Trotz seiner 18000 Einwohner ist Dumont nach den Maßstäben im nördlichen New Jersey praktisch ein kleines Dorf und eine der eher bescheidenen Gemeinden im ansonsten reichen Bergen County. Es ist eine Stadt mit schlichten Häusern und Gebäuden im Kolonialstil entlang der gewundenen Straßen, die gesäumt sind von alten Ahornbäumen und Platanen mit der typischen papierartig abblätternden Rinde. Dumont ist eine Schlafstadt für Pendler, die in New York City und Newark arbeiten und eine arme Cousine im Vergleich mit den eleganteren Nachbarn – Städten wie Cresskill, Demarest, Alpine und dem majestätischen Englewood Cliffs, das am Hudson River liegt und bekannt ist für seine stolzen alten Villen auf weitläufigen Grundstücken mit gepflegten Rasenflächen. Die Einwohnerschaft von Dumont besteht gutgemischt zu gleichen Teilen aus Arbeitern und Angestellten im mittleren Management. Einen Bewohner gab es allerdings, der nicht in dieses bürgerliche Milieu passte: Richard Kuklinski.

Kuklinski war in Gedanken versunken, als er an diesem Nachmittag den blauen Camaro durch das Stadtzentrum lenkte. Beinah automatisch fuhr er die Washington Avenue hinauf, vorbei an der St. Michaels Catholic School und bog die nächste Straße links in Richtung der Sunset Street ein. Die Häuser, an denen er vorbeikam, waren ebenso solide und ordentlich wie die Stadt selbst, nur war im Laufe der Jahre hier und da einiges verändert, ergänzt und modernisiert worden: Dachfenster, gepflasterte Fußwege, verbreiterte Terrassen, Wintergärten, zentrale Klimaanlagen – lauter Anzeichen des jeweiligen Aufschwungs in den Finanzen der verschiedenen Besitzer. Kuklinski erreichte die Sunset Street und lenkte den blauen Chevy in die Auffahrt von Nummer l69, einem schmucken Haus mit Zwischengeschoss, einer Zedernholzfassade und einer speziell angefertigten, geschnitzten Mahagonitür für zweieinhalbtausend Dollar. Er stellte den Motor ab und blieb einen Moment nachdenklich im Wagen sitzen. Systematisch bis in alle Einzelheiten überdachte er sämtliche Möglichkeiten, wie er sich Dominick Provenzano für seine Pläne zunutze machen könnte.

Der Hund hatte angefangen zu bellen, sobald er den Wagen hörte, doch Kuklinski bemerkte es erst nach einiger Zeit. Der große Neufundländer war im Hinterhof angebunden und hoffte darauf, dass jemand mit ihm spazierenging.

Kuklinski öffnete die Eingangstür und stieg die kleine Treppe hinauf zum Wohnzimmer. Sein Sohn Dwayne lag auf dem Sofa ausgestreckt, hatte Kopfhörer auf den Ohren, einen gelben Walkman neben sich und ein Buch vor der Nase. Der siebzehnjährige Dwayne mit seinem dunklen Haar und dem frischen Gesicht war nicht nur ein gutaussehender Bursche, sondern auch sehr intelligent. Er war eine ausgemachte Leseratte, genau wie seine Mutter. Barbara und Dwayne lasen oft dieselben Romane und diskutierten bis spät in die Nacht am Küchentisch darüber. Manchmal hatte Kuklinski allerdings das Gefühl, dass sein Sohn ein wenig zu gescheit und ihm überlegen war. Insgeheim musste er sich eingestehen, dass er hin und wieder sogar etwas wie Eifersucht empfand mit Blick auf Dwaynes enges Verhältnis zu Barbara. Er hatte versucht, sich ebenfalls für Bücher zu interessieren, um mitzureden, aber sowas war einfach nicht sein Fall. Erst mit sechzehn hatte er endlich die achte Klasse hinter sich gebracht, und das Einzige, was er je las, war die Zeitung.

Kuklinski schaute auf seinen Sohn herab, der in seine eigene Welt versunken schien. »Dwayne.«

Der Junge reagierte nicht. Sein Walkman war so laut gestellt, dass Kuklinski noch auf der anderen Seite des Raums die Heavy-Metal-Rhythmen hören konnte.

