Special Agent Dominick Polifrone schaute auf seine Uhr, als er im Gebäude des Organized Crime and Racketeering Bureau in Fairfield den Flur hinunterschlenderte. Es war fast sieben Uhr abends. Nachdem er jetzt endlich mit Kuklinski in Kontakt gekommen war, lief die Operation Iceman auf vollen Touren. Bis vor drei Tagen hatte sich das dafür zuständige Sonderkommando im Grunde mit einer Menge Versprechungen, Theorien und Absichten begnügen müssen. Nun war es Zeit, konkret zu handeln.
Die Tür zum Konferenzraum stand offen. Dominick trat ein und blickte auf die Männer, die an dem langen Tisch saßen. Die drei in Zivil kannte er, aber nicht den Mann in Uniform. Er war Mitte Fünfzig und offenbar ein Captain der State Police.
»Gentlemen«, grüßte er, »wie geht es?«
»Hallo, Dom, und dir?«
»Che se dice, Dominick?«
»Alles klar, Dom?«
Die Ermittler Paul Smith und Ron Donahue vom Organized Crime and Racketeering Bureau und ihr Vorgesetzter, Deputy Chief Robert T. Buccino, standen auf und schüttelten ihm die Hand. Der Captain erhob sich und wartete, dass man sie einander vorstellte.
»Dominick, das ist Captain Brealy«, sagte Buccino. »Nett, Sie kennenzulernen, Captain.«
Captain Brealy nickte knapp und lächelte. »Ich habe eine Menge über Sie gehört, Agent Polifrone. Und anscheinend sind Sie diese Woche Ihrem Ruf gerecht geworden.«
Dominick warf ihm einen fragenden Blick zu. »Verzeihung, Captain?«
»Sie haben endlich den Iceman getroffen. Wir sind alle sehr froh, dass es in dieser Sache mal einen Fortschritt gibt.«
Dominick war drauf und dran, eine scharfe Antwort zu geben, aber er unterließ es. »Ja, Captain«, erwiderte er, »das bin ich auch.«
»Also, Dom, hast du unseren Freund heute gesehen?« Paul Smith mit seinem glatten faltenlosen Gesicht, dem großen schalkhaften Lächeln und dem buschigen Haar sah, verglichen mit den anderen, fast kindlich aus. Er war Mitte dreißig, aber man konnte ihn leicht für zehn Jahre jünger halten. Er deutete auf ein Foto im Format acht mal zehn, das an der Wand klebte. Es war bei einer Überwachung aufgenommen worden und zeigte Richard Kuklinski, der gerade in sein Auto stieg. »Ich weiß, dass ihr zusammen Kaffee trinken wart, Dom. Du hast dir hoffentlich von ihm keinen Hamburger spendieren lassen?«
Ron Donahue lachte auf. Ronny war der große alte Mann des Organized Crime and Racketeering Bureau, ein etwas barscher, altmodischer Bulle irischer Abstammung, der keinerlei Mätzchen duldete und es verteufelt gut verstand, seine Leute herunterzuputzen, wenn sie nicht spurten. Obwohl er selten über sich selbst redete, schien jeder, der irgendwo in New Jersey bei Polizei oder Justiz beschäftigt war, eine gute Story über Ron Donahue auf Lager zu haben. Mafiosi im ganzen Land hassten ihn, und deren Strafverteidiger fielen regelmäßig bei Gerichtsverhandlungen über ihn her, wann immer er nur sein Gesicht zeigte. Es gab keinen Besseren als ihn.
Deputy Chief Buccino verdrehte die Augen und lachte leise. Wer ihn nicht kannte, konnte schwer glauben, dass Bobby Buccino die meisten Jahre seiner Laufbahn bei der State Police mit ihrem fast militärischen Schliff und Drill verbracht hatte, bis er sich als Lieutenant zurückzog. Mit seinem rundlichen Gesicht, dem ewigen Lächeln und seiner unbekümmerten Art wirkte er wie der gütige alte Lieblingsonkel – außer für die, die ihn in Aktion erlebt hatten.
