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Aus der Luft wirkte die Vadvarat-Provinz Kavinstock recht friedlich.

Nalgre Sultant war Herrscher dieser Provinz gewesen und hatte den edlen Titel eines Vad getragen. Er und sein Sohn Ornol, Angehörige der einst mächtigen Partei der Racter, waren nach ihrer Niederlage und dem Wiederanschluß Kavinstocks an das übrige Vallia verschwunden.

Die kleine Armada schwebte durch die ruhige Luft, und ich betrachtete die unter mir dahinziehende Landschaft. Sie sah einigermaßen intakt aus; nur gelegentlich flogen wir über Bereiche, deren elender Zustand auf den beendeten Krieg zurückging.

Weit vor uns stand eine häßliche Wolke über dem Horizont und zeigte an, daß Tod und Zerstörung hier noch immer nicht zu Ende waren.

»Unsägliche Cramphs!« sagte Targon der Tapster neben mir.

»Aye, Targon«, antwortete ich betont. »Seit unserer ersten Begegnung haben wir einen weiten Weg zurückgelegt, der offenbar ständig von Kämpfen und Tod begleitet war.«

Targon der Tapster gehörte mit anderen unerschütterlichen Gefährten zu den Gründern jener Leibwache, die dann zur ersten Schwertwache des Herrschers geworden war. Die Männer wechselten sich im Kommando über die Regimenter ab. Sie verabscheuten es, einen Schritt ohne mich zu tun oder mich frei ziehen zu lassen, damit ich eigene Abenteuer bestehen konnte. Ähnliche Motive bewegte die Jungs der Gelbjacken des Herrschers. Und natürlich auch die beiden neuen Regimenter meines Gardekorps, die Bogenschützen des Herrschers und die Lebens-Churgurs des Herrschers.

Ein Gefolge, das mir manchmal das Gefühl vermittelte, sehr klein zu sein, und das mir Sorgen machte im Hinblick auf die Sicherheit der Kampeone in den Regimentern.

Wir hatten uns jeden Flieger geschnappt, den wir erwischen konnten, und waren mit Höchstgeschwindigkeit geflogen. Bei widrigen Winden zeigten sich die Vorlcas, die mächtigen Flugschiffe, die für die Fortbewegung auf Segel und spezielle ätheromagnetischen Kiele angewiesen waren, ziemlich behindert. Irgendwann würden sie uns folgen, wenn es Opaz wollte.

Kapt Erndor, Nath nach Kochwold und die anderen Kommandeure würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um möglichst schnell in den Einsatz zu kommen.

»Und bist du sicher, daß Tali sich wird halten können?« wollte Targon wissen.

»Tali ist eine ziemlich große Stadt und hat viele Türme und eine Mauer, die stellenweise sechzig Fuß dick ist, ich habe sie selbst abgeschritten. Aber natürlich kann man nie genau sagen, was bei einer Belagerung geschieht.«

»Wir werden sie lange genug ablenken.«

»Ich möchte die Ausfälle gering halten«, sagte ich.

»Wir sind dein Juruk-Jikai. Das Gardekorps wird sich bei einem Kampf nicht im Hintergrund halten.«

»Darüber mache ich mir ja gerade Sorgen.«

Wir standen am Bug; nun kam Delia über das Deck auf uns zu und zeigte dabei jene geschmeidige Anmut, die mir immer wieder den Atem raubt. Sie hörte die letzten Worte unseres Gesprächs.

»Um meine Wächter mache ich mir die gleichen Gedanken«, erklärte sie. »Nath Karidge ist ein tollkühner Bursche.«

Nath Karidge befehligte das Eliteregiment, das auch Ergebene Leibwache der Herrscherin genannt wurde. Daneben gab es ein zweites Jurukker-Regiment, einen gemischter Haufen aus Bogenschützen und Churgurs, eine kampfstarke Streitmacht, die ihre Wirkung zusammen mit Nath Karidges Gardisten entfalten sollte.

Obwohl wir viele Boote requiriert hatten, konnten wir nicht alle Kämpfer mitnehmen, die nach Norden fliegen wollten.

Gleichwohl begleitete uns eine Truppe, die in ihrer Zusammensetzung jener Art kriegerischer Auseinandersetzung entsprach, wie sie in Vallia in letzter Zeit vorkam.

