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Abd ar-Rahman ließ die Hände unter das flauschige weiße Handtuch gleiten, auf dem er ausgestreckt lag, und strich mit beinahe sinnlichem Vergnügen mit den Fingern über die glatte rote Marmorunterlage. Während Mustapha duftendes Mandelöl in die von vielen Kämpfen verhärteten Gliedmaßen des Kalifen massierte, um dann mit geübten Griffen alle Spannung aus ihm herauszukneten, seufzte und murmelte der Herrscher vor Wohlbehagen. Im Spektrum seiner Lebenswonnen nahm das Hochgefühl eines Sieges in der Schlacht das eine Extrem ein, dieses weiche Dahinschmelzen aller Gliedmaßen und Muskeln das andere. Nur eine Freude übertraf noch beide Wonnen, lag sie doch weit jenseits jeglicher Maßstäbe und Vergleiche. Und auch diese würde er später am Abend noch genießen, nach dem Empfang für die Würdenträger von Córdoba, mit dem er in Kürze die Einweihung seines neuen Palastes Medina Azahara zu feiern gedachte, der ein wenig abseits der umtriebigen, geschäftigen Stadt lag. Heute nacht würde er gewiß die höchste menschliche Verzückung erleben. Von allen Frauen seines Harems hatte er nur Zahra hierher in die großartige neue Palaststadt mitgenommen, die nach ihr benannt war. Ihre raffinierte, einfallsreiche Sinnlichkeit würde ihn heute nacht zu ungeahnten Höhen der Leidenschaft treiben. So würde sie ihrer Dankbarkeit über die Ehre, die er ihr hatte zuteil werden lassen, Ausdruck verleihen. Viele Stunden hätte er noch so liegen mögen und den Marmor streicheln können, dessen Glätte ihn an Zahras Haut erinnerte, während Mustaphas warme, geschmeidige Hände die mächtigen Muskeln seiner Schultern massierten, bis sie völlig entspannt waren, seinen Rücken bearbeiteten, bis er warm durchglüht war. Doch inzwischen versammelten sich gewiß bereits seine Gäste.

Auf ein unmerkliches Zeichen seines Herren hin ließ der getreue schwarze Eunuch in einer letzten Bewegung noch einmal die Handflächen zu beiden Seiten des Rückgrats herabgleiten. Dann erhob sich Kalif Abd ar-Rahman III. al-Nasir, Herrscher der Gläubigen, und begab sich in sein rundes Marmorbad, räkelte sich dort genüßlich, während Mustapha ihm das kurze helle Haar mit einer parfümierten Seife wusch, deren Zusammensetzung er eifersüchtig wie ein Staatsgeheimnis hütete. Er hatte gut daran getan, überlegte Abd ar-Rahman, dem Rat seines Sohnes zu folgen und Basil aus Byzanz zum Entwurf seiner Badehalle heranzuziehen. Nur die Griechen wußten, wie man Marmor so brach, polierte und verlegte, daß sich die Muster der Maserung in all ihrer geheimnisvollen und verschlungenen Schönheit offenbarten. Mit Basil waren Handwerksmeister gekommen, die die Kunst beherrschten, wie man Marmor in feinste, zarte steinerne Spitze verwandelte. Gemeinsam mit den geschickten Handwerkern aus Córdoba hatten sie die herrlichen Verzierungen der Eingangshalle geschaffen, die bald schon ganz Córdoba bewundern würde, später die ganze Welt. Endlich besaß das Kalifat der Omaijaden, dem er die Herrschaft über beinahe die gesamte iberische Halbinsel verschafft hatte, einen Palast, der seiner Macht, seinem Reichtum und seiner Größe gerecht wurde.

