20
Der Winter war streng gewesen, kälter und stürmischer als jeder andere Winter in al-Andalus seit Menschengedenken. Beim ungewohnten Anblick von Schnee, der sich wie Schaum über die milden Gärten von Córdoba breitete, rannten die Kinder vor Freude jauchzend ins Freie. Die Eltern jubelten nicht. Obwohl die seltsame Schönheit ihrer sonnigen Stadt unter der Schneedecke auch sie nicht gleichgültig ließ, schmerzte es sie doch, mit anzusehen, wie die Zypressen unter dem doppelten Angriff von Wind und Schnee hin- und herschwankten, wie die Dachziegel in rötlichen Scherben zerbarsten, wie sich Risse in dem für warme Sommer gebauten Mauerwerk zeigten. Saris größter Kummer war der Tod der Pflanzen, die sie seit den Tagen vor ihrer Heirat sorgfältig gepflegt hatte. Mit den Jahren waren sie so groß geworden, daß man sie im Garten in eine Ecke gepflanzt hatte, doch obwohl sie dort zu gedeihen schienen, überlebten sie den strengen Winter nicht.
Hais Zypresse war inzwischen vier Jahre alt, sie hatte nur wenig gelitten, da sie von den ausgewachsenen Bäumen ringsum abgeschirmt wurde. Nur ein, zwei Äste ragten hier und da wie gebrochene Gliedmaßen hervor, störten die elegante, schmale Silhouette. Sari deutete den Tod der Pflanzen des Einsiedlers als Symbol für das Ende ihrer einsamen, unfruchtbaren Jahre, das Überleben des Zypressenschößlings jedoch versprach große Dinge für Hais Zukunft. Wenn die gelehrten Männer von Córdoba an den Einfluß der Sterne auf das Leben der Menschen glaubten, warum sollte sie dann nicht überzeugt sein, daß ein anderes Geschöpf Gottes ihr etwas über die Zukunft verraten konnte? So erklärte sie es jedenfalls lächelnd Da'ud, um ihn von seinen Alltagssorgen abzulenken. Obwohl er solche Gedanken bei seinen Kollegen ungeduldig abtat, lächelte er nachsichtig über Saris Vorstellungen. Ihr Frohsinn hielt ihn stets ein wenig von seinen Grübeleien ab.
Bei den ersten warmen Strahlen des Frühlings bepflanzte Sari ihre Ecke des Gartens neu. Eines Morgens war sie gerade dort beschäftigt, als Djamila und Amira in frischen, farbenfrohen Gewändern mit strahlend bunten Seidenschärpen um die Taille auftauchten.
»Wir machen einen Spaziergang am Fluß«, rief Djamila ihr zu, während sie die Hand ihrer Tochter ergriff und mit ihr an dem kleinen Wasserlauf entlang zu einem Tor in der Mauer am äußersten Ende des Gartens eilte. Sari winkte ihnen zum Abschied nach, folgte ihnen mit traurigem Blick. Es tat ihr in der Seele weh, daß Da'ud die beiden so offenkundig verachtete. Doch er gestattete ihr nicht, das Thema auch nur anzusprechen. Vielleicht würde sich doch noch eine passende Gelegenheit ergeben, seufzte sie, während sie sich wieder ihren Pflanzen zuwandte und ein Blatt liebkoste, das noch ganz hell und zart war, gerade eben im Frühling neu geboren. Wie gut, daß sie und Djamila so verschieden waren, daß sie so mühelos in Harmonie unter einem Dach leben konnten. Sie fühlte sich zwar noch manchmal ein wenig schuldig wegen der Lage, die sich im Hause ergeben hatte, aber letztlich war Da'ud allein dafür verantwortlich, wie sich die Situation weiterentwickelt hatte. Wenn man ihn schon nicht bewegen konnte, sich seiner zweiten Frau und seiner Tochter gegenüber anders zu verhalten, dann würde wenigstens sie dafür sorgen, daß Hai und Amira als Freunde aufwuchsen.
