14
Fünf Minuten später war ich auf dem Rückweg aus dem Labyrinth des Coup Blag.
Unter dem Arm trug ich ein strampelndes, kreischendes Bündel Ärger, das mich zum Stolpern zu bringen versuchte, das mich beißen wollte, das alles tat, um mich daran zu hindern, es wieder nach draußen zu schaffen.
Braune Locken zuckten wie die Schlangen Medusas, während Ortyg Thingol unter meinem Arm auf und nieder bebte. Entschlossen marschierte ich ins Sonnenlicht.
»Warum darf ich nicht mit? Warum? Warum?«
Drak, so störrisch er auch gewesen war, hatte niemals auf diese Weise reagiert. Ich wußte noch, wie er in die Bäume des Festungsgartens von Esser Rarioch geklettert war.
»Wenn ich etwas sage, meine ich es auch«, sagte ich. »Es gibt aber noch einen anderen Grund, Ortyg. Einen höchst wichtigen Grund, ein Geheimnis.«
Er japste, als ich ihn wieder auf die Füße stellte. »Welchen Grund, Jak? Welches Geheimnis?«
Ich blickte ein wenig verschwörerisch auf den Voller. »Also, ein zuverlässiger Mann, jemand, dem ich trauen kann, muß für mich das Flugboot im Auge behalten. Wenn es Ärger gibt, mußt du den Voller aufsteigen lassen und uns retten.«
»Ich? Das Flugboot bedienen? Euch retten!« Ich schaute ihn an und sah, wie die Vision von Ruhm und Ehre in seinem Kopf Gestalt annahm. Keine Zutat fehlte. Ortyg Thingol, Luftkadett, rettete den Herrscher ... Nein. Wie dumm! Nun ja, er brauchte seine Zeit, um sich auf die Situation einzustellen. Jedenfalls hatte ich sein Interesse geweckt.
Ich überließ ihn der Obhut eines sanftmütigen Relts mit Tintenflecken am Gefieder, der als Sekretär Kov Hurngals fungierte.
Dann machte ich kehrt und ging wieder auf den Eingang zu. In diesem Augenblick trat Deb-Lu aus einem Gebüsch, das einen leibhaftig Anwesenden mit Haut und Haaren verspeist hätte, und sagte: »Hai, Dray. Delia und Milsi sind in Sicherheit, Lob sei Opaz dem Unbekannten.«
»Ich danke dir, Deb-Lu, vielen Dank. Ich gebe Seg Bescheid. Du siehst heute aber sehr durchscheinend aus ...«
»Ich will die Hexe nicht alarmieren. Ich hielt es aber für angebracht, dich zu informieren. Die Flotte mußte Reparaturen ausführen und alle möglichen anderen fliegerischen Dinge beachten. Sie wird so bald wie möglich Kurs auf das Labyrinth nehmen.«
Ohne Remberee verschwand die Phantomgestalt.
Wer meiner kregischen Geschichte seit der Frühzeit gefolgt ist, kann sich vorstellen, wie mir in diesem Augenblick zumute war. Ein Gefühl der Befreiung und des Danks erfüllte mich, und ich sah die Welt plötzlich mit anderen Farben, üble Gerüche verwandelten sich in angenehme Aromen, unerträgliche Geräusche in Melodien. All dies und mehr. Ich rannte förmlich in den verdammten Coup Blag, um Seg die Neuigkeit zu überbringen.
Die Dunkelheit hinter dem Eingang erstreckte sich nach oben, unten und nach den Seiten, nur eine einsame Fackel wartete darauf, mir den Weg zu weisen. In der ersten aus dem Gestein gehauenen Höhlenkammer lehnte Nath der Verstockte an der Wand, eine Fackel in der Linken. Das Licht fiel auf die beiden Türen am anderen Ende.
»Hai, Jak!« sagte er auf seine barsche Weise. »Seg führt die elende Horde an. Ich wollte dir den Weg anzeigen, den sie gegangen sind.«
»Das letztemal«, sagte ich, »wählte Strom Ornol die rechte Tür, die in bekannte Gänge führt. Ach, mein guter Freund Nath, an Orten wie diesem ist es nicht ratsam, sich an Wände zu lehnen.«
Mit einer gewissen Zügigkeit richtete er sich auf.