Wenn Abd ar-Rahman auf die dreißig Jahre seiner Regierungszeit zurückblickte, dann sah er einen Reigen von Triumphen: nach dem Tod von Omar ibn Hafsun, dem Erzfeind seines Vaters, dem Sproß einer spanischen Familie, die sich zum Islam bekehrt, aber gegen das Haus der Omaijaden revoltiert hatte, hatte er geschickt die Rivalität zwischen den beiden Söhnen des Rebellen angefacht. In der Folge hatte sich schließlich Bobastro, die letzte Hochburg der Rebellen in der gefährlichen Schlucht von Guadalhoce unweit von Málaga, ergeben, nachdem ihre Stärke von innen ausgehöhlt war. Eine Reihe wagemutiger Expeditionen in die nördlichen Regionen des Landes hatten die Christen in Schach gehalten und ihre Überfälle auf muslimisches Gebiet unterbunden. Kurz darauf hatten sich ihm auch die spanisch-muslimischen Herrscher des südwestlich gelegenen Badajoz unterworfen. Offensichtlich hatte die Familie der Ibn al-Jilliqi begriffen, daß der kraftstrotzende junge Kalif von Córdoba entschlossen war, jegliche Bedrohung der Einheit seines Königreiches zu unterdrücken, notfalls mit Gewalt. Nachdem er die niederen Regionen unter seine Herrschaft gebracht hatte, folgten die mittleren Gebiete, als auch Toledo seine Oberherrschaft anerkannte. Und sogar die Tujibiden in Saragossa, Rivalen arabischer Herkunft, die kurze Zeit mit dem christlichen Herrscher von Leon geliebäugelt hatten, hatte er sich mit der unerbittlichen Belagerung ihrer Stadt im Jahre 947 gefügig gemacht. Also hatten sich ihm auch die oberen Landstriche gebeugt. Nur die völlige Unterwerfung der christlichen Prinzen war noch nicht erzwungen …

Nachdem Mustapha seine Handreichungen beendet hatte, ließ sich Abd ar-Rahman in das heiße, duftende Wasser gleiten und bedachte noch einmal mit Freude die Nachricht, die man ihm am Morgen zugetragen hatte. Sein mächtiger christlicher Feind im Norden, Ramiro II. von Leon, hatte es mit einer Rebellion der Kastilianer zu tun bekommen, die ihm ihre Unabhängigkeit abringen wollten. Nichts hätte sich besser zu seinen eigenen ehrgeizigen Plänen fügen können. Jetzt brauchte er nur noch abzuwarten, bis die Christen durch ihre internen Streitereien so sehr geschwächt waren, daß ihnen gar keine andere Wahl mehr blieb, als ihm Tribut zu zollen. Dann wäre ihm ganz Spanien untertan. Wie süß würde die Rache schmecken an jenem Tag, da Ramiro vor ihm auf die Knie sank! Erst dann wäre die Schmach vergolten, die ihm der christliche Prinz vor einem Jahr in der Schlacht von Simancas angetan hatte.

Abd ar-Rahman stieg die Schamröte ins Antlitz, als die immer noch frische Erinnerung an diese Begebenheit erneut seinen Stolz zutiefst verletzte. Wie war es möglich, daß er, der unbesiegbare Befehlshaber der Militärmacht von al-Andalus, er, der entschlossene Heerführer, dem es gelungen war, so verschiedene, ja sogar rivalisierende Kräfte zu einer starken, geeinten Armee zusammenzuschließen, die jegliche äußere Bedrohung abschreckte oder unterdrückte, er, der aufgeklärte Staatsmann, der die unterschiedlichsten Völker in seinem Herrschaftsbereich ermutigt hatte, zum Wohlstand und zur kulturellen Blüte seines Reichs beizutragen, er, Abd ar-Rahman III. al-Nasir, für seine Männlichkeit und seine Eroberung von Männern und Frauen gleichermaßen berühmt, wie war es möglich, daß er ohnmächtig war, wenn es darum ging, seine uralte Kinderangst vor Vergiftung durch einen Schlangenbiß zu besiegen? Seit er als Dreijähriger den qualvollen Tod seines jüngeren Bruders miterlebt hatte, den eine giftige Natter im Palastgarten gebissen hatte, als ein maulender Gärtner für kurze Zeit die Aufmerksamkeit des Eunuchen abgelenkt hatte, der die Kinder eigentlich hätte beaufsichtigen sollen, seither hatte er sich von dieser lähmenden Furcht nicht frei machen können. Beinahe fünfzig Jahre waren inzwischen vergangen, aber die Erinnerung an das winzige Lebewesen, das schutzlos dem tosenden Fieber ausgesetzt war, das ihn verzehrt hatte, war nie verblaßt. Das Grauen hatte sich für immer in seine Seele gegraben, spukte ihm nachts durch die Träume, beunruhigte ihn, wenn bei Tag der Gedanke daran wieder in ihm aufstieg. Aber niemals waren die Konsequenzen so katastrophal gewesen wie in der Schlacht von Simancas.