Obwohl die Flugboote Platz für nur zwei Flugschwadronen boten, hatten wir diese drei Schwadronen Bodenkavallerie vorgezogen. Die Sattelvögel waren Flutduins aus meinem Königreich Djanduin, prächtige Schlachtrösser des Himmels. Gelenkt von gut ausgebildeten Flugsoldaten aus Valka, waren sie ihr Gewicht in Gold wert.

Marions Regiment Jikai-Vuvushis begleitete uns ebenfalls; die Einheit hatte noch keinen offiziellen Namen, und es war mir gelungen, die Zahl der Kämpferinnen zu halbieren. Die Zurückgebliebenen würden mit der Nachhut der Hauptstreitmacht nachrücken. Marion, die zur Zeit mit Nango auf Hochzeitsreise war, würde zu diesem Arrangement sicher einige Anmerkungen haben, wenn sie davon erfuhr. Garantiert würde sie ihren Trupp schnell wieder zusammenführen.

Unsere Blicke waren auf die Erscheinung gerichtet, die wie eine Unwetterwolke über dem Land lag.

Das finstere Gebilde deckte eine unter uns liegende weiße Straße ab und erstreckte sich unregelmäßig zu beiden Seiten in die Felder hinaus. Meine langjährige Kampferfahrung verriet mir schnell, worum es sich handelte.

Ehe jemand etwas sagen konnte, erhob ich meine abweisende, barsche, unduldsame Stimme.

»Am besten dienen wir den armen Teufeln«, sagte ich, »wenn wir weiterfliegen und ihre Feinde vernichten. Wenn die Verfolgung zu Ende ist und der Feind zurückgetrieben worden ist, können diese Menschen nach Hause zurückkehren.«

»Du hast recht«, antwortete Delia. »Aber ich habe Mitleid mit ihnen – großes Mitleid.«

Die Flüchtlinge schlurften dahin. Einige hoben die Köpfe, nur wenige winkten.

Wir ließen bunte Halstücher über die Schanzkleider wehen; die Pracht der Anstriche, das Funkeln der Waffen und die häßlichen Schnauzen unserer Schleudergeräte und Katapulte mochten da oben am weiten Himmel einen tollen hochherrschaftlichen Anblick geboten haben. Ich fragte mich allerdings, wie beruhigend das Bild auf die Leute unter uns wirken mochte. Es fällt schwer, in der Welt überhaupt noch etwas Gutes zu sehen, wenn man Hof und Familie auf grausame Weise verloren hat.

Die Rauchwolke verdichtete sich vor uns und kam näher.

Der König von Nord-Vallia war geschickt vorgegangen. Die Festungsstadt Tali hatte direkt auf seinem Weg gelegen, der von den Bergen des Nordens herabführte. Die dicken Mauern und die starke Garnison verhinderten eine leichte Einnahme. So hatte der schlaue König weit entfernt im Westen zugeschlagen, beinahe an der Küste, und Tali umgangen.

Er mußte wissen, daß eine Streitmacht sich ihm entgegenstellen würde, um ihn aufzuhalten – und das war geschehen. Dieses Heer war geschlagen worden.

Nun stand ihm der Weg nach Süden offen, so weit er plündernd und brandschatzend vordringen wollte. Er mochte sich ausrechnen, daß er mit ernsthafter Opposition erst rechnen mußte, wenn wir uns hinreichend verstärkt hatten, um die Entscheidungsschlacht zu suchen. Dabei war die Kampfkraft des ränkeschmiedenden Unholds nicht zu unterschätzen – und zwar aufgrund neuer Söldnerhorden, die er aus Übersee angeworben hatte.

Der führende Voller, den wir benutzten, die Herz von Imrien, war nicht übermäßig groß und sollte mir als Hauptquartier dienen. An Bord befanden sich Männer und Frauen, die Delia und mir nahestanden.

Wir erhielten kaum Informationen aus den nördlichen Provinzen jenseits der Berge des Nordens, die nun das Königreich des Usurpators bildeten. Allgemein wurde angenommen, daß er für den Luftkampf nicht sehr stark ausgerüstet war. So sah unser Plan vor, die Luftstreitkräfte einzusetzen und einen direkten Bodenkampf zu vermeiden, bis der Rest der Armee aufgerückt war. Jedenfalls war es so geplant.

Wie oft habe ich schon gesagt: ›So war es geplant!‹ Und wie oft waren solche Pläne aus dem Ruder gelaufen!

