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Der alte Hack-und-Stich, den man mit den Fingern in der Regimentskasse erwischt hatte, verlor die Beherrschung.

Die ersten drei Burschen warf er durch die Tavernenfenster. Die Gäste kauerten sich in die Ecken, darunter sogar Soldaten verschiedener Regimenter, die den alten Hack-und-Stich kannten und wie jeder Normalbürger mit dieser Rauferei nichts zu tun haben wollten.

In wildem Durcheinander stürzten sich sechs seiner Kameraden auf den alten Hack-und-Stich und wippten über ihm auf und nieder wie Männer, die sich bei Sturm an einem Boot festklammerten.

Mit rot angelaufenem Gesicht und funkelnden Augen ließ der brüllende Mann keinen Zweifel daran, daß er nicht abgeführt werden wollte.

»Beruhige dich, Jik!« kickste der Deldar, der an einem seiner Arme hing und wie ein gefiederter Flügel auf und nieder flatterte. »Du steckst fest!«

Weingefäße wirbelten in alle Richtungen und bedeckten den Boden mit ihren stark riechenden Getränken. Die Düfte stiegen den Kämpfenden in die Nasen. Noch hatte niemand eine spitze oder scharfe Waffe gezogen, denn es handelte sich um eine regimentsinterne Angelegenheit. Die Angehörigen der 11. Churgur wollten die Sache unter sich ausmachen. Der alte Hack-und-Stich mochte wohl seine Klebefinger in die Regimentskasse gesteckt haben, doch blieb er Jiktar Nath Javed, Regimentskommandeur, zugleich Befehlshaber über die 32. Brigade, zu denen die 11. Churgurs gehörten, und er war allgemein bekannt und beliebt.

»Ich kann das opazverfluchte Geld bis morgen beibringen!« brüllte Jiktar Nath Javed und ließ einen stämmigen Soldaten über die Schulter abrollen. »Laßt mich los!«

»Das nützt nichts, Jik! Schnapp dir den Fuß, Ompey! Du nimmst seinen Arm, Cwonley, den linken Arm, du Onker!«

Krachend brach ein Tisch zusammen und ließ weitere Krüge und Flaschen in intensiv riechende Scherben gehen. »Zieht ihm den Fuß unter dem Körper weg!«

»Ich drehe dir alle Ohren ab, du scheußlicher ...«

So wogte der Kampf längs und quer durch die Gaststube der Taverne, die der Geflügelte Cockerell genannt wurde. Hack-und-Stich gehörte nicht zu der Sorte, die sich von sechs Gegnern niederringen ließ, selbst wenn es sich um seine eigenen stämmigen Soldaten handelte.

»Hört mir zu, ihr verflixten Famblys! Ich werde ...«

»Autsch!« quiekte ein Churgur, von einem Ellbogen in die Rippen getroffen. Die anderen versuchten ihr Gewicht zum Tragen zu bringen. Schließlich gelang es ihnen auf raffinierte Weise, dem Gefangenen eine Schlinge um die Knöchel zu legen und ihn umzureißen, wobei er sich an der Kante des umgeworfenen Tisches die Nase aufschlug. Im nächsten Augenblick schwärmten sie über ihn wie Ameisen über einen Honigtopf; sie hielten ihn nieder, wickelten ihn in Fesseln, banden ihn zusammen wie ein Hühnchen für den Topf.

Da er immer weiterbrüllte, was die Kehle hergab, stopfte man ihm ein Taschentuch in den riesigen Mund und sicherte es mit einem Halstuch. Als er die Sinnlosigkeit seines Tuns erkannte, beruhigte sich der alte Hack-und-Stich. Seine Soldaten hoben ihn an wie einen zusammengerollten Teppich und schleppten ihn fort.

Es war ein angenehmer kregischer Abend, durch den sie ihn trugen; drei kregische Monde standen hoch am Himmel und verstreuten ihr intensives rosafarbenes Licht, und der Duft von Mondblüten wurde vom Wind herangetragen.

