13

 

 

In diesem bestürzenden Augenblick wußte ich vor allem eines: daß mein Klingengefährte Seg Segutorio nicht zögern würde, keinen Sekundenbruchteil lang, beim Verschleierten Froyvil!

In meiner Verzweiflung drehte ich mich und zuckte herum und schaffte es mit einem raffinierten Griff, Loriman zur Seite zu schieben.

Segs dicker Pfeil mit den grausamen Widerhaken bohrte sich dumpf in die Bordwand dicht neben meinem Gegenüber.

»Moment, Moment, Seg!« brüllte ich. »Der Idiot hat das alles mißverstanden!«

Inzwischen, so möchte ich in aller Klarheit sagen, befand sich Lorimans Dolch in meiner Faust, und er starrte mit schielenden Augen hypnotisiert auf die Klingenspitze.

»Du Rast!« entfuhr es ihm. »Ich lasse dich jikaider-peitschen und vierteilen und deine ...«

»Beruhige dich, Loriman.« Ich wendete auf seinen Hals einen Krozairgriff an, so daß er sich kaum bewegen konnte und das Sprechen ihn Mühe kostete. »Willst du behaupten, du gehörst Spikatur Jagdschwert nicht mehr an oder unterstützt es nicht mehr?«

»Du bist ein toter Mann ...«

»Ach, um der süß-leprösen Knie der Dame Dzulshinis willen! Hör zu, du Fambly. Ich habe SJS viele Jahresperioden hindurch bekämpft. Wenn du jetzt wirklich dagegen bist, dann sind wir Verbündete!«

Er versuchte den Kopf zu schütteln, und das war ein Fehler, denn sein Gesicht verzog sich unter aufzuckendem Schmerz; meine Klinge ließ nicht locker. »Ich habe Spikatur mein Leben gegeben. Und wurde verraten ...«

»Ah!« rief ich und schoß einen Pfeil ab, dessen Ziel ich mir aber einigermaßen sicher vorstellen konnte. »Dann wanderst du also in den Coup Blag, der von den Rasts von Spikatur verseucht ist, und willst deine Rache.«

»Aye, beim dampfenden Blut Sans und Pandiflurs persönlich!«

»Ich freue mich wirklich, das zu hören. Meine Bewunderung, daß du die Wahrheit erkannt hast und deine Schuld tilgen willst.«

Er lallte irgend etwas, und ich antwortete mit einem Lächeln, das ihn zurückzucken ließ. »Ich lasse dich jetzt frei. Denk daran, ich bin alles andere als ein toter Mann, und wenn du nicht ruhig auftrittst und zivilisiert redest, kannst du so enden.«

Als ich den anderen losließ, geriet er ins Stolpern und rieb sich den Hals. Aber er erholte sich mit Leem-Geschwindigkeit. Seine rechte Hand schwebte über dem Rapier-Griff. Dann fiel sein Blick auf den Pfeil, der in der Bordwand steckte.

»Hör mal, Kov«, sagte ich mit offenkundiger Geduld. »Wenn du gegen Spikatur stehst, bist du mein Verbündeter.«

Übergangslos veränderte sich sein Gesicht; der Ausdruck hatte etwas Unergründliches.

»Na schön«, sagte ich auf meine altbekannte grobe Art. »Du willst mich jetzt töten. Das wird dir nicht gelingen. Wenn du mich weiter ärgerst, könnte es eher umgekehrt enden.«

In diesem Augenblick meldete sich eine Stimme vom Deck über dem Kabinendach.

»Notor? Ist alles in Ordnung?«

Mit gesträubtem Gefieder beugte sich Rapa Rogarsh vor.

»Sag ihm, daß alles in Ordnung ist, Kov. Das ist es wirklich, ich versichere es dir. Wenn nicht, wärst du natürlich ...«

Mit einigermaßen krächzender Stimme rief der Jagd-Kov herauf: »Alles in Ordnung, du Fambly!«

»Quidang, Notor!«

Ich brüllte: »Sag Hurngal, daß es Zeit zum Landen ist!«

Kein Zweifel – auf meinem Gesicht stand wieder der bekannte Ausdruck von früher, den man die teuflische Dray Prescot-Miene nennt. Loriman war ins Schwitzen gekommen. Spätestens um diese Zeit wurde ihm klar, daß man mit mir nicht leichtfertig umspringen konnte.

