4
Kapitän Voromin leitete die Herz von Imrien auf hervorragende Weise. Seine Befehle für den Rudergänger waren klar und unmißverständlich. Ausgucke in den unteren Kampfgalerien lieferten ständig neue Informationen über Bewegungen und Kurs der feindlichen Schiffe. Unser Gefährt machte eine saubere Kehre um hundertundachtzig Grad und griff an.
Es erging das Signal, die Flutduin-Schwadron aufsteigen zu lassen. Leider konnte ich in unserer Gesellschaft nur noch einen Kavallerieträger ausmachen, die Naths Hammer. Als die Flugtiere starteten, kam mir der Gedanke, daß sie weitaus eher an die verwehten Blätter in San Dweloins Gedicht erinnerten, als an ›die geflügelten Vögel, die sich dem Wind stellten und emporstiegen‹.
Unsere Luftkämpfer machten sich nicht die Mühe, eine Formation einzugehen. Sie flogen auf direktem Kurs den feindlichen Schiffen entgegen. Ich riß den Blick los. Die Männer hatten ihre Befehle und verstanden sich auf ihr Geschäft. Sie würden tun, was zu tun war, so wie wir hier unternahmen, was die Situation erforderte.
Wenn es gilt, an Bord von Schiffen mit Feuer umzugehen, zumal an Bord von bemalten Holzschiffen, ist große Vorsicht angesagt – und so manches harte Wort kann dabei fallen.
Der Schiffs-Deldar, dessen Gesicht gerötet und angeschwollen war, hieb mit seinem Stock um sich und legte selbst Hand an, um den Tragstock zu sichern. So wurde das Feuer in seinen Töpfen und dem Metallkanister ordnungsgemäß unter Deck gebracht. Ich entschied mich dagegen, die untere Galerie aufzusuchen. Ich hatte in meiner Laufbahn schon genügend Schiffe in Brand gesteckt.
Voromins jähe Umkehr und sein direkter Kurs in den Kampf ließen den feindlichen Schiffen keine Chance. Kaum stießen sie aus den Wolken heraus, da schwebten wir bereits über ihnen. Eins, zwei, drei, gingen die Töpfe mit Brennbarem über Bord. Eins, zwei, drei, dann noch einmal eins, zwei, drei.
»Sie haben den Anführer!« kreischte der letzte in der Kette der Boten – der junge Kadett Ortyg Thingol. Seine hohe Stimme überschlug sich fast vor lauter Erregung.
Einen Herzschlag später kam die nächste Meldung:
»Der zweite brennt auch!«
Wir kreisten wie ein Falke über seinem zuckenden Opfer. Neben Delia vermochte ich von einem Ausguckposten hoch hinter dem Schanzkleid hinunterzuschauen. Kapitän Voromin nahm auf der andere Seite eine ähnliche Nische ein, die für ihn reserviert war. Ich mochte Herrscher sein, doch wenn es sich Kapitän Voromin in den Kopf setzte, auf dieser Seite seines Schiffes in die Tiefe zu schauen, würde ich ihm schleunigst Platz machen müssen.
Das Panorama bot eine schwindelerregende Perspektive unter uns. Aus den vielseitig geformten Wolkenmassen kamen die verfolgenden Voller – sie sprangen ins Freie wie Fische aus den Brandungswogen. Doch kaum tauchten sie auf, wirbelten schon unsere Flutduins über ihnen, deren Reiter Feuertöpfe abwarfen. Einige gingen fehl, einige erloschen. Einige wurden von wachsamen Brandwachen auf den Decks der Schiffe rechtzeitig gelöscht. Viele aber gingen nicht daneben und erloschen auch nicht und wurden nicht ausgetreten.
Die verfolgenden Schiffe brannten.
In der Wärme der Nachmittagsluft machte sich der beißende Geruch brennenden Holzes bemerkbar. Schwarze Wolken rollten zur Seite, verunstalteten die überwältigende weiße Helligkeit. Es gefällt mir nicht, Schiffe lodern zu sehen. Für einen Seemann ist diese Tat etwas Unanständiges.
Um der Einheit Vallias willen, um der nachfolgenden Vereinigung ganz Paz und des Sieges über die Shanks willen mußten diese scheußlichen Taten gleichwohl begangen werden.
Wie Elritzen, die im Wasser hierhin und dorthin huschten und an deren Flanken sich das Sonnenlicht spiegelt, drehten sich die Schiffe in der Luft.
