Max benimmt sich seltsam
Als er nach Hause kam, war es beinahe halb acht Uhr. Es traf sich, daß Vater Ziehlke schlechter Laune war. Er hatte gerade einen Brief von der Heeresversorgungsstelle erhalten des Inhalts, daß der Fettgehalt seiner Seifen den Anforderungen nicht entspreche.
Über diese Sache hatte er sehr viele heftige Worte verloren. Die Knochenzufuhr war schwierig; Kopra gab's keine, da saßen die Engländer drauf, und wer konnte Pflanzenfett en gros bezahlen! Katzen und Hundekadaver schienen die letzte Möglichkeit. Aber war das nicht eine unsichere Quelle?
Die Mutter hatte ihren Optimismus. »Der Krieg«, sagte sie, »hat schon nicht das Blankgeputzte mehr, Ziehlke, wie vor 'nem halben Jahr. Er trägt sich ab, verstehst du, genau wie 'ne neue Uniform, und das ist mit den ganzen Herrn Generals der Fall, auf aller Welt, das kannst du glauben. Gott gebe, daß wir uns durchsiegen, da sage ich ja auch Amen zu. Dralle hat ja auch schon seine Parföngs gesperrt bekommen . . . Aber ich sage durchhalten, wenn's auch Brennspiritus wird. Lob und Dank, sage ich, daß wir keinen Hund haben, an dem du dich könntest vergreifen und ihn zu Seife machen . . .«
Sie hatte so tierlieb gelacht, doch dieser makabre Humor seiner Gattin fand kein Echo in seiner Seele.
Man saß schon zu Tisch. Vater Ziehlke sah mit seinen wimpernarmen Augen grell auf, als Max Platz nahm. »Immer mit der hohen Ruhe«, sagte er schneidend. »Nicht mal 'ne Entschuldigung, einfach wie 'n Tiger aufs Essen.«
Max hielt mit der Gabel inne. »Ich bitte«, buchstabierte er korrekt, »um Verzeihung wegen meines Zuspätkommens. Herr Borinsky hatte mich eingeladen.« Dann nahm er seinen Pfannkuchen wieder aufs Korn. Er hielt die Sache für erledigt.
Papa Ziehlke war nicht zufriedengestellt, durchaus nicht.
»Borinsky«, sagte er. »Auch so'n Pollack.«
»Na, na«, meinte die Mutter. »Er ist sein Lehrer, Ziehlke.«
»Lehrer . . .« stellte Ziehlke anheim. Sein Mund hatte die Hufeisenform. Viel Unausgesprochenes lag in der Luft. »Lehrer oder nicht. Du hast pünktlich zu sein.«
Wieder legte Max die Gabel hin. »Ich habe Sie doch schon um Verzeihung gebeten?!« sagte er erstaunt und blickte in der Runde umher. Worauf Magda aufglänzte, Frau Ziehlke Brotkugeln herstellte und Vater Ziehlke mit heftigen Bewegungen einen Kognak nahm, die Nase sehr krauste und ihn anbellte: »Schweig!!«
– – – Max aß nichts mehr und saß still. Und während ein ungemütliches Schweigen über die Gruppe sank und die Uhr laut durchs Zimmer tickte, gebar sich in ihm ein Entschluß.
»Gestatten Sie,« sagte er plötzlich, »daß ich mich zurückziehe?«
Ziehlke stieß kurze Luft durch die Nase. »Wir gestatten«, sagte er. –
Max faltete seine Serviette sorgfältig zusammen, und seine dunklen Augen verschlangen Magda, die ihm demütig und begeistert zusah, wie er sein apartes Wesen trieb. Hierauf schien es, als ob eine Stahlfeder sich in Max straffe. Er verbeugte sich nicht nur wie gewöhnlich im allgemeinen vor der Familie, sondern ging diesmal um den Tisch herum, um zum Abschied allen die Hand zu reichen.
Er hielt sich aber nicht nur bei bloßer Markierung eines Handkusses bei Frau Ziehlke auf, sondern bückte sich schnell und brachte die zusammengekniffenen Lippen an die flaumigen Backen der Frau, die vor Erstaunen nicht wußte, wo sie war. Mit demselben strengen Ausdruck von Pflichterfüllung schritt er an den Hausherrn heran, gab ihm die Hand und zwang sich ein Lächeln ab. Dabei sagte er stockend: »Ich bin Ihnen und Ihrer Familie sehr verbunden für Ihre Freundlichkeit und möchte mich herzlichst bedanken.«
Ziehlke sah ihn an wie ein Uhu und behielt seine Zigarre schief im Mund. Und dann ging Max still und zielbewußt auf Magda zu und gab ihr einen langen Kuß auf den Mund. Sie wurde ganz blaß; dann schlang sie ihre Arme um seinen Hals und gab ihm den Kuß sehr andächtig zurück.
Als dies abgelaufen war, verschwand der Knabe mit einer höflichen Verbeugung.
Vater Ziehlke paffte heftig. »Das nennt man einbuttern«, äußerte er. »So wickelt er euch Weiber ein. ›Gestatten Sie‹ . . . ›zurückziehe‹ . . . ›sehr verbunden‹ . . . Hast du schon mal so 'nen Bengel gehört?«
»Kannst sagen, was du willst, Ziehlke«, sprach die Madame mit viel Autorität, und ein Lächeln zerquoll auf ihrem Gesicht, als werde ein Honigtopf darauf umgekippt. »Das sind nicht bloß leere Manieren . . . das is Herz. Jawohl: Herz hat der Jung'. – Geradezu goldig, das is er. Du natürlich: losgepoltert und grob, als ob es was könnte für deine olle Seife, das Engelchen.«
Vater Ziehlke begrub das Erlebnis unter einem Grunzen.