Er war von Córdoba ausgezogen, um Ramiro mit einer Streitmacht herauszufordern, die wesentlich mächtiger als üblich war. Am Vorabend der Entscheidungsschlacht war er von einem Lagerfeuer zum anderen geschritten, in einem letzten, verzweifelten Versuch, die schwindende Moral seiner Truppe zu stärken. Die Männer, die um die tanzenden Flammen geduckt saßen, hatten nur einen einzigen Gedanken: wie sie sich vor dem schneidenden Wind schützen könnten, der über die Meseta gefegt kam und in Böen über die Anhöhe bei der Festung von Simancas wehte, auf der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Sie schlugen sich frierend die Arme um den Körper, summten dabei traurige, an- und abschwellende Melodien, die vom Verlangen nach den weichen, warmen Nächten Andalusiens durchzogen waren, das Welten von diesem unwirtlichen nördlichen Landstrich entfernt zu liegen schien.

Die Nacht war schon weit fortgeschritten gewesen, als er zu seinem Zelt zurückkehrte und sich auf die weichen Teppiche bettete. Doch trotz der körperlichen Erschöpfung des Tages und der nächtlichen Anstrengungen zur Hebung der Moral seiner Truppen schlief er sehr unruhig. Und dann stellte sich sein ständig wiederkehrender Alptraum erneut ein. Überdeutlich, lebendig, furchterregend lebensnah, so kam die grünlich schwarze Schlange auf ihn zu, glitt, schlängelte sich, zischte, schnellte ihren Giftzahn zu seinem Hals, während er schlafend in seinem Zelt auf einem seidenen Teppich lag … Seine Schreie waren so furchterregend gewesen, daß Mustapha, der wie ein Wachhund zu seinen Füßen schlummerte, ihm zur Seite gesprungen war und ihn wachrüttelte. Doch ohne Erfolg. Wie von Sinnen vor Angst, war er nicht in der Lage gewesen, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Seine Leibärzte waren ihm zur Seite geeilt, hatten ihm den Puls gefühlt, ins Antlitz gestarrt, von Aderlaß geredet. Aber in seiner Panik hatte er nur wild um sich geschlagen, sie verscheucht, als seien auch sie Schlangen, die zischend ihre Häupter erheben und ihn vergiften würden. Mit Mustaphas Hilfe gelang es den Ärzten schließlich, ihm ein Beruhigungsmittel aus Mohnsamen zu verabreichen, und als seine Furcht abgeklungen war, verfiel er in einen tiefen, betäubten Schlaf. So war es gekommen, daß seine Sinne, die ansonsten so scharf und wach waren, daß sie ihn beim geringsten Anzeichen einer Gefahr warnten, ebenfalls geschlummert hatten und daß sein Ohr die Geräusche verstohlener Bewegungen in der Ebene unterhalb des Lagers überhört hatte. Als er am nächsten Morgen seine Soldaten in die Schlacht führte, gerieten ihre Pferde ins Taumeln und fielen in einen perfekt getarnten Graben, den man frisch quer über die Felder gezogen hatte, die sein Heer überqueren mußte, um die Festung von Simancas zu belagern. Dann hatten sich Ramiros Soldaten von ihrem erhöhten Standpunkt aus auf sie gestürzt und ein grausames Gemetzel unter ihnen angerichtet.

Als er sich wieder an dieses blutige Massaker erinnerte, verwandelte sich Abd ar-Rahmans Scham abrupt in eiskalten Zorn. Warum hatten es all seine Ärzte nach all den Jahren trotz seiner wiederholten flehentlichen Bitten und Forderungen und trotz der ungeheuren Geldsummen, die er ihnen zur Verfügung gestellt hatte, nicht geschafft, das Geheimnis des Großen Theriak zu enthüllen? Es war höchste Zeit, daß er einen oder zwei von ihnen hinrichten ließ, vorzugsweise diejenigen, die bei Simancas Zeugen seiner schändlichen Schwäche gewesen waren, die bis dahin ein eifersüchtig gehütetes Geheimnis gewesen war, das er nur mit Abu Ilyas, seinem Leibarzt, und seinem getreuen Mustapha teilte. Ja, er würde ihre blutigen Häupter auf Stangen durch die Straßen von Córdoba tragen lassen, um die Überlebenden zu größerem Eifer anzuspornen. Es war unvorstellbar, daß so viele berühmte Gelehrte es nicht geschafft hatten, alle Pflanzenarten festzustellen, die für die Zubereitung dieses Gegengiftes benötigt wurden, das die alten Griechen für ein unfehlbares Heilmittel gegen Schlangengift gehalten hatten.