»Dwayne!«, wiederholte er mit kräftiger Stimme. »Dwayne!« Endlich hatte dieser seinen Vater bemerkt und drehte die Musik leiser, ohne allerdings die Kopfhörer abzusetzen.

»Hey, Dad. Was ist?«

»Tu mir einen Gefallen, ja?«

»Sicher, und was?«

»Geh mit dem Hund spazieren.«

»Aber du freust dich doch immer drauf, mit …«

»Ich muss ein paar Anrufe erledigen. Lauf schon, ehe er sein Geschäft im Hof macht.«

»Okay.« Dwayne setzte sich auf und warf das Taschenbuch, in dem er gelesen hatte, auf den Couchtisch.

Kuklinski musterte kurz den Titel, während er in die Küche ging, aus der es verlockend duftete.

»Daddy.« Die einundzwanzigjährige Merrick, seine Älteste, die groß und dunkelhaarig wie ihr Bruder war, stand vom Tisch auf, warf die Arme um ihn und küsste seine Wange. Er drückte sie an sich.

Die zwanzigjährige Christen schaute kurz von der Arbeitsplatte hoch. »Hallo, Dad«, nickte sie. Christen war blond und schlank wie ihre Mutter. Wenn sie nur ein bisschen öfter lächeln würde.

»Seit wann habt ihr Mädchen kochen gelernt? Eure Mutter glaubt, ihr beiden wisst nicht mal, wo die Küche ist.«

Merrick lachte. »Komm schon, Dad, so schlimm sind wir auch wieder nicht.«

Christen blieb stumm und machte mit der Zubereitung des grünen Salats weiter.

Er ging zu ihr, um sie ebenfalls in den Arm zu nehmen. Sie war anders als Merrick und stets etwas befangen, als fühle sie sich beinah unbehaglich in seiner Nähe. Vielleicht lag es an ihm, oder es war einfach der Konkurrenzkampf mit Merrick, die immer offener, freimütiger und von jeher eher Daddys Mädchen gewesen war.

Plötzlich kamen ihm seine eigenen Geschwister in den Sinn. Jetzt hatte er selbst auch eine Familie mit drei Kindern. Finster runzelte Kuklinski die Stirn und ärgertet sich über solche Gedanken. Es gab nichts, absolut nichts Vergleichbares zwischen damals und seiner jetzigen Familie.

»Was ist los, Daddy?«, fragte Merrick.

»Nichts.«

Er dachte an seinen jüngeren Bruder Joey. Als er Mitte zwanzig war, hatte Joey ein zwölfjähriges Mädchen und ihren kleinen schwarzen Hund von einem Dach gestoßen. Der Hund hatte überlebt. Joey saß jetzt im Irrenhaus hinter Schloss und Riegel. Für Kuklinski stand fest, dass allein die schreckliche Kindheit in Jersey City für seinen Geisteszustand verantwortlich war. Aus diesem Grund hatte er sich vor langer Zeit gelobt, seinen eigenen Kindern alles zu bieten, was man sich wünschen konnte. Niemals würde er zulassen, dass seine Kinder etwas Derartiges erleben mussten, wie er es hinter sich hatte. Niemals. Und das einzige Mittel, dies sicherzustellen, war Geld.

Nur die Armut hatte seine Mutter so verbittert, dass sie im Laufe der Zeit so bösartig wurde; davon war er überzeugt. Sie zerstörte aus Boshaftigkeit alles, was mit ihr in Berührung kam. Wann immer ihre Kinder bei ihr Hilfe oder ein bisschen Anerkennung suchten, stauchten ihre gehässigen Bemerkungen sie zusammen und demütigten sie statt dessen. Das Schicksal hatte ihr verflucht schlechte Karten zugeteilt, und deshalb wollte sie auch jedem anderen das Spiel verderben. Kein Wunder, dass sie schließlich an Krebs erkrankte, der sie zerstörte.

