12
Obwohl das Wetter in den ersten Frühlingsmonaten des Jahres 958 recht mild war, erhob sich Da'ud steif und fröstelnd von dem harten Lager, auf dem er die Nacht verbracht hatte. Die Feuchtigkeit, die der rauhe graue Stein der Burg von Pamplona aufgesogen hatte, war ihm bis in die Knochen gedrungen, eine Feuchtigkeit, die im sanften Klima Córdobas völlig unbekannt war. Da man ihm nichts als einen Krug kalten Wassers gebracht hatte, wusch er sich nur flüchtig, legte dann sein schlichtes Gewand und das schwere, mit Juwelen besetzte Goldmedaillon an, das er auf Abd ar-Rahmans ausdrücklichen Wunsch bei solchen Gelegenheiten trug – »um meine christlichen Feinde mit dem Reichtum und der Macht des Kalifen zu beeindrucken, dessen Gesandter Ihr seid.«
Immer noch fröstelnd, betrat Da'ud den unwirtlichen großen Saal der Festung, dessen einzige Zierde ein einfaches Holzkreuz war, das über dem leeren Kamin an der Wand hing. Jemand schob ihm ein mageres Frühstück, bestehend aus dunklem Brot und Ziegenmilch, hin, und man bedeutete ihm grob, er solle noch warten. Während die Zeit verflog, verspürte Da'ud, wie sein Zorn wuchs. Er war es gewohnt, mit größerer Höflichkeit behandelt zu werden. Gerade überlegte er, ob er nicht in der kühlen Morgensonne einen Spaziergang um die Wälle machen sollte, als er auf der Wendeltreppe, die zum Saal führte, schwere Schritte vernahm. Einen Augenblick später kam Toda auf ihn zugeeilt.
»Endlich lernen wir uns kennen, Meister Da'ud«, meinte sie und musterte ihn unverhohlen, während sie ihren Umhang in dem massiven Silbergürtel zurechtzog. »Ihr seid das also, der damals von Sanchos Halbbruder, dem verstorbenen und viel beweinten Ordoño III. einen solch hohen Tribut erpreßt habt.«
»Sehr wohl, Madam, aber ich habe ihm seine Festungen gelassen.«
»Jämmerliche Entschädigung«, knurrte Toda. Nachdem sie einen Krug Bier heruntergestürzt hatte, den ihr ein übellauniger Diener gereicht hatte, kam sie zum Thema, ohne die höflichen Eingangsfloskeln zu beachten, die im arabischen Handel üblich waren. »Wenn Ihr ein ebenso geschickter Arzt wie Verhandlungsführer seid, dann sollte mein Enkelsohn Sancho in kürzester Zeit geheilt sein. Aber ich warne Euch, ich habe bereits jeden Arzt konsultiert, der in der gesamten Christenheit diesen Namen verdient. Wenn Ihr also keine Behandlung zu bieten habt, die diese Herren nicht kennen, dann sagt dies besser gleich und geht zu Euren Mauren nach Córdoba zurück.«
Obwohl Da'ud dergleichen von der furchteinflößenden Toda erwartete hatte, war er doch schockiert über ihr unverhohlen rüdes Verhalten. Wie immer hatte er sich jedoch meisterlich in der Gewalt und antwortete mit ruhigen und gemessenen Worten. »Ehe ich Seine Majestät nicht gesehen habe, bin ich nicht in der Lage, zu beurteilen, welche Behandlung hier nötig wäre.«
»Ich habe Euren Herrscher bereits in Kenntnis gesetzt, daß Sancho am petit mal leidet.«
»Das ist nicht ausreichend, Madam. Ein Patient ist eine komplexe Person, nicht nur das Opfer einer einzelnen Krankheit.«
»Soll ich die Schüsseln für einen Aderlaß vorbereiten lassen?«
»Das wird nicht nötig sein.«
»Ihr wollt ihn nicht zur Ader lassen? All die anderen haben das getan.«
»Aber es ist keinem von ihnen gelungen, ihn zu heilen«, konterte Da'ud trocken. Allmählich verlor er die Geduld mit der überheblichen Königin.