Ich nutzte den Augenblick und sprach sofort weiter.

»Hör mal, Loriman, ich bin dir nicht übel gesonnen.« Nun ja, ganz stimmte das nicht; aber seit seinem Wechsel weg von Spikatur Jagdschwert hoffte ich, daß man etwas aus ihm machen konnte. »Ich muß dir schnell etwas klarmachen. Ich habe keine Ahnung, worauf diese anderen Famblys sich ihrer Meinung nach im Coup Blag einlassen. Ich bin schon mal da drin gewesen, ebenso mein Gefährte. Als wir herauskamen, waren wir eher tot als lebendig, wir hatten Glück, überhaupt das Tageslicht wiederzusehen.« Er versuchte etwas zu sagen, doch ich fuhr fort: »Halt den Mund und hör zu! In dem Berg sitzt eine verdammte Hexe, von der ich wetten möchte, daß sie mächtiger ist als unser Khibil-Magier. Es wird eine mühselige Sache.«

Ich hatte mir über den Jagd-Kov eine Meinung gebildet. Er war einerseits durchaus von Selbstbewußtsein verblendet, andererseits aber konnte er verflixt nützlich sein bei Kämpfen gegen Ungeheuer und Mächte von der Art, wie sie uns dort unten begegnen würden. Wenn ihm eine Aufgabe gestellt wurde, würde er sich ihrer annehmen. Ich forderte ihn gewissermaßen heraus.

Ich beendete meinen Vortrag: »Du wirst dein Leben riskieren müssen, Loriman.«

Er saugte die Luft an und dehnte die Brust, doch ich sah darin nicht unbedingt ein angeberisches Gehabe: Er wollte lediglich frische Luft in seine Lungen holen.

»Du redest mich nicht an, wie es sich gehört«, sagte er mit einer Stimme, die etwas Knirschendes hatte. »Du nennst mich Notor.«

»Ich nenne dich Onker, wenn du jetzt verzagt reagierst, du großer ... großer Onker von Kov! Begreifst du nicht, was ich dir sage?«

Er schüttelte den Kopf, und ich machte mir plötzlich klar, daß er den Boden unter den Füßen verloren hatte und sich vielleicht zum erstenmal in seinem Leben unsicher fühlte ...

Ich mußte es ihm irgendwie in seinen dicken Voskschädel hämmern und versuchte es einmal anders herum: »Ich bin ein vernünftiger Bursche, Kov Loriman. Ich verabscheue die Gewalt. Mir liegt nicht an der Jagd auf Wesen, die sich bewegen. Aber sollte dir so etwas Spaß machen – meinetwegen. Du wirst im Labyrinth genügend Ziele für deine Waffen finden.«

Mit irgendwie matter Stimme, wie Bleikugeln, die auf ein Bleidach fallen, sagte er: »Ich glaube, ich habe dich schon einmal gesehen.«

Ich ließ mir nicht das geringste Interesse anmerken. Schließlich kam es wirklich nicht darauf an, ob er noch wußte, daß ich bei der Expedition in den Moder dabei gewesen war; aber Sie wissen, ich hab einen beinahe kindischen Spaß an Verkleidungen und falschen Namen und dem Versuch, mein Licht unter den Scheffel zu stellen.

Ohne zu überlegen, welche Folgen meine Worte haben konnten, sagte ich: »Vielleicht im Heiligen Viertel von Ruathytu? Aber egal. Wenn wir Spikatur besiegen wollen, müssen wir zusammenhalten. Ich bin dazu bereit. Du auch?«

Er wußte durchaus, was ich meinte.

»Ich hätte dich sofort töten sollen. Seltsam, daß ich nicht gleich nach meinen Wachen rufe.«

»Deinen Chulik-Schuriglern?« Ich lächelte. »Deine Wachen sollen es ruhig versuchen. Hanitcha der Sorgenbringer wird sie schließlich auf dem Rückweg begleiten.«

»Ich glaube ...«, setzte er an, aber da brüllte Rogarsh los: »Kov Hurngal will direkt am Felsen landen.«

»Dieser störrische, blöde Cramph!« war meine erste Reaktion, ehe ich mich zusammennahm und zum Nachdenken zwang. Ich war ziemlich sicher, daß Csitra von unserer Annäherung wußte, wenn sie auch nicht ahnen konnte, daß ich Teil der Gruppe war; dies hatte mir Deb-Lu versichert. Also landeten wir und stiegen aus und begaben uns zum Eingang. Das machte keinen großen Unterschied.

