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Ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von Zy, war nicht mehr Herrscher von Vallia.
»Bei Zim-Zair!« rief ich. »Es wurde aber auch Zeit!«
»Nun, mein alter Dom, du hast ja immer wieder gesagt, du würdest es tun, aber kaum jemand hat dir das geglaubt.«
Nervös meldete sich Thelda zu Wort: »Ich glaube das einfach nicht, mein lieber Dray. Wäre ich Herrscherin, würde ich niemals abdanken.« Dann legte sie den Kopf auf die Seite und fuhr auf ihre unwiderstehliche Art fort: »Aber immerhin heißt das nun, daß ich die Mutter der Herrscherin bin. Das ist sehr nett!«
Lol Polisto warf ihr einen Blick zu, und mir fiel auf, daß Milsi eine Hand an den Mund hob, um ihr Lächeln zu verbergen.
Nachdem wir das junge Paar verabschiedet hatten, waren einige von uns zusammengekommen, um die Ereignisse des Tages zu besprechen und, was wohl unvermeidlich war, Delias und meine Entscheidung zu bestaunen.
Die Angehörigen meines Gardekorps standen vor einer Gewissensentscheidung.
Ich sagte zu Targon und Dorgo und Cleitar und den anderen Anführern: »Ihr seid Leibwächter des Herrschers. Ihr habt euch zu einer Zeit konstituiert, da das Leben des Herrschers in Gefahr war. Diese Pflichten bleiben bestehen. Ihr müßt dem Herrscher dienen.«
»Ja, aber er ist nicht du!«
»Er ist mein Sohn – und Herrscher dieses Landes.«
Ehe sie abgingen, um die Angelegenheit auf die demokratische Weise zu klären, die man im Gardekorps eingeführt hatte, sagte Targon mißtrauisch: »Dies bedeutet aber nicht, daß wir dich nicht in den Coup Blag begleiten! O nein, das kommt nicht in Frage, bei Vox!«
»Nein, bei der Klinge von Kurin!« Und: »Auf keinen Fall, Jorgo vom Snickersnee sei mein Zeuge!« Und: »Wir kommen alle mit, bei Bongolin!« Und andere heftige Bekräftigungen dieser Art.
Balass der Falke sagte: »Einen guten Schwert- und Schildmann brauchst du da unten allemal, Dray.«
Oby fauchte: »Du läßt mich nicht hier!«
Hap Loder, der auf den weiten Ebenen von Segesthes meine furchteinflößenden Klansleute befehligte, wollte mehr über den Coup Blag erfahren, und äußerte seinerseits Interesse, mich zu begleiten. Andere stellten ähnliche Erkundigungen an; alle schienen das Gefühl zu haben, ein kleiner Urlaub da oben in den Engen Hügeln würde auf wundersame Weise den Kreislauf anregen.
K. Kholin Dorn war fest davon überzeugt, ein vierarmiger Djang würde sich in den Labyrinthen des Berges zu Hause fühlen. Vomanus, Delias Halbbruder, der von seiner Krankheit genesen war, verkündete auf seine gemächlich-kühne Art, er werde ebenfalls mitreisen. Dabei hatte der Bursche noch immer Rostflecken an seiner Schwertklinge.
»Bei Krun!« sagte ich zu Delia. »Die Hochzeit hat das alles nur noch verschlimmert. Jetzt hängen uns jede Menge Leute am Schürzenzipfel, die unbedingt mitwollen.«
»Aye«, erwiderte sie und ließ einmal wieder ihren raffinierten praktischen Sinn die Oberhand gewinnen. »Vielleicht hat das sogar etwas Gutes.«
Ich mußte ihr zustimmen, wußte ich doch, was sie meinte. Trotzdem ...
Farris sagte: »Ich habe mich mal unter vier Augen mit Herrscher Nedfar unterhalten. Er hat echte Probleme, die zu der bedauerlichen Lieferverzögerung von Flugbooten führen.«
Ich verzog das Gesicht. Tyfar und Lela hatten sich nur kurz aufgehalten und waren ins westliche Hamal zurückgekehrt. Sie hatten ein wenig Licht darauf geworfen, was ihnen zu Hause zu schaffen machte. Nedfar äußerte sich besorgt über ihre Sicherheit und fügte hinzu: »Aber man kann diese jungen Leute ja nicht immer an der Leine halten.«
»Sie halten es für ihre Pflicht, die Vollerproduktion zu normalisieren«, erklärte Delia äußerlich gelassen, aber ich spürte ihre Sorge und litt mit ihr.
