Im Konferenzraum des Organized Crime Bureau in Fairfield saßen der stellvertretende Staatsanwalt Bob Carroll, Deputy Chief Bobby Buccino, dazu die Ermittler Ron Donahue und Paul Smith gespannt nach vorn gebeugt und starrten wie hypnotisiert auf den Recorder, während die Kassette, auf die man die Aufnahme von Dominicks Treffen mit Kuklinski an diesem Nachmittag überspielt hatte, lief und lief.

Dominick lehnte sich in seinem Stuhl zurück und rieb sich die Augen. Langsam befürchtete er, dass das verdammte Band über kurz oder lang durchgescheuert war, so oft wie sie es abspielten.

»Hör zu«, ertönte Dominicks Stimme aus dem Lautsprecher, »der jüdische Kokser hat mich gefragt, ob ich ihm drei Kilos verschaffen kann. Natürlich hab ich ja gesagt. Das sind 85000 in bar. Mittwochmorgen gegen neun, halb zehn kommt er hierher. Ich hab mir gedacht, dass ich kurz vorher das Zyankali hole. Wie lange …«

»Ist zu knapp«, unterbrach Kuklinski ihn. »Das klappt nicht. Ich brauche ein paar Tage, um alles fertig zu machen …«

Dominick stand auf, ging zu einem Schrank und zog die neue Flasche Johnnie Walker Black heraus, auf die sie auch diesmal Kuklinskis Bild geklebt hatten. Er brauchte einen Drink. Dieses gottverdammte Band hatte er bereits hundertmal gehört. Er kannte es direkt schon auswendig.

»Ein Jammer, dass du’s nicht früher abholen kannst, Dom, weil ich es noch präparieren lassen muss. Das mache ich nämlich nicht selbst, weißt du, da muss ein Fachmann ran. Ich bringe es zu einem Typen, der das für mich erledigt. Dafür zahle ich ihm eine Kleinigkeit. Es ist besser, mit diesem Dreck nicht herumzupfuschen. Ein Fehler, und das war’s. lch hab keine Lust, unnötig was zu riskieren, das ist nicht meine Art.«

»Mal eine Frage, Rich. Wäre es möglich, dass du alles besorgst und dir erklären lässt, wie man es zurechtmacht? Dann könnte ich das doch sicher selbst.«

»Das ist eine Sache für jemanden, der sich auskennt, und dieser Typ, den ich da habe, weiß bestens damit Bescheid. Er muss erst sehen, wie stark das Zeug ist, weil es oft Unterschiede in der Qualität gibt, weißt du? Ehe er was zurechtmixt, muss er es genau testen. Danach wird alles versiegelt, und zwar luftdicht. Du kannst nicht mit diesem Kram herumpfuschen. Wenn es nicht luftdicht ist, könnte es problematisch für dich werden … und für mich.«

»Scheiße.« Bob Carroll runzelte die Stirn.

Sie hatten vom Polizeichemiker erfahren, dass Zyankali wasserlöslich ist. Solch ein tödliches Spray zu mischen, musste so einfach sein, wie einen Aufguss aus Brausepulver herzustellen.

»Und die andere Methode, Rich?«, kam Dominicks Stimme vom Band.

»Was meinst du? Es ihm zu fressen geben? Bist du sicher, dass er was essen wird?«

»Ja.«

»Dann brauchen wir ein paar Hamburger oder so was. Aber klappt das auch?«

»Kein Problem.«

»Dann wär’s ja bestens.«

»Sicher, geht ganz einfach. Jedesmal wenn ich den Burschen treffe, bestellt er sich Eiersandwiches. Also besorgen wir ihm ein Eiersandwich.«

»Das ginge. Verkaufen sie hier so was? Ich hab keine Ahnung.«

Während Dominick fünf Plastikbecher austeilte, erinnerte er sich, wie Kuklinski auf dem Lombardi-Rastplatz in die Hände geblasen und über die Schulter zum Imbissrestaurant geschaut hatte. Es war ein unfreundlicher, nasser Tag gewesen. Dominick hatte jetzt noch kalte Füße, nachdem er so lange dort draußen an den Telefonzellen im Schneematsch gestanden hatte.

»Mach dir deswegen keine Sorgen«, ertönte wieder Dominicks Stimme. Die Sandwiches würde er schon bekommen, versicherte er. »Hauptsache mit Eiern, dann frisst’s dieser Kerl schon.«

»Mir recht«, erwiderte Kuklinski. »Wenn wir ihn erst mal im Bus haben, gehört er uns …«

Bob Carroll streckte die Hand aus und stellte den Recorder ab. Er wirkte nicht gerade glücklich, genausowenig wie die anderen.

»Er ist misstrauisch«, sagte Paul Smith, »das ist ganz klar. Warum stellt er sich plötzlich so an? Weshalb braucht er ein paar Tage, um das Spray zu mischen? Das stinkt doch. Er wird verschwinden. Wart’s ab.«

Dominick schenkte Scotch ein. Es war kaum noch genug für alle übrig. Er stellte die leere Flasche auf den Tisch neben den kleinen braunen Glasbehälter, in dem sich feinkörniges weißes Chinin befand, das von einem Polizeichemiker so aufbereitet worden war, dass es wie Zyankali aussah. Dominick sollte es Kuklinski anstelle des echten Giftes geben.