Aber so schlimm seine Mutter auch gewesen war, sein Vater war noch weit schlimmer. Wenigstens hatte sie sich bemüht, die Familie zusammenzuhalten. Der Vater hingegen kam und ging einfach, wie es ihm passte, war die meiste Zeit betrunken und stets bereit, Richie, den Ältesten, für nichts und wieder nichts zu schlagen. Regelmäßig verschwand er für ein paar Jahre, und gerade, wenn sie ihn endlich vergessen hatten, diesen Bastard, tauchte er wieder auf, betrunken und tobsüchtig, um das ganze Elend noch zu verschlimmern, ehe er von neuem abhaute.

Nach vielen Jahren hatte Kuklinski noch einmal Kontakt zu ihm gesucht. Er hatte gehofft, sich vielleicht mit dem alten Mann versöhnen zu können, und dass jetzt, wo er verheiratet war, in gutsituierten Verhältnissen lebte und selbst eine Familie hatte, alles anders sein könnte. Aber niemals hatte er sich gründlicher geirrt. Sein Vater hatte sich kein bisschen verändert. Er war der gleiche kaltherzige Bastard wie eh und je und scherte sich einen Dreck um seinen Sohn oder dessen Familie. Es ging einigermaßen, solange er ihm in diversen Bars Drinks spendierte, doch als Kuklinski eines Tages in seiner Wohnung vorbeischaute, nur um mal nach ihm zu sehen, wollte der Alte nicht einmal die Tür öffnen und rief, er solle verschwinden und ihn in Ruhe lassen.

Kuklinski stand allein in dem trübe erleuchteten Flur und fühlte sich zutiefst gedemütigt. Es lohnte nicht die Mühe zu versuchen, etwas Gutes zu tun, wenn das der Dank dafür war.

Es hatte eine Zeit gegeben, da war Richard Kuklinski auf dem besten Weg gewesen, in die gleiche Falle zu tappen wie seine Eltern und ebenso unentrinnbar in bitterer Armut festzusitzen. Als kaum halbwüchsiger Teenager hatte er eine Frau aus der Siedlung geschwängert, und das Ende vom Lied war, dass er die Sechsundzwanzigjährige heiraten musste. Sie lebten zwar nicht zusammen, aber schließlich hatte er zwei Söhne von ihr, war doch noch nicht mal zwanzig und merkte, wie er langsam seinem Vater immer ähnlicher wurde.

Gott sei Dank hatte er dann Barbara getroffen. Sie veränderte seine ganze Welt und zeigte ihm, dass nicht alles nur totale Scheiße war. Barbaras Mutter finanzierte die Scheidung von seiner ersten Frau, und nach ihrer Heirat schwor er sich, nie wieder in ein solches Leben wie in der Siedlung zurückzufallen. Niemals.

Richard verdrängte diese Erinnerungen und betrachtete seine Töchter anerkennend und voller Freude darüber, wie sie sich entwickelt hatten. Nicht den Hauch einer Ähnlichkeit mit seiner Mutter oder seiner ersten Frau gab es an ihnen. Sie waren jung und hübsch und besaßen Klasse –
guten Geschmack, gutes Aussehen und gute Erziehung. Das alles war Barbara zu verdanken. Sie allein hatte die Kinder erzogen.

»Wo ist eure Mütter?«

Merrick machte eine Lasagne zurecht, belegte die breiten Bandnudeln in einer Auflaufform mit Scheiben von Mozarellakäse und fügte italienischen Quark und Tomatensauce hinzu. »Mom ist oben und hat sich hingelegt. Sie hat Kopfschmerzen.«

»Ach so.« Er schaute zu Christen. »Und wo steckt dein Freund heute, Christen? Wie heißt er noch? Dieser Matt.«

Christen schnitt eine Gurke klein und zuckte nur flüchtig mit den Schultern. »Keine Ahnung. Zu Hause, schätze ich.«

Augenzwinkemd grinste er Merrick zu. »So, so. Ich wette, wenn er diese Lasagne riecht, kommt er wie der Blitz herüber.«

Christen seufzte. Sie mochte es nicht, wenn ihr Vater sie mit Matt aufzog. Er hatte unmissverständlich klargemacht, dass er ihn nicht mochte, seit er sie eines Abends beim Knutschen auf ihrem Bett erwischt und sie über eine geschlagene Stunde lang angeschrien hatte.