Dann fuhr er fort: »Das ist seltsam, bei Vox – bei Chusto! Normalerweise hätte ich bei deiner Annäherung Haltung angenommen. Aber du und Seg, ihr seid nicht wie die echten hohen Herren, die zu kennen bisher mein Pech war.«
Noch immer nahm ich den verräterischen Duft der Rippenknacker von draußen wahr. Nath der Verstockte zeigte wahrlich schwere Vorbehalte gegen die Aristokratie, und wer wollte ihm das Recht dazu abstreiten? Seine Geschichte hätte mich interessiert, aber mit Einzelheiten hielt er auffällig hinter dem Berg. Er sagte nur, er brauche Gold. Nun ja, das geht den meisten Leuten so.
»Ach«, sagte ich und näherte mich der rechten Tür, »auch bei den hohen Herrschaften gibt es die unterschiedlichsten Charaktere.«
»Aye, und einer davon ist Kov Hurngal. Seg sagte, er sei schon mal durch die rechte Tür gegangen, und da ...«
»Und da hat der Dummkopf die linke genommen?«
»Ja.«
»Das ist die Sorte hoher Herr, Nath, die wir ehrlich nicht brauchen.«
»Wie die Fegters oder ...«
»Wir müssen uns beeilen, wenn wir sie einholen wollen.«
Ohne dem Thema ein weiteres Wort zu widmen, näherten wir uns der linken Tür. Obwohl ich nicht behaupten möchte, mich mit der Anlage von Modern und Labyrinthen von der Art des Coup Blag gut auszukennen, hätte es mich nicht gewundert, wenn die Gänge hinter den beiden Türen nach kurzer Strecke wieder zusammengelaufen wären.
Der Korridor jenseits der Schwelle zeigte graue Wände, die von funkelnden Adern durchzogen waren. Die Fackeln warfen ihr orangerotes Licht voraus, und die Mauern schien einmal scharf, einmal unscharf auszusehen.
»Wir haben keine lange Stange hier«, sagte ich in ernstem Ton. »Wir müssen davon ausgehen, daß die Gruppe vor uns den Boden nach Fallen abgetastet hat. Was nicht bedeutet, daß nicht frisch gestellte Fallen auf uns warten.«
»Moment mal, Jak!« sagte Nath. »Das bedeutet ja, daß ...«
»Genau. Also haltet Ausschau nach dem grünen Schleim. Oder der jüngst aufgetretenen grauen Masse. Keine hübschen Dinge.«
Die Intensität, mit der ich sprach, kam sogar für mich etwas überraschend, und man hätte es niemandem vorwerfen können, der darob selbst ein wenig graugrün im Gesicht wurde. Nath warf lediglich einen mißtrauischen Blick in die Runde, ließ die Schultern rollen und bewegte sich durch den Korridor. Ich atmete durch. Es sah aus, als hätte ich hier einen guten Gefährten gefunden.
Wir holten den Rest der Gruppe ein, die beieinanderstand und den gewohnten ermüdenden Streit pflegte, welchen Weg man einschlagen solle. Schauplatz war eine große runde Höhle.
Seg sagte: »Ich glaube wirklich, der Weg, den wir nehmen, macht keinen großen Unterschied.«
»Du Onker!« knirschte Hurngal. »Natürlich kommt es darauf an, sonst wissen wir ja nicht, wo wir gewesen sind oder jetzt stecken, nicht wahr, Voskschädel?«
Loriman, dessen Gesicht sich vor Wut gerötet hatte, wollte Hurngal aus Prinzip widersprechen, aber auch er wußte nicht recht, was Seg meinte.
In der Mitte dieser Höhle gab es keine Wendeltreppe in die Tiefe. Vielmehr sahen wir uns drei Türen gegenüber, die identisch aussahen. Die Sklaven hatten sich bereits auf ihre Bündel gesetzt oder auf dem Boden ausgestreckt – der staubfrei war –, und die Wächter standen herum und schienen bereit, sich ihren Sold zu verdienen.
Es dauerte nicht lange, bis Kov Loriman die Geduld verlor.
»Bei Hito dem Jäger! Wir befinden uns hier in einem Labyrinth, nicht wahr? Wir müssen unseren Weg irgendwie kennzeichnen.« Der Blick, den er Seg zuwarf, ließ erkennen, daß Seg in seiner Einschätzung ziemlich abgesunken war.
Ich schwieg.
Seg äußerte sich mit seiner beunruhigend neutralen Stimme: »Ich habe euch meine Meinung verkündet.« Er entdeckte mich. »Wenn ihr meinen Rat in den Wind schlagen wollt, müßt ihr euch untereinander absprechen.« Er kam auf mich zu, wobei er vorsichtig über die ruhenden Sklaven hinwegstieg.