Wie schon angedeutet, war die Herz von Imrien kein übermäßig großes Schiff. Es vermochte nicht mit derselben Wendigkeit zu manövrieren, wie ein schmaler, schneller Voller kleinerer Bauart. Für die im Augenblick anstehenden Aufgaben mochten sie sich schnell genug in der Luft drehen können, und Kapitän Voromin wußte sie flott einzusetzen. Wir waren geradewegs über die vier führenden Schiffe hinweggeflogen und hatten sie in Brand gesteckt, ehe der Feind zu reagieren begann.
Danach ging es nur noch darum, Höhe und Tempo zu gewinnen, um die Opposition auszumanövrieren.
Die Stolz von Falkerium und die Blaue Strigicaw traten energisch in Aktion und ließen die nachfolgenden Schiffe in Flammen aufgehen. Ich versuchte den Feind zahlenmäßig zu erfassen, eine schwierige Aufgabe inmitten der herbeirasenden Schiffe, inmitten von Rauch und Wolken und der wie Laub im Herbststurm durcheinanderwirbelnden Sattelflieger. Ich rechnete schließlich aus, daß etwa achtzehn Schiffe uns auf unserem neuen Kurs gefolgt waren. Die anderen mochten überall sein – was übrigens auch für den Rest unserer Schwadron galt.
»Das gefällt ihnen nicht«, brüllte mir Targon der Tapster ins Ohr, »das gefällt ihnen ganz und gar nicht.«
»Wem läge das schon?«
Targon meinte einige andere Mitglieder der ausgewählten Truppe, die mir als Jak dem Drang auf meinem Weg zur Herrschaft über Vallia gefolgt war – Männer wie Naghan ti Lodkwara, Cleitar die Standarte, Dorgo der Clis und Uthnior Chavonthjid. »Sie sind überall in der Schwadron verstreut«, sagte er zufrieden, »und wer nicht dabei ist, wird sich totärgern, wenn ich davon erzähle, bei Vox!«
»Soweit ich weiß, ist Mazdo Voordun an Bord der Strelviz Lanzenträger«, bemerkte ich. »Und – schau mal, da stürzt sie sich auf den Burschen mit der grüngelben Schiffshülle – ah!«
»Ja!« sagte Delia. »Das arme Schiff brennt.«
»Armes Schiff, meine Dame«, wandte Targon ein. »Die Burschen hätten uns dasselbe angetan, wenn sie Gelegenheit dazu gehabt hätten.«
»Ja, das weiß ich – und natürlich hast du recht. Trotzdem ist die Welt arm dran, wenn Schiffe brennen müssen.«
Targon verzichtete auf eine Antwort. Ich stimmte Delia zu; aber ich mußte auch die sachlich-vernünftige Einstellung meines kampfwütigen Jurukker-Kommandanten anerkennen.
Meine guten Freunde im Gardekorps hatten nicht viel übrig für hochgestochene, eindrucksvolle Titel. Sie gehörten der Leibwache des Herrschers an, basta. Wenn sie einen Chuktar zur Eile antrieben, dann beeilte er sich eben.
Ich möchte an dieser Stelle gleich betonen, wie sehr ich darauf achtete, daß diese Situation nicht mißbraucht wurde. Das letzte, worum es mir gehen konnte, war eine Elitetruppe, die ansonsten in der Armee verhaßt war. Solche Dinge lagen mir nicht und hätten auch eher negative Auswirkungen auf das Ganze gehabt. Targon rückte seinen Sicherheitsgurt zurecht. Seit einem gewissen schlimmen Unfall hatte ich die Herstellung solcher Gurte angeordnet, jeweils mit zwei silbernen Kästen versehen, die Auftrieb gaben – ein Hilfsmittel, das bei jedem Luftsoldaten längst zur Grundausstattung gehörte.
Auch Delia und ich hatten uns entsprechend ausgestattet, und aus meiner Sicht waren diese Gurte im Gewirr der Kriegführung zwischen den Wolken so nützlich wie eine Rüstung. Bei Krun, ja!
Der Hinterhalt, in den wir die feindlichen Schiffe gelockt hatten, funktionierte bestens. Unsere sechs Schiffe hatten die Mehrzahl der gegnerischen Flotte ausgeschaltet, unsere prächtige Flutduin-Schwadron kümmerte sich um die übriggebliebenen.
Daraufhin begann ich mir Sorgen um das Schicksal des Rests unserer Voller-Schwadron zu machen.
Hier und jetzt mochten wir einen Erfolg erzielt haben; den anderen war es vielleicht nicht so gut ergangen.
