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»Sinnlos, nach Freiwilligen zu rufen«, sagte ich.
»Natürlich«, antwortete Delia.
»Da werde ich mir einfach ein paar geeignete Jungs aussuchen müssen.«
»Und Mädchen natürlich auch.«
»Ja, natürlich.«
Sie musterte mich. Wir nahmen das erste Frühstück ein, das aus Boskspeck, gebratenen Eiern und gewaltigen Mengen des hervorragenden kregischen Tees bestand, gefolgt von leckeren Palines. Ihr Blick traf mich bis ins Mark.
»Du brauchst gar nicht erst zu versuchen, dich allein davonzuschleichen. Ich nehme meine besten Mädchen mit. Dee Sheon sei meine Zeugin, Dray Prescot, ich lasse nicht zu, daß du dich törichterweise in den Bau dieses weiblichen Leem wagst, ohne ...«
»Ich weiß, ich weiß«, ächzte ich.
»Na, ich komme jedenfalls mit, soviel steht fest«, stellte Targon der Tapster fest.
Die übrigen Kommandanten der SWH und GJH meldeten sich mit ähnlichem Begehren.
Nath na Kochwold, Kapt der Phalanx, hielt eine Paline zwischen den Fingern hoch, starrte mich an und sagte: »Ich könnte sofort mit losziehen«, und steckte die Frucht freudvoll in den Mund.
Niemand kam auf den Gedanken, daß ich ihn nicht mitnehmen könnte, wenn es darum ging, die unvorstellbaren Schrecknisse des Coup Blag zu überwinden.
Die Situation war nicht ganz dieselbe wie damals, als ich nach Hyrklana ausgerissen war, um Naghan die Mücke, Tilly und Oby aus dem Jikhorkdun zu holen. Sie war ähnlich, aber nicht identisch.
Korero der Schildträger sagte einfach: »Es ist mal wieder an der Zeit, daß ich dich auf ein Abenteuer begleite.«
In dieser Phase des Feldzuges hatte ich alle Regimenter meines Gardekorps bei mir in der Achten Armee und war folglich von dermaßen vielen Kampeonen umgeben, daß das goldene Funkeln von Schmuck und Medaillen auf die Augen gehen konnte.
Ich wandte mich an Nath Karidge, einen gutaussehenden, mutigen Kavalleristen, der Delias ELH befehligte: »Du würdest zu Fuß gehen müssen, Nath, wenn du Glück hast. Im Coup Blag und in den Engen Hügeln kann man keine Zorcas reiten.«
»Von Zeit zu Zeit muß man eben Opfer bringen.«
Ich staunte.
Mazingle – mit diesem Wort belegen die Swods den Begriff der Disziplin. Die Leute, die mich im Augenblick umgaben, waren überaus mazarna. Damit wird das Fehlen von Disziplin bezeichnet, eine gewisse Widerborstigkeit. So konnte man diese Leute wahrlich nennen.
An diesem Nachmittag, und das war typisch für ihn, wurde Nath Karidge beobachtet, wie er sich einen riesigen, mit Sand beschwerten Sack auf den Rücken schnallte, allerlei Waffen und eine riesige Wasserflasche umhängte und in festen Stiefeln über das weite Moor schritt. Als Reiter wollte er sich für einen längeren Marsch fit machen. Typisch für ihn!
Bei seiner Rückkehr sagte er zu mir: »Bei Lasal dem Vakka! Meine Beine sind weich wie Lehm.«
»Du wirst bei der Herrscherin bleiben«, sagte ich.
Er starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
»Wo sonst?« würgte er hervor.
Ich schüttelte den Kopf. Diese Burschen! Nath Karidge war glücklich verheiratet und hatte kürzlich neuen Nachwuchs bekommen. Dennoch würde er sein Leben frohgemut für Delia aufs Spiel setzen. Aus diesem Stoff sind die Vallianer, die ihre Loyalität nicht blindlings verpfänden.