Voller Tatendrang sprang Abd ar-Rahman mit Schwung aus dem Bad. Er stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf, während ihn Mustapha mit einem rauhen Handtuch abrieb, ihm das Haar kämmte und ein, zwei silberne Fäden aus dem säuberlich viereckig gestutzten Bart schnitt, ehe er ihn mit Moschus parfümierte. Rasch schlüpfte der Kalif in das schneeweiße Gewand, das ihm der Eunuch hinstreckte, zog dann aus der Ebenholzschatulle, die dieser ihm hinhielt, einen einzigen Ring hervor, dessen riesiger Smaragd das erste Glied seine Zeigefingers, an den er ihn steckte, völlig verdeckte.

Während Mustapha Parfüm auf die Hände seines Herren träufelte, erkundigte er sich vorsichtig: »Den türkisblauen Umhang oder den scharlachroten?«, obwohl er die Vorliebe seines Herren bereits kannte. Der wählte unweigerlich stets einen Farbton, der den bläulichen Schimmer seiner dunkelgrauen Augen herausstrich, das Erbe der gefangengenommenen fränkischen Prinzessinnen, die seine arabischen Vorfahren verzaubert hatten.

»Den türkisen«, erwiderte Abd ar-Rahman knapp. Seine Finger zuckten ruhelos, während Mustapha den Umhang so befestigte, daß die Pfauen, die mit goldenen und silbernen Fäden prächtig gestickt den Umhang säumten, einander auf der mächtigen Gestalt seines Herren von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden.

»So«, sagte der Eunuch schließlich und beugte sich tief herunter, um noch den Saum zu richten, ehe er wieder in die Rolle der Leibwache seines Oberherrn schlüpfte.

Kalif Abd ar-Rahman III. al-Nasir, der Herrscher der Gläubigen, richtete sich zu seiner ganzen imposanten Größe auf und schritt mit königlicher Würde den Marmorkorridor entlang auf den großen Empfangssaal zu, wo sein Hofstaat ihn erwartete.

Stille senkte sich über die versammelte Gesellschaft, als sich die schweren Türen aus Zedernholz vor ihm öffneten. Prinzen, Höflinge und Würdenträger seines Reiches in ihren schimmernden Festgewändern warfen sich ehrfürchtig nieder, als ihr Herrscher erschien. Die ihm am nächsten standen, küßten den glänzenden Saum seines Umhangs. Mit liebenswürdiger Herablassung richtete er sie wieder auf, nahm ihre Huldigungen und Beifallsbekundungen gnädig entgegen, während er sich durch die Reihen bewegte. Manche ließen ihre glühende Bewunderung der luftig sich emporschwingenden Hufeisenbögen hören, andere staunten über die schleierzarten Verzierungen, die die Kapitelle der Säulen schmückten, die diese Bögen stützten. Aber die größte Begeisterung empfanden alle für die Ornamente, die vom Boden bis zur Decke in den Marmor gemeißelt waren, eine endlose und doch vollkommen geordnete ständig wiederkehrende Reihung von Stämmen und Ästen, Stengeln und Blättern, Knospen und Ranken, die sich wie Liebende umeinander schlangen, eine überschäumende Feier des unendlichen Lebens.

