12
Schnell und gerade wie ein Lanzenstich flogen wir über die Engen Hügel.
Unter uns zogen Regenwald und Dschungel dahin. Die schrecklichen Berge, die wir uns hinaufgemüht hatten, um dann an der anderen Seite wieder hinunterzuklettern und uns wieder aufwärtszukämpfen, zogen vorüber wie Modelle in einem Kinderzimmer. In großer Höhe passierten wir die Lichtungen, deren Teiche, ölig von Gift, das Licht auf unbehagliche Art reflektierten. Auch jener letzte Teich auf jener letzten Lichtung wies den tödlichen Schimmer auf. Die Slaptra allerdings, die Pflanze, die auf Geräusche hin tödlich zuschlug, die den Boden ringsum abklopfte und dabei tiefe spatenähnliche Abdrücke im Sand hinterließ – die Slaptra war verschwunden.
»Jemand hat da ein bißchen gegärtnert«, bemerkte Seg.
Ehe ich antworten konnte, sagte San Aramplo auf seine hochmütige Khibil-Art: »Im Wasser lauert das Böse. Ich spüre es überdeutlich.«
»Das Gift hat die im Wasser wachsenden Pflanzen abgetötet. Es waren Slaptras.«
»Natürlich. Eine vernünftige Lösung.«
Als Seg und ich herausfanden, daß der uns begleitende Zauberer ein Khibil war, hatte mir Seg einen dermaßen komisch-verzweifelten Blick zugeworfen, daß ich beinahe laut losgelacht hätte. Ein Zauberer redet immer ziemlich von oben herab. Schon jeder normale Khibil sieht sich als Mitglied der überlegensten Rasse ganz Kregens, trägt die Nase ziemlich hoch und zeigt sich meistens unbelehrbar. Ja, so waren die Khibils. Ihre fuchsigen Gesichter mit den arroganten rötlichen Schnurrbarthaaren, die scharfen Augen, der schneidende Ton – dies alles war mir überaus vertraut.
Unser Zauberer, San Aramplo, war Mitglied der Thaumaturgen von Thagramond. Es handelte sich um einen kleinen Kult, der aber weit verbreitet war und in dem Ruf stand – wie es bei vielen der zahlreichen kregischen Zauberer der Fall war –, reale übernatürliche Kräfte aufbieten zu können. Natürlich standen die Thaumaturgen nicht in derselben Klasse wie die Zauberer aus Loh.
Der fuchsgesichtige Magier hatte – wie schon vor ihm Fregeff der Fristlezauberer – das Gift im Wasser erspürt und seine böse Kraft abgeleitet. San Aramplo besaß also echte Zauberkräfte.
Wir konnten nur hoffen, daß er auch den magischen Kräften des Labyrinths gewachsen war, in das wir bald eindringen würden.
Als er sich zu seiner Privatkabine begeben hatte, die hinter einen purpurnen Vorhang lag, bewegte Nath der Verstockte rollend die massigen Schultern und sagte: »Zauberer! Die konnte ich noch nie ausstehen!«
»Ah!«, wandte Ortyg Thingol ein. »Aber sie sind nicht alle gleich. San Bjanching hat mir bei meinen Mathematikstudien sehr geholfen.«
So etwas war mir neu, und ich lauschte mit aufflackerndem Interesse. Anscheinend half Khe-Hi bei der Ausbildung der jungen Leute mit. Sehr gut!
»Bilden sich alle einen Stiefel ein!« sagte Nath. »Zauberer, Edelleute, die hohen Herren und Damen. Für uns normale Leute aber haben sie keine Zeit.«
»Ich bitte dich, Nath!« widersprach Ortyg. »So schlimm ist es doch nicht!«
»Ich kenne das Leben, mein Junge.«
Darauf wußte Ortyg nicht viel zu erwidern. Ihm fiel nur die lahme Antwort ein, daß er – bei Vox! – das Leben auch bald kennenlernen werde. »Beim Verschleierten Froyvil, Nath! Dir mag der Bursche nicht gefallen, aber er wird uns unschätzbare Dienste leisten – glaub mir!«
Wenn Seg und ich hier in Pandahem Pantors waren, dann zu Hause in Vallia Jens; aber niemand merkte an, daß wir als solche ja eigentlich auf der schwarzen Liste Naths des Verstockten stehen müßten; dennoch behandelte er uns mit gleichbleibender Höflichkeit. Wir vermuteten, daß er in Seg und mir Kampeon-Kollegen sah, Mitabenteurer in diesem Leben, das er verabscheute.