Passanten, die eigentlich nur Spazierengehen wollten, drehten sich um und starrten der Gruppe nach. Grimmigen Gesichts marschierten die Soldaten durch die Gassen, ihren Kommandanten auf der Schulter. Sie wußten, daß die Szene etwas Würdeloses hatte, scherten sich aber nicht darum, was Unbeteiligte denken mochten.

Immerhin handelte es sich um eine ernste Angelegenheit. Jiktar Nath Javed, der alte Hack-und-Stich, dem vor kurzem erst das Kommando über die 32. Brigade übertragen worden war, hatte die Kasse des eigenen Regiments ausgeräubert. Nur weil die Divisionsinspektion aufgetreten war und die Differenz gefunden hatte – ach, die leere Kassenschatulle war auf die Paradewiese geworfen worden, wo alle sie sehen mußten –, nur deswegen war Jiktar Javed erwischt worden.

Nachdem man ihn in die Zelle geworfen hatte, gab er den Widerstand auf. Knebel und Fesseln wurden entfernt, ebenso seine Gurte und Rüstungsteile und Waffen. So saß er zusammengekauert in einer Ecke, den Kopf in die Hände, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und machte an diesem Abend keinen Ärger mehr.

Nachdem er sich am nächsten Morgen gründlich gewaschen und ordentlich angekleidet hatte, setzte man ihm Brei mit rotem Honig, drei gebratene Eier mit einem riesigen Stück Brot und einen irdenen Teller Palines vor – eine Mahlzeit, auf die er mit dem Vorwurf reagierte, man wolle ihn wohl aushungern. Zunächst wurde er dem Divisionskommandanten Chuktar Enar Thandon vorgeführt, einem adretten, forschen Mann, einem Strom mit kurzgeschnittenem Schnurrbart, einem Mund wie einer Wunde, und Augen, deren Blicke nach Aussage der einfachen Swods auch die festeste Rüstung durchbohren konnten. Bei einer so schwerwiegenden Anschuldigung saßen Chuktar Thandon die beiden anderen Brigadekommandanten zur Seite. Aus zusammengekniffenen Augen starrten sie Jiktar Nath Javed an – der sich sonst sehr wenig um die hohen Herren scherte.

Das Verhör wurde von einem beinahe stummen Xaffer aufgezeichnet, der in einer offenbar selbstgeschaffenen Kurzschrift Notizen erstellte, mit deren Hilfe er später einen vollen Bericht verfassen würde. Wachen standen an den Türen und Fenstern des Kommandantenzimmers – halb Büro, halb Wachstube. Hier fand sich der Kommandant nach Art der Churgurs stets in voller Rüstung und mit sämtlichen Waffen ein.

Das Verfahren begann mit der Aussage verschiedener Zeugen, wonach der Metallkasten voller Gold- und Silbermünzen gewesen sei und sich jetzt leer zeigte. Andere Zeugen beschworen, daß sie den alten Hack-und-Stich zu dieser und jener Zeit an diesem und jenem Ort gesehen hätten. Die Beweise häuften sich gnadenlos.

Schließlich bellte Nath Javed: »Ich leugne ja nicht, mir das Bargeld geliehen zu haben ...«

»Geliehen!«

»Aye, geliehen.«

Der alte Hack-und-Stich hatte als Jiktar sämtliche zehn Rangstufen durchlaufen. Normalerweise befehligte ein Jiktar ein Regiment. Als Zan-Jiktar stand ihm der Wechsel in den Chuktar-Rang bevor, der mit dem Ob-Chuktar begann. Chuktare führten normalerweise Brigaden und andere größere Formationen. Warum der alte Hack-und-Stich diese ihm eigentlich zustehende Beförderung nicht erhalten hatte, war hier und jetzt nicht erkennbar. Jedenfalls mußte dieser Umstand ihn sehr gestört haben.