Kürzlich hatte Covell von der Goldenen Zunge einen hervorragenden neuen Gedichtzyklus vorgestellt, der den Helden Vallias gewidmet sein sollte. Er forschte dringend nach allem, was über diese Männer und Frauen zu erfahren war, und gab sich große Mühe, ihre Geschichte zu erfahren. In seinen Versen entsprachen Tonfall und Versmaß genau der Persönlichkeit und den Taten des Beschriebenen. San Covell von der Goldenen Zunge war wahrlich ein meisterlicher Dichter.
Besonders schlimm an Csitras Mordversuch an Delia war für mich der Umstand der Tat selbst. Das arme Mädchen, dessen Verstand von der Hexe besetzt worden war, wußte natürlich nichts von den Ereignissen. Sie war vor kurzem erst aus Vondium gekommen, um sich ihrem Regiment anzuschließen.
»Und wie viele Leute aus Vondium sind noch von diesem weiblichen Vampir besessen?« fragte Delia. »Bestimmt hat sie sie auf der Suche nach dir durch ganz Vallia geschickt!«
»Ja.«
»Jetzt weiß sie, wo du bist. Müssen wir uns nun auf eine neue schreckliche Tat gefaßt machen?«
»Wenn sie dazu in der Lage wäre, hätte sie längst damit begonnen. Ich nehme an, Deb-Lu hat ihren Fähigkeiten einen Dämpfer aufgesetzt.«
»Das will ich hoffen, bei Vox!«
Kurze Zeit später erschienen Khe-Hi-Bjanching und Ling-Li-Lwingling, die sich ebenfalls unverrückbar entschlossen zeigten, an der Expedition in den Coup Blag teilzunehmen. Diese beiden hatte ich nun wirklich gern dabei.
Wenn sie mit uns – also mit Delia – reisten, war der Gedanke an die Hexe doch nicht ganz so bedrückend.
Mit dieser – zugegeben wenig sicheren – neuen Entwicklung der Dinge konnte ich nun die Entscheidung treffen, die mir bisher so schwergefallen war.
Zu den versammelten Armeeoffizieren sagte ich: »Soeben erreicht mich die Nachricht, daß Prinz Drak und Kov Seg sich zusammengeschlossen haben und zum Fluß der Goldenen Sliptingers vorrücken. Ihre Gegner erscheinen plötzlich wesentlich geschwächt, so daß sie unerwartet gut vorankommen.«
Kapt Erndor brummte vor sich hin und sagte: »Wir wissen also, was bevorsteht.«
»Aye«, antwortete ich, und der grimmige Ton, den ich anschlagen mußte, gefiel mir ganz und gar nicht. »Uns sind in jüngster Zeit erhebliche Verstärkungen zugeflossen. Du solltest schleunigst deine Neunte Armee umbauen, Erndor, und dafür sorgen, daß du einige der besseren Regimenter auswählst.«
»Danke, Jis, das tue ich. Was befiehlst du?«
»Erndor! Natürlich sollst du in enger Formation losmarschieren und diesen Allergrößten Nath zerdrücken!«
»Wenn ich richtig vermute und er seine Front gegen Prinz Drak und Kov Seg geschwächt hat, wird er vermutlich seine Stellungen an Losobrins Kamm und seine Kasernen in Erdensmot verlassen und einen Angriff beginnen.«
»Genau dazu wollten wir ihn doch bringen, oder?«
»Und ob!« sagte Nath Famphreon. »Obwohl er nun unweigerlich sehr kampfstark antreten wird. Es liegen klare Berichte vor, wonach sich ihm täglich neue Söldner anschließen.«
»Es kommt also nicht in Frage, zum Coup Blag zu fliegen, ehe wir den Burschen kleingekriegt haben. Wenn seine Paktuns bis auf den letzten Mann nach Hause gelaufen sind und das Land wieder Frieden hat – dann können wir darüber reden.«
Nun ja, wie gesagt, gedenke ich den nordvallianischen Feldzug nicht im einzelnen zu schildern. Es kam zu etlichen Schlachten und einigen Belagerungen, außerdem wurde viel marschiert, verdammt viel marschiert. Schließlich konnten wir uns auf eine Konfrontation vorbereiten, von der wir hofften, daß es die letzte und entscheidende sein würde. Der selbsternannte König von Nord-Vallia hatte beinahe seine gesamten Streitkräfte im Westen gegen uns massiert, in der Hoffnung, uns niederringen zu können, ehe er sich wieder gegen Drak und Seg wandte.
