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»Du bist also zurückgekommen«, sagte Frau Tlima und wischte sich die mehligen Hände an der blaugestreiften Schürze ab. »Ich habe ja immer wieder gesagt, du würdest zurückkehren, Dray der Bogandur – obwohl du dich jetzt Jak nennst.«
»Wenn es dir gefällt, Frau Tlima. Ich habe immer schon Jak Dray geheißen.«
»Ach, das geht mich nichts an.«
»Wahrscheinlich heißt du nach dem gemeinen Herrscher«, sagte Nath der Verstockte, und ich fuhr zu ihm herum. Obwohl sein Tonfall sehr gemäßigt war, lag doch ein spürbarer Zorn in seiner Stimme.
»Pantor Seg!« rief Tlima, ohne auf Naths Ausbruch zu achten. »Gieß dir etwas von unserem hiesigen Bier ein. Wir haben auch frisch gepflückte Palines.«
Seg setzte sein gewinnendes Lächeln auf. »Du behandelst arme geplagte Reisende wie immer gut, Frau Tlima. Nicht zuletzt geplagt durch diesen jungen Ortyg.«
»Du nimmst ihn doch wohl nicht ins Drachennest mit, oder?«
»Er ist kein gefühlloser Bursche, sondern ein Mann mit dem Mut eines Mannes.«
Ortyg hielt vernünftigerweise den Mund, obwohl ich zugeben muß, daß dieser Umstand zu einem Teil auf die Ladung Palines zurückging, die er gerade kaute.
Während dieses netten Wortgeplänkels kamen meine Gedanken nicht von dem schlimmsten neuen Problem fort, das sich uns in Paz bot. Wir besaßen Flugboote. Diesen Vorteil hatten wir stets auf unserer Seite gesehen, eine Art As im Ärmel. Jetzt mußten wir aber erkennen, daß auch die Shanks – oder Schtarkins oder Shants, wie immer die von der anderen Seite der Welt stammenden elenden Fischköpfe genannt wurden – Flugboote in ihrem Besitz hatten und uns damit tüchtig einheizen konnten.
Gestrandet in dieser unbedeutenden kleinen Stadt in der Tiefe des südpandahemischen Dschungels, konnte ich nur noch daran denken, daß ich die Herren der Sterne anrufen mußte.
Daß sie mich rufen würden, wenn sie mich brauchten, stand für mich fest. Bei Vox! Sie würden einiges erklären müssen!
Wieder einmal beschäftigte mich die Frage der Prioritäten. Ich mußte mich mit Csitra befassen, keine Frage. Ebenso mußten die Shanks abgehandelt werden, auch klar. Bei allen flammenden Höllen – was hatten die Shanks in Flugbooten über Pandahem zu suchen, wenn meine Geheimberichte keinen Zweifel daran ließen, daß sie sich unzählige Meilen entfernt in Mehzta befanden?
Die einzige Erklärung schien zu sein, daß wir es hier mit einem neuen, anderen Haufen Fischköpfe zu tun hatten.
Frau Tlima sagte: »Wir haben gestern ein Boot durch die Luft fliegen sehen. Es landete dicht vor der Stadt. Die Leute, die darin saßen – ganz einfache Diffs – gingen ins Drachennest.«
»Ah!«
»Ich bitte dich, Pantor Seg! Du willst wirklich wieder dorthin?«
»Und ob, Frau Tlima.«
»Also, da bleibt mir nur zu hoffen, daß der gute Pandrite über dich wacht.«
Im Drachennest waren Expeditionen zusammengestellt worden, die in die Engen Hügel zum Coup Blag hinaufzogen, um die dort angeblich verborgenen Schätze zu heben. Seg und ich hatten an einer solchen Expedition teilgenommen. Nun schien sich eine weitere zu bilden – aus einer Gruppe, die einen eigenen Voller hatte. Bestens!
»Erst mal abwarten, ob man uns mitnimmt«, sagte Seg auf dem Weg durch die staubige Hauptstraße, kurz bevor es zu regnen begann.
»Oh«, erwiderte ich frohgemut, beinahe hochmütig in meiner dummen Anmaßung. »Und ob man uns mitnimmt. Wir waren doch schon mal dort.«
»Das stimmt, mein alter Dom, das stimmt.«
»Ich komme auch mit«, schaltete sich Ortyg ein.