»Du bist Jiktar, Nath«, sagte Enar Thandon. »Zan-Jiktar. Willst du behaupten, du hättest so viele Schulden aufgehäuft, daß du sie allein nicht mehr bezahlen kannst?«

»Keine Schulden ... Nun ja, nicht nur Schulden.«

»Du gibst doch aber zu«, wandte Ongarr Fardew ein, Brigade-Chuktar der Bogenschützen, »daß du das Geld gestohlen hast?«

»Nein, du Fambly! Ich habe es lediglich ausgeliehen ...«

»Mäßige dich, Nath. Wir sind hier unter Freunden.«

»Freunde?« Hack-und-Stich spuckte dieses Wort förmlich aus. »Daran möchte ich doch zweifeln. Freunde würden sich anhören, was ich zu sagen habe, bei Vox, und keine voreiligen Schlüsse ziehen!«

»Wir wollen hier nicht über dich urteilen.« Enar Thandons Tonfall war ebenfalls forscher geworden. Noch schärfer fügte er hinzu: »Noch nicht!«

»Es handelt sich lediglich um eine Untersuchung, die die Schuldfrage klären soll«, sagte Chuktar Ongarr Fardew mit neutraler Stimme. Nath Javed runzelte die Stirn und wollte schon eine klare Antwort hinausbrüllen, als Enar Thandon ihn mit seiner klaren, präzisen Stimme unterbrach.

»Du gibst also zu, daß du das Geld aus der Kasse genommen hast. Du gibst zu, Schulden zu haben, die du nicht begleichen kannst. Ich finde, Offizieren von Ehre bleibt nichts anderes übrig, als dich schuldig zu finden.«

»Ich habe das verdammte Geld nicht gestohlen ...«

»Deine Taten lassen aber keine andere Deutung zu.«

»Einverstanden.« Das Ermittlungskomitee kam zu einem einstimmigen Beschluß.

Es folgten noch weitere Formalitäten, auf die nicht verzichtet werden konnte, wenn ein Verfahren dieser Art nicht später angefochten werden sollte, dann gab das Komitee Befehl, den alten Hack-und-Stich wieder in seine Zelle zu schaffen.

Danach erhob sich auch das Komitee, um sich seinen anderen Pflichten zu widmen; dabei sagte Enar Thandon: »Unser neuer Herrscher legt großen Wert darauf, daß bei der Rechtsfindung nichts übersehen wird; da überlegt man sich jeden Schritt zweimal.«

»Aye«, antwortete Chuktar Borin, der die 31. Brigade unter sich hatte. »Man könnte fast den Eindruck gewinnen, wir hätten uns nach unserem Sieg über Hamal von der dortigen Seuche der Gesetze und Gesetzeshüter anstecken lassen.«

»Hamal«, sagte Enar Thandon mit einer gewissen Herablassung. »Ach das! Diese Leute waren viele Perioden hindurch unsere Feinde, nun heißt unser neuer Herrscher sie plötzlich als Verbündete und Freunde willkommen.«

»Hübsche Freunde!« äußerte Ongarr Fardew verächtlich.

In ein freundschaftliches Gespräch vertieft, begaben sich die drei Chuktare der 30. Infanterie-Division in den buntvermengten Schein der Sonnen Scorpios hinaus. Jene prächtige rubinrote und jadegrüne Beleuchtung lag schräg auf dem Land und tränkte es mit Farben und Licht. Die drei Männer aber beachteten den Glanz des Tages kaum, so sehr waren sie mit ihren Angelegenheiten beschäftigt.

Alle diese Ereignisse wurden von Deldar Naghan dem Enthaltsamen beobachtet. Ein traurig wirkender langer Mann mit mißtrauischen Gesichtszügen, war er ein hervorragender, treu dienender Soldat. Als Churgur, als Kämpfer, der schwere Rüstung trug und mit Wurfspieß, Schild und Schwert kämpfte, besaß er den kräftigen Körperbau, wie er für die Reihen der Angriffs-Infanterie üblich ist.