Beim Berechnen der Aussichten war mir natürlich auf schmerzhafte Weise klar, daß ich hier das Leben von Männern und Frauen aufs Spiel setzte. Aber dieses letzte Mal ... bis die unsäglichen Shanks an unseren Küsten auftauchten.
Die beiden Armeen waren guten Mutes. Einige Einheiten hätten noch Schliff gebraucht; viele waren aufgrund früherer Einsätze bereits zu Veteranen geworden, und über allem standen natürlich die Kampeone, die Helden von Vallia, Männer und Frauen, die man nicht genug lobpreisen kann.*
Kapt Erndor wunderte sich sehr über eine seltsame Tatsache, die sich bald nicht mehr übersehen ließ. Er hatte die 30. Infanterie-Division unter seinem Kommando. Bei unserer letzten Begegnung vor dem Kampf sagte er zu mir: »Komisch, bei Vox! Die 11. Churgurs haben Jiktar Nogad ti Vendleheim als Kommandeur. Dabei war ich sicher, daß der alte Hack-und-Stich dort das Ruder in der Hand hätte.«
In der flachen Moorlandschaft war weit entfernt die gegnerische Armee auszumachen. Ich begleitete Kapt Erndors nächste Worte mit einem Nicken. »Also, auf daß Opaz heute mit dir reite – ich ziehe los.«
»Opaz sei mit dir, Erndor.« Dann konzentrierte ich mich auf das Kommende. Die Vorbereitungen waren vorüber; was jetzt nicht erledigt war, würde nicht mehr an die Reihe kommen.
Die Armeen standen sich in der weiten Moorlandschaft Erstveheims gegenüber. Einsam erhob sich ein winziges Dorf zwischen den Fronten – ein knappes Dutzend verfallen wirkender Häuser, eine Taverne, eine Poststation und ein Tempel zu Ehren des zweifelhaften hiesigen Gottes. Das Dorf hieß Bengarl. Unfreundlicherweise nannten die Swods die Gegend Bengarls Plage, und so kam schließlich die Schlacht zu ihrem Namen.
Die Luftduelle wurden mit großer Heftigkeit ausgetragen. Vögel wirbelten in der grellen Sonnenstrahlung flatternd umeinander. Viele stürzten ab. Schiffe brannten. Diese Phase des Kampfes dauerte länger als normal, so daß unsere Vorhut in Scharmützel verwickelt wurde, ehe der Luftraum völlig gesäubert war.
Für uns gab es nicht den geringsten Zweifel, daß sich der Vallianische Luftdienst und unsere Flutduinschwadronen durchsetzen würden. Gegen heftigen Widerstand dauerte es eben nur länger.
Die Störer, die auf Kregen Kreutzin genannt wurden, rasten herbei, warfen ihre Spieße und verschossen ihre Bögen, ehe sie wieder geschmeidig-geschickt davonhuschten. Doch ganz ungeschoren kamen sie nicht davon.
Unser Dustrectium* entfaltete seine tödliche Wirkung. Die hervorragend ausgebildeten vallianischen Bogenschützen mit ihren lohischen Langbögen zerrissen so manche gegnerische Formation. Aber auch auf der Gegenseite standen Bogenschützen aus Loh, Paktuns, die sich ihren Sold verdienten. Das Bogenschützenduell entwickelte sich zu einer bitteren Auseinandersetzung.
Nicht gewillt, meine Jungs eine solche Strafe bewegungslos erdulden zu lassen, gab ich der nachhaltig ausgesprochenen Bitte eines allgemeinen Vorrückens nach. Ein feuchter Duft nach feuchtem Gras und feuchter Erde lag in der Luft, dazwischen machte sich Stechginster mit winzigen purpurnen Blüten bemerkbar. Die Strahlen der Sonnen versuchten Nebelschwaden zu durchdringen. Die Front rückte vor.