Dominick setzte sich ans Ende des Tischs, kniff die Augen zusammen und deutete drohend auf den jungen Ermittler: »Smith, ich hätte dich umlegen sollen, als ich die Chance dazu hatte.«
Die Männer brüllten vor Lachen, außer Captain Brealy, der eher verwirrt und ein wenig abgestoßen von diesem Insider-Witz schien.
»Wissen Sie, Captain«, erklärte Dominick, »vor zwei Jahren arbeitete ich verdeckt unten in Monmouth County und spielte einen Ganoven, genau wie jetzt bei Kuklinski. Nun, damals machte sich ein Buchhalter an mich ran und wollte, dass ich jemanden für ihn umlegte. Gegen den Kerl wurde ermittelt, weil er im Verdacht stand, seinen Partner ermordet zu haben. Er fragte mich, ob ich diesen Polypen beiseite schaffen könne, der ihm auf den Fersen sei – ein Typ namens Paul Smith.« Er blickte finster zu Paul und schüttelte den Kopf. »Ich hätt’s mit Leichtigkeit tun können und wäre dafür auch noch bezahlt worden. Wo hatte ich bloß meinen Verstand?«
Paul Smith wischte sich die Lachtränen aus den Augen, aber Captain Brealy schien daran nichts komisch zu finden.
Ein großer Mann in einem dunkelblauen Anzug stürmte ins Zimmer und hängte sein Jackett über die Rückenlehne des Stuhls neben Dominick. »Entschuldigt, dass ich zu spät komme, Gentlemen.« Der stellvertretende Staatsanwalt Robert T. Carroll von der Division of Criminal Justice war gebaut wie ein Footballprofi, und er hatte tatsächlich früher für Wake Forest gespielt. Vom einfachen Ermittlungsbeamten für die Staatsanwaltschaft von Essex County hatte er sich hochgearbeitet und in Abendkursen Jura an der Seton Hall University studiert. Der Bundesstaatsanwalt von New Jersey, W. Cary Edwards, hielt Bob Carroll für seinen Spitzenmann. Wenn er eine Ermittlung übernahm, konnte man mit handfesten Ergebnissen rechnen. Nachdem der Direktor der Division of Criminal Justice, Robert T. Winter, Kuklinskis Akte geprüft hatte, gab er sie an Carroll weiter, da er die Wichtigkeit des Falls erkannte. Carroll vertiefte sich das Wochenende über in die Unterlagen, schlug mehrere Möglichkeiten vor, und innerhalb eines Monats begann das Sonderkommando Operation Iceman unter seiner Leitung mit der Arbeit.
Er lockerte seine Krawatte und setzte sich. »Also, was hab ich verpasst?«
»Nichts. Ich bin auch gerade erst gekommen«, sagte Dominick. »Kuklinski hat mich heute morgen wieder angerufen, zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen. Er wollte wissen, ob ich das Zyankali schon habe. Ich habe ihm gesagt, das sei im Moment eine heiße Sache wegen der Geschichte mit der Liptonsuppe unten in Camden, aber er könne sich darauf verlassen, dass ich ihm was besorge.«
Anfang dieser Woche war rein zufällig ein Mann in New Jersey an Zyankalivergiftung gestorben. Spuren des Gifts wurden in der Hühnersuppe gefunden, einem Fertiggericht der Marke Lipton, die er zu Mittag gegessen hatte. Es hatte in sämtlichen Zeitungen gestanden und war für Dominick zum rechten Zeitpunkt gekommen. Dadurch hatte er eine gute Ausrede, weshalb er Kuklinski nicht auf der Stelle das gewünschte Zyankali liefern könne. Aber er wusste, dass er sich nicht endlos hinhalten lassen würde.