»Sancho wird in Kürze hier eintreffen. Er hat die Angewohnheit, lange zu schlafen.«
»Ist seine Mutter auch hier in der Burg?«
»Teresa? Nein, sie ist in den Bergen, wo sie hingehört, überwacht die Viehherden der Familie. Zu mehr taugt sie nicht, dieses hirnlose, rückgratlose Kind. Keine Courage für das Schlachtfeld, kein Händchen für Intrigen.«
»Aber gesund?«
»Wie ein Schlachtroß, wie ihre Mutter.«
»Und Euer Sohn, König Garcia von Navarra?«
»Die gleiche zähe Rasse. Er ist auf der Jagd und kommt erst in einigen Tagen zurück.«
»Also müßt Ihr hier sozusagen die Festung halten?«
»Daran ist nichts Ungewöhnliches. Das mache ich schon von Jugend an, und mit großem Erfolg. Juan!« brüllte sie plötzlich los. »Geh und wecke Seine Majestät König Sancho und sage ihm, er soll sich unverzüglich zu uns gesellen. Und dann bestelle dem Verpflegungsmeister, daß er ihm hier auftragen soll.«
Als Sancho in den Saal geschlurft kam, rieb er sich noch den Schlaf aus den Augen, kleinen, tief eingesunkenen Schlitzen in den dicken, unnatürlich geröteten Wangen. Er beachtete Da'ud gar nicht und steuerte geradewegs auf den Tisch zu, auf dem man ungeheure Mengen Essen aufgetürmt hatte. Er begann mit seiner Leibspeise, einer riesigen, goldbraunen Wildpastete, ging dann über zu Hühnerschlegeln, Eiern und Leberpastetchen, gefolgt von viel Brot und Käse und einem halben Dutzend süßer Leckereien, die vor Öl und Honig nur so trieften. Mit einem Krug Bier in der stämmigen Faust kam er langsam zu dem Arzt herübergeschlendert, ein dümmliches sattes Grinsen auf dem Mondgesicht. Da'ud verbeugte sich kurz vor seiner Majestät König Sancho, dem abgesetzten Herrscher von Leon, doch seine Ehrbezeugung wurde nur mit mürrischer Feindseligkeit beantwortet. Ungeduldig, jedoch keineswegs verstört, wurde sich Da'ud darüber klar, daß er die Situation in die Hand nehmen mußte.
»Sire«, begann er mit strenger Förmlichkeit, »ich bin auf die Bitte Eurer Großmutter ins Königreich von Navarra gereist. Es ist ihr Wunsch, daß ich Euch in jeder möglichen Weise dabei unterstütze, Eure Gesundheit wiederzuerlangen. Ich möchte Euch respektvoll ersuchen, meine gegenwärtige Rolle von der Funktion zu trennen, die ich während der Verhandlungen zwischen meinem Herrscher und Eurem Halbbruder, dem verstorbenen Ordoño III. im Auftrage meines Kalifen erfüllte. Heute stelle ich mich Euch untertänig in meiner Eigenschaft als Hofarzt von Abd ar-Rahman III. vor, und meine einzige Sorge ist, Euch von dem Gebrechen zu heilen, an dem Ihr leidet.«
»Und was werdet Ihr oder der Kalif oder beide von mir im Gegenzug erpressen?«
»Wir wollen einen Schritt nach dem anderen machen, Sire. Ehe ich nicht eine Heilung bewirkt habe, kann von Entlohnung keine Rede sein. Falls ich Erfolg habe, werden wir die Situation von neuem bedenken, im Lichte der dann herrschenden Umstände.«
Von Da'uds höfischen, geschliffenen Manieren ein wenig eingeschüchtert, nickte Toda stumm.