Ich machte eine kurze Bemerkung zu Nath und nahm Seg auf die Seite.
»Eben hat mich Deb-Lu besucht. Milsi ist in Sicherheit ...«
»Gepriesen sei Erthyr der Bogen! Und Delia?«
»Ebenso. Und jetzt, mein meisterlicher Bogenschütze, müssen wir unsere Energien voll auf diesen verflixten Ort konzentrieren. Ich freue mich auf ein bißchen Unterhaltung seitens der Kovs Hurngal und Loriman.«
»Aye. Und die Flotte?«
»Ziemlich durchgeschüttelt, rüstet sich auf, kommt nach, sobald es geht. Keine Vorstellung, wann das sein wird.«
Unflätige Worte ließen uns herumfahren. Hurngal marschierte energisch auf die mittlere Tür zu und trat dagegen.
Instinktiv machten wir uns auf unbekannte Schrecknisse gefaßt, die aus der Öffnung stürmen mochten.
Die Tür führte in einen Korridor, der sich im Fackelschein als breit und hoch und voller Inschriften entpuppte. Ich wettete mit mir, daß niemand die Schrift lesen könne.
»Na bitte! Ein toller Weg hinein.« Hurngal schien mit sich zufrieden zu sein.
Leise bemerkte Seg: »Diese Leute nehmen die Sache zu leicht. Beim Verschleierten Froyvol! Man könnte denken, wir machten eine Wanderung mit Picknick unter den Sonnen Scorpios!«
»Aye, kommt mir auch alles ein bißchen unwirklich vor.«
»Die Wahrheit wird ihnen schon noch dämmern, wenn erst ein paar Lauernde Schrecken aus den Verstecken gesprungen sind.«
Wir betraten den Korridor. Wenigstens wurden Männer vorausgeschickt, die den Boden mit langen Stangen abklopften. Selbst der zuversichtlichste Dummkopf mußte einsehen, daß so etwas eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme war. Aus dem vor uns liegenden Durchgang schimmerte ein kräftiges gelbes Licht.
Wir erreichten einen kleinen halbkreisförmigen Raum. In der Mitte bildete die Wendeltreppe ein dunkles unheildrohendes Loch im Boden. Unmittelbar darüber hing eine Schieferplatte, die bestimmt genau in das Loch paßte. Die Klappe wurde von Bronzeketten gehalten, die zur gegenüberliegenden Wand führten. Über den Ketten befand sich ein kleiner Balkon, eine Art Empore.
»Na, das will mir nun gar nicht gefallen!« rief Loriman. Nun ja, er war schon im Moder gewesen und sollte dieses Labyrinth eigentlich ernster nehmen, als es offenbar die anderen taten.
»Es wäre das beste«, sagte der Khibilzauberer auf seine hochmütige, entrückte Art, »wenn ihr den Deckel entfernt.«
»Genau das wollte ich sagen«, erwiderte Hurngal und wandte sich den Sklaven zu. »Macht zu! Bratch!«
Die Sklaven bratchten, wie es sich gehörte, und stürzten sich auf die Arbeit, als stünde der Herr mit seiner Rute hinter ihnen.
Der Schieferdeckel wurde energisch von der Öffnung zurückgezerrt, dann sprangen die Sklaven zur Seite und ließen ihn fallen. Anstatt in Stücke zu springen, wie man hätte erwarten können, blieb das Stück heil. Es rollte flach auf seinem Rand herum, wie es eine Münze tut, ehe sie auf einer Tischplatte zur Ruhe kommt. Wir alle starrten darauf, bis wir plötzlich von einem keckernden Lachen abgelenkt wurden, das von dem Balkon herabtönte.
Dort oben stand eine groteske Gestalt, ein Gebilde aus tropfnaß wirkenden grünschwarzen Roben und Quasten, und schwenkte heftig die Arme. Skeletthafte Finger winkten spöttisch. Das Lachen hatte etwas Keckerndes. Das Gesicht war bis auf den spöttischen Mund verzogen.
San Aramplo fuhr sich über die Schnurrbarthaare und sagte: »Wie so ein Ding heißt, weiß ich nicht. Aber ich werde es den Keckernden Spott nennen.«
Loriman reagierte wie erwartet.