Bob Carroll zog einen Block aus seiner Aktentasche und begann, sich Notizen zu machen. »Sonst noch was?«
»Ich habe gesagt, ich würde ihm auch das Koks beschaffen, aber im Moment hätte ich alle Hände voll damit zu tun, diese Waffen für meinen Hauptkunden aufzutreiben. Er meinte, er würde heute mit jemandem reden, um zu sehen, ob er mir dabei helfen könnte, und versprach, sich zu melden. Ich wollte wissen, ob ich mit ihm in Verbindung treten könne unter der Nummer, die er in meinen Pieper eingegeben habe, und er sagte, das ginge, ich solle bei einem Anruf nur vorsichtig sein mit dem, was ich sage.«
Dominick schaute von Bob Carroll zu Bobby Buccino. »Also, was habt ihr entschieden wegen des Zyankalis? Wenn ich ihm weiter Ausreden serviere, wird er mich für einen dummen Aufschneider halten, und damit wäre die Sache gelaufen. Er wird verschwinden. Ich muss ihm irgendwas bringen.«
Buccino schüttelte den Kopf. »Unmöglich, du kannst ihm kein echtes Gift geben, das ist ausgeschlossen. Wer weiß, was er vorhat.«
»Ja, aber du kannst ihm auch kein falsches unterjubeln«, meinte Paul Smith. »Mit dem Zeug kennt er sich aus und sieht womöglich sofort, dass es nur harmloses Pulver ist.«
Ron Donahue warf ihm einen ungläubigen Blick zu.
»Weißt du auch, was du da redest, Paulie? Kuklinski darf auf keinen Fall echtes Gift in die Finger kriegen. Was ist, wenn er versucht, es Dominick zu verpassen?«
»Aber wenn wir ihm irgendwelchen Puderzucker unterschieben und er es merkt, ist unsere ganze Aktion geplatzt! Wenn wir ihm gar nichts geben, allerdings auch.«
Captain Brealy meldete sich zu Wort. »Darf ich etwas vorschlagen? Wir haben mehrere qualifizierte V-Leute bei der State Police. Stellen wir Kuklinski einen unserer verdeckten Ermittler vor, zum Beispiel als Dominicks Zyankali-Lieferanten. Damit wäre etwas von dem Druck weg, dauernd Ausreden erfinden zu müssen, und wir hätten die Sicherheit, dass mit zwei Männern …«
Dominick unterbrach den Captain. Genau das hatte er befürchtet. Eine derartige Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Dienststellen und Ämtern hatte es bisher eigentlich noch nie gegeben, und Operation Iceman war eine ziemlich ungewöhnliche Dreierbeziehung – zwei staatliche Dienststellen und ein Agent der Bundesbehörde, der sich allein dem Risiko vor Ort aussetzte. Dominick hatte geahnt, dass früher oder später jemand entscheiden würde, er brauche »Hilfe« bei seinen verdeckten Ermittlungen.
