Zinkeisen macht sonderbare Sachen

Am nächsten Tag, im Hotel, fiel sein Aussehen auf. Seine Stimme, sonst knapp und energisch, hatte einen zerborstenen Ton. Nachdem er den verwunderten Fragen der Gattin ein steinernes Gesicht entgegengesetzt, hatte er sie fassungslos unter dem zerstreuten Papiergeld zurückgelassen. Bei der Bilanz, die er gleichgültig noch am Morgen gefertigt, waren ihm Fehler untergelaufen. Vom jovialen Buchhalter darauf aufmerksam gemacht, entschuldigte er sich mit Kopfweh – wie? – einem leichten Fieberanfall vielleicht . . .

»Was ist das Sch . . . geld schon wert?« murmelte er. »Ein paar Millionen hin und her! Du lieber Gott!«

»Was mich betrifft,« grinste der Buchhalter, »können wir ruhig zu Billionen gedeihen. Aber, Zinkeisen, Sie verdienen eine Aufbesserung. Machen Sie's doch so wie ich!« – Hierauf zog er eine Schublade halb auf, die bis zum Rand mit Devisen gefüllt war. – »Decken Sie sich ein! Der Weizen kann noch lange blühen, und so rechnet es sich leichter!«

»Wegen der paar tausend Mark, die da drin liegen, echauffiere ich mich nicht«, sagte Herr Zinkeisen streng. »Bald kommt die Zeit, wo das alles bloß wieder ein Taschengeld ist. Das ist zu jämmerlich! Soll man auch noch sparen, was?«

»Das ist Ihr Standpunkt«, meinte der andere plötzlich geschäftig. Eine leichte Portweinfarbe stieg in sein Gesicht. »Ich will Sie nicht mit der Nase auf Ihr Glück stoßen. Wo selbst der kleinste Liftjunge hamstert, geht Ihr Anstand, oder wie Sie das nennen wollen, ein wenig zu weit. Diese Großbetrüger, diese Papiermühlenbesitzer verdienen es doch bloß, daß man ihnen Konkurrenz macht.« Vor Erregung schluckte er mehrmals hinunter. »Ich empfinde ja selbst, daß es eine Schweinerei ist. Aber was will man machen; wir sitzen alle in der Tinte.«

Hier kam Haltung in Herrn Zinkeisen. Er sagte mit schmetterndem Akzent: »Und in der Tinte bleiben Sie, Herr Brecht. Ob ich drin bleibe, ist noch nicht gesagt.« Und er wandte sich zum Gehen.

»Was wollen Sie denn machen?« rief ihm die fettige Stimme sarkastisch nach. »Haben Sie schon das Visum nach Amerika in der Tasche?? Feiner Empfang, der Ihnen da blühen wird. Wissen Sie denn noch nicht, daß wir das Geschmeiß sind in aller Welt? Und wo wollen Sie sich denn noch Haltung pumpen, außer hier?«

Die Tür zum Büro stand offen. Herr Brecht hatte seine Stimme gegen Schluß etwas gesteigert. Das durch die Drehtür strömende ausländische Publikum vernahm zweifellos noch die Endsilben seiner prächtigen Bemerkungen. Manche begriffen's, manche nicht. Im übrigen war es ja auch belanglos. Aber in Herrn Zinkeisen entstand das Gefühl, als ob etwas in ihm um eine Etage tiefer sackte. Schöner kann man sich nicht prostituieren, dachte er, während er in steifer Haltung langsam durch das Vestibül schritt. ›So weit sind wir nun, hurra!‹ Eine Art Verschmitztheit packte ihn plötzlich. Er krempelte sich innerlich die Hemdärmel auf. ›Na, denn man zu! Wozu denn auch die dumme Verstellung! Was soll man noch mit einer Würde protzen, die längst hinuntergeschwemmt ist, wie schlechter Stuck von gestern!‹ In sein Hirn, wie Kautschuk, schnellte immer wieder dieselbe zähe Vorstellung zurück: ›Da hat dieser Mensch ein paar hundert Pfund, und benutzt sie noch nicht einmal, um durchzubrennen . . .‹ Das Bild seines Heims verfolgte ihn wie ein Kobold. Er kniff die Augen zusammen, wie um es nicht sehen zu müssen, und genehmigte sich wieder ganz gegen seine sonstige Gewohnheit in der Bar ein scharfes Getränk . . . Das machte das Kopfweh, verstehen Sie? – Ein leichter Fieberanfall vielleicht . . .