Da'ud wandte sich direkt an sie und sagte: »Madam, ich muß Euch nun bitten, mich mit Seiner Majestät allein zu lassen.«
»Allein?«
»Ja, Madam. Ich ziehe es vor, mit all meinen Patienten in strengster Vertraulichkeit zu reden.«
»Was für eine unglaubliche Unverschämtheit! Ich kenne den Jungen besser als er sich selbst.«
»Vielleicht, aber ich muß trotzdem darauf bestehen.«
»Eure Arroganz ist unerträglich, junger Mann! Ich weigere mich, meinen Enkel allein und ungeschützt hier bei Euch zu lassen. Was ist, wenn ihm etwas zustößt?«
Bei diesen Worten richtete sich Da'ud steif auf und starrte ihr mit eisiger Würde ins Gesicht. »Madam, entweder Ihr setzt Euer Vertrauen in mich oder nicht. Da das letztere der Fall zu sein scheint, laßt Ihr mir keine andere Wahl, als unverzüglich nach Córdoba zurückzukehren. Würdet Ihr gütigst Eure Stallmeister anweisen, mein Pferd zu satteln.«
»Das wird nicht nötig sein«, blaffte Toda. Sie fuhr abrupt herum und verließ den Saal ohne ein weiteres Wort.
»Nun denn, Eure Majestät«, sagte Da'ud und wandte sich freundlich seinem königlichen Patienten zu. »Wollen wir miteinander in der herrlichen Frühlingssonne einen Spaziergang über die Befestigungswälle machen?«
»Ich laufe nicht gern.«
»Was macht Ihr denn gern?«
»Essen, schlafen und das Geld in meinen Truhen zählen.«
»Wie alt seid Ihr?«
»Siebzehn.«
»Abgesehen vom petit mal, leidet Ihr noch an anderen Gebrechen?«
»Nein.«
»Magenschmerzen, ab und zu ein wenig Wind?«
»Ab und zu.«
»Verstopfung vielleicht?«
»Gelegentlich.«
»Wie oft befällt Euch das petit mal?«
»Ich habe nicht besonders darauf geachtet.«
»Dauern die Anfälle lange?«
»Fragt meine Großmutter.«
»Habt Ihr schon bei einer Frau gelegen?«
»Nein.«
»Verspürt Ihr das Verlangen danach?«
»Nicht besonders.«
»Ich verstehe. Zweifellos haben Euch die anderen Ärzte, die Ihr konsultiert habt, erklärt, daß viele Krankheiten, unter anderem die Eure, auf ein Ungleichgewicht der Körpersäfte zurückzuführen sind und daß es die Aufgabe des Arztes ist, dieses Gleichgewicht wieder herzustellen. Das petit mal tritt auf, wenn die Körpersäfte kalt, dickflüssig und feucht sind. Also kann ein warmes Klima, zusammen mit leicht gewürzten und verdünnenden Speisen und mit Medikamenten, die eine wärmende und trocknende Wirkung haben, sich günstig auf Kranke auswirken, die an diesem Gebrechen leiden.«
»Und welche Speisen sind trocken und warm?«
»Nüsse und Feigen und Mandeln und Ingwer sowie eine große Vielzahl von Kräutern und Gemüsen.«
»Ich verabscheue Gemüse.«
»Ihr werdet es nicht mehr verabscheuen, wenn der Leibkoch des Kalifen es für Euch zubereitet hat.«
»Soll denn der Leibkoch des Kalifen nach Pamplona gerufen werden?«
»Nein, Sire, vielmehr werdet Ihr mich nach Córdoba begleiten.«
»Bei Jesus und allen zwölf Aposteln, meine Großmutter hat recht gehabt! Ihr seid wirklich der unverfrorenste und schamloseste Arzt, den wir je zu befragen das Mißgeschick hatten. Wie könnt Ihr die Stirn besitzen, auch nur den Vorschlag zu machen, daß ich mich in Abd ar-Rahmans Hände ausliefere?«