Nun bewegte sich Abd ar-Rahman zu den Tischen, die mit köstlich gewürztem Fleisch und Pasteten und allerlei Naschwerk, mit saftigen Früchten und duftenden Weinen beladen waren, und zupfte eine einzelne Traube aus einem goldenen Füllhorn. Dies war das Zeichen, daß nun das Festmahl beginnen konnte. Mit ungeheurem Stolz angesichts seiner Errungenschaften ließ der Kalif den Blick über die angesehenen Persönlichkeiten seines Reiches schweifen, einen glänzenden Hofstaat, zu dem viele herausragende Philosophen, Dichter, Sprachkundige und Musiker, Heilkundige, Mathematiker, Astronomen und Wissenschaftler gehörten, die im ganzen Mittelmeerraum, wenn nicht sogar weit darüber hinaus ihresgleichen suchten. Mit einer einzigartigen Mischung aus brutaler Gewalt und aufgeklärter Toleranz – ein Erbe seiner gemischten Herkunft? fragte er sich manchmal – hatte er erfolgreich Spanier, Berber und Araber, Christen, Moslems und Juden zu einer Einheit verschmolzen, all ihre Energien und Talente zum größeren Ruhm seines Kalifats zusammengeführt. Niemandem war deutlicher bewußt als ihm, daß nur durch den Erhalt dieser so geschaffenen Einheit die herrschende Minderheit der Omaijaden ihre Gewalt über das ungeheuer große und vielgestaltige Reich bewahren konnte. Für einen flüchtigen Augenblick beflügelte ihn ungetrübtes Hochgefühl. Er genoß diese so seltene Erfahrung in vollen Zügen, bis sein durchdringender Blick, bei Hof so wach wie auf dem Schlachtfeld, auf die Gestalt des Arztes Abu 'Amr fiel, der ihn nach Simancas begleitet hatte. Halb verdeckt war er hinter einer Säule am anderen Ende des Saales ins Gespräch mit dem knollennasigen Abu Bakr vertieft, einem spanischen Christen, der sich zum Islam bekehrt hatte und durch seine Ehe mit dem herrschenden Haus von Leon verbunden war. Zu seinem großen Glück war Abu Bakr auch der tüchtigste Steuereintreiber des Kalifats, eine Stellung, die ihn praktisch unverwundbar machte.

Mit seinem untrüglichen Gespür für Verschwörungen fühlte Abd ar-Rahman, daß die beiden kein unschuldiges Gespräch über den Gesundheitszustand Abu Bakrs führten. Es konnte für die Intensität ihrer Unterhaltung nur eine einzige Erklärung geben. Zwanghaft kehrten seine Gedanken nach Simancas zurück, immer wieder nach Simancas. Es bestand kein Zweifel. Das war die Konsequenz, die Katastrophe, die er stets gefürchtet hatte: von denen verraten zu werden, die ihm am nächsten standen, indem sie seinen Feinden seine Schwäche offen darlegten. Hatte nicht Simancas bewiesen, was für eine mächtige Waffe solches Wissen sein konnte? Nun, da er darüber nachdachte, war dies wohl auch der Grund für die ›Unfähigkeit‹ seiner Gelehrten, alle Zutaten des Großen Theriak festzustellen. Das ganze vergangene Jahr über hatten Ramiros Leute sie unzweifelhaft bestochen, ihn mit lahmen Entschuldigungen hinzuhalten, so daß niemals ein Heilmittel gegen seine Phobie gefunden würde. Die morgige Hinrichtung zweier Ärzte, die in Simancas anwesend waren – und es war immer noch Zeit genug, auch Abu 'Amr auf diese Liste zu setzen, – war schön und gut als Strafmaßnahme und als unheilvolle Warnung an alle anderen, aber sie löste sein Problem nicht. Er mußte Gelehrte und Ärzte finden, deren Treue über alle Zweifel erhaben war. Ruhelos schweifte sein Blick über die lächelnde, schmeichelnde, unterwürfige Menschenmenge, die ihn umschwärmte, auf der Suche nach Männern, deren Sicherheit und Wohlstand nur von seiner herrscherlichen Gnade abhingen, nach vertrauenswürdigen Untertanen, die weder ehrgeizige Absichten auf die Herrscherwürde hegten, noch mit seinen Rivalen gemeinsame Sache machten, seien dies die Araber, Spanier oder Berber, die er in seinem Reich in Schach hielt, oder die Christen, die ihn von außen bedrohten. Die Wahl war eindeutig. Er winkte Mustapha zu sich und murmelte: »Suche Abu Da'ud und bringe ihn zu mir.«

Abu Da'ud Ya'kub ibn Yatom näherte sich dem Kalifen mit einer Miene bescheidenen Respekts, die bei aller Vorsicht doch der Würde nicht entbehrte. Obwohl er als begüterter Mann bekannt war, trug er ein Gewand von zurückhaltender Eleganz, war sein Festkleid schlicht, aber aus hervorragend geschnittener feinster Seide aus Córdoba. Das einzige Schmuckstück, das er zur Schau stellte, war ein dunkler, in Silber gefaßter Hämatitring. Der Stein war in Form einer Olive geschnitten und quer gestellt, er schien der Form seiner dunklen, stillen Augen nachgebildet zu sein.