Amira, die endlich von den Beschränkungen der Wintermonate befreit war, rannte und hüpfte neben ihrer Mutter her, nahm eine frisch gebackene goldgelbe Pastete vom Teller eines Straßenverkäufers und stopfte sie sich in den Mund, kitzelte die zuckenden Ohren eines festgebundenen Esels und bettelte um einen mit Zucker überzogenen Apfel, ehe die beiden das Getümmel des Marktes hinter sich ließen und zum Fluß hinuntergingen. Djamila wußte, daß sie dort die drei Schwestern Bar Simha antreffen würde, die im Laufe der Jahre ihre ständigen Gefährtinnen geworden waren. Die Zeit und ihre unterschiedlichen Erfahrungen als Ehefrauen und Mütter hatten die starke Ähnlichkeit ihrer jüngeren Jahre etwas zurücktreten lassen. Sitbora, die Älteste, war eine herrische, beinahe dominante Matrone geworden. Dona war zu einer nachdenklichen Seele herangereift, während Palomba, die Jüngste, die ihren drallen Busen vorstreckte wie die Taube, der sie ihren Namen verdankte, ein passives, leicht zu beeinflussendes Kind geblieben war, das sich mit allen und jedem einverstanden erklärte.
Der übliche Treffpunkt, eine Wiese unter dem großzügigen Schatten einer Akazie, war vom angestiegenen Wasser des Flusses überschwemmt, das seit der Schneeschmelze wild toste. Djamila fand ihre Freundinnen ein wenig abseits. Sie spazierten durch eine Wiese mit wilden Anemonen, die beim ersten Anzeichen des Winterendes erblüht waren und den Boden mit einem zarten roten Schimmer überzogen. Die drei redeten nicht wie gewöhnlich über die Eheschließungen ihrer Kinder, von denen sich einige bereits im heiratsfähigen Alter befanden, sondern über eine Angelegenheit, die sich im Laufe des Winters ergeben hatte. Ihre Eltern waren beide hochbetagt verstorben, Opfer der Kälte und der Feuchtigkeit geworden, denen ihre ohnehin schon gebrechlichen Körper nicht genügend Widerstand zu leisten vermochten. In seinem Testament hatte der Vater der jüdischen Gemeinde eine beträchtliche Summe für wohltätige Zwecke vererbt, hatte es aber versäumt, die Institution zu benennen, für die dieses Geld verwendet werden sollte. Die Schwestern, die darauf erpicht waren, den Ruhm ihrer Familie zu mehren und den Namen ihres Vaters zu verewigen, sprachen gerade über mögliche Nutznießer, als Djamila und Amira sich zu ihnen gesellten. Das Kind eilte sogleich, einen Strauß seidiger Anemonen zu pflücken, streichelte sich mit den weichen Blütenblättern übers Gesicht und ärgerte dann eine Gottesanbeterin, die es erbarmungslos von einem Blatt zum anderen verfolgte.
Djamila machte einen Vorschlag, der nur ihrem kühnen, freien Geist entspringen konnte. »Warum richtet ihr mit dem Geld nicht eine Talmud- und Thoraschule für Mädchen ein?«
Schallendes Gelächter ließ die Busen der drei Schwestern Bar Simha erbeben.
»Sei doch einmal ernst«, ermahnte sie Sitbora. »Wir suchen nach einem Vorschlag, den wir unseren Männern unterbreiten können. Sie sind ohnehin nicht sonderlich versessen darauf, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen, denn in solchen Fällen wird normalerweise der Vorsteher der Gemeinde beauftragt, die Gelder nach seinem Gutdünken zu vergeben.«
»Aber ich meine es doch ernst«, protestierte Djamila. »Warum sollte unseren Töchtern die Bildung vorenthalten werden, auf der wir bei unseren Söhnen so rigoros bestehen?«
»Da ist etwas daran«, nickte Dona nachdenklich, während sie sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen ließ.
»Ja, ich glaube, du hast recht«, pflichtete ihr Palomba erwartungsgemäß bei.
Sitbora jedoch überstimmte sie beide. »Allein der Gedanke ist unvorstellbar«, konstatierte sie mit Entschiedenheit. »Die Männer würden so etwas niemals zulassen, und ohne sie können wir nichts machen.«
»Unsinn!« schimpfte Djamila. »Ihr braucht nur ein Schulzimmer und Bücher. Eine Lehrerin habt ihr schon.«
Drei Paar Rehaugen wandten sich voller Erstaunen auf sie. »Du?«
»Wer sonst?«
»Du, ein Mitglied des großen Hauses Ibn Yatom? Dein Mann würde beim bloßen Gedanken heftig widersprechen! Nein«, erklärte Sitbora, »ich bin nicht bereit, derlei umstürzlerische Gedanken zu unterstützen. Meine Ruhe ist mir lieber. Außerdem, wozu brauchen unsere Töchter Bildung, wenn sie doch ihr Leben ihrem Ehemann, ihren Kindern und ihrem Haushalt widmen werden?«
Nach reiflichem Überlegen schloß sich Dona ihrer Meinung an, und Palomba als folgsames Lamm ebenfalls.