»Sire, erlaubt, daß ich mich erkläre. Ihr seid noch ein junger Mann, und Ihr habt hervorragende Aussichten, völlig kuriert zu werden, wenn Euch jetzt die richtige Behandlung zuteil wird. Die Kur, die ich Euch vorschlagen möchte, sieht zunächst und als Wichtigstes einen völligen Klimawechsel vor, und zweitens einen festgelegten Tagesplan, den ich persönlich ausarbeiten werde. Wenn diese beiden Bedingungen erfüllt sind, wird sich Euer Gesundheitszustand allmählich normalisieren. Córdoba erfreut sich eines idealen Klimas für Euer Leiden, und dort, in der hervorragenden Apotheke des Kalifen, sind die Mittel, die ich für Eure Behandlung benötige, jederzeit verfügbar.«
»Aber Ihr habt unerwähnt gelassen, daß Eure Behandlung mich zu einer königlichen Geisel am Hof meines Todfeindes machen würde.«
»Ganz im Gegenteil, Sire. Heute sind Eure Todfeinde Ordoño IV. und sein kastilianischer Verbündeter, der Rebell Fernan Gonzales. Sie, nicht Abd ar-Rahman, haben Euren Thron unrechtmäßig an sich gerissen. Als König werdet Ihr schon bald lernen, daß die Feinde von gestern die Freunde von morgen sein können, wenn man mit ihnen gemeinsame Interessen hat, wie vorläufig diese auch sein mögen. Der Kalif ist außerordentlich daran interessiert, Euch wieder auf den Thron zu bringen. Als weiser Regent müßt Ihr diese Situation zu Eurem eigenen Vorteil ausnutzen.«
»Und eine Marionette in den Händen meines muselmanischen Beschützers werden?«
»Ihr überseht eine grundlegende Tatsache, Sire. Obwohl der Kalif von Eurem Königreich Tribut fordert, hat er doch nie die direkte Herrschaft über Eure Gebiete verlangt. Noch hat er versucht, Eure Untertanen zum muselmanischen Glauben zu bekehren oder Eure Ländereien mit arabischen Siedlern oder Berbern zu kolonisieren. Nach der gegenwärtigen Sachlage ist er wohl der einzige Herrscher, der Eurer Sache militärischen Beistand leisten könnte. Beugt Euch dem Wind, Sire. Werdet gesund und nehmt die Hilfe des Kalifen heute an. Morgen, wenn Ihr König seid, steht es Euch frei, zu handeln, wie Ihr es für angemessen haltet. Die Umstände ändern sich, Fürsten leben und Kalifen sterben. Ergreift Eure Chance und wartet die Ereignisse ab.
Jetzt geht und beratet Euch mit Eurer Großmutter und laßt sie wissen, daß sie Euch gerne nach Córdoba begleiten kann. Mehr noch: ihre Gegenwart dort würde uns in die Lage versetzen, den Feldzug gegen den Usurpator mit größerer Leichtigkeit zu planen. Habt die Freundlichkeit, mir Eure Entscheidung bis heute abend mitzuteilen. Wenn mein Vorschlag Eure Zustimmung findet, brechen wir nach Córdoba auf, sobald Ihr bereit seid. Wenn nicht, dann mache ich mich morgen früh im Morgengrauen wieder auf den Weg nach al-Andalus. Inzwischen wäre ich Euch äußerst verbunden, wenn Ihr einen Eurer Stallmeister anweisen könntet, mein Pferd zu satteln. Ich möchte durch Eure herrlichen Buchenwälder reiten und in dem wunderbar getupften Sonnenlicht Spazierengehen, das durch die zarten, flüsternden Blätter dringt.«
»Ihr laßt einen derart alltäglichen Ritt recht poetisch erscheinen.«
»Die Poesie ist eine der großen Gnaden des zivilisierten Lebens.«
»Und warum wünscht Ihr zu gehen, da Ihr doch reiten könntet?«
»Tägliche Bewegung ist für mein Wohlbefinden unerläßlich.«
»Ich fürchte, Ihr werdet ein wenig warten müssen, bis der Verpflegungsmeister eine Wegzehrung für Euch bereitet hat.«
»Das wird nicht nötig sein. Eine Mahlzeit am Tag reicht mir aus.«
»Kein Wunder, daß Ihr so mager seid«, spottete Sancho.