Wir flogen in geringer Höhe und bekamen trotz des Flugwindes den intensiven primitiven Geruch des Dschungels mit.
Kov Hurngals Voller erbrachte eine ziemlich gute Flugleistung, und wir vermuteten, daß er vor der Expedition mit nagelneuen Silberkästen versehen worden war. Das Schiff hieß Hanitcha Triumph. Es war groß genug, um gut zweihundert Seelen als Passagiere mitzunehmen, und war einigermaßen mit Varters und Katapulten ausgestattet. Es hatte nur eine Kampfplattform, und die unteren Kampfgalerien sahen etwas schmal aus. Gleichwohl war der Voller in seiner hellblauen Farbe und der Vergoldung recht hübsch. Er war, und daran bestand nun wirklich kein Zweifel, einem Fußmarsch durch die Engen Hügel unbedingt vorzuziehen, bei Krun!
Im Verlauf unseres Fluges hielt ich immer wieder vergeblich Ausschau nach anderen Flugbooten, in der Hoffnung, vallianische Kameraden wiederzufinden, die die unterbrochene Expedition fortsetzten.
Der Gedanke, geradewegs zum Coup Blag zu fliegen und vor der phantastisch geformten Klippenwand zu landen und dann weiterzumarschieren, wollte mir irgendwie nicht vernünftig erscheinen.
»Wir sollten ein Stückchen entfernt landen«, sagte ich zu Seg, »und den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen.«
»Aye. Du hast recht.«
Aus der mit goldenen Vorhängen verschlossenen Kabinentür kam Dame Hebe. Sie schien zu jeder Zeit ein Netz aus Perlen in den Haaren zu tragen. Ihr blaues Gewand war kurz und wurde von einem breiten goldenen Gurt zusammengehalten. Die Sandalen waren eine minimale Pracht. Was ihr Gesicht anging – nun ja, sie hatte weit auseinanderstehende Augen, die unter den geraden Brauen dunkel wirkten. Ihre Stirn war ebenfalls breit und wies jenen dunkleren Teint auf, der mir schon an ihren Händen aufgefallen war. Ihre Nase war kurz, die Lippen waren voll geformt. Sie war eine hohe Dame, die einen eigenen Willen hatte und sich nicht zu schade war, ihre Ziele mit Koketterie anzustreben. Sie war eine Vadni, im Adelsrang leicht unter einer Kovneva stehend. Und sie war stolz, daran konnte kein Zweifel bestehen. Außerdem schien sie traurig zu sein.
Lächelnd, nein, eher grinsend trat ihr ein Mann entgegen und verbeugte sich übertrieben. Es gibt Kreger, die der Meinung sind, Rapas könnten nicht lächeln. Nun ja, diese Wesen haben raubtierhafte Schnabelgesichter, Züge wie Aasvögel und ein Gefieder von erstaunlich vielseitiger Farbigkeit – vor den dunkleren Tönungen mußte man sich allerdings in acht nehmen! Den Ausdruck dieser Wesen vermag man bei einiger Erfahrung gleichwohl zu deuten, und die Schnabelstellung dieses Burschen deutete auf ein hämisches Grinsen hin.
»Tyr Rogarsh«, sagte Dame Hebe.
Die beiden entfernten sich gemeinsam. Der Rapa, Tyr Rogarsh der Rassler, trug eine massive Lederrüstung, wie sie bei einem Flutswod zu erwarten war, dazu zwei Schwerter und wehende Federn am Helm, die mit seinem Gefieder im Wettbewerb standen. An der Kehle schimmerte und funkelte es golden – ein Abzeichen, das der Welt verriet, wer und was er war.