»Möge der Herr tausend Segnungen auf Euch herabregnen, o Anführer der Gläubigen!« begann er und fiel vor seinem Herrscher auf den Boden, »und möge Euch ein langes Leben beschert sein, auf daß Ihr dieses Gebäude, das die Augen der Betrachter mit seiner Herrlichkeit blendet und alle auf Erden je von Anbeginn der Zeiten bis in unsere Zeit von Menschenhand geschaffene Schönheit übertrifft, lange genießen könnt.«

Der Kalif nahm dieses Kompliment mit einem leisen Lächeln der Zufriedenheit entgegen. »Es steht der Herrlichkeit unseres Kalifates wohl an und wird uns Ehre und Respekt unter den Nationen verschaffen.«

»Eure Weisheit ist grenzenlos«, erwiderte Abu Da'ud, während Abd ar-Rahman von einem vorübergehenden Diener einen goldenen Kelch mit perlendem Wein entgegennahm und ihm diesen reichte. »Wie geht es Eurer Frau und Eurem Sohn?«

»Gott sei gelobt, es geht ihnen gut.«

»Und Euer Handel?«

»Blüht.«

Nachdem sie derart die höfliche Konversation hinter sich gebracht hatten, wählte sich Abd ar-Rahman mit äußerster Sorgfalt von einer Platte, auf der Früchte und Nüsse hoch aufgetürmt lagen, einen Mandelsplitter aus, untersuchte ihn peinlich genau, ehe er ein winziges Eckchen abbiß. Er kaute lange daran, während Ya'kub geduldig abwartete, was sein Herrscher zu tun geruhte. Schließlich nahm er den Mann beim Ellbogen, nickte den Prinzen und Höflingen im Vorübergehen huldvoll lächelnd zu, und führte ihn in den Garten, der eine elegante Fortsetzung des Saales bildete.

Es war einer jener Abende, deren Schönheit die Dichter von al-Andalus zu preisen nicht müde wurden – lau und sanft, zärtlich, vom Duft des Jasmins und der Orangenblüten durchweht, ein Abend, der alle Menschen lockt, die ach so vergänglichen Freuden des Lebens zu genießen. Das Mondlicht glitzerte auf den Fontänen, die sich überall in den Teichen aus den Mäulern der großen bronzenen Hirsche und Greife in zarten Bögen ergossen, und das Murmeln der Wasserströme begleitete die Stille der Nacht. Wortlos schritt Abd ar-Rahman auf eine abgeschiedene Laube zu, welche vom dichten Laub prächtig gedeihender Zypressen gebildet wurde, die in geometrischer Präzision um einen kleinen achteckigen Teich angepflanzt waren, dessen stille Wasser das Mondlicht in silbernen Glanz tauchte.

»Abu Da'ud«, hob Abd ar-Rahman schließlich an, während sie miteinander spazierten, seine mächtige Gestalt neben Ya'kubs zarter Silhouette. »Euch, als Anführer der Juden von Córdoba sind sicher alle Gelehrten und Ärzte Eures Volkes bekannt?«

»Ich kann mit Stolz behaupten, daß ich ausgezeichnete Beziehungen zu ihnen pflege.«

»Ihr seid Euch gewiß auch bewußt, daß wir während unserer gesamten Herrschaft ein besonderes Interesse an der Zusammensetzung des Großen Theriak bekundet haben?«

»Ich habe es sagen hören.«

»In meinen ersten Jahren als Kalif machten wir große Fortschritte bei der Entdeckung der zweiundvierzig Zutaten, die uns zunächst nur mit ihren griechischen oder lateinischen Namen bekannt waren. Doch in den letzten Jahren hat keiner der Gelehrten und Ärzte, die ich mit der Suche nach den beiden noch verbleibenden Ingredienzen betraut habe, die für die Formel noch fehlen, diese zu finden vermocht. Das Geheimnis des Großen Theriak zu lüften würde bedeuten, daß Tausende von Leben gerettet und unermeßliches menschliches Leid vermieden werden könnte.«