Er spuckte nicht aus, als die drei Chuktare hinausstolzierten, doch sagte er zu seinen Swods: »Ziemlich aufgeblasen sind die, junger Dolan. Merk dir meine Worte, wenn wir nach Norden kommen, wo es richtig losgeht, stimmen die noch ein ganz anderes Liedchen an!«

Dolan, ein junger unerfahrener Bursche mit sommersprossigem Gesicht, sagte nervös: »Wenn sie dich hören, Deldar, gerben sie dir die Haut!«

»Das sollen sie ruhig versuchen. Ich wüßte nur zu gern, was aus dem alten Hack-und-Stich werden soll.«

Daß die 30. Infanterie-Division ein bunt zusammengewürfelter Haufen war, lag auf der Hand. Das Bindeglied bildete ein Kader erfahrener Swods und Deldare. Zu viele höhere Hikdare, Männer, die die kompaniegroßen Pastangs befehligten, waren direkt befördert worden, anstatt den langen Weg durch die verschiedenen Deldar-Ränge zu gehen. Unter den einfachen Soldaten gab es viele junge Burschen, die wohl diensteifrig waren, aber auch unreif und ohne abhärtende Kampferfahrung.

Deldar Naghan der Enthaltsame fuhr sich über den Mund und versah sorgfältig seine Pflichten. Ihm konnte der alte Hack-und-Stich leid tun, mit dem er schon zusammen gedient hatte, andererseits war Jiktar Nath Javed, der alte Hack-und-Stich, mit den Fingern in der Regimentskasse erwischt wurden. Das sah dem alten Knaben so gar nicht ähnlich, doch hätte so etwas in einem gut geführten Regiment auf keinen Fall passieren dürfen.

Was aus dem Jiktar wurde, der so unvorsichtig gewesen war, sich Gold anzueignen, das dem Regiment gehörte, war vorherbestimmt. Das Kriegsgerichtsurteil, niedergelegt in der fließenden Schrift eines Xaffer, konnte nur auf ›schuldig‹ lauten.

Zu seiner Entschuldigung führte Nath Javed an, er habe seit dem Augenblick, da er seine neue 32. Brigade übernahm, mit der Beförderung zum Ob-Chuktar gerechnet. Dies sei nicht geschehen, und entsprechend sei die Solderhöhung ausgeblieben.

»Ich brauchte das Geld für eine persönliche Angelegenheit und habe es mir lediglich ausgeliehen. Ich wollte es von meinem Sold zurückzahlen.«

»Aber du wurdest nicht zum Ob-Chuktar befördert, womit ...«

»Womit ich in der Luft hing!« tobte Javed. »Kein Bargeld in der Schatztruhe, kein Sold, um das Gold zu ersetzen!«

Nach dem Schuldspruch eröffnete sich die brennende Frage nach dem Strafmaß.

Schließlich verkündete der Divisionskommandant eine strenge Gefängnisstrafe, verbunden mit einer Degradierung zum einfachen Soldaten.

Zan-Jiktar Nath Javed, die Beförderung zum Chuktar vor Augen, Befehlshaber über eine Churgurbrigade, verwandelte sich auf diese Weise im Handumdrehen wieder in den schlichten Nath Javed, einen Swod in den Reihen der Kämpfer.

Wirkliches Bedauern kam nur in der Gemeinschaft des 11. Regiments zum Ausdruck.

Selbst die Lage des Vallianischen Reiches, die trotz des Umstands, daß die meisten Inseln wieder der Kontrolle des Herrschers unterstanden, nicht sehr gefährdet war, duldete keine Strafverschonung. Er würde seine Zeit als einfacher Soldat abdienen müssen.

Die 30. Division sollte in Kürze nach Norden marschieren, um die Armeen zu verstärken, die dort den betrügerischen Emporkömmling bekämpften, der sich König von Nord-Vallia nannte. Enar Thandon äußerte die Ansicht, er wollte den alten Hack-und-Stich eigentlich in keinem seiner Regimenter kämpfen sehen, auch nicht als einfacher Soldat.

So wurde er als simpler Swod in ein Depot abgeordnet, wo er seine Zeit damit verbrachte, frisch eingezogene Rekruten auszubilden.

Das Geld wurde nicht wiedergefunden, Javed machte keine Aussage darüber, was damit geschehen war – außer daß er damit eine unberechtigte Forderung beglichen habe.

Diese Schicksalsschläge führten dazu, daß er schweigsam und verschlossen wurde und alle, die mit ihm zu tun hatten, abweisender und rücksichtsloser behandelte denn je. Als erstklassiger Kämpfer wußte er, wie er junge Anfänger anpacken mußte, und war im Ausbildungslager bald unentbehrlich. Er sagte immer wieder, er würde dem 11. Regiment den ganzen Betrag zurückerstatten, und an jedem Zahltag zweigte er so viel ab, wie er entbehren konnte.