»Mager, aber gesund, dem Herrn sei Dank.«
Während er den Flußlauf des Agra entlangritt, der inzwischen durch das Schmelzwasser, das von den hoch aufragenden Pyrenäen zu Tal schoß, zu einem tosenden Strudel geworden war, stellte sich Da'ud die Unterredung zwischen Sancho und dessen ehrfurchtgebietender Großmutter vor: Toda, wie sie tobte und schrie, wie sie ihre Wut in die Welt hinausbrüllte, daß sie von ihrem Erzfeind abhängig war, wie sie sich mit ihren schwächlichen Höflingen beriet, nur um deren Rat zu verwerfen, und wie sie dann in stumme Resignation verfiel beim Anblick von Sancho, der sich ein gigantisches Mittagsmahl einverleibte und danach in Schlummer sank. So wie er die Dinge sah, würden die schmerzlichen Erwägungen des Tages eines von zwei möglichen Ergebnissen zeitigen: entweder würde Toda, die hinter all ihrer aufbrausenden Art doch eine Pragmatikerin war, sich mit seinem Vorschlag einverstanden erklären; oder Sancho, vom glühenden Ehrgeiz getrieben, das Unrecht zu sühnen, das man seiner jämmerlichen Person angetan hatte, würde seinen königlichen Willen durchsetzen und den Vorschlag aus eigenen Stücken annehmen. Wie auch immer, der erfolgreiche Ausgang seiner Mission stand außer Frage.
Seltsam, überlegte er, als er vom Pferd stieg und mit raschen Schritten durch den Wald ging, der in zartem Frühlingsgrün prangte, seltsam, wie sein jugendlicher Ehrgeiz, sich ganz dem Studium der Medizin hinzugeben, in völlig andere Bahnen gelenkt worden war, wo er sein Wissen und seine Person zu politischen Zwecken einsetzte. Wie weit er sich doch von dem Einsiedler entfernt hatte, der damals auf dem Totenbett gelegen hatte, von dem alten Wächter in der Bibliothek mit den schmerzenden Gelenken und von den anderen unbekannten Patienten, die er in einer inzwischen weit zurückliegenden Vergangenheit behandelt hatte. Und doch war er nicht unzufrieden mit dem Lauf seines Lebens. Man hatte ihn mit Ehrungen und Wohlstand überhäuft, und wenn er das Vertrauen des Kalifen nicht mißbrauchte, war seine Stellung bei Hofe gesichert, ungeachtet des Mißtrauens, mit dem die Imams diese enge Verbindung zwischen ihm, dem Juden und dhimmi, und seinem muselmanischen Herrn beäugten.
Nur ein Bereich seines Lebens war noch immer dunkel umwölkt, der einzige Bereich, in dem die Eigenschaften, die ihm Größe gebracht hatten – sein Scharfblick und seine Gelehrsamkeit, seine Weisheit, sein Verständnis und seine bemerkenswerte Überredungsgabe – völlig versagt hatten. Acht Jahre waren seit seiner Hochzeit mit Sari vergangen, und doch entzog sie sich ihm noch immer. Zunächst hatte ihre Weigerung, ihn in ihr Bett zu lassen, sein Verlangen nach ihr noch verstärkt, seine Entschlossenheit, das Unerreichbare zu erreichen, noch gesteigert, hatte ihn angestachelt, alle möglichen Wege zu beschreiten, um ihre körperliche Abneigung gegen ihn zu überwinden. Aber all seine Bemühungen waren ohne Erfolg geblieben, und mit wachsender Verzweiflung über sein Versagen nahm auch seine Hoffnung ab, daß er je die leidenschaftliche Beziehung zu ihr würde aufbauen können, nach der er sich so sehnte. Und was war mit einem Erben für die edle Familientradition, die er begründete? Sollte der Reichtum an Wissen, an Erfahrung, an Ehre und Auszeichnungen, den er sich nach und nach zusammentrug, mit ihm begraben werden? Die Zeit war gekommen, an die Wahrung dieser Errungenschaften zu denken. Sobald er mit seinem königlichen Schutzbefohlenen nach Córdoba zurückgekehrt war, würde er Sari klar und deutlich an ihre Pflichten erinnern …