Merrick presste die Lippen zusammen und versuchte ihrer Schwester zuliebe über die Sticheleien des Vaters nicht zu lachen.

Richard angelte sich an Christen vorbei eine Scheibe Paprika aus der hölzernen Salatschüssel. »Ich sehe mal nach eurer Mutter.«

Er durchquerte das Wohnzimmer, stieg eine kurze Treppe hinauf und ging zum Elternschlafzimmer. Leise öffnete er die geschlossene Tür. Barbara lag auf dem Rücken und hielt einen Arm über ihr Gesicht. Sie trug Designerjeans und einen pfirsichfarbenen Pullunder. Das Satinkissen unter ihrem Kopf hatte er ihr einmal aus Los Angeles mitgebracht.

»Rich?«

»Bist du in Ordnung, Baby?«

»Nur Kopfschmerzen.« Sie zog ein Bein an und krümmte die Zehen. Mit sechsundvierzig hatte Barbara immer noch eine Figur, um die ein Mannequin sie beneiden würde.

Kuklinski trat ins Zimmer und setzte sich auf den Bettrand. Sie wirkte müde. Er fühlte ihre Stirn.

»Es sind bloß Kopfschmerzen, Rich.«

»Hast du ein Aspirin genommen?«

»Gerade eben. Bis zum Essen geht’s mir wieder gut. Ich brauche nur ein wenig Ruhe, das ist alles.«

Kuklinski nickte gedankenverloren. Genau das hatte sie auch gesagt, als er damals in die Schweiz flog. Er war noch keine sechsunddreißig Stunden dort, als er einen Anruf von Merrick erhielt. »Mom ist im Krankenhaus. Sie wissen nicht, was ihr fehlt.«

Er war sofort in ein Flugzeug gestiegen, um bei ihr zu sein.

»Ruh dich aus, solange du willst. Du kannst ja später essen.«

Er stand auf und wollte gehen, aber dann verharrte er und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf die Wände.

»Dieses Zimmer muss mal wieder gestrichen werden«, murmelte er mehr zu sich selbst als zu seiner Frau. »Die Buchstaben kommen durch.«

Barbara seufzte. »Fang nicht wieder damit an, Rich. Ich hab dir doch schon so oft gesagt, dass du dir das nur einbildest.«

»Es ist keine Einbildung. Ich kann sie immer noch sehen.«

»Der Tapezierer hat eine Spezialgrundierung benutzt und drei Farbschichten darüber aufgetragen. Glaub mir, niemand kann irgendwas erkennen.«

Kuklinski schüttelte den Kopf. Er sah immer noch diese Worte, die er eines Nachts in einem finsteren Wutanfall auf die Wände geschrieben hatte. Es passierte damals, als Barbara ihm nicht zuhören wollte, als dieser blöde Job allmählich ihr ganzes Leben beherrschte und sie sich weigerte zu kündigen, obwohl er es ihr befohlen hatte – einen Meter hohe Buchstaben mit schwarzem Markierstift, die die ganze Wand bedeckten und die nächste auch, bis sie abrupt am Kleiderschrank aufhörten. LIEBE HASS TOD TOD TO…

Barbara schloss die Augen und bedeckte wieder ihr Gesicht mit einem Arm. »Lass mich noch ein kleines bisschen ausruhen, Rich. Ich bin zum Essen unten.«

Ohne zu antworten, verließ er das Schlafzimmer und ging den Flur entlang zum Bad. Dort öffnete er den Medizinschrank, nahm aus dem grünen Plastikfläschchen im obersten Regal zwei Aspirin und schluckte sie. Er hatte zwar keine Kopfschmerzen, aber er nahm oft Aspirin, einfach zur Vorbeugung. Heute hatte er so ein Gefühl, als könnte er Kopfschmerzen bekommen.

Er verließ das Bad und ging nach unten zu seinem Büro, vorbei an dem riesigen goldgerahmten Ölgemälde im Flur, das eine Vase voll üppiger Blumen zeigte. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah er, dass das rote Licht am Anrufbeantworter blinkte. Er schaltete die Schreibtischlampe ein und drückte den Abspielknopf.