Loriman mußte erkannt haben, daß ich mir die Angelegenheit überlegt hatte, als ich mit veränderter Stimme sagte: »Na schön. Ist doch alles egal.« Denn er machte keine Bemerkung über die Wandelbarkeit meiner Einstellung.

Als wir uns nun im Flug dem Haupteingang von Csitras Labyrinth näherten, wechselte ich mit Loriman, der sich den Hals rieb, noch einige freundliche Worte. Ich war nicht so dumm anzunehmen, er würde keine Rache nehmen wollen für die Kratzer, die seiner Ehre zugefügt worden waren.

Dementsprechend erfreulich war es, als er plötzlich mit Nachdruck sagte: »Du bist der Mann, den man Jak den Horkandur nennt. Also gut, Jak der Horkandur, ich warne dich. Bei den Ereignissen, die vor uns liegen, mögen wir Verbündete sein; aber wenn das alles vorüber ist, wirst du mir in der Frage der Ehre Rede und Antwort stehen müssen.«

»Einverstanden«, erwiderte ich.

»Du bist ein dermaßen tollkühn-voreiliger Dummkopf, daß ich mich manchmal frage ...«

Ich erkundigte mich nicht, was er meinte. Wieder antwortete ich freundlich, diesmal mit einem Zitat des Barden Larghos des Lahmen, der bereits fünfhundert Perioden tot war. Loriman runzelte die Stirn und ließ dann plötzlich auf seinem schweren borstigen Gesicht einen Ausdruck erscheinen, den ich für ein Lächeln hielt.

»Es wird mir Spaß machen, mit dir auf Abenteuer zu gehen. Und mit dir später abzurechnen.«

»Wenn du lebendig herauskommst.« Mit einer Kopfbewegung deutete ich auf den Khibil-Zauberer, der an Deck gekommen war und angespannt an der Reling stand und nach unten schaute. »Er wird sich seinen Sold verdienen müssen.«

Die Antwort des Jagd-Kovs löste große Erleichterung in mir aus. Er hatte mich und neben mir auch Seg und Ortyg und Nath als Verbündete akzeptiert, Verbündete gegen die bevorstehenden Anfechtungen. Er sprach ohne jede Herablassung und diskutierte ernst unsere Aussichten und Möglichkeiten.

Über den Khibil sagte er: »Er wurde mir sehr empfohlen. Er hat in Hamal allerlei Wunder vollbracht. Er hat große Kräfte. Außerdem einen Ring, der ihn schützt.«

»Zweierlei, Kov. Erstens, du darfst Schutzringe nicht wichtig nehmen – auch sonst keine Schutzmittel. Zweitens. Ich vermute, nicht der hitzige Hurngal ist der eigentliche Anführer dieser Expedition, sondern du.«

»Oh, ich glaube an magische Ringe. Aber ja, diese Expedition ist eine Folge meiner Arbeit.«

Der Voller verlor an Höhe. Die Sonnen neigten sich dem Horizont zu, und ihr Licht lief zu einem schimmernden opalinen Dunst zusammen. Unter uns erstreckte sich der See, braun und still, und am Strand stritten sich allerlei Wasservögel.

»Dort wachsen Würzige Rippenknacker. Man kann sie riechen. Macht bloß einen Bogen darum!«

»Erzähl mir von dem Labyrinth!«

Wir legten uns wieder in die Waagrechte und landeten sanft wie eine Feder. Ich gab Loriman erste Einblicke in das üble Wirken Csitras und war amüsiert über seine Antwort: »Klingt wie eine ganz normale Moder-Kopie. Das wäre nun wirklich ein Labyrinth, in dem die stärksten Herzen zu beben beginnen.«

»Es ist schlimm genug. Die Hexe heißt Csitra. Sie hat ein Kind, einen Hermaphroditen namens Phunik.«

»Phunik? Ich habe gerüchteweise gehört, der Hyr-Notor, der in Pandahem das Kommando führte und in Vallias besiegt und in Ruathytu vernichtet wurde, hieße Phu-Si-Yantong.«

Als ich diesen Namen hörte – ich gebe es zu –, schlug mein Herz einen Moment lang besonders heftig.