Bei Vox! Wie schwer wog doch die Verantwortung eines Herrschers! Je eher mein Sohn Drak die Last übernahm, desto besser. Das war die schlichte, nüchterne Wahrheit, dagegen kamen die Geheimnisse Imriens nicht an.
Die hochaufragenden Wolkenklippen, die uns wie wogende Bergmassive umgaben, die schmalen Schluchten klarer Luft dazwischen, die dahinhuschenden Luftboote – dies alles wirkte auf mein Gemüt. Es war ein wunderschönes Bild, eine Pracht aus blauen und weißen Tönungen und strahlender Helligkeit; aber zugleich war noch der Gestank brennender Schiffe wahrzunehmen, ein Aroma, das mir nicht gefiel, ganz und gar nicht, bei Krun!
Kapitän Voromin fragte: »Wohin nun, Majis?«
Ich mußte meine Verwirrung überwinden und mich auf die anstehenden Probleme konzentrieren. Menschenleben waren in Gefahr. Das Leben braver Männer, meiner Männer, auch das Leben loyaler Frauen. Ich richtete mich auf, doch meine Hand umfaßte weiter Delias Finger. Die Beruhigung, die sie mir gab, brauchte ich im Augenblick sehr, das versichere ich Ihnen.
Ich zwang mich dazu, langsam und gedehnt zu sprechen. »Ich finde, Käpt'n, du solltest einen Kurs Süd-Südwest wählen.«
»Quidang!«
So rasten wir weiter dahin, und der Fahrtwind pfiff über die Schutzscheiben. Die Sicht wechselte – neblige Dunstfelder dehnten sich dünner werdend zwischen den absolut undurchdringlichen Wolkenmassen. Unter uns raste der Boden dahin, überzogen von Licht und Schatten. Von einer Besiedlung war kaum etwas auszumachen, denn die Menschen dort hatten wenig Lust, von den Soldaten des Königs von Nord-Vallia als Sklaven aufgegriffen zu werden.
Der Wolkenarm, der vor uns lag, erstreckte sich majestätisch in den nachmittäglichen Himmel. Die Zwillingssonne hüllte die Konturen in ein denkbar schwaches Apfelgrün und Orangerot – ein Feuer, das sich zu Jadegrün und Karmesinrot verdunkelte. Vor diesen Lichtströmen und dem massiven Herz der Wolken bewegte sich etwas – waren die winzigen Flecken Luftboote, die im Kampf umeinanderwirbelten?
Winzige flammende Punkte stürzten ab. Kapitän Voromin wußte sofort Bescheid.
»Sie haben sie erwischt«, sagte er und senkte sein Teleskop.
Targon drückte eifrig aus, was wir alle dachten: »Ja, Käpt'n. Aber wer hat wen erwischt?«
»Die Aufziehender Sturm hat ihre Vögel starten lassen.« Voromin rasselte die Namen von drei anderen Schiffen unserer Flotte herunter, die er identifizieren konnte. »Ich glaube, das Erwischen war gegenseitig.«
»Wenn alle Schiffe anwesend sind, gleichen wir mit unserer Ankunft den Kampf aus. Beten wir zu Opaz, daß wir noch rechtzeitig kommen.«
Mit allem, was unsere Silberkästen hergaben, steuerten wir die Voller ins Geschehen.
Da die Naths Hammer zunächst ihre Flutduin-Schwadron wieder an Bord nehmen mußte, folgte sie uns in großem Abstand; als sie endlich zur Stelle war, steckten wir schon mitten im Kampf.
Zwei Schiffe aus Nord-Vallia rasten uns entgegen. Nach dem ersten Zusammenprall wurden weniger Feuertöpfe geworfen, die im Nahkampf für beide Seiten nachteilig sein konnten.
Enterhaken wurden geworfen und bohrten sich mit ihren spitzen Widerhaken in Bordwände und Galerien. Das laute Gebrüll der Kämpfenden steigerte sich noch mehr. Wutschreiend versuchte der Feind zu entern.
»Die brüllen wohl so, um sich nicht in die Hose zu machen«, bemerkte Targon von oben herab. Die Reihen der SWH blieben stumm. Bogenschützen schickten eine tödliche Pfeilsalve los, die die heranstürmende Reihe der Gegner niedermähte.