Unsere Phalanxen, eine kampfentscheidende Waffe, schlossen die Formation enger. Die langen Spieße ragten im gleichen Winkel empor, und auf Befehl senkten sich die Lanzen der ersten fünf Reihen und richteten die tödlichen Spitzen auf den Gegner. Banner wehten im Winde. Trompeten tönten schrill durch den Wind. Mit erhobenen scharlachroten Schilden, mit schimmerndem bronzebesetzten Rüstungen, die Helme grimmig gesenkt – so gingen die Brumbyten zum Angriff vor.
Nichts vermochte ihnen Widerstand zu leisten. Sie fegten Reihen von Kavallerie und Infanterie gleichermaßen zur Seite. Umgeben von ihren Hakkodin, den beidhändig zupackenden Schwertkämpfern, umgeben von Axtstreitern und Hellebardieren, wirkte die Phalanx wie der Gestalt gewordene Zorn Gottes.
Unsere Aufgabe beschränkte sich darauf, die Armee zu halten. Wir mußten den Gegner lahmlegen und festhalten, ihn am Ort festnageln. Wir waren der Amboß.
Kapt Erndors Neunte Armee sollte der Hammer sein.
Die Phalanxen stoppten ihren Ansturm, als die Hörner ertönten. Die Brumbyten verharrten in kompakter Masse, Reihe um Reihe, Relianch um Relianch, Jodhri um Jodhri. Die Bogenschützeneinheiten liefen in den Pausen vor, um den wankenden Gegner mit Pfeilsalven einzudecken. Und die Flaggen! Die über der Phalanx wehenden Flaggen erwärmten mein Herz, das kann ich Ihnen sagen! Auf dem Untergrund meiner persönlichen Kampfstandarte, einer schlichten Farbe aus gelbem Kreuz auf scharlachrotem Feld, waren die Insignien der Brumbyten mit Gold- und Silberfaden aufgestickt. Jede Relianch zeigte ihre eigenen Farbe, ein klares Signal an die Welt, wer dort zum Kampf bereit stand. Diese Farben hatte nichts mehr mit meiner eigenen persönlichen Flagge zu tun, dem Zeichen, das die Swods die Alte Kampfflagge nannten.
Dieses Symbol wurde von Cleitar der Standarte in den Kampf geführt, während Ortyg der Tresh die Unionsflagge Vallias hochhielt. Volodu die Lungen war zur Stelle und hielt seine mächtige zerdrückte Trompete bereit, Signale über das Schlachtfeld schallen zu lassen. Wie immer manipulierte Korero der Schildträger seine Schilde. Ja, die kleine Gruppe rings um Delia und mich lag mir wahrlich sehr am Herzen.
Links und rechts aufgereiht warteten die Gardetruppen. Sie waren ausnahmslos zur Stelle. Auch Delias Gardekorps erwartete den Befehl zum Einsatz.
Unsere schwere Infanterie trampelte vorwärts wie eine Elefantenherde in vollem Angriff. Die Bogenschützen ließen in ihrem dichten Beschuß nicht nach. Unsere Artillerie, Varters und Katapulte überschütteten die feindlichen Linien mit Felsbrocken und Bolzen.
Wieder rückten die Phalangen vor, diesmal Schulter an Schulter mit den Churgurs. Die grausamen Lanzenspitzen wurden gesenkt, die Schilde kamen hoch, jeder Helm neigte sich vorwärts. In Rot und Bronze, wie es in Vallia heißt, griffen die Brumbyten an.
Die Söldnerstreitkräfte, die Nath dem Allergrößten dienten, gerieten ins Wanken. Es waren gute kregische Paktuns; sie kämpften und verdienten sich ihren Sold. In diesem Punkt konnte ich den Kämpfern nichts nachtragen.
Nath na Kochwold ritt auf seiner Zorca herbei; aufgeregt schwenkte er den Arm.