»Was wir uns vorstellen könnten«, meinte Dona dann milde, »wäre der Anbau eines neuen Flügels an das Waisenhaus für Mädchen.«
»Das ist eine wunderbare Idee!« strahlte Palomba über ihr ganzes rundes Gesicht und zeigte ihre Grübchen.
»Aber nur, wenn der Plan voll und ganz von Da'ud ibn Yatom unterstützt wird«, warnte Sitbora, »denn wenn ein Gebäude einmal errichtet ist, braucht es auch Wartung und Pflege, und für die muß die Gemeinde aufkommen. Ehrlich gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, daß unsere drei Ehemänner sich damit einverstanden erklären würden, die herzlichen Beziehungen zu Djamilas Ehemann aufs Spiel zu setzen, indem sie einen eigenen Vorschlag unterbreiten. Nur wenn wir uns seines Wohlwollens sicher sind, haben wir überhaupt eine Chance, sie davon zu überzeugen.«
Wieder einmal richteten sich drei Augenpaare auf Djamila, diesmal erwartungsvoll. Denn obwohl die Schwestern wußten, daß sie in Da'uds Haushalt nur die zweite Stelle einnahm, hatten sie keine Vorstellung davon, wie sehr sich die beiden Ehepartner entfremdet hatten.
Die ins Abseits geratene Ehefrau des Da'ud ibn Yatom spürte, wie ihr die Knie weich wurden und die Übelkeit den Magen umdrehte. Niemals würde sie zugeben, auch nicht ihren besten Freundinnen gegenüber, in welch erniedrigende Position im Haushalt sie inzwischen verbannt worden war. Keine Menschenseele außerhalb der engsten Familie wußte, daß ihr Ehemann am Sabbattisch nur einen flüchtigen Gruß für sie hatte, kaum einen zerstreuten Kuß für seine Tochter Amira. Daß ihr Bett kalt war. Daß nur Hai ihren Ehemann auf seinen Spaziergängen begleitete, wenn er den Fortschritt beim Bau des Hospitals in Augenschein nahm. Daß Amira, wenn sie die beiden fortgehen sah, zu ihm lief und bettelte, auch mitgenommen zu werden, dann aber nur einen kleinen Klaps auf das Hinterteil bekam und zu ihrem Kindermädchen oder der Mutter zurückgeschickt wurde. Djamilas Stolz und gesellschaftliche Stellung ließen es nicht zu, daß sie diese Dinge irgend jemandem anvertraute. Niemals könnte sie zugeben, daß sie in den Augen ihres Ehemanns nicht mehr existierte und daher keine Macht besaß, ihn in irgendeiner Weise zu beeinflussen.
Und doch glimmte noch ein Funken Hoffnung in ihr, denn vielleicht würde er sich geschmeichelt fühlen, über ein so ehrenwertes Vorhaben die Schirmherrschaft zu übernehmen. Ein Vorhaben zur Erinnerung an Isaac bar Simha, das stimmte zwar, aber unter der erhabenen Schirmherrschaft von Da'ud ibn Yatom … Doch dieser Funke erlosch, kaum daß er aufgeflackert war. Wenn sie ihm einen solchen Vorschlag unterbreitete, er würde ihn zurückweisen, nur weil sie ihn gemacht hatte. Wie sollte sie dann ihren Freundinnen je wieder unter die Augen treten? Wie könnte sie eine so unerklärliche Weigerung begründen, ohne ihnen zu offenbaren, daß ihre Stimme im Hause ihres Ehemannes nichts mehr zählte? Sie mußte also einen anderen Weg finden, ihm die Anfrage nahezubringen, vielleicht durch einen neutralen Boten … Wenn sie sich nun an seinen Sekretär für Angelegenheiten der Gemeinde wandte, diesen unauffälligen, äußerst bescheidenen Menschen, der mit den grauen Wänden des Raumes zu verschmelzen schien, in dem er schweigend die Befehle seines Herrn ausführte …
»Ich werde mit Da'ud sprechen, sobald sich eine Gelegenheit ergibt, aber jetzt muß ich gehen«, erwiderte sie hastig auf die fragenden Blicke ihrer Freundinnen.
