Dominick Polifrone stand hinter der gläsernen Eingangstür des Imbisslokals auf dem Vince-Lombardi-Rastplatz. Er hatte die Hände in seiner schwarzen Lederjacke vergraben und umfasste die Waffe in der rechten Tasche. Der an seinem Körper verborgene Kassettenrecorder lief bereits. Drei Ermittler vom Organized Crime and Racketeering Bureau waren an verschiedenen Plätzen im Restaurant verteilt, darunter Ron Donahue, der sich über eine Tasse Tee beugte und möglichst langsam trank. Ein vierter Ermittler hockte zur Sicherheit in einer Kabine im Herrenklo, und alle warteten auf Richard Kuklinski.
Dominick hatte den ganzen Montag vergeblich auf den versprochenen Telefonanruf gehofft. Der Dienstag war vergangen, ohne dass er sich meldete, und er hatte entmutigt überlegt, selbst bei ihm anzurufen, auch wenn ihm diese Idee wahrlich nicht behagte. Bei ihrem letzten Gespräch hatte Kuklinski geklungen, als seien sie sich noch nie zuvor begegnet, und wenn er ihn jetzt anrief, würden sie tatsächlich wieder ganz von vorne beginnen müssen – nur wäre er dann in der schwächeren Position, weil er als Bittsteller kam. Und das wollte er nicht. Er hatte deshalb beschlossen abzuwarten.
Heute morgen hatte Kuklinski sich dann endlich gemeldet, aber er wirkte nach wie vor frostig und unzugänglich. Mit der Ausrede, er habe Dominicks Nummer verloren, versuchte er zu erklären, warum er nicht früher angerufen habe. Dominick schlug ein Treffen vor, um ein paar Sachen zu besprechen, aber Kuklinski behauptete, er habe keine Zeit. Dominick ließ nicht locker, und schließlich hatte er eingewilligt, zur Vince-Lombardi-Raststätte zu kommen.
Dominick schaute über den Parkplatz und warf einen Blick auf seine Uhr. Heute musste er die beste Vorstellung seines Lebens geben – selbstbewusst, doch ohne zu dick aufzutragen, sonst würde Kuklinski nur wieder einen Rückzieher machen. Es hieß, an das Einzige zu appellieren, das dem Iceman offensichtlich etwas bedeutete: Geld.
Das Restaurant spiegelte sich in den Glastüren. Draußen war es kalt und stürmisch. Dominick gefiel der Gedanke gar nicht, Kuklinski hier im Lokal zu treffen, aber bei diesem Wetter hatte er kaum eine andere Wahl. Einerseits gab es zu viele Gäste, und es war nicht auszudenken, was passierte, wenn er die Waffe ziehen musste, andererseits bestand zudem noch die Möglichkeit, dass Kuklinski versuchen würde, ihn in den Waschraum zu locken. Ein so kleiner, abgeschlossener Raum war gefährlich. Wenn Kuklinski ihn nun durchschaut hatte und plante, ihn mit Zyankalispray aus dem Weg zu schaffen? Der in der Toilette postierte Kollege wäre in diesem Fall kaum eine Hilfe. Dominick hatte sich deshalb bereits entschlossen, jeden Vorschlag, sich dorthin zurückzuziehen, von vornherein abzublocken. Er würde einfach sagen, er habe den ganzen Tag noch nichts gegessen und sei am Verhungern. Natürlich war die Vorstellung, mit Kuklinski an einem Tisch zu sitzen, auch nicht gerade beruhigend. Dauernd musste er an Gary Smiths letzten Hamburger denken. Auf alle Fälle würde er sich selbst um seine Bestellung kümmern und die Sachen nicht mehr aus den Augen lassen.
Er war froh, dass Ron Donahue dabei war. Ronnie würde gut aufpassen und sofort eingreifen, wenn er sah, dass Kuklinski irgendeine Schweinerei versuchte.
Exakt um zwei Uhr erschien Kuklinski, diesmal in einem roten Oldsmobile Cutlass Calais. Dominick sah ihn über den Parkplatz kommen. Er trug eine graue Lederjacke und Jeans mit ordentlichen Bügelfalten, außerdem hatte er wieder die dunkle Brille aufgesetzt, ein schlechtes Zeichen. Die Mitglieder des Sonderkommandos waren sich darin einig, dass dies nie etwas Gutes verhieß. Wann immer er sie trug, war er gewöhnlich in missmutiger und aggressiver Stimmung.