»Großartig sind sie, großartig!«
»Ja, Nath. Die ganze vallianische Armee ist großartig.«
Er lachte entzückt. »O ja. Aber von allen Einheiten – meine Phalanx! Sie bietet die wahre Pracht!«
Er ritt weiter; so bewegte er sich von einem Flügel unserer Formation zum anderen und fand zwischendurch Zeit, mir Bemerkungen zuzurufen.
Nath Famphreon, Kov von Falkerdrin, hätte normalerweise eine ziemlich große Streitmacht befehligt. Aber er hatte zu lange im Schatten seiner erdrückenden Mutter gestanden und gebeten, als mein Adjutant in den Kampf reiten zu dürfen; damit war ich einverstanden. In diesem Augenblick trieb er seine Zorca zu höchster Eile an und winkte mir heftig zu.
Als er auf einer Höhe mit uns war, entfuhr es ihm: »Der raffinierte Cramph! Er hat eine Kavallerieeinheit an seiner Flanke aufgeboten, die uns an der linken Seite angreifen soll.«
»Unsere Kavallerie auf der linken Seite wird sich darum kümmern«, antwortete ich bewußt gelassen. Ich hatte mich nicht erkundigt und wußte daher nicht, ob Nath Famphreon schon einmal einen großen Kampf gesehen, geschweige denn daran teilgenommen hatte.
Der Überraschungsangriff Naths des Allergrößten an unserer linken Flanke konnte nur ein Ergebnis haben, nachdem unsere Chuktare ihre eigene Kavallerie in Position gebracht hatten. Wie man mir hinterher berichtete, war es eine interessante Auseinandersetzung. Unsere Totrixes und Nikvoves, unterstützt von einer ziemlich großen Swarth-Einheit, rieben die feindliche Kavallerie auf.
Bei dieser Aktion hielten wir unsere Zorca-Kavallerie noch zurück.
Viele Zorca-Reiter, die noch nach Filbarrkas Regeln ausgebildet worden waren, schossen und warfen ihre Lanzen und richteten beim Gegner eine heillose Verwirrung an.
Spiralenförmig senkte sich ein Kampfvogel herab; da es sich um einen Flutduin handelte, blieb das Mädchen im Sattel ungeschoren.
»Majister!« rief sie über unseren Köpfen. »Die Neunte rückt auf. In zwei Burs schlägt sie zu!«
»Ausgezeichnet!«
»Die Dinge scheinen ziemlich gut zu stehen«, bemerkte Delia, »auch wenn ich Berichte höre, daß unsere Ausfälle zunehmen.«
Auf diese letzte Bemerkung brauchte ich nicht zu antworten. Delia, das wußte ich, teilte meinen Abscheu vor dem Krieg und seinen Folgen. Hier aber mußten wir kämpfen, und wenn es nicht anders möglich war, dann kämpften wir so rücksichtslos und gut, wie wir konnten. ›Ausfälle‹ – das Wort allein klingt unangenehm.
Der Wind veränderte böig die Richtung und trug wechselnde Kampflaute an unsere Ohren. Unsere Flug-Segler waren herbeigekreuzt und begannen bei der Auseinandersetzung eine wichtige Rolle zu spielen; im Augenblick bemühten sie sich, in Position zu bleiben. Einer oder zwei waren von nach oben gerichteten Varters zum Absturz gebracht worden.
Targon der Tapster lenkte seine Zorca herbei; offensichtlich hatten die Kameraden ihn geschickt.
»Targon?« fragte ich.
Ich wußte aber schon, was er wollte.
Er schlug einen förmlichen Ton an, da die anderen ihn hören konnten: »Jis, man hat mir den Auftrag anvertraut, dich zu bitten, uns ...« Dann ging es aber nicht mehr, und es entfuhr ihm: »Laß uns loslegen, bei Vox und seiner gerüsteten Streitmacht!«
»Dazu ist später noch Zeit.«
Er schaute mich aufmüpfig an, wußte aber, wie ich dachte.