Nur weil Drak und Silda nun endgültig verheiratet waren und sich vergnügten, mußten wir übrigen das Feiern noch lange nicht beenden. O nein, bei Krun!
Während der nächsten Tage voller Freuden, Tanzereien, Trinkfeste und Umzüge im kregischen Stil begannen wir unsere Expedition für den Besuch bei Csitra zusammenzustellen.
Farris deutete an, er könne uns eine erhebliche Flugboot-Flotte zur Verfügung stellen. Die bewaffneten Streitkräfte Vallias wurden reduziert. Wir hatten die Kriege gewonnen und alle Inseln des Reiches wiedervereint; so folgte nun eine Zeit der Konsolidierung an allen übrigen Zivilisationsfronten: Landwirtschaft, Bauwesen, Kanäle, Bildung, Handel und Wandel – alle diese Dinge forderten unsere Aufmerksamkeit. Da somit zahlreiche Soldaten und Flugkämpfer nach Hause zurückkehrten, hatten wir die freie Wahl unter Flugbooten, Flugtieren und Swods.
Schließlich traf ich die vernünftige Entscheidung, so ziemlich jeden mitzunehmen, der sich darum bemühte. Drak hatte sich einverstanden erklärt, jeden, den wir dabeihaben wollten, von seinem sonstigen Dienst zunächst freizustellen.
So forderte ich die Jungs des Gardekorps auf, ein System auszutüfteln, nach dem die Hälfte mit zum Coup Blag käme und die andere Hälfte Dienst beim Herrscher täte.
Nath Karidge, der die ziemlich demoralisierte ELH befehligte, kam und klagte mir sein Leid.
Ich sagte: »Die Tatsache bleibt, Nath, du bist Kommandant der Ergebenen Leibwache der Herrscherin. Die Herrscherin heißt jetzt Silda.«
»Ich will sie wahrlich nicht kränken – und auch nicht Seg oder dich oder Delia. Aber ich glaube, ich muß von meinem Posten zurücktreten.«
Ich nickte. »Und willst ein Regiment aufstellen? Das sich Delia widmet?«
»Aye.«
»Ich brauche dir nicht zu sagen, wie ich gefühlsmäßig dazu stehe, Nath. Ich danke dir. So etwas läßt sich mit Takt und Diskretion erledigen. Sorg nur dafür, daß die ELH das Eliteregiment bleibt, das sie stets gewesen ist.«
»Damit habe ich kein Problem.«
Viele Einzelheiten waren bei der Machtübergabe zu beachten. Naghan Vanki, der Oberspion des Herrschers, zeigte sich überraschend zugänglich, als ich ihm für seine Antwort dankte. Bis jetzt hatte er sich stets kühl und abweisend gezeigt. Er war Delia ergeben und schwor, seine Arbeit für Drak und Silda fortzusetzen.
Die Flotte traf ihre Vorbereitungen, und die Namen wurden ausgesucht. Ich will sie nicht alle hier anführen; so wie sie in meinem Bericht vorkommen, werden Sie ihnen begegnen.
Die beiden Zauberer und die Hexe aus Loh – die ich ungern mit dem besitzanzeigenden ›unsere‹ versehe, weil sie doch in ihrer magischen Art so überaus individualistisch waren – arbeiteten intensiv und auf raffinierten Wegen an Abwehrmaßnahmen gegen Csitras zauberbeflügelte Temperamentsausbrüche. Es kam der Tag, an dem sie mir mitteilten, daß sie ausreichend starke Maßnahmen vorbereitet hatten, um ihren thaumaturgischen Zorn in erheblichem Umfang abzuleiten.
»Ling-Li und ich fliegen mit euch«, sagte Khe-Hi und lächelte seine frischgebackene Ehefrau an. »Deb-Lu arbeitet auf Distanz.«
»Wenn wir Csitras Macht neutralisieren können«, bestätigte Deb-Lu, »liegt die Entscheidung in den Händen der Leute, die euch begleiten.«
»Ich setze mein Vertrauen in sie«, sagte ich, und das war nicht gelogen.
