtkugeln allein genügen, wenn hier wieder Sekoy auftauchen.“

Sie war überrascht, als er sie hochhob und sich mit ihr drehte.

„Du heiratest mich? Du liebst mich? Du wirst mich nie verlassen?“

„Ich heirate dich“, erwiderte sie. „Einem Magier sollte man nicht zu viel auf einmal versprechen.“

„Vielleicht hast du recht“, sagte er und setzte sie ab. „Aber du darfst dein Hochzeitsgeschenk schon auspacken! Es steht in der kleineren Abstellkammer.“

„Ein Gerät? Eine besondere Rührschüssel? Ein Schneebesen?“

Meleon lachte und küsste sie auf die Nase.

„Nein, mein Herz. Ein Walzwerk. Eine wundersame Maschine. Du wirst sehen. Damit kannst du fürderhin Schokoladen machen, ganz wie Meleon.“

„Wirklich?“, fragte sie gepresst. „Wirklich?“

„Ja. Sie ist nur für dich. Ich habe meine eigene.“

Isabell schmiegte sich an ihn.

„Ich glaube, ich liebe dich doch“, flüsterte sie.

„Was heißt doch?“, empörte er sich.

Isabell wischte sich die Augenwinkel.

„Geh jetzt, Meleon! Und komm umso schneller zurück!“