»Ach?«
»Gewiß doch, Jak. Das steht zweifelsfrei fest.«
»Wenn ich dich in der Ausbildung gehabt hätte«, sagte Nath der Verstockte, »wärst du im Nu Hikdar gewesen – und Kampeon noch obendrein!«
Wieder stellte uns Frau Tlima die schlichte Kleidung dieser Gegend zur Verfügung, als Ersatz für unsere verbrannten und zerrissenen Sachen. Wir hatten sie bezahlt, diesmal in vallianischem Gold, worüber sie sich nicht äußerte. So näherten wir uns nun der berühmten Veranda des Drachennests.
»Überlaßt Seg das Reden!« bat ich die anderen beiden.
»Aye, Jak«, erwiderten sie.
»Denkt daran – wir stammen nicht aus Vallia. Oh, unsere Heimat ist Nord-Pandahem. Diese Leute sind hier zwar nicht sonderlich beliebt, aber auch nicht so verhaßt wie die Vallianer oder Hamalier.«
»Hier ist alles Pandrite und Armipand – denkt daran, wenn ihr mal einen Fluch loswerden wollt.« Seg sog die Luft durch die Nase ein und sagte: »Squish-Kuchen.«
»Ausgezeichnet. Wenn ihr nun ...«
Aber schon hatten wir das Drachennest erreicht und traten nacheinander ein.
Am anderen Ende der hölzernen Veranda, die als Schutz vor Hitze und Regen grün überwuchert war, waren streitende Stimmen zu hören. Zwei große stämmige Männer brüllten dort aufeinander ein.
»Bei Krun!« äußerte eine hohe nasale Stimme. »Du nennst dich hoher Herr! Dabei bist du nichts Besseres als ein Hoppereiter, der ständig die Nase im Schlamm hat.«
»Du bist ein Kov«, kam die Antwort in einem mächtigen Tonfall, der wie befeuchteter Stahl zu schneiden vermochte. »Und ich bin ebenfalls ein Kov. Daß du aus Hamal stammst, erstaunt mich irgendwie.«
»Erstaunt dich? Lehmfresser? Es erstaunt doch viel mehr, daß ein Edelmann aus einer so hochstehenden Nation auch nur einen Fuß auf diese stinkende Insel setzt!«
»Nein, Kov Hurngal ham Hortang. Es erstaunt mich, daß mein Rapier nicht längst versucht hat, durch deinen Wanst einen Weg zu deinem Rückgrat zu finden.«
»Du sitzt mir zu sehr auf dem hohen Roß«, sagte die nasale Stimme und wurde tiefer. »Ich werde dir eine Lektion erteilen müssen, du pandahemischer Yetch!«
Wir warteten stumm ab. Wenn die beiden Idioten sich gegenseitig umbringen wollten, was scherte das uns?
Es hätte mich schon interessiert zu sehen, wie sich der hamalische Kov Hurngal ham Hortang gegen Kov Loriman den Jäger hielt.
Denn das war er, eine massige wütende Gestalt, die sich mit einem Edelmann aus Hamal stritt.
Die rechten Hände bewegten sich vor dem Körper, die wegen des Wetters nur leichte Kleidung trugen, und legten sich auf Rapiergriffe. Linke Hände schlossen sich um Main-Gauches. Sollte ich mir etwas daraus machen, wenn Kov Loriman ums Leben käme? Er hatte zu den führenden Elementen unserer Reise in die Schrecknisse des Moders im Gewellten Land gehört, wo wir auf Monstren und Magie und etliche prächtige Schätze gestoßen waren, die sich im klaren Tageslicht auflösten. Seine Leidenschaft war die Jagd. Immer wieder suchte er seinen Schwertarm an den Kräften von Ungeheuern zu messen. Damals meinte ich, er sei deswegen gekommen und wolle sich den Gefahren des Coup Blag aus diesem Grunde stellen. Ich sollte mich irren.
Ohne großes Interesse überlegte ich, ob er mich erkennen, sich gar an mich erinnern würde. Was machte es mir? Er war hier, warum ich nicht auch? Ich konnte mir irgendeine Geschichte ausdenken.
Eine wohltönende, seidenweiche Stimme meldete sich: »Ich bitte euch, Notors! Man könnte fast meinen, ihr streitet euch, um mich zu ärgern.«
Geschmeidig und mit aufreizendem Hüftschwung trat die Frau auf die Veranda. Sie trug ein schlichtes Gewand aus weicher grüner Seide, das ihren Körper eng umhüllte – eine Figur, die ein lohnender Anblick für alle Liebhaber ausgeprägter weiblicher Formen war. Ihr Gesicht blieb im Schatten. Ihr Haar, das von einem Nest aus Perlen zusammengehalten wurde, schimmerte sanft.