Kuklinski schob sich durch die Glastüren. »Na, Dom, was gibt’s für Neuigkeiten?«
Dominick schüttelte ihm die Hand. »Du wirst ja immer dünner. Machst du eine Diät?«
Kuklinski lachte, aber Dominick merkte, dass es ziemlich gezwungen klang.
»Willst du einen Kaffee? Ich hab noch nichts gegessen. Komm, ich lad dich ein.«
»Nicht nötig, ich leiste dir bloß Gesellschaft.«
Sie gingen zur Theke und stellten sich an.
»Diese fünf bis zehn Dinger, die ich haben wollte, Rich, du weißt, was ich meine? Kannst du sie kriegen?«
Kuklinski zuckte die Schultern. »Sie liegen jederzeit bereit. Du musst sie bloß selber abholen. Sie sind in Delaware.« Er behielt weiterhin seine Brille auf.
»Und es sind wirklich zehn Stück?«
»Zehn, zwanzig, dreißig, was immer du willst. Aber ich kann sie nicht transportieren. Wenn du sie haben willst, hol sie dir.«
Kuklinski wirkte abweisend und spürbar zugeknöpft. Dominick wusste, dass es Zeit war, seine Show abzuziehen.
»Tim hat dir doch erklärt, dass die Dinger diesmal nicht für das Mädchen sind, oder? Es ist nur ein Gefallen für einen Bekannten aus New York. Kleinkram. Das ist nicht die große Bestellung, über die muss ich nämlich heute mit dir reden.«
Dominick rückte an den Kopf der Warteschlange vor. Hinter der Theke tippte ein pickeliger Teenager, auf dessen Kopf eine Papiermütze thronte, seine Bestellung in die Registrierkasse ein, ehe er ihm die Sachen holen ging.
»Meine Leute sind bereit zu kaufen. Sie haben gesagt, sie bräuchten keine Musterstücke, aber sie hätten gern eine Liste, was du so kriegen kannst.« Er senkte seine Stimme. »Ich weiß, dass sie wenigstens fünfhundert Riesen allein für Munition ausgeben wollen.«
Kuklinski schwieg. Er betrachtete das Plastiktablett, während der Jüngling hinter der Theke es mit einer Tüte Milch, einer Coke, Fritten und einem Cheeseburger belud. Nachdem Dominick bezahlt hatte, folgte er ihm zu einer leeren Nische am Fenster. Ron Donahue nippte, ohne aufzuschauen, an seinem Tee, als sie an ihm vorbeigingen.
Am Tisch wickelte er den Cheeseburger aus und biss hinein. Er war entschlossen, ihn keine Sekunde mehr aus der Hand zu legen. Kuklinski saß ihm gegenüber, hatte die Arme verschränkt, und seine Augen hinter den dunklen Gläsern wirkten undurchdringlich.
»Meine Leute suchen nach Granaten, Maschinengewehren und solchem Zeug, du weißt schon. Wir sind bereit, unsere Bestellung aufzugeben.«
Kuklinski nickte kurz. »Ja, ja, ich höre dauernd von dieser großen Bestellung, aber mein Lieferant will wissen, wann es endlich so weit ist. Die Sache wird langsam schon peinlich für mich.«
»Heute, deshalb wollte ich dich ja treffen. Wenn Tim die Ware beschaffen kann, kaufen wir. Gib mir einfach eine Liste von dem Zeug, das er hat.«
»Okay, besorg ich dir. Was hat dein Mädchen da drüben vor? Einen Krieg anzetteln? Ich frag nur, damit ich notfalls ein bisschen in Deckung gehen kann.« Kuklinski lächelte. Es schien echt.
»Rich, was schert mich das, solange ihre Knete stimmt. Alles andere ist mir egal.«
»Das sehe ich genauso. Ich will bloß den Kontakt zwischen Tim und dir vermitteln, ihr macht euer Ding, und ich halte mich da raus. Das Einzige, woran mir was liegt, ist meine Provision, wenn die Sache gelaufen ist.«
»Natürlich.« Dominick steckte einen Strohhalm in sein Coke und trank. »Aber im Moment brauche ich erst mal diese zehn Knarren. Sag mir jetzt die Wahrheit, kann ich sie gleich kriegen? Ich habe diesem Kerl versprochen, dass ich es probieren würde.«
»Bist du bereit, runter nach Delaware zu fahren und sie zu holen?«
»Mache ich, kein Problem.«
Kuklinski nahm seine Brille ab. »Tim hat sie. Wenn du sie abholst, geht alles klar.«
»Gut. Dann triff die nötigen Vereinbarungen und sag mir, wann und wo. Okay?«
Kuklinski nickte. »In Ordnung.«
Dominick spießte einige Pommes frites auf.