»Er ist ganz nützlich«, sagte Seg. »Soweit ich weiß, diente er als Söldner in Hamal, stieg dabei zum Chuktar auf und tat sich bei einigen Zusammenstößen hervor – bis er auf unsere Jungs aus Vallia stieß.«
Ortyg lachte entzückt. Nath blieb stumm.
»Nun ist er tazll, ohne Anstellung, und versucht sein kostspieliges Leben aufrechtzuerhalten, indem er Gräber ausplündert.«
»Das scheinen die Leute in dem Coup Blag zu sehen – nichts weiter als einen Grabhügel, angefüllt mit Schätzen.«
»Und die Banditen, die früher hier ihr Unwesen trieben?«
»Die sind vor langer Zeit verschwunden, jetzt geht es nur noch um das alte Grab.«
»Irgend etwas stimmt hier nicht.« Ich warf einen Blick über Segs Schulter. »Da kommt das letzte Mitglied der Expedition – Strom Tothor ham Hemfar. Der sieht womöglich noch nützlicher aus.«
Der Numim brüllte im Näherkommen ein munteres »Lahal!« Er war ein prächtig aussehender goldener Löwenmensch, großgewachsen und muskulös. Sein ausdrucksstarkes Gesicht musterte uns strahlend. Er trug einen schlichten Lederpanzer, und die Waffen, die er bei sich hatte, waren ausschließlich nach praktischen Gesichtspunkten ausgesucht – von raffiniert aussehenden kleinen Klingen und schnörkeligen Griffen war hier nichts zusehen, bei Krun!
Wir erwiderten das Lahal, und Strom Tothor ließ keinen Zweifel an seiner guten Laune.
»Habt ihr den Schurken Rogarsh gesehen, Notors?«
»Er macht eben mit der Dame Hebe eine Runde über das Deck, Notor.«
»Ha, ha! Ich schulde ihm einen Sieg im Jikaida. Sein Pallan schlug den meinen, und ich will Revanche, diesmal werde ich ihn auf dem Spielfeld vernichtend schlagen, bei Numi-Hyrjiv, der goldenen Pracht!«
Man mußte einem Löwenmenschen einfach zugetan sein. Eine großartige Diff-Rasse, die Numims, und ich zählte mindestens einen zu meinen Klingengefährten. Zu gern hätte ich Tothor gefragt, ob er Rees ham Harshur, den Trylon des Goldenen Windes, kenne, eines Landes, das wohl inzwischen fast völlig vom Wind davongetragen worden war. Nun ja, ich würde das Thema anschneiden, wenn der Augenblick günstig schien.
»Ihr spielt Jikaida, Notors?«
»Gelegentlich«, erwiderte Seg; Jikaida ist im kregischen Paz das beliebteste Brettspiel und überall anzutreffen. Sofern das Spiel einem nicht zu hoch war, spielte man es. Für alle, die es nicht kannten, bildete Vajikry, das Spiel der Monde, einen schwachen Ausgleich.
»Dame Hebe ist eine raffinierte Spielerin«, fuhr Tothor fort. »Es ist ein Genuß, ihrem Chuktar auf der linken Flanke zuzuschauen.«
Ich kannte den Trick; aber ich wollte in dieser Phase nicht zuviel erkennen lassen. Wir waren einfache, sturköpfige Edelleute, denen es um ihren Spaß und Abenteuerkitzel ging. »Am besten wäre es wohl«, sagte ich, »wenn wir nicht zu dicht am Coup Blag landeten. Wir müssen die letzten beiden Dwaburs zu Fuß gehen.«
»Meinst du? Ich lasse mich gern von dir beraten. Ich spreche mit Kov Hurngal. Schließlich ist er der Befehlshaber der Expedition.«
Soweit wir uns die Hintergründe zurechtlegen konnten, war Kov Hurngal von Dame Hebe in die Bahnen seiner Begeisterung gelenkt worden, den Coup Blag heimzusuchen. Es verlangte ihr nach Abenteuern, vorzugsweise nach solchen, die Gold brachten. Nachdem die Kriege nun vorüber waren, mit Ausnahme der Störungen drüben in den Bergen des Westens, die nur wenige Leute ernstzunehmen schienen, hatten Tausende von Soldaten und Söldnern keine Arbeit mehr. Rapa Rogarsh und Numim Tothor waren als Gefährten zu dem Unternehmen hinzugerufen worden, weil sie vorher schon mit Hurngal gedient hatten.