Zahlreiche Ereignisse traten ein, wichtige Entscheidungen wurden getroffen, aber ich werde Sie damit nicht belasten. Das Leben nahm seinen Fortgang, und jede Minute wurde ausgenutzt. Endlich kam der Augenblick des Aufbruchs.
Die Armada gegen Csitra stieg auf.
Schiffe waren zugegen, deren Namen Ihnen zum großen Teil bekannt sein müßten. Wir hatten keine Vorlcas, sondern flogen ausschließlich mit Vollern, deren Auf- und Antrieb mit Hilfe von zwei Silberkästen gesteuert wurde, die sich auf halbkreisförmigen Stangen bewegen ließen. Wenn die Silberkästen sich erschöpften, begannen sie matt und schwarz zu werden. Manchmal geschah dies übergangslos. Im allgemeinen jedoch hielten die Silberkästen so manche Jahresperiode.
Groß war der Jubel beim Start, groß das Gebrüll, laut das Klagen derjenigen, die zurückbleiben mußten. Deb-Lu winkte zum Abschied und versicherte uns, daß Csitra und ihr Uhu-Kind Phunik unseren Start nicht beobachten konnten.
»Remberee!« riefen wir hinunter, die Antworten verhallten, je höher wir aufstiegen. Wir nahmen Kurs auf Pandahem.
»Nun ja, mein alter Dom, wir haben es endlich geschafft.«
»Aye«, antwortete ich, »hoffentlich ist die Rückkehr so glücklich wie der Start!«
»Kopf hoch, du haariger alter Graint!« sagte Delia.
»Ja, Dray«, fügte Milsi hinzu. »Wenn alles vorüber ist, wirst du uns mit Delia in Croxdrin besuchen.«
»Darauf freue ich mich schon jetzt«, sagte ich. Meine Gedanken aber galten dem, was uns noch erwarten mochte. Hätte ich das gewußt ... nun ja, ich wäre wohl dennoch weitergeflogen, aber meine Stimmung wäre womöglich noch mieser gewesen.
Von Vondium aus legten wir einen südlichen Kurs vor, über die Küste und das Meer von Opaz, das im Licht der Zwillingssonne schimmerte. Nach einiger Zeit fielen wir nach Süd-Südosten ab, um die pandahemische Küste an der Bucht von Panderk zu überqueren. Direkt über Tomboram flogen wir, wobei wir scharf nach Osten über das Meer abbogen, um das Zentralgebirge Pandahems über die Koroles hinweg zu umgehen.
Der Anblick der verschlungenen Wasserwege zwischen den Inseln, der aus dem Meer aufsteigenden sattgrünen Berge brachte Erinnerungen zurück, das kann ich Ihnen sagen!
Links von uns erstreckte sich der Südliche Ozean, der allmählich in das Meer von Chem überging, als wir der Krümmung der Küste von Süden nach Südwesten weit genug gefolgt waren.
Diese Küste entlang war ich an Bord von Pompinos Jungfrau von Tuscurs gesegelt, eines prächtigen Argenters, den ich schließlich niedergebrannt hatte. Ich konnte diese Tat nicht bedauern, hatte sie mir doch geholfen, einen Sieg zu erringen; gleichwohl blickte ich ohne Freude darauf zurück. Unter uns wandte sich der Küstenstreifen hierhin und dorthin. Bald waren wir weit genug geflogen, um nach Norden zu wenden. Wir hatten uns dagegen ausgesprochen, bei unserem Flug dem Fluß des Blutigen Bisses zu folgen. An diesem Fluß lagen Milsis Ländereien. Wir wollten keine Aufmerksamkeit erregen oder den Buschtelegraphen alarmieren, der auch in dem dichten Dschungel, der nun unter uns lag, sein Werk getan hätte.
