Samstag, 7. Mai 2005

Weitprechts – Weißenau 27 km

In der Nacht habe ich nachgedacht und beschlossen, den Trinkbeutel doch im Rucksack zu verstauen — sicherheitshalber mit einem dichten Plastikbeutel drumherum. Außerdem schnalle ich die Isomatte außen über den Regenschutz — so wird der Rucksack besser bedeckt. Klappt! Die Wirtin, Frau Schmidt, hat mir das Frühstück vorgerichtet und die getrockneten Kleider zurechtgelegt. So kann sie länger schlafen. Gestern Abend hat augenscheinlich ein Verein im Gasthaus getagt — high life bis halb drei!

Um dreiviertel acht bin ich auf dem Weg. Es geht mir heute überraschend gut, die Füße sind trocken, warm und schmerzen nicht. Auch meine Kondition am Berg freut mich. Ich beschließe: heute Meilen machen! Im Holz zwischen Weitprechts und Dettau widerlich verschlammte Forstwege mit knietief ausgefahrenen Spuren, da wurde augenscheinlich mit schwerem Gerät gearbeitet — weite Kahlschläge. Riesige Stämme, der harzige, herrliche Duft von frisch geschlagenem Holz: das versöhnt. In Alttann schläft noch alles, nur eine alte Frau im Gehwagen erwidert verwundert meinen fröhlichen Morgengruß. Steil über Treppen hinab zur Weißenbronner Ach, durch ein wunderschönes Tal nach Neutann. Auf der Terrasse des Sanatoriums zwei Mädchen; wir wünschen uns über den Rasen hinweg einen schönen Tag. Weiter den Bach entlang — der Wind wird von Berg und Wald abgehalten, es ist ein schönes Laufen. Nun ein endloser, langer Anstieg und ein ebenso lang gezogener Abstieg durch wunderbaren Hochwald. Die Beschilderung ist etwas verwirrend, doch Karte und Kompass helfen, den richtigen Weg zu finden. Am Fuchsenloch treffe ich auf eine Dame, die ihre Wanderkarte studiert. Wir kommen ins Gespräch — ihre wunderschöne Schäferhündin ist schon sechzehn Jahre alt: „Solange sie’s noch macht, soll sie auch was davon haben!“

Durch Fuchsloch — schönes Anwesen, wieder mal so ein Traumhaus — Straßen klotzen bis Erbisreute und jetzt fängt’s an zu regnen. Schlimme Windböen, ich kämpfe mich über die Wiesen und bin froh, wieder in den Wald zu kommen. Bergauf und bergab; mal Orientierungsschwierigkeiten: Wieder helfen Karte und Kompass, der richtigen Markierung zu folgen. Mitten im Wald an einer Wegespinne ein kleiner Pavillon, darin ein junger Mann mit einer hübschen Mischlingshündin. Nach Ravensburg seien es gerade mal noch drei Kilometer! Es regnet. Weiter in die Stadt. Ich suche Schutz in der Liebfrauenkirche. Eine wunderschöne Schutzmantelmadonna sehe ich da und einen herrlichen Auferstandenen — ich fotografiere beide und komme mit einem Ehepaar aus den Niederlanden ins Gespräch.

Als ich aus der Kirche komme, hat es aufgehört zu regnen. Ich beschließe, mich trockenzulaufen und zwar nicht Richtung Westen, nach Konstanz, sondern nach Süden, nach Friedrichshafen, und von dort das Schiff zu nehmen: Das halte ich noch für pilgergerecht, nur Radfahrzeuge sind tabu! So spare ich mir sicher zwei Tage. Doch dann, nach einer knappen halben Stunde, ein Wolkenbruch. Im Nu bin ich trotz des Ponchos vom Gürtel abwärts nass bis auf die Haut. Ich bin in Weißenau gelandet, habe mich in einem Ladeneingang untergestellt. Schräg gegenüber sehe ich eine Kneipe: Jetzt ein bisschen Wärme und etwas zu trinken. Doch es gibt sogar Zimmer! Da ist um halb vier der Tag zu Ende. Umziehen, die nassen Kleider auf die Heizung drapiert, unten im Lokal zwei Bier getrunken, etwas gegessen, Tagebuch schreiben. Jetzt werde ich noch zahlen und dann früh ins Bett — morgen möchte ich zeitig los!

Zwei Stunden habe ich geschlafen, dann weckt mich eine ganze Karawane mit Blaulicht und Martinshorn. Nicht daran zu denken, wieder einzuschlafen! Also in Hose, Pullover und Sandalen geschlüpft und noch mal runter, ein Bier trinken. Das wurde noch ein langer, netter Abend mit einem Polizisten und seiner Holden, Jens (ein Junggeselle, der mich unbedingt für die Nacht zu sich einladen wollte), dem griechischen Wirt und seinem Vater. Man gibt mir noch ein Bier aus, fragt mich aus über den Jakobsweg, meine Motive, mein Leben: Ich erzähle und erkläre und wundere mich über mich selbst, dass ich so offen darüber sprechen kann, dass dieser Pilgerweg für mich auch ein Weg ist, Gott zu suchen. Als ich gegen halb zwölf nach oben gehen will, verabschiedet sich Jens feierlich mit Handschlag: „Es war mir eine Ehre, Sie kennenzulernen!“ Und den Anderen muss ich hoch und heilig versprechen, aus Santiago eine Karte zu schreiben!

Lenke meine Fuesse Herr
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