»So bald schon?«
Sie rief Amira zu sich und meinte leichthin: »Ich habe versprochen, mit Amira ihren Großvater zu besuchen, sobald das Wetter besser ist. Jetzt, da er nicht mehr in der Talmud- und Thoraschule unterrichtet, ist sie seine einzige Schülerin. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, was für ein Vergnügen er daran hat, ihr das Lesen und Schreiben beizubringen«, erzählte sie lachend im Weggehen.
Djamila war zu unruhig und verwirrt, um gleich in die bedrückende Atmosphäre des Hauses Ibn Yatom zurückzukehren, und wanderte ziellos durch die Gassen und Sträßchen ihrer Wahlheimat. Ihre Nasenflügel bebten vom betäubenden Duft der frischen Gewürze, der vom Markt her wehte, vom Geruch des Pferdedungs, der aus den Ställen des Palastes drang, vom scharfen Gestank des Eselsurins, der in der Sonne trocknete – eine Mischung von Gerüchen, die sie an ihre sorglosen Kindertage erinnerte, an ein Leben, nach dem sie sich immer mehr zurücksehnte. Würde die Ehre, die Tochter Da'uds zu sein, Amira in späteren Jahren dafür entschädigen, daß ihr die Vaterliebe gefehlt hatte? Das fragte sie sich zum tausendsten Male.
»Mami, warum konnten wir nicht am Fluß bleiben, statt durch diese stinkenden Gassen zu spazieren?« beschwerte sich Amira. »Ich will nach Hause. Ich bin müde.«
»Quengle nicht«, antwortete Djamila barsch.
»Aber mir ist schlecht«, jammerte das Kind. »Ich will wieder zum Fluß und für Sari Blumen pflücken. Warum können wir da nicht hingehen?«
»Weil ich es sage.«
»Du bist wie Vater«, murmelte das Kind und senkte den Kopf, während seine Lippen bebten und ihm Tränen über die Wangen rollten. Djamilas Herz krampfte sich vor Reue zusammen. Sie nahm ihre Tochter auf den Arm und drückte sie an sich. Zum Teufel mit den Bar Simhas, murmelte sie vor sich hin. Sie würde mit Menahem sprechen, gleich morgen, am Donnerstag, und die Sache hinter sich bringen. Zur Entschädigung kaufte sie Amira auf dem Markt die schillernden Glasmurmeln, die sie sich schon so lange wünschte. Trotz all ihres angeborenen Selbstbewußtseins war Djamila beklommen zumute, als sie am nächsten Morgen den mittleren Flügel des Hauses betrat. Sie drang selten in Da'uds Bereich vor, hatte sich in der einschüchternden Strenge dieser Räume nie wohl gefühlt. Jetzt erhöhten die dunklen Holzpaneele, die an den Wänden aufgehängten hebräischen Texte in mattroter Kalligraphie, die dicken weinroten Teppiche, die ihre Schritte dämpften, nur noch ihre Unsicherheit. Die Tür zu Menahems Zimmer stand ein wenig offen. Sie klopfte leise an und betrat den düsteren Raum, ohne eine Aufforderung abzuwarten. Menahem hob den Blick von seinen Urkunden und schaute sie mit unverhohlenem Erstaunen an.
»Guten Morgen. Kann ich etwas für Euch tun?« fragte er höflich.
»Ich denke schon«, antwortete Djamila mit strahlendem, selbstbewußtem Lächeln. »Es geht um die wohltätige Schenkung, die Isaac bar Simha hinterlassen hat.«
»Eine nicht näher bezeichnete Spende, nicht wahr?«
»Ihr seid sehr gut informiert.«
»Das ist meine Aufgabe.«
»Natürlich. Genau deshalb bin ich hier, weil der Zweck der Spende nicht näher bestimmt wurde. Isaac bar Simhas drei Töchter möchten die Mittel im Andenken an ihren Vater für den Anbau eines neuen Flügels an das Waisenhaus für jüdische Mädchen verwenden, und sie bitten um die Zustimmung meines Mannes für dieses höchst lobenswerte Vorhaben.«
»Aus meiner bescheidenen Kenntnis der Gemeindeangelegenheiten«, antwortete Menahem vorsichtig, »ist mir bekannt, daß allein der Vorsteher der Gemeinde den Nutznießer einer nicht näher bezeichneten Schenkung bestimmt.«
»Ich weiß. Deswegen möchte ich Euch bitten, die Sache so vorzutragen, daß die Wünsche der Schwestern meinem Ehemann bekannt werden und er sie wohlwollend in Erwägung zieht.«
»Warum ich? Warum legen ihre Ehemänner nicht selbst einen offiziellen Antrag dieser Art vor?« fragte Menahem, der inzwischen vorsichtig geworden war.