An dem heutigen Abend kostete es ihn noch größere Mühe, so zu tun, als sei sein Interesse an den englischen Herrschaften rein funktionell. Der pockennarbige Ober wurde mit leichter Handbewegung wieder aus dem Bannkreis des Tischchens entfernt. Er versorgte ja ohnedies noch vier andere Tische . . . Herr Zinkeisen hatte das Feld für sich. Dies wäre (in Anbetracht der erwähnten gottgewollten Ausnahmestellung dieser Gäste) nicht aufgefallen, wenn Herr Zinkeisen für Kenner seines sonstigen Gehabens des Guten nicht ein wenig zu viel getan hätte. Aus der Weinbestellung wurde eine geflüsterte Konferenz. Die Wahl des Menus verstieg sich in höhere Politik. Sein Englisch, in letzter Stunde frisch memoriert, hinlänglich abgeschliffen, erstrahlte in bescheidenem Glanz. Selbst kleine Kürzungen brachte er an, die er irgendwann einmal als schick empfunden. Er gebrauchte von dem Sekt den Ausdruck »topping«, oder »ripping«, oder was solcher sportlichen Wendungen mehr waren.

Die Dame lachte amüsiert. Es war ein kindliches, glockenreines Lachen, das ihre Schultern beben machte. Sie betrachtete sich Herrn Zinkeisen, wie man eine Sehenswürdigkeit zu Notiz nimmt. Dies war ein Mann, der den Jargon eines englischen Dieners im Munde führte und dessen Format dennoch so was Erdrückendes hatte. Alte, tuschelnde, vertrocknete Diplomaten war sie gewöhnt, die sich stuhlrückend und einschmeichelnd sanft, im übrigen stumm wie Fische um sie bewegten . . . Sei es in ihrem Heim, wo sie schwarze Velourfräcke mit leise knirschenden Kniehosen trugen, oder sei es in helvetischen oder französischen Hotels, wo sie sozusagen nur symbolisch vorhanden waren als Bestandteil des Milieus. Doch daß sich ein stämmiger Niedersachse mit treuherzigem Feldherrnblick diesen gesäuselten Ton leistete, fiel ihr als drollig auf und stimmte sie leicht albern. Ein ebenso starker Anreiz zum Humor war ihr in diesem Zusammenhang der korrekte Ernst ihres Gemahls. Sie wurde blendender Laune, sie schmunzelte Herrn Zinkeisen sogar diskret ein wenig zu. Das Moiréband auf einer Schulter glitt ein paar Zentimeter herab; das kam von verschlucktem Beifall, und sie tat gar nichts, um das kleine Derangement an ihrer Toilette richtigzustellen. Die Bedienung hatte vorläufig, abgeschlossen durch drei angedeutete Bücklinge und ganz leichtem Klappen der Lackschuhe aneinander ihr Ende erreicht, und Herr Zinkeisen zog sich mit der fröhlichen Verheißung zurück, daß er persönlich in der Küche noch nach dem Rechten sehen werde. Sein Gesicht war etwas gerötet, als habe er eine Gewissensfrage in Ordnung gebracht.

Der Engländer schickte einen grauen Blick hinter ihm her und bemerkte dann mit leblosen Lippen und stärker vorgeschobenem Oberkiefer etwas von »Zudringlichkeit«. Diese Bemerkung wurde von der jungen Dame durch silberhelles Lachen entgiftet. Er sei humorlos; sie finde den Mann ganz originell. Auch sei man hier schließlich auf dem Kontinent, und sie sei froh, von einem Untergebenen endlich einmal ernst genommen zu werden. Ihren Butler zu Hause wage sie nicht derart scharf zu beschäftigen; flugs müsse sie dann Angst haben vor seiner gekränkten Onkelmiene. Er solle nicht immer den langweiligen Tory mit sich herumschleppen. Trotz Indien sei die Welt doch noch bunter, Gott sei Dank, als sie sich in seinem schmalen Schädel male.