»Offen gesagt, Captain«, meinte er, »Kuklinski einen neuen Mann vorzustellen, wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine gute Idee. Ich habe ihn gerade erst kennengelernt. Wir wissen, dass er extrem vorsichtig ist, und dürfen nicht riskieren, ihn irgendwie abzuschrecken, sonst können wir einpacken.«
»Es lässt sich doch im voraus gar nicht beurteilen, wie er reagiert«, widersprach Captain Brealy. »Offenbar sucht er verzweifelt nach Zyankali, und ich denke mir, in diesem Fall würde er ohne weiteres auch mit einem anderen Geschäfte machen.«
Dominick biss sich auf die Zunge, um nichts zu sagen, was er später bereuen würde. »Captain, bei allem schuldigen Respekt, ich bin seit langer, langer Zeit in diesem Job. Ich weiß, wie es da draußen zugeht, und ich weiß, wie solche Typen denken. Kuklinski mag vielleicht händeringend nach Zyankali suchen, aber er ist nicht dumm. Der Kerl ist seit wenigstens sechs Jahren als Killer aktiv. Ganz egal, wie dringend er das Gift braucht, seine persönliche Sicherheit steht für ihn an erster Stelle. Wenn er misstrauisch wird, weil plötzlich zu viele neue Gesichter in seinem Leben auftauchen, werde ich ihn verlieren und danach nie mehr an ihn herankommen, das steht fest.«
Der Captain stützte sich auf die Ellbogen und fixierte Dominick mit einem kühlen Blick. »Sie scheinen mir ein bisschen allzu sehr von Ihren Instinkten überzeugt. Ich halte es für reichlich riskant, die gesamte Operation von den Ahnungen und Gefühlen eines einzelnen Mannes abhängig zu machen.«
Bob Carroll begann zu erklären, warum gerade Dominick speziell für diesen Auftrag angeheuert worden war und dass allein dank seiner einzigartigen Fähigkeiten als verdeckter Ermittler in den letzten Jahren Dutzende von Mafiosi hatten verhaftet und überführt werden können.
Dominick hörte nur halb zu. Offensichtlich verfügte Captain Brealy über keine allzu hohe Meinung von Undercoveragenten. Man musste ihm klarmachen, wie die Sache tatsächlich aussah, und zwar unmissverständlich. Er starrte ihm fest in die Augen und wurde zu ›Michael Dominick Provenzano‹.
»Jetzt will ich mal was sagen, ja?«, unterbrach er Bob Carroll. »Mein Bester, ich glaube, Sie verstehen hier etwas nicht. Richie Kuklinski ist eine absolute Drecksau und hat nicht die geringsten Skrupel. Dieser Motherfucker tötet so, wie andere scheißen gehen, ohne sich groß was dabei zu denken. Er hält es für sein gutes Recht. Wenn er was haben will, pfeift er auf alles und jeden. Hauptsache, er kriegt es. Außerdem ist dieses Arschloch maßlos von sich überzeugt und sieht sich als den großen King. Und wenn er dich nicht respektiert, gibt er sich gar nicht erst mit dir ab. Und damit er dich respektiert, musst du genauso ein fieser Saukerl sein wie er. Am besten noch schlimmer.«
Captain Brealy saß sprachlos da. Alle Bullen fluchten mehr oder weniger ausgiebig, aber Dominick Polifrone ließ eine solche Rede mit unnachahmlicher Lässigkeit vom Stapel.
Normalerweise fluchte er nicht gern, doch wenn es sein musste und er sich den gewünschten Eindruck davon versprach, hatte er durchaus keine Hemmungen.
Im Raum herrschte Schweigen. Bob Carroll tippte sich mit seinem Stift gegen die Lippen, und Paul Smith hatte Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Der Captain hüstelte betreten und schien etwas entgegnen zu wollen, als plötzlich ein Pieper ertönte.
