Mittwoch, 27. Juli 2005

O Cebreiro – Samos 40 km

Um halb sechs packe ich im Dunkeln meinen vorgepackten Rucksack fertig und vergesse dabei einen meiner drei Slips — ich hatte ihn gestern gewaschen und draußen zum Trocknen aufgehängt. In der Küche ein Glas Wasser und ein Bissen Brot: Los! Vor der Tür treffe ich Bodil. Wir sind uns nicht ganz im Klaren, wo es hingeht: Ein Trupp Wanderer geht die Straße hinab ins Tal, die Markierungspfeile weisen aber eher den Berg hinauf! Wir folgen den „Flechas“, doch als es immer höher geht, kehren wir voller Zweifel um. Ein Spanier kommt uns entgegen, versichert uns, dass wir schon richtig waren und so folgen wir ihm. Der Wind ist schneidend, bald beginnt es, zu regnen: Ich bin froh über Fleecejacke und Poncho. Als wir hinab nach Liñares kommen, treffen wir einige, die die Abkürzung die Straße entlang genommen haben. Es regnet jetzt recht heftig. Wieder einmal Abschied von Bodil — ich ziehe los, über den Alto de San Roque mit der großen Rochusstatue — langsam wird es heller.

Hinab nach Hospital da Condesa — ich gehe im strömenden Regen einfach einem Spanier nach und lande im Refugio — da hatte ich eigentlich gestern hingewollt. Zwei deutsche Mädchen hocken im Eingangsraum und warten anscheinend, dass der Regen nachlässt. Ich folge der Markierung und lande endlich in einer Bar, wo es Frühstück gibt — und vor allem heißen Kaffee! Das Lokal quillt über, so räume ich schnell meinen Platz und mache mich auf den Weg zum Alto de Poio, seit den Pyrenäen der höchste Punkt des spanischen Weges. Eine ziemliche Kraxelei, zumal der Weg hier die Straße verlassen hat und sich auf Viehtriebwegen dahinschlängelt. Jetzt ist es hell, herrliche Ausblicke über das Gebirge, der Regen hat aufgehört.

Die Wege sind entsetzlich dreckig — augenscheinlich haben sämtliche Kühe Durchfall, die hier getrieben werden, — und vom Straßensäubern hält man hier wohl nichts. An einem Weidezaun hängt ein Büstenhalter, ich finde ein recht brauchbares Essmesser, ein einsamer Badeschlappen liegt auf dem Weg — was Pilger nicht so alles verlieren! Ein joggender Pilger hetzt an mir vorbei, begleitet von einem Radfahrer — überhaupt: Können die sch... Biker nicht auf der Straße bleiben?! Alle Naslang wird man von wütendem Klingeln und Rufen zur Seite gehetzt — denken die, der Camino sei ihre private Rennstrecke? Mich tröstet nur, wenn die vor einer Mauer langhörniger Kühe stehen, die ihnen entgegenkommen und jetzt selbst in den Graben gedrängt werden, weil sie sich nicht trauen, zwischen den Tieren durchzugehen wie ich es tue.

Seit dem Pass nur leichtes Bergablaufen, angenehm! In Triacastela komme ich sogar in die wunderschöne Kirche — auch hier stellt eine junge Frau Fragen, wie in Herrerías. Ich gönne mir ein Bier und ein Bocadillo, und als ich den Ort verlasse, kommt mir Christian entgegen: Er hat sich entschlossen, heute in Luxus zu leben und hier in einem Hostal zu schlafen. Als ich an das Pilgerdenkmal komme, fängt es an zu regnen, doch bis ich im Schutz eines leeren Schuppens den Poncho übergezogen habe, hat es schon wieder aufgehört. Hier stellt sich die Frage: Direkt nach Sarria oder den Umweg über das Kloster Samos? Ich entschließe mich für Samos. Eine Zeitlang muss ich jetzt auf der Landstraße laufen — die LKW fahren so nahe an mir vorbei, dass ich schon Angst habe, in ihrem Sog auf die Straße gezogen zu werden.

Endlich zweigt bei einem winzigen Dorf der Camino in ein wunderbares Wiesental ab: wohl die lieblichste Strecke des ganzen spanischen Abschnitts. Durch kleine, verschlafene Dörfer, an grünen Wiesen entlang, schattig unter Bäumen, an einer verfallenen Wassermühle vorbei. Nach der verbrannten Meseta und der Dürre der Maragatería eine wahre Erholung für das Auge! Kühe auf der Weide, schiefergedeckte Häuser, anscheinend liebevoll restaurierte, doch leider geschlossene Kirchen. Einfach eine wunderbare Strecke! Doch jetzt macht sich dummerweise mein linker Fuß wieder bemerkbar: Die letzen Tage bin ich in Sandalen gelaufen und der Riss in der Ferse hat sich wieder geöffnet — das Gehen wird immer mühsamer.

Ich bin froh, als ich auf dem Berg oberhalb des berühmten Klosters Samos stehe. Wirklich beeindruckend die Klosteranlage. Der Weg führt an der gefassten, jetzt aber trockenen Quelle vorbei, von der aus ein Aquädukt nach römischem Vorbild direkt in das Kloster führt, ich bestaune die gewaltige Fassade der Kirche und finde schließlich das Refugio neben der Tankstelle direkt an der Straße, die um das Kloster herum führt. Es ist halb vier, die Herberge öffnet erst um vier, eine Führung durch die Kirche ist erst ab halb sechs möglich, freie Besichtigung ist nicht gestattet. Wo ist die vielbeschriebene Gastfreundlichkeit der Mönche? Ich denke, der Rummel wurde ihnen zu groß und sie haben sich zurückgezogen. Doch eine geistliche Betreuung und Aufforderung zur Teilnahme an den Gottesdiensten hatte ich mir schon vorgestellt.

Das Refugio ist das größte, das ich seit Roncesvalles gesehen habe — ich zähle 80 Betten! Die Sanitäreinrichtungen sind recht dürftig - vor allem das warme Wasser ist knapp: Wenn alle duschen, hat die hinterste Dusche nur kaltes und die Waschbecken gar keines! Dennoch schaffe ich es sogar, Wäsche zu waschen — nur muss man über die Straße gehen, wenn man an die einzige kurze Leine will. Inzwischen kommt Konstanze angewankt, völlig am Ende — sie wollte ja heute auch nur einen kurzen Weg gehen — und nun sind es 40 Kilometer geworden. Wir feiern sie wie eine Heldin!

Ein heißt, gleich sei in der Basilika Chorgottesdienst: ein Gerücht! Als wir zum angegebenen Zeitpunkt in die Kirche kommen, wird eine Schar Nonnen wortreich und lautstark die Altäre entlang geführt. Enttäuscht gehen wir essen. Als wir über die Straße zurück in die Herberge gehen, schüttet es wie aus Eimern. Gut, dass ich vorhin meine Wäsche abgenommen habe! Ich falle ins Bett, doch gleich weckt mich Konstanze, die neben mir liegt, wieder auf: Ich schnarche wie ein Bär!

Lenke meine Fuesse Herr
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