Wir segelten weiter und suchten den Boden vor uns nach Spuren unserer Gegner ab.

Die Herz von Imrien war, wie gesagt, kein übermäßig großer Voller. Ihre Aufbauten erinnerten an das Vorderdeck einer irdischen Galeone, am Heck erhob sich ein etwas höheres Poopdeck. Es gab nur eine Kampfplattform, eine gedrungene geschützte Festung, getragen von vier dicken Masten, die einander mit Querstreben stützten und Zugang über Leitern boten.

Es bestand kein Grund, warum hier oben in der Luft diese Plattform einen besonders günstigen Aussichtspunkt darstellen sollte, aber so war es nun einmal.

»Flieger!« riefen die Männer im Ausguck.

Weiter vorn wehten die ersten Vorläufer der feindlichen Flugarmada wie Herbstlaub durcheinander. Sie näherten sich mit dämonischer Geschwindigkeit, herbeigewirbelt durch den Wind, der uns in die Gesichter wehte. Sie schienen zahlreich zu sein, verflixt zahlreich.

Unsere Trompeten erklangen, Trommeln riefen die Männer auf die Gefechtsstationen.

Unsere Luftsoldaten nahmen ihre Stellungen ein. Die an Bord befindlichen Soldaten, ausnahmslos erfahrene Kampeone, nahmen Aufstellung. Sie wußten, daß sie den Aspekt der Annäherung den Fachleuten des Luftkampfes überlassen konnten.

Meine Bogenschützen konnten es im Schießen mit jedem aufnehmen, und wenn es zum Nahkampf kam, standen meine Burschen niemandem nach.

Zwischen der Attacke und der ersten Entdeckung blieb praktisch keine Zeit.

»Vorwiegend Fluttrells«, stellte Kapitän Voromin fest.

»Aye.«

Die breitgeflügelten Vögel bildeten in der Luft ein Gewirr bunter Farben und Formen.

Ich wandte mich an Targon: »Sorg dafür, daß die Jungs Rüstung tragen. Soviel Zeit muß sein.«

»Aye, und Zeit zum Töten ist dann auch noch.«

»Ja, und sag den stolzen Kerlen, sie sollen die leichtsinnigen Köpfe einziehen!«

Klirrend-ächzend wurde die erste Schleuderwaffe abgeschossen. Es handelte sich um überlegende vallianische Gros-Varters, die je nach Anlaß und Ziel Steine oder Pfeile verschießen konnten. Ich kümmerte mich nicht darum, welche Munition aufgelegt worden war. Ich hatte den Eindruck, daß da genügend Vögel herumwirbelten, um unsere ganze Feuerkraft zu absorbieren, die wir aufbringen konnten, und daß dann immer noch genug Luftkrieger übrig sein würden, die auf unseren Decks landen wollten.

Mit rauher Stimme fragte Delia: »Und wo ist deine Rüstung, du haariger Graint?«

Ich fluchte. Bei Makki-Grodnos verseuchten Eingeweiden und triefenden Augäpfeln! Wenn ich jetzt nicht lostrottete und mich in eine Rüstung warf, würde es Delia auch nicht tun. Sie würde an meiner Seite ausharren, Schulter an Schulter, und sich mit diesen Räubern der Lüfte auf wagemutige Nahkämpfe einlassen, Hieb um Hieb erwidernd.

»Na gut. Komm schon – und um des lieben Zairs willen, wir müssen uns beeilen!«

Denn ich hatte bereits erkennen können, daß die Fluttrells von Flutsmännern geritten wurden, Banditen der Lüfte, Söldnern von blutrünstiger Neigung und unbeschreiblichen Angewohnheiten.

Ich legte mir einen Brust- und Rückenpanzer an und kämpfte mit den Schnallen. Das Vorderteil paßte, aber der Rücken wollte nicht richtig sitzen. Beinahe hätte ich das verflixte Ding liegen lassen, wenn Delia nicht energisch eingeschritten wäre. »Leg das an!«

Sie hatte natürlich recht. Bei solchen unangenehmen Zusammenstößen ist zuweilen der Schutz des eigenen Rückens wichtiger als ein Brustschild. Den Hieb von hinten, der einen fällen kann, sieht man nicht kommen. Und dann kann es auf entscheidende Weise zu spät sein.

