Es war kalt und regnerisch. Dominick Polifrone stand mit halb erfrorenen Füßen vor den Telefonzellen auf der Vince-Lombardi-Raststätte und erwartete Richard Kuklinski. Ungeduldig nahm er die weiße Papiertüte in die andere Hand und hauchte auf seine klammen Finger. In der Tüte steckten drei Eiersandwiches mit ordentlich Ketchup, die er unterwegs in einem Lokal gekauft hatte. In der linken Tasche seiner Lederjacke war eine braune Tüte mit dem kleinen Glasfläschchen und dem angeblichen Zyankali, in der rechten hatte er seine Waffe. An seinem Körper verborgen waren der Kassettenrecorder und ein Sender. Dominick blickte prüfend über die Zufahrtsstraßen und hielt Ausschau nach dem blauen Camaro, dem roten Oldsmobile Calais oder dem weißen Cadillac. Heute war der Tag. Sie waren bereit zuzuschlagen.
Er hatte nur wenig geschlafen, dafür war er viel zu aufgewühlt gewesen. Gegen Mitternacht hatte er seine alte Partnerin Margaret Moore zu Hause angerufen.
»Hab ich dich aufgeweckt?«
»Ja.«
»Tut mir leid.«
»Ich dachte mir schon, dass du es bist.«
»Morgen greifen wir ihn uns.«
»Sei vorsichtig.«
»Bin ich doch immer.«
»Sei noch vorsichtiger.«
Dominick lachte leise.
»Lach nicht. Jetzt werde ich die ganze Nacht wachliegen und mir um dich Sorgen machen.«
»Nicht nötig. Wir haben an alles gedacht. Es passiert schon nichts. Ich verspreche es.«
»Ja, hoffentlich.«
»Schlaf wieder weiter. Ich rufe dich morgen an und erzähl dir, wie es gelaufen ist.« Er wollte gerade auflegen.
»Dominick?«
»Was ist?«
»Im Ernst. Sei vorsichtig.«
Es tat ihm leid, dass er sie angerufen hatte. Er hätte sie besser nicht damit belasten sollen: »Das bin ich, Margie, ganz bestimmt.«
Während er in der Kälte stand und auf den Iceman wartete, musste er unwillkürlich an sie und an die Besorgnis in ihrer Stimme denken.
Ein paar Minuten später kam das rote Oldsmobil Calais die Zufahrtsstraße hinunter und bog auf den Parkplatz ein. Die hünenhafte Gestalt des Fahrers hinter dem Lenkrad war unverkennbar.
»Da ist er«, sagte Dominick.
Der Sender übertrug seine Worte an das gesamte Einsatzkommando, und alle wussten, dass er den Iceman erblickt hatte.
Kuklinski bog in eine freie Parklücke bei den Telefonzellen und stieg aus. Dominick sah, dass er normale Straßenkleidung trug – graue Lederjacke über einem dunkelblauen Hemd, ein gelbes T-Shirt und gebügelte Bluejeans. Außerdem hatte er seine dunkle Brille aufgesetzt. Den Pfützen ausweichend kam er auf ihn zu und machte einen großen Schritt über den Schneematsch am Bordstein. Sie schüttelten sich die Hände.
»Wie geh’s?«, fragte Dominick.
»Nicht schlecht.«
Dominick wünschte, er könnte seine Augen hinter den Brillengläsern sehen. Er reichte ihm die weiße Papiertüte.
»Hier sind die Sandwiches. Der Bursche hat mich gestern Abend angerufen und heute Morgen wieder. Es gibt keine Probleme.«
Kuklinski nahm die Tüte. »Sicher?«
»Klar.«
»Wo ist er jetzt?«
»Ganz in der Nähe. Ich hole ihn gleich.« Dominick musterte ihn verstohlen. Kuklinski schien heute irgendwie unsicher und etwas gereizt. Aber vielleicht war er immer so, wenn er sich bereitmachte zum Töten. Oder er war misstrauisch.
Hoffentlich nicht. Halt dich einfach ans Programm, Rich, dachte er. Bloß kein Improvisieren. Halt dich nur an das, was abgemacht ist.
Niemand wollte, dass der Iceman anfing zu improvisieren.
»Ich bin in ungefähr 15 Minuten mit dem Burschen zurück.«
Kuklinski nickte. »Okay. Dann hole ich den Bus. Er steht nicht weit von hier, bloß die nächste Auffahrt hinunter. Dauert vielleicht zehn Minuten.«
»Was für eine Farbe hat er, damit ich Bescheid weiß?«
»Blau.«
»Und wo willst du parken?«
»Gleich hier, da sind wir niemandem im Weg.« Kuklinski fand offenbar langsam zu seiner alten Entschlossenheit zurück und kam allmählich in Gang. Dominick entspannte sich ein wenig.