Ständig lag er seinen neuen Vorgesetzten mit dem Wunsch in den Ohren, in ein Frontregiment versetzt zu werden. Die hielten ihn bei der Ausbildung allerdings für viel zu wichtig, um sich von ihm zu trennen.

So ertrug Nath Javed, der alte Hack-und-Stich, sein Schicksal.

Und die Tage vergingen.

Deldar Naghan der Enthaltsame suchte schließlich einen Vorwand, um das Lager aufzusuchen, in dem sich Javed abplagte.

Die Einrichtung lag einige Meilen außerhalb der Hauptstadt Vondium und bestand vorwiegend aus Hütten, Kochanlagen und Schlamm. Die Übungsstrecken waren überaus schwierig.

Nachdem sich Naghan angeschaut hatte, wie einige Coys auf Vordermann gebracht wurden, nahm er Javed zur Seite, um unter vier Augen mit ihm zu sprechen.

»Nath Javed!«

»Hier, Deldar«, antwortete Javed und nahm Haltung an. Dabei würdigte er den Deldar, der die Orden seiner Tapferkeit vor dem Feind angelegt hatte, kaum eines Blickes. Naghan der Enthaltsame, eine großgewachsene abgehärtete Erscheinung, die sich mit dem Denken und Fühlen von Swods auskannte, machte aus seinem Herzen keine Mördergrube.

»Nath Javed! Als du Deldar warst, war ich Swod, dann warst du Hikdar und schließlich Jiktar, und ich stieg zum Deldar auf. Und jetzt ...«

»Ach, du bist es, Naghan. Na – und jetzt ist es eben so, wie es ist.«

»Aber es bräuchte nicht so zu sein!«

»Du meinst, ich soll Berufung beantragen?«

»Bei Vox, und ob! Es muß doch eine Erklärung für deine Tat geben ...«

»Die gibt es; aber ich kann sie nicht anführen. Laß es im Augenblick gut sein, Naghan. Komm! Um unserer alten Freundschaft willen sollten wir einen trinken gehen.«

Naghan der Enthaltsame hatte sich seinen Beinamen nicht mit Abstinenz erworben. Wie jeder Soldat in den neuen Armeen des Herrschers trank er nicht, um sich zu betrinken, sondern um fröhlich und lustig zu werden. Nur Idioten berauschten sich. Sie hielten sich nicht lange in den neuen Armeen, die der Herrscher von Vallia aufstellte.

So saßen die beiden sich schließlich mit ihren Krügen an einem geschrubbten Sturmholztisch gegenüber, und Naghan kam sofort wieder auf das Thema, das ihn bekümmerte.

»Wenn du in die Berufung gehst, Nath, muß man deine Aussage anhören. Das fordert das Gesetz. Du kannst dich damit direkt an den Herrscher wenden, der dann ...«

»Der ist irgendwo im Norden und kämpft gegen den König von Nord-Vallia, diesen Schurken, der dringend den Strick verdient hat, wie ich meine.«

»Ja, mein Freund – das gleiche trifft aber auf einige andere zu, die uns näherstehen.«

»Oh, man hat mich auf dem Kieker, das weiß ich. Warum wurde ich nicht befördert, wie es mir zugestanden hätte? Wenn es das Problem nicht gegeben hätte, wäre ich ruhig und zufrieden gewesen.«

»Das könntest du dem Herrscher erklären.«

»Was denn? Glaubst du wirklich, er kennt die Sorgen von einfachen Leuten wie uns? Er ist weit fort und vielbeschäftigt und steht viel zu hoch über uns, um sich mit solchen Dingen zu abzugeben.«

»Da habe ich aber anders reden hören.«

»Ach, aye! Allerhand Geschichten laufen um. Hast du den Herrscher überhaupt schon mal zu Gesicht bekommen?«

»Na, ich ritt einmal in einer Parade mit, in der er ...«

»Siehst du! In einer Parade, in der er eine funkelnde Gestalt war, sichtbar nur wie durch einen Dunst! Ich meine, richtig aus der Nähe, wie wir beide uns hier sehen, offen für ein Gespräch. Für arme Schlucker wie mich hat er keine Zeit.«

Naghan der Enthaltsame verhehlte nicht, daß ihn die Sache bekümmerte. Sein Versuch, Nath Javed, den alten Hack-und-Stich, zu einem Berufungsantrag zu veranlassen, war fehlgeschlagen.