»Wir müssen sie beeindrucken und demütigen.«
»Vielmehr beeindrucken und ehren.«
»Dieses alte Schlachtroß und ihren lächerlichen Möchtegern-König ehren?«
»Ja, und Ihr müßt Euch großmütig zeigen, o Herrscher der Gläubigen. Toda ist eine mächtige und zu allem entschlossene Frau, in der Zukunft de facto die wahre Herrscherin von Leon und Kastilien, zusätzlich zu ihrem Einfluß auf Navarra. Aber sie besitzt auch einen klaren und ungeheuer praktischen Verstand. Ihr gewinnt nichts, wenn Ihr Euch ihren Zorn zuzieht und sie zu Rachegelüsten anspornt. Es ist beschämend genug für sie, daß sie gezwungen ist, Euch um Hilfe zu bitten, es nutzt nichts, sie noch Staub fressen zu lassen. Ein königlicher Empfang in der Medina Azahara im herrlichsten Stil der Omaijaden, glänzender und zivilisierter als alles, was sie je erlebt hat, das beweist Eure Macht eindrucksvoller als alle Beleidigungen, die es darauf anlegen, sie zu demütigen. Eine Ehrengarde mit seidenen Bannern soll den Zug ihres Gefolges durch die luftigen Innenhöfe und zierlichen Portale des Alkazars bis zum großen Empfangsaal säumen, wo Ihr sie im Kreis all Eurer Wesire erwartet. Ihr werdet Euch mit Toda und ihrem Enkelsohn in den Gärten und zwischen den Brunnen ergehen, ihnen Wein und herrliche Köstlichkeiten anbieten. Und Geschenke sollen gemacht werden, wie es Tradition ist, Ehrengewänder und edle Vollblutpferde mit juwelenbesetztem Zaumzeug. Indem Ihr Toda mit fürstlicher Gnade und königlicher Großzügigkeit behandelt, werdet Ihr sie sowohl mit Dankbarkeit als auch mit Bewunderung erfüllen, und folglich wird sie eher bereit sein, in Eure Forderungen einzuwilligen.«
Abd ar-Rahman spielte mit seinem riesigen Smaragdring, drehte ihn hin und her, bis das Licht sich in allen Facetten widerspiegelte, während er Da'uds Worte überdachte.
»Aber Ihr zäumt das Pferd vom Schwanz auf, mein gelehrter Freund. Was mir Sorgen bereitet, ist die Kur. Alles hängt vom Heilerfolg ab. Ist er wirklich möglich?«
»Weitaus leichter, als Ihr oder sie denken. Bei jungen Leuten verschwindet das petit mal gewöhnlich in der Pubertät, wenn die Körpersäfte trockener werden. Sancho ist spät herangereift und hat noch nie bei einer Frau gelegen.«
»Wie ungewöhnlich!« murmelte Abd ar-Rahman, der sich keinen Prinzen vorstellen konnte, der mit siebzehn Jahren noch ›Jungfrau‹ war.
»Dies ist eine Situation, die ich zu ändern gedenke. Zusätzlich werde ich meinen königlichen Patienten allmählich an einen Tagesplan mit körperlicher Bewegung und einer geregelten Ernährung gewöhnen, der sowohl seine Epilepsie kurieren wie auch sein Gewicht verringern soll. Sobald sich eine sichtbare Verbesserung seines Zustandes zeigt, können die Verhandlungen über die Bedingungen Eurer Teilnahme an dem Feldzug zu seiner Wiedereinsetzung als König beginnen.«
»Ihr wollt diese Festungen, die Ihr damals auf mein Geheiß dem Ordoño überlassen mußtet, nicht wahr?«
»Ich halte sie immer noch für unverzichtbar, um die Ruhe an Eurer nördlichen Grenze zu wahren.«
»Was sonst könnten wir gewinnen, zusätzlich zu dem üblichen hohen Tribut?«
»Die Unterstützung von Navarra.«
»Aber Todas Streitmacht ist so gut wie ausgelöscht.«
»Sie ist groß genug, um in Kastilien ein Ablenkungsmanöver zu veranstalten und die Truppen von Fernan Gonzales zu beschäftigen, während der Hauptangriff auf Leon fortschreitet. Mit dieser Strategie ist der Erfolg des Feldzugs gesichert.«
»Aber wird sich Toda damit einverstanden erklären?«
»Ich glaube, dafür kann ich mich verbürgen, vorausgesetzt, sie und ihr Gefolge werden während ihres Aufenthaltes hier mit der ihnen gebührenden Ehre und mit Respekt behandelt.«