Sie redete die beiden Herren als ›Notors‹ an, ein Titel, der im havilfarischen Hamal einem Edelmann zukam. Das entsprechende pandahemische Wort lautete ›Pantor‹, in Vallia ›Jen‹. Fasziniert verfolgte ich, wie sie alle Künste der Koketterie einsetzte, um die beiden Streithähne zu beruhigen.
Kov Loriman putzte sie nicht herunter, wie ich es bei ihm gegenüber einer anderen schönen Frau erlebt hatte. Statt dessen wandte er sich um und machte eine Verbeugung.
»Meine Dame Hebe. Ich behaupte, meine Ehre ...«
»Natürlich, und ich bewundere dich sehr dafür, Notor. Aber das gleiche vermutet sicher Kov Hurngal, nicht wahr?«
»Was weiß der denn schon ...?«
Sie trat neben Loriman und legte ihm die Hand, die für eine so vornehme Dame überraschend braun war, auf den Arm.
»Ich bitte dich, Kov. Der Streit dreht sich um ein Nichts und paßte besser zu einem ... nun ja ...« Und sie stimmte ihr entzückendes kehliges Lachen an. »Ja, ich frage mich wirklich, wozu so etwas besser paßt.«
Brodelnd wie ein Vulkan vor dem Ausbruch starrte Loriman den Hamalier an. Hurngal gab diesen Blick nicht minder hitzig zurück. Ich fand es bewundernswert, wie Dame Hebe die Lage entschärfte, denn es dauerte nicht lange, bis ihr die beiden lammfromm gegenüberstanden. Was auch die Ursache für den Streit war, die Feindseligkeit der beiden schien mir so tief zu sitzen, daß sie vermutlich nur durch ein Duell gelöst werden konnte – eine Lösung, die beide offenbar anstrebten.
Nun ja, das ging mich nichts an. Seg kam herbei.
»Llahal, Pantors!« rief er auf seine offene fröhliche Art. »Llahal, meine Dame!«
Die drei fuhren zu uns herum, als hätte eine von Csitras Plagen ihnen die Kehrseiten gegerbt.
»Zur Hölle, wer bist du?« wollte Kov Hurngal wissen. »Dies ist eine Privatfeier.«
»Das freut mich zu hören«, sagte Seg auf seine leise Art und Weise, die allen, die ihn kannten, Schauder über den Rücken schicken konnte. »Wir sind gekommen, um dich zum Coup Blag zu führen.«
Nun ja, danach wurden Llahals und dann Lahals getauscht, und man lud uns ein näher zu kommen, und wir setzten uns in die Ecknische, deren polierte Sturmholztische mit Krügen und Flaschen überladen waren. Wir überhörten alle Kränkungen. Loriman erkannte mich nicht. Wir erklärten, daß wir schon im Coup Blag gewesen seien und zurückkehren wollten, um neue Schätze zu erringen.
»Die Spielleidenschaft läßt uns nicht los«, erklärte Seg.
Die Gruppe lachte, als sie dies vernahm, und die Stimmung löste sich. Man hing förmlich an unseren Lippen. Wir schmückten die Wahrheit etwas aus. Wenn sie alles wußten, überlegten sie es sich womöglich und machten einen großen Bogen um diesen Ort.
Natürlich gehörte der Voller Kov Hurngal.
Er hatte sich über die Vorbehalte der Einheimischen gegenüber Hamaliern mit viel Gold hinweggesetzt und wurden nun gewissermaßen geduldet.
Diese Duldung mochte mit einem Messer zwischen den Rippen enden, wenn nicht bald der Rest der Gruppe eintraf und uns das Aufbrechen ermöglichte.
Er und Loriman behandelten uns mit der beiläufigen, eher unbewußten Herablassung gewisser Adliger. Wir waren Pantors und genossen bei den Einwohnern dieser Stadt einen guten Ruf; aber wir waren noch lange nicht in ihrer Klasse und taugten daher nur zu Werkzeugen.