»Angesichts der langjährigen Freundschaft zwischen den Familien Bar Simha und Ibn Yatom schien es mir einfacher, die Angelegenheit direkt zur Sprache zu bringen.«
»Warum wünscht Ihr dann meine Hilfe?«
»Derlei Dinge werden am besten von Mann zu Mann besprochen«, sagte Djamila leichthin.
»Eure Bitte ist so ungewöhnlich wie der Wunsch der Schwestern Bar Simha, den Nutznießer der Erbschaft ihres verstorbenen Vaters selbst zu bestimmen. Ich bin nur Angestellter und dem Willen meines Herrn in allen Dingen untergeordnet. Ich wiederhole noch einmal, daß es bei den Ehemännern liegt, einen förmlichen Antrag an Da'ud ibn Yatom zu stellen, und daß ich nicht befugt bin, diese Angelegenheit zur Sprache zu bringen. Wenn sie, wie ich vermute, nur ungern von der hergebrachten Tradition abweichen und nicht in die Vollmachten des Gemeindevorstehers eingreifen wollen, dann schlage ich vor, redet Ihr am besten selbst mit ihm.«
»Die Männer von Córdoba neigen nicht dazu, die Wünsche einer Frau in Betracht zu ziehen.«
»Ebensowenig, wie sie kaum unausgegorene Vorschläge von seiten ihrer Untergebenen erwägen«, konterte Menahem trocken und wandte sich wieder dem Studium der Papiere zu, die vor ihm lagen.
Da beugte sich Djamila vor, packte seine kantige Hand mit den wenig gepflegten Nägeln und legte sie mit der Handfläche nach unten neben ihre eigene bebende Hand.
»Seht nur!« rief sie. »Seht nur, wie sich Eure Hand und die meine ähneln! Beide sind sie groß und knochig, es sind muskulöse Hände, die auf dem Land hart gearbeitet, geschuftet und gepflügt haben, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Wir sind beide Bauern, Wachs in den Händen der Prinzen. Wer und was hat aber jenen die Macht gegeben, uns so zu führen, als wären wir leblose Marionetten ohne eigenen Willen oder eigene Meinung? Was kann der Vorschlag der Schwestern schon schaden, daß Ihr Euch so fürchtet, ihn zu unterbreiten?«
»Es geht nicht um schaden oder nicht. Ich brauche schlicht und ergreifend die Schirmherrschaft Eures Gatten, um mein hebräisches Lexikon und die Grammatik fertigzuschreiben. Ich kann es mir nicht leisten, mir seinen Unmut zuzuziehen, indem ich mich gegen jegliche Tradition stelle.«
»Was Ihr doch für ein jämmerlicher Feigling seid!« beschimpfte ihn Djamila, und Tränen der Verzweiflung brannten ihr in den Augen.
Menahem hob den Kopf und schaute sie unverwandt an. »Zweifellos, so lange diese Einstellung meinen Zwecken nützt. Aber, von einem Bauern zum anderen gesprochen, sie währt vielleicht nicht ewig.«
»Was währt vielleicht nicht ewig?« schnitt Da'uds Stimme wie eine kalte Stahlklinge durch die Luft.
Menahem und Djamila erbleichten, bestürzt über die Anwesenheit ihres Herrn zu einer so ungewöhnlichen Stunde.
»Was währt vielleicht nicht ewig?« wiederholte er eisig.
In blinder Wut fuhr Djamila zu ihm herum. »Die Unterwerfung der Frauen unter ihre Männer«, schrie sie ihm ins Gesicht, und all ihr Zorn lag in diesen unerhörten Worten.
»Wirklich? Und das war das Thema deines Gespräches mit meinem Sekretär?« erkundigte sich Da'ud beiläufig, nahm ein Dokument von Menahems Tisch und überflog es.