»Das sagtet Ihr bereits«, bemerkte der Kalif spitz. »Aber bedenkt, wie absurd Euer Rat ist. Angenommen, ich erkläre mich bereit, diesen Empfang zu Ehren der christlichen Fürsten zu geben. Wie soll ich meine hochnäsigen muslimischen Höflinge hindern, sich über den fetten, impotenten und epileptischen Prinzen lustig zu machen, dem sie wieder auf seinen Thron verhelfen sollen? Angenommen, er purzelt auf dem Weg durch den Alkazar vom Pferd?«
»Wir sorgen dafür, daß er in einer mit Vorhängen verhüllten Sänfte getragen wird.«
»Und was ist, wenn er sich während des Festes ohnmächtig frißt?«
Ein kleines Leuchten blitzte in Da'uds stillen Augen auf, ehe er mit vollem Ernst fortfuhr: »Eine der möglichen Ehrungen, die der mächtige Herrscher der Gläubigen dem jungen Sancho zukommen lassen könnte, wäre vielleicht ein Besuch in Eurem Harem? Wenn wir ihm zuvor ein mildes Aphrodisiakum verabreichen, können wir wohl mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß wir ihn während der Festlichkeiten nicht allzu lange zu Gesicht bekommen.«
»Ihr seid unschlagbar, Abu Suleiman«, lächelte der Kalif, und die Belustigung über diesen Gedanken spielte ihm um die Mundwinkel. »Es ist höchste Zeit, daß all die wunderschönen Frauen, die sich in meinem Harem verzehren, eine Möglichkeit bekommen, ihre Talente unter Beweis zu stellen. Was für ein Vergnügen wird es ihnen bereiten, ihn mit ihren Künsten und Kunststücken zu reizen, ihn hierhin zu rollen und dorthin zu wälzen. Er wird nicht einmal merken, wie sie sich über ihn lustig machen! Und übrigens, da wir beim Thema sind, was ist mit diesen kraftvollen Liebestränken, von denen Ihr mir vor Jahren gesprochen habt? Obwohl ich inzwischen ein alter Mann bin, steht mir doch noch der Sinn nach den Freuden des Fleisches, aber ich möchte vor meiner liebreizenden Zahra nicht geschwächt erscheinen.«
»Es gibt ein Mittel, das nur einer Handvoll von Ärzten bekannt ist und dessen Wirkung an Wunder grenzen soll, aber ich selbst kann mich nicht dafür verbürgen. Ich lasse Euch gerne seine Zusammensetzung wissen, Ihr wendet es jedoch auf eigene Verantwortung an. Körperliche Vereinigung ist zwar in jedem Lebensalter zu empfehlen, doch ein allzu starkes anregendes Mittel birgt auch seine Gefahren.«
»Welche Gefahren können das schon sein? Daß ich mein sterbendes Haupt auf die herrlichen Brüste meiner Zahra bette? Ich kann mir keinen süßeren Tod vorstellen.«
»Wie Ihr wünscht. Die Formel verlangt je einen Liter Karottenöl und Rettichöl und einen Viertelliter Senföl. In diese Mischung gebt einen halben Liter lebendiger saffranfarbener Ameisen. Alles wird nun etwa fünf Tage der Sonne ausgesetzt, und das Öl wird zwei oder drei Stunden vor dem Geschlechtsakt in den Penis einmassiert. Darauf wird das Glied gewaschen, und es wird dann selbst nach dem Samenerguß noch erigiert bleiben.«
»Ich danke Euch, mein treuer Freund, ich danke Euch. Ich lasse Mustapha dieses Mittel für mich zubereiten. In all den Jahren habt Ihr mich nie enttäuscht.«
»Ich habe versucht, Euch nach Kräften zu dienen.«
»Möge Gott seinen Segen auf Euch und Euer Haus herabregnen lassen. Noch kein Erbe, was?«
Da'ud schüttelte den Kopf.
»Es ist Zeit, mein gelehrter Freund, höchste Zeit. Denkt darüber nach.«
»Es ist meine vornehmste Sorge.«
»Gut, gut. Dann geht zu ihr, und möge Eure Vereinigung mit Fruchtbarkeit gesegnet sein.«
»Danke, o Herrscher der Gläubigen«, murmelte Da'ud. Es zerriß ihm beinahe das Herz, während er sich ehrfürchtig verneigte und sich dann entfernte.