Das unbekannte Getränk
Man aß gemeinsam zu Mittag, und da es an Gesprächsthemen mangelte, so beschränkte sich die Unterhaltung auf Zukunftspläne des jungen Mannes. Er nahm ziemlich indifferent alle Vorschläge zur Kenntnis und war vor allem höflich. Entsetzlich höflich.
Immer lauerte er der gesamten Familie Ziehlke deren kleine Bedürfnisse ab – ob es nun der Gewürzaufsatz war, oder eine herunterrutschende Serviette, oder die Klingel zu dem »Mädchen für alles«. Stets schoß seine feingliedrige Hand hin und her, und dabei vergaß er schier das Essen, was bei einem Jungen seines Alters doppelt erstaunlich war.
»Na, nu iß mal, Jung'«, sagte die Mama. »Und mach' keine Fisematenten.«
»Wenn Sie gestatten«, äußerte Max.
Er aß, wie man bei Dressel ißt – wo es Spargelhalter gibt aus Silber und Schildpattschippen für den Kaviar.
Er aß wie ein magenleidender Graf, und alles staunte. Mama Ziehlke beobachtete dies Benehmen mit wohlwollenden Blicken halb von der Seite wie ein Huhn, und der Vater bohrte sich die Zähne mit dem silbernen Stocher aus, den er an der Uhrkette trug. Eigentlich war ihm das »unter Leuten« verboten, heute aber tat er's aus einer gewissen Gegensatzstimmung heraus. Um auf die nächstbeteiligte Person, Magda, zu kommen, so hatte sie Augen wie beim Sanktus in der Messe. Es kam so weit, daß die ganze Familie ohne Murren und Protest wartete, bis Max mit seiner Nahrungsaufnahme fertig war.
Endlich fragte Madame Ziehlke: »Hat's geschmeckt?«
»Ausgezeichnet«, sagte Max und faltete seine Serviette zusammen.
»Na – denn woll'n wir zum Mokka überjehn«, sagte Herr Ziehlke. Er zog gewöhnlich seine Jacke aus innerhalb seiner Wände; heute unterließ er's weiß Gott warum.
Man nahm in der Sofaecke Platz. Als Magda die Mokkatäßchen gefüllt, wurde Max nach dem ersten Schluck nachdenklich. Man merkte, daß ihm eine Frage auf den Lippen brannte, und ermunterte ihn. Da sagte er mit kindlich heller Stimme: »Entschuldigen Sie die Frage: was für ein Getränk ist dies?«
Ziehlkes sahen sich an. »Das ist Kaffee.«
Max sah sehr erstaunt aus. – »Kaffee . . .« wiederholte er . . .
»Nun, Magdachen, jetzt zeige Maxen sein Zimmer und besprich mit ihm, was er alles für morgen braucht. – Heute nachmittag soll Papa gehn und ihn anmelden bei der Schule.« Worauf Max, mit einer höflichen Verbeugung gegen das Ehepaar, hinter Magda, der er den Vortritt ließ, sich empfahl . . .
Frau Ziehlke zog sich in ihren mächtigen Erkerstuhl zurück. Dieser stand unter der künstlichen Fächerpalme, deren Stamm mit elektrischen Birnchen geschmückt war wie mit Ostereiern. An festlichen Abenden spiegelte sich diese Pracht in den Rundungen der drei Grazien aus galvanischer Bronze. – »Er hat Manieren«, sagte sie. »Das laß ich mir nich nehmen.«
Herr Ziehlke hatte bereits sein elfenbeinernes Zigarrenmundstück mit dem schwarzköpfigen Meerschaummops darauf im Aschenbecher deponiert. Nun schmiß er sich aufs Sofa, dessen Maltaspitzenschoner längst nach seinem Haarwuchsmittel duftete, und gähnte schnappend.
»Manieren . . .« gab er zurück. – »Was kauft er sich schon dafür . . . Grütze muß er haben. – Grütze!!«