Ich eilte durch die Bogentür der Kabine, die wir teilten, auf das Deck zurück und sah, wie der erste Flutmann den Versuch machte, auf der Herz von Imrien zu landen. Korero der Schildträger baute sich mit einem Satz vor uns auf; mit Hilfe seiner fünf Hände bewegte er zwei riesige Schilde und ein Schwert.

»Hai, Korero!« rief ich.

»Dauert nicht lange«, sagte er und bewegte die Schilde im Kreis, um sich lockerzumachen.

Ich muß gestehen, daß mir das ›Hai!‹ selbst ein wenig übertrieben vorkam. Ich fühlte mich matt und hölzern, weniger apathisch als von meiner Enttäuschung überwältigt. Ich hatte nicht das geringste Interesse daran, sturköpfige Flutsmänner zu bekämpfen. Sicher kamen aus vielen Nationen Männer und Frauen zusammen, die als Söldner über Vallia herfallen wollten, das sie blutend und am Boden wähnten. Natürlich hatte es sich herumgesprochen, daß ein neues Reich entstanden war und es einen erstaunlichen neuen Herrscher und neue vallianische Armeen gab. Dieser frische Söldnerhaufen konnte von überallher stammen; ich hatte das Gefühl, daß er schon einen weiten Weg zurückgelegt hatte.

»Du siehst aus«, sagte Korero, »als hättest du eine Zorca verloren und statt dessen einen Calsany gefunden.«

»Aye, und jetzt muß ich an diese Rasts gute Pfeile verschwenden!«

Meine Linke hielt den großartigen lohischen Langbogen, mit der Rechten bewerkstelligte ich den raffinierten Zug, der von Seg Segutorio zur Erzielung höchstmöglicher Energie erfunden worden war – und dann schickte ich den Pfeil auf den Weg. Das rosagefiederte Geschoß riß einen Reiter aus dem Sattel; ich schaute erst gar nicht, wohin er verschwand, sondern zog erneut und visierte den nächsten Gegner an.

Dieser erste Landeversuch der Flutsmänner erwies sich als schlimmer, teurer Fehlschlag.

Neben den Varters, die die Reiter einfach aus der Luft holten, richteten die dichtstehenden Reihen der Bogenschützen mit ihren sorgfältig gezielten Schüssen großen Schaden an. Wie schon mehrfach angemerkt, ist es nicht ratsam, sich mit den Kampeonen der SWH oder GJH anzulegen.

Allerdings erwies sich meine Vermutung als zutreffend: Die Zahl der Flutsmänner war so groß, daß doch einige durchbrechen und auf den Decks der Herz von Imrien landen konnten.

Schon wurde der lohische Langbogen auf Deck abgelegt, schon umfaßte ich den Griff des großen Krozair-Langschwerts. »Nun also ...«

»Dray!« rief Delia.

»Ja, Liebling?« antwortete ich, ohne mich umzudrehen.

Die erste Gruppe Flutsmänner sprang aus dem Sattel und trat mit der bemerkenswerten Wendigkeit und Zielstrebigkeit in Aktion, wie sie für echte Luftkämpfer typisch sind. Nur schade, daß es sich um Desperados der schlimmsten Sorte handelte, bei der uns nichts anderes übrigblieb, als sie zu den Eisgletschern Sicces zu schicken. Hätte man ihnen im Leben eine bessere Chance gegeben, wer weiß, was aus ihnen hätte werden können ...

Wie die Dinge lagen, mußten wir sie niederkämpfen, und zwar schnell.

Oft bezeichne ich den lohischen Langbogen und das Krozair-Langschwert als ›großartig‹ – weil sie eben dieses Urteil verdienen. Es gibt viele minderwertige Langbögen und Langschwerter auf Kregen.

Die Krozairklinge zuckte hierhin und dorthin, wurde zugestochen und zurückgezogen und trieb einen Keil der Vernichtung in die erste Gruppe der gelandeten Flutsmänner. Ich war natürlich nicht allein. In einem hektischen Vorstoß trieben wir die Angreifer über das Deck, so daß jene, die nicht niedergemäht wurden, schließlich über Bord fielen.

Die Voller flogen zwar nicht sehr hoch, aber immer noch hoch genug, um jeden zu töten, der unglücklicherweise oder bedauerlicherweise den Sprung versuchte.

»Es sind noch genügend übrig«, bemerkte Targon der Tapster. Das Blut, das ihn verunstaltete, stammte nicht von ihm.

