Richard Kuklinski nahm das letzte Stück Toast und wischte den Rest Eigelb von seinem Teller. Aus seiner Nische konnte er durch das Fenster des Lokals ein Stück der Einkaufspassage auf der anderen Straßenseite sehen. Er schaute auf seine Uhr. Vor einer Weile hatte er Dominicks Pieper angewählt und die Nummer des Münztelefons hier im Restaurant angegeben. Hoffentlich rief er zurück, ehe der Betrieb zur Mittagszeit losging, damit sie ungestört reden konnten.

Während er seinen Kaffee trank, blickte er aus dem Fenster. Draußen war es sonnig, die Bäume trugen noch ihr Laub, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Blätter fielen. Die Tage wurden allmählich frischer, und man spürte bereits den Herbst.

Das Münztelefon neben der Registrierkasse begann zu läuten. Kuklinski wartete, dass eine der Kellnerinnen abnahm. Die ältliche Blondine mit der getönten Brille ergriff den Hörer.

»Hallo? … Wer? … Sekunde.« Sie schaute sich um, sah den großen kahlköpfigen Mann mit dem grauen Bart, der allein an einem Tisch saß, und ging zu ihm hinüber. »Sir, warten Sie auf einen Anruf von einem Dominick?«

»Ja, tatsächlich.« Kuklinski stand auf.

»Kann ich Ihnen noch was bringen, Sir?«

Er blickte über seine Schulter auf die leere Tasse. »Klar, einen neuen Kaffee.« Am Telefon überzeugte er sich, dass keiner in der Nähe war, ehe er den Hörer nahm.

»Hallo?«

»Rich?«

»Ja, wie geht’s?«

»Gut. Wer war das da eben?«

»Die Kellnerin hier im Restaurant.«

»Und was gibt’s?«

»Nichts weiter. Ich wollte nur mal hören, wie die Sache mit deinem Mädchen steht.«

»Da ist alles klar.«

»Ja?«

»Sie sind sehr zufrieden mit dem, was ich ihnen gezeigt habe.«

»Ja?«

»Es sieht so aus, als klappt die Sache.«

»Gut. Und was hast du mit dem reichen Juden vereinbart? Läuft das wie geplant?«

»Das geht glatt.«

Kuklinski grinste. »Nun, wann immer du so weit bist, sag mir Bescheid.«

»Wie lange brauchtest du von Jersey aus?«

»Nur ungefähr zweieinhalb Stunden, mein Freund, mehr nicht.«

»Bestens. Die Sache hat allerdings keine Eile, weißt du. Der Typ ist viel unterwegs, verreist oft mit seiner Familie oder verschwindet für einige Zeit.«

»Wer da zögert, ist verloren – so sagt man doch, nicht?«

»Da hast du recht, Rich.«

»Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist.«

»Stimmt genau. Ich lass dich wissen, wann es losgehen kann.«

»Okay. Und wie läuft die Geschichte mit dem Mädchen weiter?«

»Keine Sorge, ich melde mich, sobald ich von ihr höre.«

»Gut. Du weißt, wie du mich findest?«

»Klar. Ich geb dir Bescheid.«

»Pass auf dich auf.«

»Dann bis bald.«

Kuklinski ging zurück zu seinem Tisch. Die Kellnerin hatte ihm frisch eingeschenkt und die Tasse mit dem Unterteller bedeckt, damit der Kaffee warm blieb. Er nahm zwei Stück Zucker, rührte um und dachte an diesen reichen Juden. Dominick hatte gesagt, der Bursche wolle zwei Kilo Koks. Der Preis dafür wären 65000 Dollar. Er würde es in bar mitbringen, und wenn sie ihn umlegten und sich die Kohle teilten, würde ihm das weitere 32000 zusätzlich zu dem einbringen, was immer er und Sposato Dominick abknöpfen würden.

Kuklinski hob die Kaffeetasse an seine Lippen und schaute aus dem Fenster. »Wer da zögert, ist verloren«, dachte er. Wer da zögert …

Ja, er hatte selbst einmal viel zu lange gezögert und es prompt bereut. Damals in den Siebzigern schwatzte ein Kerl, der ihm Geld schuldete, überall herum, dass er nicht die Absicht habe, etwas zurückzuzahlen. Richard Kuklinski dachte nicht daran, sich das gefallen zu lassen, und stattete ihm eines Abends in seinem Büro in Manhattan einen unerwarteten Besuch ab. Der Mann war völlig überrascht, ihn zu sehen, und noch verblüffter über die 38er in seiner Hand. Er brach regelrecht zusammen, als Kuklinski die Waffe auf ihn richtete und sagte, jetzt würde er für sein Verhalten zahlen.

»Bitte, Rich, nein. Bitte, tu das nicht. Herrgott, lass das nicht zu, bitte! Oh Gott, bitte, hilf mir, bitte, Gott.«

Vor Angst versagten ihm die Beine, er sank auf die Knie, weinte und bettelte, jammerte und flehte und beteuerte, er würde alles tun, wenn Gott ihm nur noch dieses eine Mal helfe.

Kuklinski musterte ihn belustigt. »Ich will dir was sagen«, meinte er höhnisch. »Wenn du so einen Glauben an deinen verfluchten Gott hast, gebe ich dir eine halbe Stunde, um zu beten. Wir wollen mal sehen, ob er was für dich tun kann. Okay?« Er lehnte sich gegen den Schreibtisch, schaute auf die Uhr und sagte, die Zeit laufe.

Das war ein Fehler.

Der Kerl fing an zu plärren, er heulte, winselte und bettelte, dass es erbärmlich und einfach erniedrigend war. Vor Angst konnte er nicht mal aufstehen und schleppte sich über den Boden wie ein Krüppel, der aus dem Rollstuhl gefallen war. Und zuletzt schiss er sich buchstäblich in die Hosen. Es war widerlich. Kuklinski hätte nie geglaubt, dass jemand so komplett durchdrehen könnte. Nach einer Weile konnte er es nicht mehr mitansehen und erschoss ihn, damit die Sache ein Ende hatte. Er zerrte die Leiche in den Lastenaufzug und warf sie in einen Abfallcontainer. Obwohl er nie wieder etwas über den Kerl hörte, verfolgte die Erinnerung ihn immer noch. Er hätte nicht zögern, sondern ihn auf der Stelle erschießen sollen. Das wäre weitaus besser gewesen. Den Schwachkopf derart betteln zu lassen – das war unwürdig für jemanden wie Richard Kuklinski. So etwas passte nicht zu ihm. Er fühlte sich richtig schäbig dadurch. Allerdings hatte er seine Lektion aus der Geschichte gelernt: Wer da zögert, ist verloren.

»Noch etwas Kaffee, Sir?« Die Kellnerin kam mit der Kaffeekanne zu seinem Tisch.

»Nein, danke. Bringen Sie mir nur die Rechnung.«

»Gern, Sir.« Sie schlurfte wieder hinter die Theke.

Er leerte seine Tasse und wartete.

 

 

 

 

Der Iceman - Die Jagd auf Amerikas brutalsten Killer
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