Das Komplott

Ziehlkes hatten Geld. Mutters Vater war Hausbesitzer gewesen und Papa war erfolgreich in Kriegsseife. Ungeheure Posten von Seife, oft seltsamer Herkunft, entstanden in seinem Betrieb und wurden an der Ostfront verwaschen.

Sie roch manchmal so, wie wenn man die Nase in einen alten Speiseschrank steckt, aber mein Gott, sie erfüllte anscheinend ihren Zweck. Im Haushalt Ziehlke wurde diese Seife nicht verwendet. Es duftete im Gegenteil hier so, als ob die Geister eines Rivierafrühlings umgingen, auch wenn die Margarineküche ihr ernüchterndes Wörtchen mitsprach. Mit diesen Düften hing Frau Ziehlke zusammen. Sie war eine unförmige Frau, die fortwährend Stärkungsmittel benötigte, womit sich denn auch ihre Vorliebe für Parfüms erklärte.

Magdas Geburt hatte ihr beinahe das Leben gekostet. Von Natur zum Phlegma geneigt, griff sie den damaligen ärztlichen Rat, sich Schonung zu gönnen, sehr wörtlich auf und befolgte ihn bereits fünfzehn Jahre, so daß sie gewissermaßen darüber aus dem Leim gegangen war und allerhand Übel, die sie zu verhüten gehofft, der Reihe nach einlud. Magda hatte die Mutter nie anders gekannt als pompös dahinkränkelnd . . . Sie hatte sich jedoch angewöhnt, sich die in spitzenbesetzten Morgenröcken vegetierende, mit vagen Kartenlegereien beschäftigte Frau als Beichtstuhl vorzustellen, worin eine schläfrige Toleranz ihr ständig offenes Ohr bereithielt. Wie ein Trichter war dieses Ohr, in den man sein kleines Leid schüttete. Es kam noch nicht einmal so sehr darauf an, ob eine Predigt erfolgte oder nur ein leises Zungenschnalzen. – –

Nachdem Magda ihre Schularbeiten erledigt hatte, nahm sie die Zeitungsausschnitte und schlängelte sich an die Mutter heran. Mama Ziehlke saß in dem breiten, ebenfalls mit Plüschtroddeln verzierten Siestastuhl (alles in dieser Wohnung war so reich verziert) und ließ sich von der Ampel bescheinen, die wie ein rosa Bonbon von nie geschauter Größe an der Decke hing und all die Ergebnisse künstlerischen Machtwillens, deren Stunde damals noch nicht geschlagen, mit Boudoirlicht bestrahlte.

»Na, was is denn, Magdachen?« fragte sie nach einiger Zeit, als die Patience nicht aufgehen wollte. – »Was guckst du denn so?«

Bewegung kam in die magere Mädchengestalt. Sie starrte die Mutter an, vor Aufregung ganz blaß, wobei sie mit zitternden Fingern die Zeitungsausschnitte vor ihr ausbreitete. »Sieh mal, man muß doch was für ihn tun.«

»Für wen denn?«

»Ja, für ihn doch.«

Mutter Ziehlke raffte die Porträts an sich und versenkte sich in sie. –

»Herrje,« sagte sie, »das ist doch . . . Von dem hab' ich doch schon gehört? –«

»Ja, Mutter, das ist der Junge. Papa muß ihn holen.« Und als [ob] nun das Eis gebrochen sei, sprudelte sie hervor: »Wer kann wissen, was sie mit ihm machen? Nun ist er da angekommen und kann selber nicht sagen woher, und sie sind roh mit ihm, und Geld hat er auch keins, und du hast doch Geld, und Papa hat Geld, und da ist doch noch die Kammer neben der Küche, und wir könnten ihn doch bei uns aufnehmen und es ihm gemütlich machen, verstehst du. Man muß doch menschlich sein. Und da steht doch gar nicht darin, daß sich jemand gefunden hat für ihn. Immer noch guckt er so sehnsüchtig aus der Zeitung heraus. Vielleicht ist er ja auch Deutscher, und für den Krieg kann er ja nichts. Oder meinst du?«

Mutter Ziehlke kicherte ein wenig. »Na,« sagte sie, »du hast ja Feuer gefangen. Wie ich so alt war wie du. da habe ich noch gar nichts gewußt davon, daß es hilfsbedürftige junge Leute auf der Welt gibt.«

»Aber Mutter«, rief Magda und blähte die Nüstern. »Die Menschlichkeit, das ist doch das Wichtige!«

Wieder kicherte Mutter Ziehlke schwach vor sich hin.

»Nicht viel zu spüren«, sagte sie, »von Menschlichkeit heutzutage. Na, aber es ist auch ein Gesichtspunkt. Wir geben ja schon allerhand aus für Invalidenhilfe und Hospitäler und all sone Sachen. Gott, wo kämen wir hin, wenn wir sie alle persönlich beglücken wollten. Rein aus der Puste käme man ja da.« Hier schnaufte sie tief auf, als ob schon die bloße Vorstellung ihr Asthma verursache. – Nach einer für Magda angstschwangeren Weile: »Nee, das glaube ich ja nun auch nicht. Hübsch sieht er aus, und wo dein Vater so beschäftigt ist und immer aus dem Hause, da wäre es ja vielleicht ganz nett, noch so'n männliches Wesen in der Nähe zu haben, das sich verpflichtet fühlt.«

»Mutter,« schrie Magda auf, »dann läßt es sich machen? Dann sagen wir es Papa.« Sie war ganz außer sich. »Gleich sagen wir es ihm, und dann kann er morgen gehen und ihn holen.«

Mama Ziehlke saß tief in Nachdenken versunken. Ihre bleichen, schlaffen Wangen zitterten leicht. Sie nickte wie eine Pagode vor sich hin, so daß die Korallentropfen an ihren Ohren mitpendelten. »Wenn mir damals«, sagte sie endlich stockend, »nicht das Malheur passiert wäre . . .«

– – – Papa Ziehlke kam an diesem Abend sehr spät nach Hause, und da ein Übermaß genossenen Weißbieres mit Schuß ihn nicht gerade empfänglich machte, am allerwenigsten für diesen ausschweifenden und tollen Plan, so gab es für Magdas Ungeduld noch keine Entscheidung. Es dauerte noch einen ganzen Tag, bis er den ungewohnten Energieausbrüchen seiner Familie Gehorsam zollte. Endlich, am übernächsten Morgen, sehr skeptisch und verdrossen, nur um des lieben Friedens willen, machte er sich auf den Weg.

In dieser Stimmung gelangte er zur Fürsorgezentrale.