»Flutsmänner machen gern leichte Beute.«

Wir starrten durch den hellen Tag auf die schwarzen Punkte der Sattelflieger, die in Pirouetten umeinander flogen und sich Mut zu machen schienen, einen zweiten Angriff zu wagen. Den anderen Vollern unserer kleinen Schwadron war es nicht schlechter ergangen als uns. Nun trat eine kleine Atempause ein.

Plötzlich meldeten sich wieder die Männer im Ausguck:

»Flugboote!«

»Dieser unangenehme König von Nord-Vallia scheint sich ja eine richtige Flotte zugelegt zu haben!« rief Delia und hob keck das Kinn.

»Wie viele?«

Es wurde gezählt, dann kam die Antwort: »Mehr als zwanzig.«

»Hm«, machte ich.

Früher hatte ich diesen Laut für dumm und nichtssagend gehalten; inzwischen aber sah ich ein, daß sich damit das Fehlen eines vernünftigen Gedankens überspielen ließ.

Wieder meldete sich eine Stimme von oben: »Mehr als dreißig!«

»Ah!« äußerte ich.

Delia warf mir einen mißtrauischen Blick zu. Beiläufig und, wie ich hoffte, sorgenlos erscheinend, schlenderte ich zum Schanzkleid, lehnte mich darüber und schaute nach vorn. Ja, ja, dort waren Flugboote zu sehen, die sich uns näherten, rostrote Flecken vor dem Licht.

Mehr als dreißig? Unsere Schwadron umfaßte sechzehn Fluggebilde, ein Gemisch aus Kampfvollern und größeren Schiffen, die für unser Unternehmen zu Transportern gemacht worden waren. Mit unserem Einsatz hatten wir den Gegner aus der Luft stören und am Platz halten wollen, bis unsere Hauptstreitmacht nachrücken konnte.

Nun kamen die Teufel mit einer eigenen Luftflotte, einer völlig neuen Einheit, von der wir nichts gewußt hatten. Folglich war die Situation eine veränderte, die Siegeschancen hatten sich verändert, das Risiko war größer geworden.

Es kam nicht in Frage, unsere Luftkavallerie loszuschicken. Unsere beiden Schwadronen, die kaum mehr als hundertundzwanzig Sattelflieger umfaßten, wären hoffnungslos in der Unterzahl. Wenig behagte mir der Gedanke, ein einziger Valkanier auf dem Rücken seines Flutduins könnte von zehn oder zwölf Flutsmännern bedrängt werden.

»Sie haben ein ziemliches Tempo drauf«, bemerkte Targon.

»Das sieht man«, erwiderte ich.

»Es wird bestimmt ... interessant.«

Ein drittesmal meldeten sich die Männer des Ausgucks: »Mehr als vierzig!«

Vorüber war die Zeit nichtssagender Antworten wie ›Hmm!‹ Vorüber war die Zeit des unsicheren Hin und Her, geboten war vielmehr, daß ich mich jetzt wie ein ungeduldiger, dummer Herrscher aufführte.

»Das wär's«, sagte ich und ließ in meiner Stimme den unduldsamen eisernen Ton mitklingen, wie ich ihn von früher kannte, ein Tonfall, der sogar den guten alten Targon den Tapster zusammenzucken ließ.

»Alles auf mein Kommando!« brüllte ich dem Rudergänger mit meiner alten Vorschotstimme zu, mit der ich in der Biskaya so manchen Sturm überschrien hatte. »Kehrtmachen! Geschwindigkeitshebel volle Kraft voraus!«

Ohne meine alles niedermachende Stimme zu senken, befahl ich den Signal-Deldars, mit ihren Flaggen diese Botschaft auch der übrigen Schwadron zu vermitteln.

»Du, Dray Prescot, willst fliehen?« fragte Delia.

»Ganz recht«, antwortete ich aus meiner vollen Erregung heraus. »Bei Zair! Ich lasse es nicht zu, daß alle diese guten Leute sinnlos in Stücke gehackt werden!«

Das kaum merkliche Lächeln, das ihr über die Lippen huschte, ermutigte mich. Delia kannte mich sehr gut. Sie hatte beobachten können, wie ich mich von einem heißblütigen, verbohrten Kämpfer in einen Herrscher verwandelte, der mit der Haut anderer Menschen doch etwas vorsichtiger umging. Was mich betraf, nun ja, wären da die anderen nicht gewesen, so wäre ich wohl in den hoffnungslosen Kampf gegangen, und sie würden jetzt nicht meinen Erlebnissen auf Kregen lauschen.