Diese Predigt amüsierte den Engländer nun gewaltig, und er bog sich mit abgehacktem, kurzem Lachen in den Stuhl zurück. Es war sein Klubgelächter, und sie liebte es an ihm. Was sie denke! Er verstehe doch, Teufel ja, eine Masse Spaß. Man müsse sich anpassen; sie habe recht! – Worauf sie sagte, daß es sehr tolerant von ihm wäre, ihren Standpunkt zu teilen. Hierauf steckten sie die Köpfe zusammen und prusteten sich wie zwei große Kinder ins Gesicht. Mit Mühe beherrscht, blinzelten sie sich die Augen nach einem Schluck Champagner wieder blank. Diese Heiterkeit ging nicht nur auf Kosten Herrn Zinkeisens, dessen rotgesichtige Geschäftigkeit wieder im Saale spürbar wurde, sondern auch auf Kosten dieser ganzen hemmungslos schlemmenden Menschheit ohne Rasse. Ihr Gelächter war spurlos in der Musik untergegangen.

Nun erschien Herr Zinkeisen und sagte mit einem Senkblick auf die Dame: »Es ist alles in bester Ordnung! Alles schon unterwegs!« – Dann postierte er sich etwa zwei Meter entfernt wieder in scheinbar unbeteiligter Aufseherhaltung neben den Tisch. Er versäumte nicht, kurze Ausflüge zu anderen minderwertigeren Herrschaften zu machen; doch nie entfernte er sich so weit, daß er nicht durch ein leichtes Wort wieder zurückgelotst werden konnte. Bei dem englischen Paar, das bester Laune schien, wurde der Wunsch nach einer zweiten Flasche Sekt lebendig. Das Zugehörigkeitsgefühl zu seinem Lieblingstisch wurde in Herrn Zinkeisen immer stärker. Auch blieben die drei Cocktails, die sich Herr Zinkeisen genehmigt, nicht ohne Wirkung: sie waren wie Benzin auf glimmendem Zunder. Er riskierte eine leichte Verbeugung, eine kleine Schelmerei: »Wir wollen es«, sprach er flüssig, »heute einmal auf eine Nacht ankommen lassen, was?« – Worauf die Dame mit einer Stimme, die von verschlucktem Lachen bebte, ihm recht gab und der Herr ihn einen verschmitzten alten Sünder nannte. Beschwingten Schrittes eilte er dem Kellner entgegen, den er ausgesandt, entraffte ihm die Flasche eigenhändig, entkorkte sie mit neckischen Gebärden und schenkte ein. Bei dieser Gelegenheit, ein boshafter Gott mochte wissen wie, benahm er sich ungeschickt. Vielleicht kam ihm blitzartig zum Bewußtsein, daß es mit der »Zugehörigkeit« doch eine eigene Bewandtnis habe . . . Jedenfalls zitterte seine Hand und der Sekt spritzte abseits, ja, einige Tropfen verirrten sich in den Busen der Dame. – Ein drohender Unterkiefer schob sich plötzlich wieder vor, und die Eingefrorenheit war da, das erkältende Moment. Die Dame sagte lediglich: »Eine Dusche . . .« – während von der anderen Seite her scheinbar von Turmeshöhe eine rostige Stimme laut wurde: »Nehmen Sie sich doch zusammen!« Der schwarzhaarige Kellner sprang sofort ein, der nicht umsonst von Neugier geplagt auf der Lauer gelegen hatte, und nahm Herrn Zinkeisen den Rest der beschämenden Beschäftigung ab. Diesem fuhr das Wort des Engländers wie eine kalte Nadel durchs Hirn. Schmerzhafte Verschiebungen geschahen in seinem Innern. Er raffte alle noch vorhandene Würde zusammen, trat erblassend vom Schauplatz und tat die halbe Stunde, da die Herrschaften noch speisten, nichts mehr dergleichen oder vielmehr nur das Nötigste.