Daß wir als Edelleute akzeptiert wurden, war für den jungen Ortyg Thingol durchaus verständlich. Nath der Verstockte hielt uns für zwei junge hohe Herren, die am vallianischen Feldzug teilgenommen hatten. Er schien sich in der Rolle, die die Situation ihm zugedacht hatte, völlig heimisch zu fühlen. Ich schätzte ihn als zähen Kämpfer ein, einen der besten Soldaten Vallias. Mehr als einmal mußte ich ihn anstoßen, damit ihm nicht das gewohnte ›Bei Vox!‹ entfuhr.
»Bei Pandrite«, sagte ich und fügte boshafterweise hinzu: »Oder ›Bei Chusto!‹ oder gar: ›Bei Chozputz!‹ Beides sind hübsche Schimpfworte.«
Diese Sprüche hatte ich auf meinen Abenteuerreisen in Nord-Pandahem mit Dayra, Ros der Klaue und Pompino erfunden.
»Schön, schön, Jak. Ein ziemlich absonderlicher Ort, dies hier.«
»Aye, es wird noch absonderlicher werden.«
Nath der Verstockte ließ die neuen Schimpfworte über seine Zunge rollen. »Bei Chusto, Jak! Darauf freue ich mich förmlich – als Abwechslung.«
Jede Expedition in uralte Ruinen, die das Ziel hat, vergrabene Schätze zu heben, und die intelligent geplant wird, muß in dieser oder jener Form einen Zauberer in ihren Reihen haben – darüber braucht man nicht zu diskutieren.
Seg und ich hielten es für besser, in Frau Tlimas Haus zu wohnen und nicht im Drachennest Quartier zu nehmen. Damit hofften wir Reibungen zu vermeiden. Frau Tlimas Ehemann war ein ruhiger, entgegenkommender Typ und viel unterhaltsamer als der primitive Haufen in der Schänke.
Seg regte sich ziemlich darüber auf, daß es in der ganzen Stadt keinen anständigen Langbogen gab. Er kaufte einen Kurzbogen und musterte ihn mit zusammengepreßten Lippen, bis ich lächeln mußte.
»Entscheidend ist, daß wir wissen, Csitra hat Spikatur Jagdschwert übernommen.« SJS war eine geheimnisvolle Organisation, die sich die Vernichtung Hamals zum Ziel gesetzt hatte. Nun ja, das war alles vorüber, doch inzwischen waren die Anhänger Spikaturs dazu übergegangen, jeden zu ermorden, der ihnen ein Dorn im Auge war, und Anwesen niederzubrennen, die ihnen nicht gefielen – so schien es jedenfalls. Csitra hatte die Kontrolle über SJS übernommen und setzte die Organisation für ihre finsteren Ziele ein.
»Ich vermute«, antwortete Seg, »daß Spikaturs Nutzen für die Hexe vorüber ist.«
»Das scheint mir auch so zu sein.«
Im Verlaufe zahlreicher lebhafter Abende in Esser Rarioch, jenem wunderbaren Festungspalast, den ich Heimat nenne, hatte ich meine Gefährten mit allerlei Schilderungen des Moders geplagt. Fasziniert hatten sie mir und Deb-Lu zugehört und meine angsteinflößenden Abenteuer im Moder des Moderherrschers Ungovich in sich aufgenommen. Das Gewellte Land, Moderdrin, das Land der Fünften Note, befand sich weit von hier im Zentrum Havilfars.
»Ist also Loriman nur wegen der Schatzsuche hier?« fragte ich. »Er war Spikatur-Angehöriger. Daran besteht kein Zweifel.«
Seg polierte weiter an seinem kleinen Bogen herum und warf mir einen zweifelnden Blick zu. »Du meinst, Loriman ist ein Werkzeug der Hexe?«
»Aye.«
»Und kommt jetzt nicht als Mitglied von Spikatur Jagdschwert, sondern deswegen?«
»Aye.«
»Wie auch immer – ein kleiner gut gezielter Pfeil könnte das Problem lösen.«
»Ein nützlicher Mann, der in der Klemme steckt. Ich glaube, ich hole ihn heraus und sehe mal, wie er reagiert.«
Kurze Zeit später hatten wir Vorräte gekauft und uns nach besten Kräften vorbereitet und gingen unter Beachtung des Fantamyrrh an Bord von Kov Hurngals Voller. Und verließen kurze Zeit später jenen winzigen Flecken Zivilisation im Dschungel und rasten in das vermengte Licht der Sonnen von Scorpio empor.
Den Geschwindigkeitshebel scharf nach vorn gelegt, flogen wir, so schnell es ging, zum Coup Blag.