Die Flugboote unserer Schwadron vollführten mit wehenden Fahnen eine enge Wende.

»Kapitän«, sagte ich mit etwas zurückgenommener Stimme zu Kapitän Lorgad Voromin, der die Herz von Imrien befehligte und mit rotem Gesicht wie ein dickes Faß neben mir stand, eng gegürtet in eine Lederrüstung, mit Federn am Helm, »Kapitän, ich bitte dich um Entschuldigung. Würdest du es deinem Kommando freundlicherweise gestatten, in der Schwadron die letzte Position einzunehmen?«

»Aus ganzem Herzen, Majis.«

Die Heftigkeit der Ereignisse hatten mich dermaßen aufgewühlt, daß ich den Befehl zum Umkehren gab, ohne mich um die Etikette der Schiffsführung zu kümmern.

Natürlich hätte ich Kapitän Voromin bitten müssen, die Einsatzbefehle für sein Schiff selbst zu geben. So war ich ihm nun heftigst auf die Zehen getreten. Er war ein barscher alter Seebär, in den Luftdienst versetzt, und würde mich hoffentlich verstehen. Wir hatten noch nicht zusammen gedient, doch glaubte ich zu wissen, daß er mich richtig einzuschätzen wußte.

Entschied er sich aber, den Störrischen zu spielen oder seinen verständlichen Ärger deutlich werden zu lassen, würde ich mir, wie man so sagt, weitere Gedanken machen müssen.

Die Flutsmann-Horden waren durch unser Manöver nur für einige Augenblicke aus dem Lot gebracht worden. Sie spürten den Sieg und flogen mit erneuter Kraft gegen uns an.

Damit mußten wir rechnen.

Die Herz von Imrien ließ sich innerhalb der Schwadron zurückfallen und nahm die Nachhut-Position ein.

Hier waren wir aber nicht allein. An Steuerbord flog die Stolz von Falkerdrin und an Backbord blieb die Blaue Strigicaw gleichauf. Beide Schiffe waren zum Bersten mit Männern und Kampfvollern angefüllt und boten, das kann ich Ihnen versichern, einen überaus tröstlichen Anblick.

Ortyg Thingol eilte mit seiner Signaltafel herbei; er war ein Jüngling mit rosigen Wangen und braunen Locken, dem die Kadettenuniform überaus gut stand. Ich hatte die Fahnen an den Signalmasten der Aufziehender Sturm und Naths Hammer aufsteigen sehen, Schiffen, die unsere Luftkavallerie-Schwadronen beförderten.

Ehe der Signalkadett irgend etwas äußern konnte, fauchte ich ihn an: »Nein, Kadett Thingol! Gib zurück: Bitte abgelehnt.«

Er wurde über und über rot. »Quidang, Majister!«

Auf dem Rückweg zu seinen Signalleinen brach er fast einen Geschwindigkeitsrekord. Ich seufzte. Hätten meine teuren Kavalleristen wunschgemäß aufsteigen dürfen, wäre ihre Schwadron in kürzester Zeit zerschlagen worden – ihr Einsatz wäre völlig umsonst. Allenfalls würden sie uns einen gewissen Aufschub liefern. Ein solcher Kampf mochte dem mächtigen, eingebildeten Herrscher alten Zuschnitts fair vorkommen; mir paßte er aber nicht mehr.

»Da kommen sie«, sagte Targon der Tapster mit gelassener Stimme.

»Nehmt die Cramphs aufs Korn, so gut ihr könnt!«

Bogen wurden gespannt und schimmerten im Licht der Zwillingssonne, schmale Pfeile zuckten ins Leere hinaus, ihre Federn glitzerten in der zweifarbenen Strahlung. Armbrüste klapperten und hallten, und die grausamen Bolzen schossen davon. Varters entledigten sich hustend ihrer Felsbrocken oder trieben ihre mit Widerhaken versehenen langen Pfeile tief ins feindliche Fleisch. O ja, bei Krun! Wir nahmen sie aufs Korn!