Abd ar-Rahman hielt einen Augenblick inne und packte Ya'kub fest beim Arm, als bedürfe er seiner Stütze. Seine innere Triebkraft schien plötzlich aus ihm gewichen zu sein, er wirkte schwach und verletzlich. Seine Stimme senkte sich zu einem drängenden Flüstern, und er fuhr fort: »Ohne Übertreibung kann ich sagen, daß es mir größere Wonne bereiten würde, als der Mann Unsterblichkeit zu erlangen, der das Geheimnis des Großen Theriak wiederentdeckt hat, denn als der Kalif, der die Medina Azahara errichten ließ. Dies sind nur leblose Steine, deren Sinn es ist, die Mächtigen zu beeindrucken und die Schwachen in ihre Schranken zu verweisen. Eines Tages wird ein anderer Kalif sie zerstören, oder sie zerfallen von selbst zu Staub. Aber der Große Theriak gäbe uns die Kraft, das Geschenk zu erhalten, das nur Allah in seiner Macht verleihen kann, jenen zarten Atemhauch, dessen Geheimnis alle Philosophen der Welt bisher nicht zu entschlüsseln vermochten. Was könnte eine größere Leistung sein, als die Menschen von der Gefahr des tödlichen Schlangengiftes zu befreien?«

»Wie unerforschlich sind die Wege des Herren, o Herrscher der Gläubigen!« stimmte ihm Ya'kub feierlich zu. »Ihr bringt mit unendlicher Weisheit und unerreichter Eleganz einen Gedanken zum Ausdruck, den mir mein Sohn erst unlängst mit schlichteren Worten mitteilte.«

»Interessiert sich Da'ud für die Wissenschaften?«

»Ganz gewiß. Seine religiösen und weltlichen Studien hat er bereits abgeschlossen, und zu denen gehört auch das Studium der Sprachen und der Naturwissenschaften sowie die beste Ausbildung in der Kunst der Medizin, die man in Córdoba genießen kann«, erklärte Ya'kub mit väterlichem Stolz. »Ich hatte die Hoffnung gehegt, er würde seine Studien des Hebräischen und der jüdischen Religion und Tradition fortsetzen und einmal die Rolle des spirituellen Oberhauptes und Mentors unserer Gemeinschaft übernehmen, aber er scheint eher geneigt, die Geheimnisse der Natur zu erforschen, um die Leiden der Menschen zu lindern. Obwohl ich sein Vater bin und eine gewisse Autorität über ihn besitze, sehe ich mich doch machtlos angesichts dessen, was ich als eine echte Berufung erkenne. Und außerdem würde ich es als unrecht ansehen, seinen Ehrgeiz zu untergraben, da er doch nach dem Höchsten strebt.«

»Aus Euch spricht die Weisheit, Abu Da'ud.« Abd ar-Rahman ließ Ya'kubs Arm los und erlangte sein erhabenes Gleichgewicht wieder. Mit militärischer Knappheit befahl er nun: »Dein Sohn soll morgen hier erscheinen. Ich möchte allein mit ihm reden. Und ich befehle dir, den Inhalt unserer Unterhaltung niemandem außer deinem Sohn zu enthüllen.«

»Ihr habt mein feierliches Wort, daß nichts von dem, was zwischen Eurem erhabenen Hause und meiner bescheidenen Hütte geschieht, nach außen dringen wird«, erwiderte Ya'kub, dessen stille Augen keinerlei Gefühlsregung verrieten.

»So sei es«, bestätigte der Kalif, während er sich schon abwandte und zu seinen anderen Gästen zurückkehrte. Er mischte sich noch eine Weile unter die Menge, beobachtete Freunde und Rivalen mit gleichermaßen scharfem Blick, bis ihn die Sehnsucht nach der weichen und tröstlichen Umarmung Zahras übermannte. Er gab einer der Palastwachen noch einen knappen Befehl und zog sich dann still zurück, überließ die anderen ihrem Gelage.