»Rich, hier ist ›Tim‹. Ich muss mit dir reden, und zwar gleich.«

Abrupt wurde nach diesen überheblich klingenden Worten wieder aufgelegt. Was dieser Kerl sich einbildet, dachte Kuklinski. ›Tim‹ war der Name, den John Sposato sicherheitshalber am Telefon benutzte für den Fall, dass irgendjemand mithörte. Sposato war reichlich von sich eingenommen und lebte in dem Wahn, er sei eine große Nummer und könne andere Leute herumkommandieren. Da täuschte er sich allerdings gewaltig.

Kuklinski setzte sich an seinen Schreibtisch. Eigentlich müsste John Sposato inzwischen längst tot sein. Das wäre nur recht und billig, dachte er und hob seinen Diplomatenkoffer vom Boden hoch. Er stellte ihn auf den Schreibtisch, öffnete ihn und nahm sein Messer heraus, ein schweres Jagdmesser mit einer leicht gebogenen, fünfzehn Zentimeter langen Klinge. Auf dem hölzernen Griff waren zehn Kerben, acht auf einer Seite, zwei auf der anderen.

Ohne es aus der Lederscheide zu nehmen, strich er langsam mit dem Daumennagel die acht Kerben entlang. Als er zur untersten kam, fing er oben wieder an.

Niemand leistete sich ungestraft eine solche Sauerei, wie Sposato es gewagt hatte, nicht bei Richard Kuklinski. Dieser fettärschige Sack hatte die Unverschämtheit gehabt, letzten Monat hierher zu kommen! Mit zwei gottverdammten Puertoricanern war er hier aufgetaucht, um Geld zu kassieren – bei ihm zu Hause!

Er hatte sie aus dem Fenster im Obergeschoss beobachtet. Sposato war im Wagen sitzengeblieben, ganz der große Boss, während seine Schläger an die Tür kamen und über Dwayne herfielen. Sie fragten nach seinem Vater und glaubten ihm kein Wort, als er entgegnete, er sei nicht zu Hause. Diese Dreckskerle verlangten sogar, selbst nachzusehen. Kuklinski stand oben an der Treppe mit einer Waffe in der Hand und war bereit, die beiden zu erschießen, falls sie auch nur ihre Nasenspitzen ins Haus steckten. Sein Heim und seine Familie waren ihm heilig, und jeder, der es wagte, gegen dieses Tabu zu verstoßen, hatte sich die Folgen selbst zuzuschreiben.

Sposato ahnte nicht, was für ein Glück er an diesem Tag gehabt hatte. Die Typen waren keine Dummköpfe und hatten es bei ihren Drohungen belassen. Vermutlich fürchteten sie, ›Big Rich‹ würde drinnen auf sie lauern.

Er hatte gehört, wie die beiden schmierigen Affen zu Dwayne sagten, sie würden wiederkommen. Vom Fenster aus sah er sie zum Auto gehen. Kuklinski wäre am liebsten hinuntergerannt und ihnen in seinem Wagen gefolgt, um sie irgendwo von der Straße abzudrängen und diesem Bastard Sposato eine Kugel zu verpassen. Aber in diesem Moment kam zufällig ein Polizeiauto vorbei, und die Bullen hielten an, um zu sehen, was diese Ratten in einer solchen Gegend trieben. Wenn das nicht passiert wäre, würden Sposato und seine beiden Puertoricaner jetzt schon irgendwo verrotten. Sposato ahnte wahrhaftig nicht, was für ein Glück er gehabt hatte.

Später hatte Kuklinski ihn am Telefon erwischt und ihm klipp und klar gesagt: »Komm bloß nicht noch mal zu meinem Haus! Ich will nicht, dass du mit einem von meiner Familie redest oder ihn auch nur anschaust! Hast du kapiert?« Er drohte, noch am selben Abend bei Sposato vorbeizuschauen und ihm zu zeigen, dass er keine Witze mache.