»Keineswegs«, erwiderte Djamila und erstaunte Menahem mit der festen Entschlossenheit, die sie angesichts der furchterregenden Gelassenheit ihres Gatten an den Tag legte. »Ich habe mit ihm über eine besondere Bitte der Schwestern Bar Simha gesprochen, die möchten, daß die wohltätige Schenkung, die ihr verstorbener Vater hinterlassen hat, für den Bau eines neuen Flügels am Waisenhaus für Mädchen verwendet wird. Menahem meinte, es sei nicht üblich, daß Frauen in solchen Angelegenheiten ihre Wünsche äußerten, und als ich mein Mißfallen darüber bekundete, meinte er, die Situation würde vielleicht nicht ewig währen.«
»Du möchtest zweifellos, daß sie jetzt gleich beendet wird?« fragte Da'ud kalt.
Djamila galoppierte weiter wie ein durchgegangener Gaul, konnte die Kraft ihrer Auflehnung nicht mehr zügeln. »Ich glaube, wenn man Mädchen eine grundlegende Bildung angedeihen ließe, ähnlich wie den Jungen, dann wären sie besser in der Lage, die Wirklichkeit des Lebens jenseits der engen Grenzen ihrer Häuser zu begreifen und sich eine eigene Meinung zu bilden.«
»Und du hast es also übernommen, die ›Meinung‹ deiner engsten Freundinnen vorzutragen?«
»Es würde mich freuen, wenn ihre Wünsche, die an sich schon großen Wert haben, wohlwollend in Betracht gezogen würden.«
»Da du es bist, die in ihrem Namen gehandelt hat, wäre es der Ehre unseres Hauses abträglich, wenn ich so ungnädig wäre, diese Bitte zu verweigern«, erwiderte Da'ud ohne einen Augenblick des Zögerns und setzte sie damit völlig außer Gefecht. »Ihre Ehemänner müssen trotzdem einen förmlichen Antrag in ihrem Namen vorlegen. Aber laß alle Betroffenen wissen, daß dies unter keinen Umständen als Präzedenzfall gelten darf. Ich verbiete dir strengstens, je wieder eine solche Initiative zu ergreifen. Ich habe deine Freundschaft mit diesen Frauen wider besseres Wissen toleriert. Strapaziere meine Geduld nicht übermäßig.«
Damit drehte er sich auf dem Absatz um, rief Hai aus dem Garten zu sich, der dort mit Amira und ihren neuen Glasmurmeln spielte, und nahm ihn zu seinem Besuch auf der Baustelle für das Hospital mit.
Sari spielte mit Amira weiter, wo Hai aufgehört hatte …
Djamila wandte sich, strahlend vor Triumph, Menahem zu. »Seht Ihr, Unterwürfigkeit zahlt sich nicht immer aus.«
»Ich würde mich an Eurer Stelle nicht zu früh freuen«, antwortete er säuerlich. »Euer Gatte ist ein umsichtiger und entschlossener Mann. Nicht umsonst hat er all die Jahre hindurch seine privilegierte Position halten können. Ich habe oft beobachtet, daß er sich im einen Augenblick zurückzieht, um dann zu einem günstigeren Zeitpunkt nur um so weiter vorzupreschen. Ich sage dies nicht, um Euren Triumph zu schmälern, sondern um Euch vor Eurer eigenen Impulsivität zu warnen.« Er legte seine Papiere zur Seite und schaute sie unverwandt an. In seinen Augen war ein neues Licht aufgeflackert, in seiner Stimme lag eine Spur von Zärtlichkeit. »Ich danke Euch für Eure Geistesgegenwart, als Ihr mich in Schutz genommen habt. Ich bewundere Euren Mut, aber er kann nur etwas bewirken, wenn Ihr ihn auch zu zügeln vermögt.«
»Von einem Bauern zum anderen gesprochen, Ihr redet weise«, gab Djamila offen zu. »Euer Rat ist gut. Darf ich ihn mir auch in Zukunft einholen, sollte sich die Notwendigkeit ergeben?«
»Mit Vergnügen, aber auf diskretere Weise als gerade eben.«
»Ich werde vorsichtig sein«, antwortete sie mit ungewöhnlicher Gefügigkeit, während sie sich zum Gehen schickte. Er folgte ihr mit den Blicken, bewunderte das Wiegen ihrer breiten Hüften, den Stolz ihrer aufrechten Schultern. Nachdenklich starrte er in den leeren Raum, den sie zurückließ, ehe er sich mit einem resignierten Seufzer wieder seinen langweiligen und staubigen Dokumenten zuwandte.