»Dann laß es recht bald Zeit werden. Sonst wird sich die Phalanx nach dem Kampf unausstehlich gebärden ...«
Die alte Rivalität! »Sie schlägt sich gut. Das gleiche wird für euch gelten. Du mußt die Jungs nur im Griff behalten, bis sie das Kommando bekommen!«
»Quidang!«
Er trabte zu seinen Kameraden zurück, die erwartungsvoll zusammenstanden; Ordonnanzen hielten die Zorcas in einiger Entfernung ruhig. Ich wußte, was in den jungen Männern vorging, o ja! Aber wenn ich sie im falschen Moment in die Schlacht schickte, würden sie darunter leiden müssen.
Eigentlich sollte ich mit ihnen reiten; aber darauf mußte ich verzichten, denn dabei wäre mir Delia nicht von der Seite gewichen.
»Ich glaube«, sagte Delia und füllte damit das Schweigen, das zwischen uns eingetreten war, »ich glaube, das Mädchen, das uns da eben aus dem Sattel des Flutduin Meldung machte, war Trudi ti Valkanium, eine Verwandte Vangars, was du vermutlich nicht weißt, obwohl du der Strom von Valka bist.«
»Ich wußte es«, sagte ich ruhig.
»Sie hat sich lieber zu den Flugkämpfern gemeldet als zu den Flugbooten. Vangar konnte das gar nicht verstehen.«
»Er wird bald Farris' Posten übernehmen, das Kommando über den Vallianischen Luftdienst. Farris aber ...«
»Ich weiß. Aber er wird uns keinen Bewegungsspielraum lassen, obwohl ich es ihm angedeutet habe.«
Welch ein elendes Leben, wenn einem nichts anderes bleibt, als alt zu werden und zu sterben!
Solche Äußerungen und Gedanken entstanden natürlich vor allem angesichts der schlimmen Szenen, die sich auf dem Schlachtfeld entwickelten und die uns immer wieder zu schaffen machten.
Die rollenden Attacken der beiden Phalanxen, die wir heute einsetzen konnten, wirkten wie Rammstöße gegen weiche Felsen. Auf ganzer Breite der Front stießen feindliche Armeen aufeinander. Unsere schwere Infanterie, die Churgurs, griff in disziplinierter Gruppe an und schleuderte die Spieße. Diese massigen Stuxes zerschmetterten Schilde und rissen sie aus den Händen der Feinde. Anschließend nahmen die Fußsoldaten ihre Schilde nach vorn, zogen die Drexer und rückten mit der Waffe in der Hand gegen ihre Feinde vor.
Drak hatte aus dem Südwesten die Erste Phalanx und die Fünfte Kerchuri der Dritten Phalanx mitgebracht. Jede Phalanx war in zwei Flügel, Kerchuri genannt, unterteilt. Jede Kerchuri bestand aus sechs Jodhris, deren jede aus sechs Relianches. Die Sechste Kerchuri der Dritten Phalanx hatte sich mit ihrer anderer Hälfte, die aus Turkos Neunter Armee kam, vereinigt. Hoch oben im Nordosten, befehligt von Drak, marschierte die zweite Phalanx uns entgegen. Seg hatte die Vierte Phalanx bei sich. Was die Fünfte anging, so war deren Neunte Kerchuri noch in Vondium stationiert – eine durchaus angebrachte Vorsichtsmaßnahme –, während die Zehnte bei Drak war.
Sie können sich also ausrechnen, daß Kapt Erndor, der wie ein Hammer zu unserem Amboß wirken sollte, keine Phalanx bei sich hatte.
Unsere Erste und Dritte Phalanx waren – so wurde von vielen behauptet, von vielen aber auch vehement bestritten – die beiden besten Lanzenformationen der vallianischen Armee. An diesem Tag der Bengarischen Schlacht gaben sie eine hervorragende Vorstellung.