Daraufhin hatte Sposato wenigstens für eine Weile den gehörigen Respekt gehabt, denn er wusste, dass es keine leere Drohung war. Aber der Fettsack blieb ein Problem. Sicher, sie hatten durch Waffenverkäufe einiges Geld zusammen gemacht, doch so wie sich Sposato seit kurzem benahm, schien er der Ansicht zu sein, dass er der Boss in ihrer Partnerschaft war. Offenbar bildete er sich ein, er habe genug über ihn in der Hand und könne mit Richard Kuklinski umspringen, wie es ihm passte. Damit lag er allerdings gründlich daneben. Sposato würde sterben, das war keine Frage. Aber noch nicht gleich. Er hatte wieder einmal mehr Glück als Verstand – und das verdankte Sposato Dominick Provenzano.

Während er mit seinem Daumennagel über die Kerben im Messergriff strich, begann alles in seinem Kopf Gestalt anzunehmen.

Für eine Weile brauchte er Sposato noch, um mit seiner Hilfe bei diesem Waffengeschäft ordentlich abzusahnen.

Dominick wollte Militärwaffen, und John hatte dafür die nötigen Verbindungen. Es würde also ein hübscher Profit rausspringen, wenn er ihm Sposatos Ware vermittelte.

Allerdings gab es eine Angelegenheit, um die er sich zuerst noch kümmern musste, etwas, das ihm seit langem schon gewaltig zu schaffen machte. Percy House und seine Frau Barbara Deppner, diese Verräter. Einzig und allein diese beiden konnten bei den Bullen geplaudert haben.

Percy House war der ›Hauptmann‹ einer Bande gewesen, die Kuklinski einmal geleitet hatte. Ihre Spezialität waren Einbrüche und Autodiebstähle gewesen, aber es hatte auch ein paar Morde gegeben, und die Sache endete damit, dass Kuklinski zwei Mitglieder töten musste: Barbara Deppners Ex-Ehemann Danny und ihren Cousin Gary Smith. Sie waren zu weich und ängstlich und dadurch zu einem Risiko geworden. Percy House konnte sie nicht in Schach halten, weil er damals im Gefängnis saß, und Kuklinski durfte nicht riskieren, dass Danny Deppner und Gary Smith außer Kontrolle gerieten – sie wussten einfach zu viel.

Barbara Deppner hatte zwar nicht direkt zu ihrer Bande gehört, doch sie schien ständig dabei zu sein, und sie hatte große Ohren. Eines Tages, als sie noch mit Danny verheiratet war, hatte sie sich ihre acht Kinder geschnappt und war mit Percy zusammengezogen, und jetzt ging das Gerücht um, dass die State Police die beiden in der Mangel hatte. Kuklinski wusste, dass die Bullen sehr an ihm interessiert waren. Und er würde jederzeit darauf wetten, dass Percy und Barbara gesungen hatten – zwar nicht die ganze Litanei, aber zumindest so viel, um ihre eigenen Ärsche zu retten. Percy war zu clever, um seine sämtlichen Trümpfe auf einmal auszuspielen. Nach allem, was Kuklinski erfahren hatte, war das saubere Pärchen von der Polizei sogar an einen sicheren Ort gebracht worden und hatte im Austausch für seine Mitarbeit neue Identitäten erhalten. Aber vor Richard Kuklinski versteckte sich keiner, er hatte seine Quellen und würde sie finden. Er musste sie dann schnell und lautlos beseitigen – ohne Waffen, ohne Blut. Genau aus diesem Grund brauchte er Zyankali. Um sich diese Ratten vom Hals zu schaffen.

Kuklinski presste ärgerlich die Lippen zusammen. Jammerschade, dass er ›Mister Softee‹ ins Jenseits befördert hatte. Damals war ihm nicht klargewesen, dass man mit seiner Unterschrift quittieren musste, wenn man reines Zyankali kaufen wollte, und dass es nur an Firmen abgegeben wurde, die einen nachweislichen Bedarf gemäß der gesetzlichen Vorschriften dafür hatten. Er konnte keinen Versuch riskieren, es sich selbst zu verschaffen, jedenfalls nicht jetzt und auf diese Weise. Die Bullen würden jubilieren, wenn sie ihn dabei erwischten. Irgendwie schien ›Mister Softee‹ immer ohne jegliche Probleme an das Zeug gekommen zu sein. Hätte ich das bloß vorher gewusst, dachte Kuklinski mürrisch.