Da wir uns mit großer Geschwindigkeit bewegten, wurden die Flaggen vom Fahrtwind steif nach hinten gedrückt und erschwerten das Lesen von Signalen von vorausfliegenden oder nachfolgenden Schiffen. Um dieses Problem wenigstens teilweise aus der Welt zu schaffen, befestigten die kregischen Flugsoldaten Zugleinen an der Außenseite der Flaggen, mit deren Hilfe sie die Außenkante herumziehen konnten, um die Flagge selbst leichter erkennbar zu machen. So etwas ließ sich aber nur kurzzeitig bewerkstelligen, und trotz allem wurde so mancher Flaggensatz in Fetzen gerissen.

»Signal an führenden Voller!« befahl ich. »Kurswechsel nach Süd-Südost!« Im Augenblick flogen wir beinahe genau nach Süden.

Ich wollte vermeiden, daß wir die tobende Horde, die uns folgte, über die Flüchtlinge lockten.

Inzwischen hatten wir erheblich an Geschwindigkeit zugelegt. Nach zwei weiteren erfolglosen Angriffen blieben die Flutsmänner zurück, denn kein Fluttrell vermag es mit einem Flugboot aufzunehmen, das seine Höchstgeschwindigkeit vorlegt.

Die Luftboote der Verfolger ließen dagegen nicht locker, und ich fragte mich, ob sie ihre Luftkavallerie an Bord nahmen oder diese schwierige Kunst womöglich noch nicht beherrschten. Natürlich behielten wir den Luftraum hinter uns genau im Auge, aber die Entfernungen und der Dunst des Nachmittags erschwerten eine genaue Beobachtung. Am Himmel waren weitaus weniger Fluttrells zu sehen; aber das konnte daran liegen, daß sie den Angriff aufgegeben hatten und zum Stützpunkt zurückgeflogen waren.

Der Dunst verdichtete sich und wurde zu Vorläufern richtiger Wolken.

Kapitän Voromin rieb sich die Hände.

»Wenn wir schon fliehen, Majis, kommen uns ein paar Wolken gerade recht, jawohl, bei Corg.«

»Ganz recht, Käpt'n.«

Lorgad Voromin hatte eine der großartigen vallianischen Galeonen befehligt. Nach seinem Übertritt in den vallianischen Luftdienst bekleidete er als Kommandant eines größeren Schiffes den Rang eines Jiktar. Trotzdem nannten wir den alten Seebär Käpt'n, was ihn sehr freute.

Seltsamerweise bekümmerte mich die Tatsache, daß wir hier vor einem Kampf ausrissen, weniger als befürchtet. Wer mich von früher kannte, als ich noch frisch auf Kregen war, hätte sich natürlich verächtlich geäußert. Dray Prescot? hätte man lachend gefragt. Dray Prescot und fliehen? Nie und nimmer!

Inzwischen ging es mir um Dinge, die nicht nur meine eigene Haut betrafen.

Die Wolken wirbelten vorüber, verdichteten sich, wurden wieder dünner, brodelten schließlich zu einem weißen Sud empor, der wie vergossene Milch über unser Vorschiff und über das Deck schwappte.

Hastig nutzte ich die Gelegenheit, der Schwadron weitere Meldungen zukommen zu lassen. Sie bekamen Anweisung, geradeaus zu fliegen, bis wir die Wolken verließen. Unsere Geschwindigkeit lag etwas unter neun DB*.

Nachdem wir die Flutsmänner abgeschüttelt hatten, stand uns der Himmel in seiner gesamten Weite offen.

Ein Plan mußte her, der unser vermeintliches Versagen in einen Erfolg ummünzte.

Kapitän Voromin sagte mit leiser Stimme: »Die Wolken werden bald dünner, das spüre ich in den Knochen.« Dann fuhr er fort: »So wie der bittere Hauch die Blätter vertreibt, so stellt sich der geflügelte Vogel dem Wind und steigt empor.«

»San Dweloin, würde ich sagen, Kapitän«, bemerkte Delia. »Aber den genauen Vers kann ich nicht identifizieren.«

Voromin stieß ein erfreutes Schnauben aus.

»Aye, Majestrix, San Dweloin, der jetzt dreitausend Perioden oder länger tot ist, bringt mir immer wieder Trost.«

Ich konnte es mir ersparen, über Voromins Hang zur Lyrik erstaunt zu sein. Ich hatte ihn mir als ›sturen alten Seebären‹ vorgestellt. Nun, das war er einerseits gewiß; aber dieses Klischee gewann etwas Irreales angesichts der angeregten Diskussion über Verse, die nun auf dem Deck der Herz von Imrien einsetzte. Und während wir noch solche Feinheiten der Poesie besprachen, wurden die Wolken dünner. Der Augenblick der Entscheidung rückte heran.