»Ich leiste meine Zeit hier ab, indem ich Weißnasen die Tricks meines Berufes beibringe. Bei Vox! Dabei geht mir manchmal wirklich die Geduld durch!«

»Nun ja, mein Freund, ich werde dich nicht dadurch beleidigen, daß ich dir meine Bekümmerung und mein Bedauern ausspreche. Laß mich nur eins sagen – beim Flinken Vikatu, du wirst mir fehlen, wenn wir in den Norden marschieren!«

Javed schaute über den Rand seines Krugs.

»Aye, Naghan, du wirst mir auch abgehen. Ich mag Jiktar gewesen sein, doch hoffe ich nicht, daß ich je meine Freunde vergessen habe.«

»Wäre ich sonst hier?«

Die beiden Männer saßen sich eine Zeitlang stumm gegenüber und schwiegen, dann begannen einige Kreutzin, die in der Ausbildung zur Leichten Kavallerie standen, einen Streit, woraufhin Nath Javed und Naghan der Enthaltsame sich empfahlen, wie es alten Schlachtrössern, erfahrenen Kampeonen, anstand.

Javed geleitete Naghan den Enthaltsamen zu seinem gemieteten Preysany zurück, der mit gesenktem Kopf auf den Rückritt nach Vondium wartete.

Als Naghan sich in den Sattel geschwungen hatte und erste Abschiedswünsche geäußert worden waren, fragte er plötzlich: »Und deine Schwester, Lady Francine? Es geht ihr hoffentlich gut?«

Über Javeds intensives Gesicht lief ein Zucken.

»Ich bitte dich, Naghan, sprich nicht von ihr, auch nicht von ihrem Manne Fortro!«

»Wie du willst. Die beiden hatten doch eine Tochter, nicht wahr ...?«

»Bitte, Naghan! Bei Vox! Ich möchte nicht über die kleine Sassy sprechen. Nein, niemals!«

Der Enthaltsame war nicht völlig blind.

»Wenn ich dich gekränkt habe, Nath Javed, entschuldige ich mich. Dabei will ich nur dein Bestes. Und jetzt – du sturer Onker –, wenn du keine Eingabe beim Herrscher machen willst, was kann ich noch tun?«

»Denk daran, du bist Deldar und befehligst zehn Mann oder mehr – ich bin nur ein einfacher Swod.«

»Möge das Licht Opaz' dich bescheinen, Nath Javed, und die geschickte Hand Vox' dich auf ewig vor deinen Feinden schützen.«

»Opaz begleite dich, Naghan. Meine Dankbarkeit ist dir gewiß.«

Naghan der Enthaltsame berichtete später, wie überaus stark ihm das Rätsel um Hack-und-Stichs Abstieg bewußt war, als er auf seinem Miet-Preysany durch das Licht der kregischen Monde ritt. Was immer diesen Mann veranlaßt hatte, das Gold zu stehlen oder auszuleihen, hatte ihn zutiefst aufgewühlt.

Gleichwohl schien sich keine Möglichkeit zu bieten, die Situation zu bereinigen. Die Welt würde sich drehen, die Zwillingssonnen Zim und Genodras würden morgen früh wie immer am östlichem Himmel aufsteigen, das Leben würde seinen Gang gehen.

Vielleicht lag hinter der Sache doch kein großes Rätsel.

Der arme Hack-und-Stich – sein Schwung schien ihn ziemlich verlassen zu haben! So ritt denn Deldar Naghan der Enthaltsame verkniffen nach Vondium zurück und beschäftigte sich in Gedanken mit den Gemeinheiten des Schicksals und den Zufällen, denen das Leben eines Mannes ausgesetzt war, ehe er zu den Eisgletschern Sicces befördert wurde.