»Das ist meiner.« Dominick zog das kleine Gerät aus der Tasche seiner Lederjacke und schaute auf die Anzeige. »Richie«, sagte er. »Seine Nummer zu Hause.«
»Da drüben ist ein Telefon.« Captain Brealy deutete zu einem Schrank an der Wand. »Rufen Sie an.«
Dominick schüttelte den Kopf. »Lassen wir ihn zappeln.« Der Captain riss die Augen auf. »Ihn zappeln lassen? Das ist viel zu riskant, um Himmels willen. Melden Sie sich.«
»Nein. Ich krieche ihm nicht in den Hintern. Er muss zu mir kommen.«
Captain Brealy runzelte die Stirn und schaute zu Bob Carroll. »Ist das die Art, wie Ihr Büro diese Ermittlungen durchzuführen gedenkt?«
Carroll zuckte die Schultern und warf Dominick einen unsicheren Blick zu. »Vielleicht könntest du …«
Dominick schnitt ihm das Wort ab. »Ich will Ihnen was sagen, Captain. Worauf es bei diesem Spiel ankommt, ist die Kontrolle. Wenn ich jedesmal bei einem Anruf zu ihm gerannt komme, wird er mich für einen harmlosen Köter halten – und folglich nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Deshalb muss er zu mir kommen. Ich muss den Ton angeben – nicht er. Ich muss die Kontrolle über ihn haben, nicht andersrum.«
»Wer leitet eigentlich diese Ermittlung, Mr. Carroll?«, fragte Captain Brealy. »Mir war nicht bewusst, dass das ATF hier zu bestimmen hat.«
»Dies ist eine gemeinsame Operation, Captain. Das Bureau of Alcohol, Tobacco, and Firearms ist daran beteiligt, hat aber nicht das Kommando.«
»Das sieht mir aber beinah so aus.«
Bob Carroll lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schwieg einen Moment lang. Sein Gesicht war ruhig und entschlossen. »Ich habe volles Vertrauen in die Fähigkeiten von Agent Polifrone, Captain, und weiß, dass ich mich auf seine Erfahrung verlassen kann, besonders was die verdeckten Ermittlungen angeht.«
Captain Brealy wirkte unbeeindruckt. »Nun, mir scheint seine Einschätzung der Lage jedenfalls recht fraglich. Ich werde mein Hauptquartier in Trenton anrufen müssen, um zu hören, was dort entschieden wird.«
»Sie können überall anrufen, wo Sie wollen, Captain, doch die Entscheidungen werden in diesem Raum getroffen. Und das ist bereits geschehen«, entgegnete Carroll.
Brealy funkelte ihn an und deutete auf den Pieper in Dominicks Hand. »Unsere Zielperson hat versucht, Kontakt aufzunehmen. Ich finde, wir sollten reagieren.«
Dominick warf das Gerät auf den Tisch. »Das habe ich auch vor, Captain. Aber nicht jetzt. Richie wird warten, bis ich bereit bin, mit ihm zu reden.«
Captain Brealy musterte ihn stirnrunzelnd, ehe er einen wütenden Blick auf jeden Mann in der Runde warf. Er war sichtlich sauer.
Dominick lehnte sich zurück, kreuzte die Arme über der Brust und fragte sich, wie lange diese glückliche Zusammenarbeit wohl dauern würde.
Es war zwanzig Minuten nach Mitternacht, als
Dominick an diesem Abend endlich nach Hause kam. Alles schlief
schon, aber er war zu aufgekratzt, um ins Bett zu gehen. Deshalb
schenkte er sich einen Scotch ein, zündete sich eine Zigarre an und
schlenderte hinaus auf die Terrasse. Er nahm in seinem
Lieblingsstuhl Platz und starrte auf das Waldstück, das hinter
seinem Haus begann. Die Polifrones lebten im Norden von Bergen
County, ungefähr fünf Meilen von Kuklinskis Haus in
Dumont
entfernt.
Um halb zehn hatte er Kuklinskis Anruf aus dem Gebäude des Organized Crime Bureau in Fairfield beantwortet. Kuklinski schlug ein Treffen vor, um das Waffengeschäftt zu besprechen, und zwar morgen auf dem Parkplatz der Vince-Lombardi-Raststätte an der Autobahn in Ridgefield. Auf Dominicks Erwiderung, er habe im Moment zu viel um die Ohren, hatte er behauptet, er bringe seinen Lieferanten mit, der ihm sagen würde, welche Waffen er besorgen könne. Dominick hatte wiederholt, dass er derzeit zu beschäftigt sei, Kuklinski solle sich besser am Wochenende noch mal melden.