Mir ging die Frage durch den Kopf, was Erndor wohl gemeint hatte, als er sich überrascht zeigte, daß der Jiktar mit dem Spitznamen Hack-und-Stich nicht das 11. Churgur-Regiment befehligte. Außerdem fragte ich mich, wie es wohl der neuen 30. Infanterie-Division erging. Diese Einheit war Erndor überlassen worden, damit er sich nach hinten abschirmen und sein Vorrücken abdecken konnte. Erndor hatte unsere gesamte berittene Infanterie bei sich. Noch waren die alten Zeiten nicht ganz vorbei, da wir Berittene auf praktisch alle Tiere gesetzt hatten, die wir finden konnten. Noch gab es Regimenter mit Preysanys, Reiter, die allerlei grobe Witze über ihre Tiere auszuhalten hatten.
Sie können sich bestimmt vorstellen, daß ich mich auf den Tag freute, da mein Kregoiyne-Kamerad Pompino zurückkehren und uns aus Pandahem eine große Hersany-Herde mitbringen würde. Irgendwie fehlte mir mein Khibil-Gefährte sehr.
Dabei verzichte ich an dieser Stelle darauf, die Göttliche Dame von Belschutz anzurufen.
Delia stellte sich in ihren Steigbügeln auf, um nach rechts zu schauen. Augenblicklich drehte sich ihr Schildträger, ein kräftig gebauter und lethargisch-gefährlicher Djang namens Tandu Khynlin Jondermair, im Sattel herum und justierte seinen Doppelschild. Die Bewegung führte dazu, daß sein Reittier einer Zorca in die Quere kam, die von einem Kurier geritten wurde. Tandu achtete gar nicht darauf.
Tandus Sohn Dalki hielt Delias persönliche Standarte hoch.
Delia sagte: »An der rechten Flanke bewegt sich etwas.«
Wer immer sich der Aufgabe stellt, eine Schlacht im Detail zu schildern, muß sich auf Informationen stützen, die er von vielen Leuten zugetragen bekommt. Niemand kann alles sehen – nicht einmal der Oberbefehlshaber.
Worum es bei dem Durcheinander ging, schilderte uns kurze Zeit später ein rotgesichtiges Mädchen, das ihren Flutduin hastig landete und zu unserer Kommandogruppe eilte. Ihre Worte deuteten darauf hin, daß der König von Nord-Vallia nicht nur clever sein wollte, sondern sich einbildete, einen Weg gefunden zu haben, unsere Phalanx zu besiegen.
Der erste Angriff gegen unsere linke Flanke war dazu bestimmt gewesen, unsere berittenen Kämpfer abzuziehen. Es war uns aufgefallen, daß die nordvallianischen Söldner nicht die erwartete Kampfstärke aufbrachten. Nath der Allergrößte hielt mit einer erheblichen Streitmacht hinter dem Berg und jagte nun eine ziemlich große Kavallerieformation gegen unsere rechte Flanke, mit der Absicht, die rechts stehende Phalanx in die Seite zu treffen.
»Wir sind der Amboß«, sagte ich. »Wir halten stand.«
Wie es sich gehörte, nahm die Erste Phalanx die äußerste rechte Formation ein. Ich bezweifelte nicht, daß sie den Angriff überstehen würde.
Flankiert von einer Division Churgurs, ausgerüstet mit Hakkodin und Bogenschützen, unterstützt von unserer Kavallerie auf der rechten Flanke, konnte sie die angreifenden Reiter-Paktuns aufs Horn nehmen, festhalten, festnageln – und bis dahin würde Kapt Erndor zur Stelle sein.
Nun ja, das war eine leichte Theorie, leicht für mich, der ich weit hinten auf dem Rücken eines Nikvove saß. Für die Swods in den Einheiten sah die Sache natürlich anders aus, auch wenn sie letztlich zum selben Ergebnis führen sollte – das wußte ich – bei Vox! –, das wußte ich nur zu gut.
Einer unserer Ausfälle, ein einfacher Swod, stammte aus Delias Regiment der Schwestern der Rose. Ein Mädchen, das mutig und geschickt kämpfte und mutig starb. Sie hieß Fruli Venarden. Sie war erst vor kurzem aus Vondium zu uns gestoßen. Zwischen ihrem Eintritt und ihrem Tod hatte sie versucht, die Herrscherin von Vallia mit einem langen schmalen Dolch zu ermorden.