»Ach ja, Smith, ich hab ganz vergessen, dich was zu fragen«, meinte er und verteilte die Plastikbecher. »Du magst doch Eier, oder?«

»Wenn nicht, wär’s jetzt sowieso zu spät.«

Ein Eiersandwich war das erste, was ihm in den Sinn gekommen war, als Kuklinski behauptet hatte, er brauche Zeit, um das Spray zu mischen. Es war ihm logischer erschienen, dass jemand bei einem Treffen morgens um neun lieber ein Eiersandwich als einen Hamburger essen würde. Dominick konnte allerdings spüren, dass die Burschen von der State Police über sein Improvisationstalent nicht gerade begeistert waren. Aber sie sollten es erst mal besser machen, wenn sie an seiner Stelle da draußen stünden. Als Kuklinski angefangen hatte herumzudrucksen, hatte er schnell handeln müssen, um zu verhindern, dass er noch weitere Ausreden auftischte.

Dominick hob seinen Drink. »Gentlemen, ein Toast.« Er drehte sich zu dem großen Foto von Kuklinski um, das an die Wand geklebt war. »Auf dich, Richie. Ich hoffe, du amüsierst dich noch mal richtig, weil deine Tage nämlich gezählt sind, Freundchen. Du gehörst mir, mein Bester, verlass dich drauf.«

»Bon appétit, Richie«, ergänzte Paul Smith.

Alle lachten und leerten ihre Becher. Solche kleinen Albernheiten waren kein Zeichen von Großspurigkeit, sondern eher ein Überlebensmechanismus. Es ging nicht darum, den starken Mann zu markieren, vielmehr war es ein notwendiges Ventil, weil sie andernfalls über kurz oder lang die Wände hochgehen würden. Wenn man zuließ, dass sich die Spannung in einem aufstaute, verlor man seinen Biss und fing an, unsicher zu werden. Hatte man erst einmal begonnen, seine Fähigkeiten anzuzweifeln, kam es zu Fehlern. Und niemand wollte Fehler machen, wenn es um einen Massenmörder ging. Deshalb lachte Dominick am lautesten.

Bob Carroll stellte seinen Becher ab und meinte nachdenklich: »Ich finde immer noch, wir sollten den Treffpunkt verlegen.«

»Warum?«, fragte Ron Donahue.

Deputy Chief Bobby Buccino wiegte zweifelnd den Kopf. »Kuklinski hat sich nie irgendwo anders als auf dem Rastplatz verabreden wollen. Wenn du versuchst, daran was zu ändern, geht er wahrscheinlich sowieso nicht darauf ein. Warum also riskieren, ihn misstrauisch zu machen?«

Bob Carroll klopfte mit den Fingern auf den Tisch, um seine Worte zu unterstreichen. »Ganz einfach. Wenn wir ihn in irgendeine Wohnung locken könnten, wäre es leicht, alles auf Video aufzunehmen.«

»Das können wir auch draußen«, entgegnete Buccino. »Die nötige Ausrüstung haben wir.«

»Nein, ich habe mir die Sache folgendermaßen gedacht: Wir besorgen uns irgendwo ein Dreizimmer-Apartment und richten es so ein, dass Dominick und Paul im Wohnzimmer den Kokshandel machen. Richie wird den Raum verlassen müssen, um das Sandwich mit Zyankali zu präparieren, und wir halten alles auf Video fest. Könnt ihr euch die Wirkung auf die Geschworenen vorstellen, wenn sie mit eigenen Augen sehen, wie Kuklinski tatsächlich ein Sandwich mit Gift präpariert, um jemanden zu töten?« Der stellvertretende Staatsanwalt schaute begeistert in die Runde.

»Wie bist du denn darauf gekommen?« grinste Dominick. »Hast du wohl mal im Krimi gesehen?«

»Nein, nein, überlegt doch. Sämtliche Geschworenen müssten ihn auf der Stelle schuldig sprechen, und kein Verteidiger der Welt könnte behaupten, er habe nicht vorsätzlich gehandelt.«

»Langsam, langsam«, wandte Paul Smith ein. »Was ist, wenn Kuklinski seine Meinung ändert? Stellt euch vor, er zieht einfach eine Waffe und erschießt mich?«

»Warum sollte er das tun?«

»Wir wissen, dass er nicht bloß mit Zyankali tötet. Wenn er denkt, er ist in der Wohnung allein mit Dominick und dem reichen Bengel, warum mit Giftzeug hantieren? Er könnte auch schießen, und fertig wäre die Sache, stimmt’s?«

»Ich glaube nicht, dass er dich erschießen würde«, sagte Ron Donahue. »Er könnte allerdings ein Messer nehmen.«

»Oder dich erwürgen«, schmunzelte Bobby Buccino. »Das hat er auch schon früher gemacht.«

»Sehr komisch, Bobby. Was ist, wenn er tatsächlich auf mich schießt?«

»Dann trägst du eine Weste.«

»Und wenn er auf den Kopf zielt?«

Dominick winkte ab. »Smith, du machst dir zu viele Gedanken. Sieh es doch mal so: Wenn er dich umbringt, tragen wir dich einfach in einem Teppich raus. Aber wenn wir es auf der Lombardi-Raststätte machen, wird er dich in ein Fass stecken, und du willst doch bestimmt nicht in einem Fass landen, oder? Denk daran, was mit dem Kerl passiert ist, den er in Jersey City umgelegt hat.«

»Du meinst Malliband?«

»Ja, Malliband.«

Paul Smith schaute angewidert in die Runde. »Wenigstens würde ich reinpassen«, knurrte er.

 

 

Der Iceman - Die Jagd auf Amerikas brutalsten Killer
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