Der Voller, den wir benutzten, die Stolz von Vondium, war ein großes, prächtiges, überaus antriebsstarkes hamalisches Schiff. Delia sagte: »Milsi und ich müssen zur Rose von Valka hinüberfliegen. Wir wollen dort an einer Zusammenkunft teilnehmen.«
Es war noch genug Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit und unserem Kurswechsel. Dennoch reagierte ich mürrisch: »Du brauchst mir auch gar nicht zu sagen, worum es bei deiner tollen Zusammenkunft geht, Frau. Du bist schon zurück, ehe die Sonnen untergehen?«
»Lange vorher, du Kerl, der du zutreffenderweise Jak der Sturr genannt wirst!«
Als die beiden in einem kleinen Voller losgeflogen waren, sagte ich zu Seg: »Du weißt, was das soll?«
»Aye, es geht um die Schwestern der Rose. Ich gebe zu, ich bin froh, daß Milsi da mitmacht. Sie hat sich verändert, das stimmt, aber wohl doch zum Besseren. Sie kann von Glück sagen, daß Delia ...«
»Und Delia ist froh, daß du ein Mädchen wie Milsi getroffen hast.« Von Thelda sprach ich nicht.
»Wir werden es euch in Croxdrin schön machen, mein alter Dom«, sagte Seg begeistert. »Nur – daß du mir nicht wieder in den Fluß fällst!«
»Ich höre noch immer das Schnappen der hungrigen Mäuler, die mir an die Beine wollten.«
Seg lachte lauthals und legte den Kopf in den Nacken, und sein struppiges schwarzes Haar bewegte sich in der Flugbrise. Seine übermütigen blauen Augen musterten mich amüsiert. »Wir hatten unsere Wetten abgeschlossen.«
»Aye.«
»Ich wäre für etwas zu trinken.«
Schließlich saßen wir unten in der Kabine, hatten ein Bier vor uns stehen – für Wein war es noch zu früh – und sprachen über alles mögliche. Da ertönte die Stimme des Ausgucks wie eine gerissene Geigensaite.
»Segel ahoi!«
Wir kehrten an Deck zurück, ohne Eile.
Vom Meer her schwärmte eine Flotte Flugboote auf uns zu.
Jiktar Nogad ti Thorndax, Kapitän der Stolz von Vondium, ein erfahrener Offizier des Luftdienstes, rieb sich das Kinn.
»Erkenne sie nicht, Jis.«
Niemand wußte die Fluggebilde zu identifizieren. Als die Horde näher kam, zählten wir sie und stellten fest, daß es an die fünfzig waren, während wir nur achtunddreißig aufbrachten.
Seltsam erschien mir vor allem, daß die Boote untereinander identisch waren. Sie schienen alle der gleichen Baureihe zu entstammen.
»Wirklich seltsam«, bemerkte Vangar ti Valkanium, der uns begleitet hatte, obwohl er dazu bestimmt war, den Vallianischen Luftdienst zu übernehmen. »Habe noch nie eine Flotte gesehen, in der die Schiffe völlig identisch waren.«
Und noch immer rührte sich keine Besorgnis in meinem vernebelten Verstand.
Die Schiffe waren bunt angemalt und von fast mittelgroßer Bauart, aber mit zwei Decks versehen. Die Aufbauten wirkten gedrungen, aggressiv. Dort drüben hatte man im Gegensatz zu uns für hochgelegene Kampfplattformen nichts übrig, dafür gab es tiefliegende Kampfgalerien. Die Voller näherten sich mit ziemlich hoher Geschwindigkeit.
»Und die Flaggen?«
Teleskope waren auf die fünfzig Schiffe gerichtet. Es gab niemanden, der die Flaggen erkannte.
So bunt die eckigen Aufbauten auch waren, die eigentlichen Schiffskörper zeigten sich einheitlich schwarz gestrichen.
Ortyg Thingol, dessen braune Locken wippten, dessen helle Augen erregt funkelten, reichte mir ein Teleskop. Ich richtete es auf das führende Schiff.
Und ich erkannte die Wahrheit.
Wie in Opaz' Namen die ungeheuerlichen Geschöpfe hierherkamen, wußte ich nicht. Aber ich wußte, was ich dort sah und was sich daraus ergeben mußte.
Mit ruhiger, fester Stimme sagte ich: »Gefährten! Wir müssen uns auf einen Kampf gefaßt machen. Die Teufel dort sind Shanks.«