Alle diese Hauptpersonen waren natürlich von einer ganzen Gefolgschaftshorde umgeben, von Dienern und Sklaven. So wollte sich denn eine kleine Armee in das Labyrinth wagen.
Kov Loriman hatte seinen Trupp stämmiger Chuliks bei sich. Ich wollte wissen, wie er zu Hurngal und Hebe gestoßen war.
Es herrschte keine große Sympathie zwischen den beiden Kovs. Vielleicht war die Dame die Ursache?
Woher sie stammte, stand noch nicht genau fest. Aber wenn Hurngal, Rogarsh und Tothor Hamalier waren, mochte sie die gleiche Abstammung haben. Loriman behauptete inzwischen, er stamme aus dem westlichen Pandahem, aus dem Land Yumapan, das gleich hinter den Bergen direkt südlich von Königin Lusts Lome lag.
Eine Information, die wir erhielten, mißfiel mir sehr. Trotz des neuen Verständnisses und der frischen Allianz zwischen Vallia und Hamal zeigten die Hamalier an Bord der Hanitcha Triumph die altbekannte Feindseligkeit gegenüber den Vallianern. Loriman ging dem Thema im allgemeinen aus dem Weg. Was den Zauberer betraf, so hielt er zu uns allen Abstand.
Seg und ich hatten Hurngal hinsichtlich der Sattelflieger gewarnt, denen wir in dieser Gegend begegnet waren. Es waren Brunnelleys mit vier roten Krallenfüßen und blau-braun-malvenfarbenen Gefieder. Es waren kräftige, zuverlässige Sattelflieger, die auf den Flutmärkten gute Preise erzielten.
»Sattelvögel?« sagte Hurngal abfällig. »In Pandahem?«
»Aye«, bestätigte Seg und bezwang die Wut, die in ihm aufsteigen wollte.
»Na, wir in Hamal wissen, wie man damit umgeht.«
So suchten wir den Himmel nicht nur nach unseren Kameraden ab, sondern hielten auch die Augen offen nach feindlichen Flugtieren.
Kurz danach hielt ich es für angebracht, an die Landung zu denken. Über den endlosen Wipfeln vor uns stieg ein gerundeter Hügel auf. Dahinter würde sich die Klippenwand befinden, und der See und der Eingang.
Ich sah Kov Loriman allein an der Reling lehnen. Einige Besatzungsmitglieder hantierten an einer Varter herum, andere schliefen. Ich sagte zu Seg: »Paß mal ein bißchen auf. Ich werde ihn mit dem Fluch des Spikatur auf die Probe stellen. Achte darauf, wie er reagiert.«
»Aye, mein alter Dom. Ich behalte dich im Auge.«
Wie zufällig ging ich über Deck auf Loriman zu. Der Jagd-Kov mochte Sklaven gestatten, ihn zu waschen und anzuziehen und auch zu füttern; in der Frage der Waffen aber war er eine gänzlich andere Persönlichkeit. Er hatte einen Wetzstein gezogen und schärfte methodisch seinen linkshändigen Dolch.
»Lahal, Notor«, sagte ich mit freundlicher Stimme – ich möchte anmerken, daß ein freundlicher Ton mir im Augenblick ziemlich leichtfiel. »Bald müssen wir landen. Bei Sasco, ich ...«
Mit unglaublicher Geschwindigkeit zuckte der Dolch hoch, die Klinge blitzte kurz und feurig und war dann auf meine Kehle gerichtet.
»Du Yetch! Du Nulsh von Spikatur Jagdschwert! Ich schlitze dir den Hals auf!«