Indem er ausgerechnet diese beiden Zeilen zitierte, deutete mir Voromin an, was er am liebsten getan hätte. Die Worte stammten vermutlich aus San Dweloins Gedicht ›Die Kraft der menschlichen Natur‹, das er in hohem Alter geschrieben hatte und in dem er Licht und Leben über Dunkelheit und Tod stellte.

Nun ja, nach einem verdammt langen, dunklen Tunnel gab es oft wieder Licht.

»Ja, Käpt'n«, sagte ich, der inneren Bilder überdrüssig. »Wenn du freundlicherweise Signal setzen ließest, daß sich die Flutduins bereithalten sollen, auf mein Zeichen hin zu starten, wäre ich dir sehr verbunden.«

»Quidang!«

»Wir sollten mehr Höhe gewinnen. Ich möchte auf jeden Fall oben aus den Wolken heraus sein, ehe wir die Sattelflieger loslassen.«

Es gab kein hektisches Treiben an Bord, als der Voller aufzusteigen begann – aus dem einfachen Grund, daß der Deldar an den Kontrollen lediglich seine Hebel bewegte und das Gebilde glatt durch die Wolken zog. Unser Signal wurde in den anderen Fahrzeugen der Schwadron verstanden und aufgegriffen. Wir huschten von Wolke zu Wolke und ließen die Flanken der ungeheuren weißen Massen an uns nach unten gleiten. Es gab keine Garantie, daß alle Voller die Signale richtig deuteten; vielleicht verloren wir einige Schiffe, die unter uns geradeaus weiterflogen.

Es gab zahlreiche Klassen und Typen von Flugbooten, die auf Kregen hergestellt wurden; seit unserer Allianz mit Hamal standen uns mehr davon zum Erwerb offen. Noch immer beunruhigt durch die Schäden, die die heimischen Werften in den Kriegen genommen hatten, lief die Vollerproduktion in Hamal noch immer nicht wieder auf vollen Touren. So besaßen wir nur wenige Voller, deren vorwärtswirkende Kraft zugleich die unmittelbar umgebende Luft einbezog. So mußten wir die Köpfe hinter Windschutzscheiben ducken. Die Wolken, die wir durchstießen, wogten wie überkochende Milch in langen schimmernden Dunstschwaden an uns vorbei.

Ich wandte mich an Larghos Hemlok, den Ersten Leutnant: »Nun, Hik Hemlok, brennen die Feuerchen hübsch heiß?«

Er lächelte und warf mir einen besonders blutrünstigen Blick zu.

»Bei Corg«, rief Kapitän Voromin, »wir werden ein paar schöne Freudenfeuer anzünden!«

Nun ja, so sah unser Plan aus. Eine ganz schlichte Sache, aber auf jeden Fall besser als einfach davonfliegen.

Die Herz von Imrien bewegte sich in wogendem Auf und Ab durch eine Schlucht zwischen riesigen weißen Wolkenwänden, zwischen denen eine ganze Flotte untergehen konnte.

Die Schwadron war dermaßen durcheinandergeraten, daß ich ziemlich erleichtert war, sechs andere Voller auszumachen, die in einer Art Formation mit uns flogen. Die anderen zehn befanden sich irgendwo zwischen den Wolkenmassen. Nun ja, was zu tun war, mußte mit den zur Verfügung stehenden Schiffen geschafft werden.

Immer höher stiegen wir, bis wir schließlich das Licht der Zwillingssonnen erreichten und nur links und rechts noch von einigen wie Gebirge aufragenden Kumulusspitzen flankiert wurden. Die vermengte Strahlung von Zim und Genodras hüllte die Wolken in einen rosagrünen Schimmer. Es war ein atemberaubender Anblick. Wir waren aber keine Touristen, sondern Krieger der Lüfte, und wir hatten es auf Beute abgesehen.

Die Tradition bedeutet auf Kregen sehr viel.

Obwohl wir ein Flugboot des Vallianischen Luftdienstes flogen und wir von Dingen umgeben waren, die für kregische Verhältnisse das modernste an Waffen und Geräten darstellten, wählten die Männer im Ausguck die altbekannten Worte:

»Segel ahoi!«

Aus den massierten Wolken unter und hinter uns rasten die ersten Voller unserer Verfolger wie rachedürstende Dämonen hervor.