Koreros erhobene Schilde lenkten einige wenige Pfeile ab, die vom Kampfdeck des vor uns schwebenden Schiffes abgeschossen worden waren – den größten Schutz aber boten die dicken Bordwände. Ehe ich das Kommando geben konnte, das nun fällig war, reagierte Deldar Phanton Vimura, Kommandant unserer Burschen auf dem Kampfdeck der Herz von Imrien, und ließ sie die gegnerischen Bogenschützen anvisieren. Es hätte ein interessanter Kampf werden können: Bogenschützen gegen Bogenschützen, doch schon richtete die Besatzung einer unserer Heck-Gros-Varters ihr Geschütz aus und schickte einen massiven Felsbrocken auf die Reise.
Der erste Schuß riß eine Lücke in die Flanke des Aufbaus, der nächste vernichtete die gesamte hölzerne Flanke uns gegenüber.
Gestalten wirbelten heraus.
»Ich glaube, sie haben nicht damit gerechnet, daß wir so gut bemannt sind«, bemerkte Targon. »Findest du nicht auch, daß es an der Zeit ist, sie fertigzumachen?«
»Ich werde ...«, setzte ich an.
»Ich komme mit«, sagte Delia sofort.
»Also gut, Targon«, bemerkte ich. »Leg los!«
Ohne auf den herrschaftlichen Ehestreit zu warten, der eindeutig im Anzug war, eilte Targon zu seinen Leuten. Noch immer blieben sie erstaunlich leise, als sie sich von Schützen in Nahkämpfer verwandelten, über die Bordwand hinweg losstürmten. Dieser tödlich stumme, unwiderstehliche Ansturm mußte auf den Feind weitaus bedrohlicher wirken als jede Menge Geschrei. Wenn unsere Kerle dann doch noch die Stimme zu Hilfe nahmen, kurz bevor sie dem Feind auf dem eigenen Deck das Fell gerbten, dann brüllten sie. Aye, bei Vox! Sie brüllten dann laut genug, um den verflixten Gegner fortzublasen!
»Du erstaunst mich immer wieder, Mann!«
»Wieso? Weil es mir nicht gefällt, dich aufgespießt oder über Bord fallen zu sehen?«
»Ich trage einen Sicherheitsgurt.«
Ich kam mir wie ein Trottel vor. »Aye, aye«, grollte ich, »aber was das erstere angeht ...«
»Ich kann mich allmählich des Gefühls nicht erwehren, Dray Prescot, daß du langsam weich wirst – und das sage ich dir nicht zum erstenmal.«
An Deck des Schiffes, das an Steuerbord vor uns lag, gab es wirbelndes Durcheinander und lautes Geschrei. Das Schiff an Backbord schien bereits besiegt. Die Jungs waren einfach hinübergestürmt und hatten die Opposition fortgeschwemmt.
»Wie dem auch sei«, sagte ich mit meiner knurrigsten Stimme, »jetzt ist es jedenfalls zu spät.«
»Targon hatte wahrscheinlich recht. Die Gegner sind eine Luftstreitmacht und hatten keine Ahnung, daß wir so viele Kampftruppen an Bord hatten.«
Wir schauten zu, wie die Offiziere ihren unterschiedlichen Pflichten nachkamen. Nordvallianische Flugboote flohen und versteckten sich wie fliehende Kaninchen in den Wolken. In dem dichten Dunst waren sie vor Anbruch der Dunkelheit kaum aufzutreiben, so daß wir auf eine Verfolgung von vornherein verzichteten. Prisenmannschaften gingen an Bord der erbeuteten Voller.
Hunderte von Flaggen wehten stolz im Zwielicht des Abends, als wir auf unserem Kurs zurückflogen und schließlich im vordersten Feldzuglager am Brunnen des Abschieds landeten. Der unerwartete Erfolg unserer Expedition stimmte alle froh.
»Bald stößt das Hauptheer zu uns«, bemerkte Korero. »Ob du mir dann noch so einen ruhigen Kampf spendieren kannst?«
»Wir haben ein kleines Luftscharmützel gewonnen«, stellte ich mit ernster Stimme richtig. »Der große Kampf steht noch aus. Ehrlich – ich kann dir deine Frage nicht beantworten.«
»Wie San Blarnoi sagt«, bemerkte Delia, »mit Hoffnung allein läßt sich kein Getreide ernten.«
»Ebensowenig verursacht sie eine Änderung der Windrichtung.« Ich beobachtete die Blätter der Bäume, die den Brunnen säumten. »Aber als alter Seemann spüre ich, wenn der Wind dreht. Bald wird die Flotte bei uns sein. Dann, meine Freunde, werden wir sehen, was sich tut.«