»Ich sitze am Steuer«, fuhr Kuklinski fort. »Du kannst ihn nicht verfehlen.«
»Okay, dann bringe ich ihn direkt hinten in den Bus, um ihn das Koks testen zu lassen.«
»Gut.«
»Hier.« Er nahm die zerknüllte Papiertüte aus seiner Tasche. »Das Zyankali.«
Kuklinski steckte es ein. »Okay.«
»Da ist genug Zeug drin, um ganz Hackensack und Paterson zu erledigen. Ich komme mit ihm in seinem Wagen zurück. Um die Karre kümmere ich mich nachher, während du ihn wegschaffst. Wo willst du ihn hinbringen?«
»Ich werde ihn irgendwo sicher aufbewahren.«
Dominick wünschte sich wieder, er könnte Kuklinskis Augen sehen, um seine Stimmung besser einzuschätzen. »Okay, alles klar.« Er tat, als fiele ihm gerade noch etwas ein. »Hast du zufällig ein paar Handschuhe für mich? Ich hab keine dabei.«
»Kannst welche von mir kriegen.« Mit einer Kopfbewegung forderte er ihn auf, ihm zu seinem Wagen zu folgen.
»Verflucht kalt.« Er zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch.
»Stimmt.« Dominick dachte an Bob Carrolls letzte Anweisungen. Er sollte versuchen, Kuklinski so weit zu bringen, dass er tatsächlich seine Absicht, einen Mord zu begehen, aussprach. »Wie willst du’s machen? Es einfach draufstreuen?«
»Ja.«
Dominick merkte, dass es keinen Sinn hatte. Natürlich wären ein paar ausführliche Erklärungen besser gewesen, aber er wollte ihn nicht bedrängen. Es war klüger, etwas vorsichtig zu sein, solange er nicht seine Augen sehen konnte.
Kuklinski schloss seinen Kofferraum auf, legte die Sandwiches und die braune Papiertüte mit dem Fläschchen Chinin hinein und kramte nach Handschuhen, konnte aber keine finden.
»Ich besorg dir noch welche.«
»Okay. Hör zu, wenn du mit dem Bus zurückkommst, geh drei Kaffees holen. Ich parke hier irgendwo.« Dominick deutete auf eine Reihe leerer Plätze in der Nähe der Telefonzellen.
»Der Bus ist leicht zu erkennen. Er ist ziemlich auffällig in zwei Farbtönen lackiert, hellblau und dunkelblau. Kannst ihn nicht verfehlen.«
»In Ordnung. Wie lange brauchst du, bis du wieder hier bist?«
»Zwanzig Minuten.«
»Also gut. Ich bin dann in genau einer halben Stunde zurück.«
»Wenn ich dich kommen sehe, gehe ich rein und hole Kaffee, und dann läuft’s wie geplant«, meinte Kuklinski vielsagend.
»Klar.«
Dominick wäre es lieber gewesen, er hätte es offen ausgesprochen, aber er wusste aus Erfahrung, wie vorsichtig ein Täter in solchen Momenten war. Allerdings glaubte er nicht, dass Kuklinski ihn durchschaut hatte: Es schien einfach seine normale Wachsamkeit zu sein – die übliche Vorsicht.
Kuklinski stieg ein und startete den Motor, während Dominick zu seinem schwarzen Lincoln ging. Als Richard Kuklinski aus der Parklücke fuhr, winkte er kurz, dann drehte er sich zur Seite und sagte laut, damit der Sender es übertrug: »Alles klar, Jungs, ihr seid dran. Entweder könnt ihr ihn jetzt schnappen oder ihr wartet, bis er mit dem Bus zurückkommt. Ich schlage vor, wir warten ab. Lasst ihn den Bus holen.«
Ihn mit den Sandwiches und dem angeblichen Zyankali zu verhaften, wäre zwar nicht schlecht, aber viel besser wäre es, wenn sie warteten, bis er tatsächlich die Sandwiches »vergiftete«. Dominick stieg ein und schaute auf die Uhr. Es war fünf vor neun.
Durch die Windschutzscheibe sah er in einer Telefonzelle einen untersetzten Mann Anfang fünfzig. Es war Deputy Chief Bobby Buccino, der zum Schein telefonierte, aber in Wirklichkeit trug er einen Kopfhörer, mit dem er jedes Wort zwischen Dominick und Kuklinski verfolgt hatte. Eine zusammengefaltete Zeitung war über seine Hand geklebt, in der er eine 9-mm-Automatik hielt. Er hatte die ganze Zeit über dort gestanden.
Im Rückspiegel konnte Dominick den unauffälligen schwarzen Kleinbus sehen, in dem drei schwerbewaffnete Polizisten warteten – die Detectives Ernie Volkman, Pat Kane und Dennis Vecchiarelli. Ron Donahue war ebenfalls in einem Auto irgendwo auf dem Parkplatz. Weitere Ermittler der Staatsanwaltschaft und Agenten vom Bureau of Alcohol, Tobacco, and Firearms waren über das Gelände verteilt; Dominicks bester Freund, Lieutenant Alan Grieco vom Morddezernat aus Bergen County hielt sich gleichfalls im Hintergrund bereit. Ein bewaffneter Polizist in Zivil und ein Kollege mit einem Sturmgewehr standen auf verschiedenen Positionen in der Nähe. Uniformierte Beamte der State Police parkten entlang der Autobahn in der Nähe der Zufahrtsstraßen für den Fall, dass zusätzliche Unterstützung benötigt wurde. Wenn Kuklinski zurückkehrte, würden sie ihn rasch und ohne Probleme schnappen. Lief alles wie geplant, würde es keine Pannen, unvorhergesehene Abweichungen oder irgendwelches Improvisieren geben.
Dominick drehte den Zündschlüssel und legte den Gang ein. Er musste ›den reichen jüdischen Burschen‹ holen. Bald würde alles vorbei sein.