Er entriß dem Brokelsh, der seine Waffen trug, den Bogen, legte einen Pfeil auf die Sehne, zog und schoß. Er zielte gut. Der Pfeil raste geradewegs durch Keckernden Spott hindurch und prallte harmlos von der Wand ab.
Die Gruppe in der Höhle war von Erstaunen ergriffen – es ertönten zahlreiche unterschiedliche Laute der Angst, Überraschung und Fassungslosigkeit. Hurngal hielt die Hand hoch, als wolle er das Raunen unterdrücken, und der Keckernde Spott glitt vom Balkon, wobei er durch die feste Wand zu verschwinden schien.
»Ah«, sagte Seg, »vielleicht begreifen unsere Mitstreiter nun ein wenig von dem, was uns hier erwartet.«
»Ungesund, das Ding«, sagte Nath der Verstockte.
Die Fackeln ließen erkennen, daß die Wendeltreppe zweimal um die Öffnung führte, ehe sie das unter uns liegende Stockwerk erreichte. Die Stufen waren breit genug für zwei nebeneinanderstehende Männer. Strom Tothor stellte sein kühnes Löwenmensch-Temperament unter Beweis, indem er brüllte, daß er als erster hinuntersteigen würde. Mit dem Schwert in der Hand machte er sich auf den Weg.
Seg und ich wechselten einen Blick. An einem Ort wie dem Coup Blag sind Treppen sehr gefährlich.
Seg näherte sich dem oberen Ende der Treppe, entriß einem Wächter eine zehn Fuß lange Stange und folgte Tothor in die Tiefe. Ich gebe zu, ich war nervös, überspannt. Eine Treppenstufe konnte wegklappen und Seg verschwinden lassen; eine andere konnte eine Salve Pfeile in seinen Körper jagen, eine sichelartige Klinge konnte aus einer Steinfuge hervorzucken und ihn aufschlitzen – ich drängte mich durch die Horde, die zögernd die Öffnung umstand. Man ließ mich bereitwillig durch. Ich schloß mit Seg auf, der gelassen jede Stufe abklopfte, ehe er sich ihr anvertraute.
»Die Vorderkante der Stufen, Seg«, sagte ich. »Die können auch Unangenehmes freigeben.«
»Aye. Ich prüfe sie auch.«
Wir erreichten das untere Ende der Treppe, und Tothor ließ sein Numim-Gebrüll erschallen: »Alles in Ordnung!«
Der Fackelschein offenbarte eine mit Steinen ausgekleidete Passage, die in beide Richtungen verlief. Wir machten den von oben nachdrängenden Leuten Platz, und Tothor marschierte nach rechts, um dort den Gang zu erkunden.
Inmitten der letzten Wächtergruppe kam Dame Hebe. Sie hatte sich für die Expedition passend umgekleidet; die Roben waren einer schimmernden engen Tunika gewichen, an den Füßen trug sie Mokassins.
Sie erreichte die unterste Stufe und ging an uns vorbei. Ich wußte gleich, daß sie kein Wort sagen würde. Sie schaute uns nicht einmal an.
Der Bursche hinter ihr wirkte sogar für einen Chulik ziemlich groß, der kahlrasierte Kopf war mit Blattgold bedeckt. Auch sein kleiner Zopf schimmerte golden umhüllt. Er trug eine Komplettrüstung und zahlreiche Waffen, und seine Haltung wies ihn als Mann aus, mit dem nicht zu scherzen war. Wir wußten, daß Dame Hebe ihm traute.
Ein Lachen tönte die Treppe herab.
Wir schauten hinauf.
Dort oben war die verhüllte Gestalt des Keckernden Spotts zu sehen, die zu uns herablinste. Das schreckliche Lachen ließ unsere Nerven vibrieren. Die Echos hallten wie ein Schwarm Insekten im engen runden Treppenhaus.
Wir alle hörten das dumpfe Knirschen und Quietschen, vermutlich wußten die meisten sofort, was es war.
Ein runder schwarzer Einschnitt erschien an einer Seite des Loches. Wie eine Sonnenfinsternis glitt der Deckel über das Licht und erzeugte dabei das unmenschliche Ächzen. Das Keckern wurde leiser und erstarb. Erstarb wie das Licht. Absolute Dunkelheit umhüllte uns und unsere schwach wirkenden Fackeln.
»Ich glaube«, sagte Seg, »da können wir noch so viele Sklaven hochschicken, der Stöpsel wird sich nicht von der Stelle rühren.«