So wie es aussah, würde er zuerst den Kokshandel mit Dominick Provenzano machen müssen, um sein Vertrauen zu gewinnen, auch wenn er das Zeug in Wirklichkeit gar nicht brauchte. Allerdings würde er es mühelos absetzen können. Wenn ihm Dominick dann erst einmal das Zyankali beschafft hatte, würde er Percy und Barbara, diese beiden Ratten, aus dem Weg räumen und anschließend ein hübsches Waffengeschäft mit Dominick arrangieren – ein großes, das sich lohnte. Am besten war es, ihn eine Weile zappeln zu lassen, ihn ein paarmal zu vertrösten, damit er richtig hungrig wurde. Und dann würde er ihm mitteilen, dass er Probleme habe und bedauerlicherweise die Preise ein wenig erhöhen müsse. Vielleicht würde er behaupten, er könne ihm etwas weit Besseres liefern, um dem Burschen ordentlich das Maul wässrig zu machen. Schließlich würde er irgendwo ein Treffen mit ihm arrangieren, vielleicht in Sposatos Warenlager, und ihm sagen, er solle Bargeld mitbringen. Wenn Dominick dann mit der Knete auftauchte – peng! Ein sauberer Kopfschuss von hinten, rein mit der Leiche in ein Stahlfass, Zement drüber und weg damit. Schön sauber und ordentlich.

Kuklinski grinste bei der Erinnerung daran, wie er Sposato erzählt hatte, eine Million in bar oder vielleicht sogar mehr sei bei dem Geschäft mit Dominick für sie drin. Genüsslich stellte er sich Sposatos Gesicht vor, wie er dem fetten Bastard später eine Waffe unter die Nase halten würde, nachdem sie Dominicks Leiche weggeschafft hatten, und ihm sagen würde, er kassiere das ganze Geld ein. Das müsste man direkt fotografieren.

Oja, Sposato würde sterben, keine Frage. Aber erst, nachdem die Sache gelaufen war und er den Zaster in der Hand hatte. Denn allein darum ging es in Wirklichkeit bei allem – Geld zu machen. Nur die Knete zählte.

Kuklinskis Daumennagel klickte über die Kerben.

Percy House.

Barbara Deppner.

Dominick Provenzano.

John Sposato.

Er seufzte tief und befriedigt. Jetzt fühlte er sich besser, und die drohenden Kopfschmerzen waren vergessen.

Es klopfte an der Tür. »Daddy? Essen ist fertig«, ertönte Merricks Stimme.

»Ich komme sofort, Schatz.«

Gutgelaunt warf er das Messer in den Aktenkoffer, verschloss ihn und stellte ihn wieder auf den Boden. Er schaltete die Schreibtischlampe aus und verließ sein Büro.

Der Duft der Lasagne erfüllte den Flur. »Das riecht aber prima«, rief er, als er auf die Küche zuging.

Er hatte richtig Hunger.

Der Iceman - Die Jagd auf Amerikas brutalsten Killer
titlepage.xhtml
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_000.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_001.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_002.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_003.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_004.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_005.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_006.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_007.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_008.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_009.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_010.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_011.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_012.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_013.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_014.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_015.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_016.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_017.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_018.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_019.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_020.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_021.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_022.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_023.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_024.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_025.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_026.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_027.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_028.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_029.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_030.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_031.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_032.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_033.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_034.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_035.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_036.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_037.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_038.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_039.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_040.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_041.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_042.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_043.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_044.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_045.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_046.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_047.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_048.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_049.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_050.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_051.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_052.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_053.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_054.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_055.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_056.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_057.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_058.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_059.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_060.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_061.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_062.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_063.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_064.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_065.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_066.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_067.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_068.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_069.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_070.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_071.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_072.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_073.html
Der_Iceman_-_Die_Jagd_auf_Ameri_split_074.html