Ich äußerte mich allgemein für die Umstehenden.
»Ich glaube, der kritische Augenblick ist gekommen. Jetzt wäre es an der Zeit.« Ich wandte mich an Nath Famphreon. »Nath, wärst du bitte so nett, zu Targon und den anderen wilden Burschen hinüberzureiten und zu fragen, ob sie wohl mal losreiten und die Angreifer ausschalten würden, die da unsere rechte Flanke aufs Korn nimmt?«
»Aus ganzem Herzen, Majister. Ich werde mit den Männern reiten.«
»Das darfst du gern, Opaz sei mit dir. Aber eins muß klar sein, Kov Nath – du reitest in deiner Freizeit in den Kampf. Ich bezahle dir deinen Lohn nicht, damit du dich im Kampf umbringen läßt.«
Darüber mußte er lachen, ein munterer junger Mann, den der Tod seiner Mutter in eine Welt der Freiheit entlassen hatte, deren Existenz er sich niemals hätte träumen lassen. »Für dieses Privileg würde ich eher dich bezahlen, Majister!«
Dann jagte er zu den Kommandeuren meines Gardekorps. Die verschwendeten keine Zeit. Erfahrene Kämpfer waren sie alle, erfahren im Bürgerkrieg und Aktionen gegen Sklavenhändler und Aragorn und Räuber, die über das Meer kamen; sie waren es gewöhnt, sich ihren Sieg zu holen. Im Handumdrehen setzten sie sich in Bewegung.
Es gab ein schreckliches lärmendes Durcheinander, übertönt vom unerträglichen Schreien verwundeter Männer und Tiere, überlagert von Blutgestank, begleitet von einem intensiven Staubgeschmack auf der Zunge, obwohl das Noorgras feucht war, durchdrungen vom Licht der Zwillingssonne, das sich in dem dichten Nebel nur als gespenstisches Zwielicht bemerkbar machte und alle Lichter leichenblaß erschienen ließ. Nun ja, wie ich schon sagte, kam es hier zur Schlacht von Bengarls Plage, und Männer und Frauen starben, und Kapt Erndor rückte heran und bildete den Hammer, der die Söldnerarmee des Königs von Nord-Vallia zerdrückte wie eine Frucht in der Weinpresse.
Ich möchte mich nicht daran festhalten.
Wir siegten.
Die Schlacht kostete uns einen hohen Preis. Es gab viel mehr Gefallene, als mir recht sein konnte, viel mehr, bei Zair!
Unsere Verwundetenversorgung war im Laufe der Perioden immer mehr verbessert worden, und so bewegten sich die dunklen verhüllten Karren vorsichtig zwischen den Leichen und suchten nach Überlebenden. Die Nadelstecher und Punkturfrauen hatten viel zu tun.
Unsere leichte Boden- und Luftkavallerie übernahm die Verfolgung. Man durfte nicht zögern, den Sieg eindeutig zu machen.
Die Gefangenen – und derer gab es viele – wurden unterrichtet, daß man sie einbürgern werde. Obwohl die Regel schon lange bestand, wußten viele noch nicht, daß Vallia keine Söldner mehr einstellte. Sie waren erstaunt, ein Nein zu hören, als sie ihre Dienste anboten. Sie hatten gut gekämpft und sich ihren Sold verdient. Sie hatten ihren Verträgen Ehre gemacht! Warum lehnten wir sie also ab?
Ich wußte, ich würde mir diese Politik noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Wenn wir nun Paktuns aus fremden Ländern für uns hätten kämpfen lassen, gegen Sold, dann lägen sie jetzt anstelle von vallianischen Bürgern tot auf dem Schlachtfeld. Wäre das nicht ein besseres Los für Vallias Söhne und Töchter?
Wir stiegen von unseren Nikvoves, und Delia sagte zu mir: »Komm schon, du haariger Graint! Man wird sich um alles kümmern. Bengarls Plage ist ein großer Sieg. Nun komm ins Zelt und wasch dich und iß und trink.«
»Aye«, sagte ich. »Und jetzt ist Vallia wieder ganz und vollständig.«