»Der Vater des Uhus Phunik.«

»Dann schulde ich ihm einen schnellen und gnadenlosen Tod!«

»Ausgezeichnet!«

Lorimans nächste Worte sagten einiges über seinen Charakter aus.

»Solange wir mit der Dame Hebe zusammen sind, redest du mich an, wie es sich gehört. Versäumst du das, ist unsere Verabredung hinfällig, und ich töte dich auf der Stelle.«

»Ich bin niemals unverschämt zu Frauen«, sagte ich, »es sei denn, sie hätten es verdient.«

Loriman hielt sich eine Hand vor den Mund. »Ich muß sagen, trotz allem spüre ich ein erstes Bedauern, daß du sterben mußt, wenn alles vorüber ist.«

»Ach, das werden wir sehen, das werden wir sehen.«

»Jak, wir landen!« rief Seg.

»Aye. Der Jagd-Kov und ich sind Verbündete.«

»Ach? Na, man muß nehmen, was man kriegen kann, um sich zu betten. Ich ziehe mich an.«

Loriman starrte hinter Seg her. »Noch so ein Typ wie du, nicht wahr?«

Ich empfand Freude, während ich antwortete: »O nein, Seg ist schlimmer als ich, das kannst du mir glauben!«

Er öffnete und schloß den Mund mit einem Schnalzen. Dann sagte er: »Ehe wir eindringen, muß ich noch einiges erledigen.«

»Ich ebenfalls. Wir sehen uns dann dort.«

Er verfügte über eine Horde schwerbewaffneter Wächter, außerdem umgaben ihn Sklaven, Gefolgsleute und Träger, die alles organisierten. Ich brauchte nur meine Rüstung anzuschnallen, mir einen Sack Proviant über die Schulter zu werfen und war bereit, die Waffen in Griffnähe.

Ich sagte zu Ortyg Thingol: »Du begleitest uns nicht an diesen verfluchten Ort, junger Ortyg!«

»Aber warum nicht?« Seit er mich Jak nennen durfte, hatte der Bursche mit seiner Sprache einen Rückschritt erlitten. Mir war es egal.

»Weil ich das so sage. Und du, Nath der Verstockte, wirst von deinem Dienst entbunden, solltest du es wünschen.«

»Oh«, sagte Nath auf seine kurzangebundene, ein wenig mürrische Art. »Ich komme mit. Es gibt Gold zu finden. Ich brauche Gold.«

Er würde sich als wertvoller Gefährte entpuppen. Ich erklärte einiges von dem, was uns erwarten mochte, eine Ausdehnung der Dinge, die Seg und ich ihm bereits erzählt hatten – aber er änderte seine Ansicht nicht.

So bildeten wir schließlich einen riesigen ausgedehnten Haufen, als wir über den Platz zu der aus dem Gestein gehauenen Öffnung marschierten. Die mächtige, von Lianen behängte Klippenwand ragte über uns auf und wies unzählige groteske und obszöne Skulpturen auf. Dame Hebe warf einen Blick in die Höhe und wandte den Kopf ab. Loriman stand auf einer Seite, Hurngal auf der anderen. Beide warben auf lächerliche Weise um die Gunst der Frau. Aber der verunstaltete Felsen, das Lianengewirr, die Schreie der Wasservögel, die Hitze und der Gestank des Schlamms, die schmerzenden Angriffe der Nadelkopf-Insekten, die ständig fortgescheucht werden mußten – alles dies sorgte für eine bedrückte Stimmung, die auch nicht von zwei um eine Frau bemühte erwachsene Männern gehoben werden konnte.

Keine Spur von einer Inschrift, die mich zum Eintreten aufforderte, dafür die üblichen Vernichtungsverwünschungen gegenüber jedem, der sich über die Schwelle wagte. Wir beachteten sie nicht.

»Das ist ja immerhin etwas«, sagte Seg.

Wir nahmen unsere Proviantsäcke auf den Rücken und die Waffen in die Hände und betraten mit flackernden Fackeln das Ganggewirr des Coup Blag.