Er hatte also angebissen und war sogar bereit, ihn seinem Waffenbeschaffer vorzustellen. Dominick nahm einen Zug von seiner Zigarre. Er war klug genug gewesen, nicht sofort darauf einzugehen, denn was für einen Grund sollte Kuklinski dafür haben? Immerhin könnte er ihn als Vermittler ausschalten und das Geschäft direkt mit dem Lieferanten selbst machen. Dann wäre der gute Richie angeschmiert, und Kuklinski war viel zu gerissen, um so etwas zu riskieren. Was er in Wirklichkeit beabsichtigte, war, ihm einen verlockenden Köder vorzuwerfen. Aber warum? Und warum an diesem Rasthaus?
Bei der Zusammenkunft des Sonderkommandos am Abend hatten sie keine Entscheidung wegen des Zyankalis getroffen. Geeinigt hatten sie sich nur darauf, dass man ihm kein echtes geben würde, doch in der Frage, ob Dominick ihm ein harmloses Pulver unterschieben oder ihn endlos weiter hinhalten sollte, waren sie zu keiner Übereinkunft gekommen. Und genau das machte ihm zu schaffen.
Kuklinski hatte zumindest früher seine eigene Quelle für Zyankali gehabt, also bestand durchaus die Möglichkeit, dass er sich auch diesmal dort bediente. Dominick dachte unablässig an die Vince-Lombardi-Raststätte – wenn er dort mit Kuklinski Kaffee trank und dieser ihm dabei heimlich Zyankali hineinstreute …
Auf keinen Fall würde er irgendwas aus Kuklinskis Hand annehmen, sondern ihn genau beobachten und jede Tasse scharf im Auge behalten von dem Moment an, wenn sie die Theke verließ.
Nüchtern besehen, hatte Kuklinski allerdings keinen Grund, ihn umzulegen. Davon hätte er nichts. Warum sollte er Michael Dominick Provenzano töten, der angeblich Verbindungen zur Mafia hatte? Kuklinski war schließlich kein Dummkopf.
Es sei denn, er wusste, dass Dominick in Wirklichkeit ein anderer war – nämlich ein Bulle. Was war, wenn Richies alter Kumpel Lenny DePrima aus dem ›Laden‹ ihn gewarnt hatte. Vielleicht trieb DePrima ein doppeltes Spiel?
Dominick nahm einen kräftigen Schluck Scotch und überlegte. Wenn ein Typ von der Mafia herausfand, dass man ein getarnter Bulle war, kassierte man die Dresche seines Lebens, aber man würde nicht getötet werden, jedenfalls nicht absichtlich. Das entsprach nicht ihrer Art. Richard Kuklinski war jedoch möglicherweise weniger zurückhaltend.
Dominick versuchte, nicht daran zu denken, was der Iceman mit ihm machen könnte, wenn er je erfuhr, wer er tatsächlich war. Vielleicht würde er ihn tiefgefrieren wie den Kerl aus Pennsylvania. Oder noch Schlimmeres anstellen – etwas sehr viel Schlimmeres. Vielleicht würde er ihn in Stücke schneiden und sie nach und nach wegwerfen. So würde man nie seine Leiche finden. Vielleicht würde er ihn in ein Schrottauto legen und zusehen, wie es von der Presse auf die Größe eines handlichen Päckchens zusammengequetscht wurde. Vielleicht.
»Dominick?«
Hastig sprang er auf und verschüttete seinen Drink. Die Gestalt seiner Frau Ellen hob sich wie ein Schattenriss gegen die Verandabeleuchtung ab. Sie hatte ihren Bademantel übergezogen, und ihr dunkles Haar war vom Schlaf zerzaust.
»Warum kommst du nicht ins Bett, Dom? Es ist spät.«
Dominick atmete heftig, und sein Herz raste. »Ja … ich komme. Sobald ich meine Zigarre fertiggeraucht habe.«
Ellen nickte und ging wieder nach drinnen.
Dominick nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre und starrte auf den dunklen Wald. Nur langsam beruhigte sich sein wilder Herzschlag.