»Und was ist mit deinem kleinen jüdischen Freund?«
»Darüber wollte ich auch mit dir reden. Der Bursche sagt, er will jetzt lieber drei Kilos. Meinst du, die Sache, über die wir mal geredet haben, haut hin – das mit dem Zyankali?«
»Dom, wenn du mir ein bisschen was beschaffst, gibt’s da überhaupt keine Scherereien. Man muss bloß an ihn rangehen, ihm was ins Gesicht sprühen, und schon ist er weg.«
»Garantiert?«
»Und ob, da kenne ich mich aus. Der Bursche wird nicht mal wissen, was ihm passiert ist, so rasch ist er hinüber.«
»Und sein Auto, was machen wir damit?«
Kuklinski zuckte die Schultern. »Was du willst. Mich interessiert nur sein Geld. Lass es stehen oder fahr es weg, wenn dir das lieber ist. Um ihn selbst brauchen wir uns auch nicht weiter zu kümmern. Er kann ruhig liegenbleiben, wo er ist. Es wird aussehen, als würde er schlafen.«
»Das ist genau, was ich will – ihn umlegen, ohne dass es irgendwelchen Ärger gibt.«
»Schau mal den alten Knaben an, der da drüben sitzt.«
Er drehte sich um und sah, dass Kuklinski auf Ronnie Donahue deutete. Dominick ließ seine Hand sinken, um jederzeit nach der Waffe in seiner Tasche zu greifen. »Ja, was ist mit ihm?«
»Ich könnte an seinem Tisch langsam vorbeigehen
und ihm – psst –
eine kleine Prise ins Gesicht pusten, anschließend gemütlich hier
rausmarschieren, und kein Mensch würde was merken. Nur wenn ihn
jemand bittet, aufzustehen oder zur Seite zu rücken, würde man
sehen, dass er längst über den Jordan ist.«
Dominick entspannte sich und griff nach seinem Becher. »Weißt du, ich kriege manchmal Angebote für solche Jobs. Wärst du bereit mir beizubringen, wie man dieses Zeug richtig benutzt? Was ist die wirksamste Methode?«
»Am besten ist eine Dosis Spray direkt in die Nase, damit er es inhaliert. Dann ist er nämlich gleich fertig und kann absolut nichts mehr dagegen tun. Bloß auf eines musst du achten – dass du nicht gegen den Wind stehst, denn wenn du es inhalierst, bist du fertig.«
»Ja, verstehe.«
»Mein Freund; ich hab’s schon im dicksten Trubel auf einer Hauptstraße gemacht, und die Leute haben geglaubt, der Kerl hätte einen Herzanfall. Ich bin dicht an ihn rangegangen, hab getan, als niese ich in mein Taschentuch, um mich zu schützen, und dabei habe ich ihm gleichzeitig direkt ins Gesicht gesprüht. Er ist gestolpert und hingefallen, und erst viel später fand man heraus, dass es gar kein Herzanfall gewesen war, der ihn umbrachte. Und das Ganze klappte mitten auf einer überfüllten Straße voller Leute.«
Dominick grinste und schüttelte erstaunt den Kopf. Er versuchte sich vorzustellen, was Bob Carroll für ein Gesicht machen würde, wenn er das hörte. Jedes Wort war Gold wert.
»Aber das Beste ist, sogar wenn sich rausstellt, dass es doch kein Unfall war, ahnt niemand, was da gelaufen ist. Nach einer Autopsie weiß man höchstens, dass er irgendwas geschnupft hat, aber nie im Leben kommt man auf Zyankali. Kein Mensch schnupft schließlich solches Zeug.«
»Stimmt. Natürlich nicht.«
»Falls du so einen Job zu erledigen hast, Dom,
ist das der ideale Weg –
einfach, sauber und ordentlich.«
»Du hast recht. Sauber und ordentlich … sauber und ordentlich.«
Dominick schaute auf den letzten Bissen des Cheeseburgers in seiner Hand und die Pommes frites auf dem Plastiktablett, während er plötzlich an die Fotos der Leiche von Danny Deppner denken musste. Ob das auch so eine »saubere und ordentliche« Sache gewesen war?