Donnerstag, 30. Juni 2005

Popms – Sauvelade 30 km

Um viertel nach fünf bin ich auf und stelle fest, dass in meinem Container kein Licht geht. Macht nichts, wofür hat man die Taschenlampe? Ich packe und mache für uns drei Frühstück. Um halb sieben geht es dann endlich los. Die angebrochene Kaffeepackung nehme ich mit — kann ich sicher noch brauchen.

Keine Wolke am Himmel, im Schatten ist es noch frisch, doch die Sonne ist schon draußen und brennt. Bergauf nach Castillon: ein schönes Chateau und ein gewaltiges Kriegerdenkmal mit einer pompösen Sondertafel für einen Helden des Indochinakrieges — wir Deutschen vergessen gerne, dass unsere Nachbarn ja nach dem Weltkrieg noch weitere Kriege geführt haben. Wir nach 45 Geborenen wissen gar nicht zu schätzen, welchen Segen 60 Jahre Frieden für uns bedeuten!

Unter diesen Gedanken bin ich den Berg wieder hinab gekommen, es geht auf der stillen Landstraße über eine Brücke und ein stilles, schönes Wiesental entlang. Ich überhole einen alten Mann auf Krücken, der sich mühsam vorwärts schleppt, mir aber kraftvoll und fröhlich „Guten Morgen!“ wünscht. Wo der bloß herkommt so am frühen Morgen? Die Chapelle de Coubin liegt schön am Hang vor dem Ort, ist liebevoll restauriert und das gotische Rittergrab ist faszinierend, auch wenn dem steinernen Ritter die Beine fehlen. Als ich die Kapelle verlasse, steht da Sabine, hat schon abgesattelt und sucht den Wasserhahn. Wieder einmal verabschieden wir uns.

Arthez-de-Béarn ist ein endloser Schlauch. Ich verkneife mir einen Kaffee: Die noch halbwegs erträglichen Temperaturen des Vormittags möchte ich ausnutzen, um vorwärts zu kommen. Der Ausblick vom Kirchplatz auf die Pyrenäen, den der Führer anpreist, fällt dem Dunst zum Opfer — nur die Raffinerien im Tal sind zu erahnen. Eine Gruppe Radfahrer aus Schwaben überlegt sich den Weg — wir kommen ins Gespräch und sie können es nicht fassen, dass man den Weg, den sie geradelt sind, auch zu Fuß machen kann.

Endlich draußen aus dem Ort bleibt der Weg auf dem Höhenkamm — leider noch immer kein Blick auf die Pyrenäen — und führt schließlich in den Hochwald. Dort fallen mir getarnte Unterstände auf mit Seilzügen hoch in die Wipfel — muss irgendwas mit Jagd zu tun haben, aber mir ist schleierhaft, wozu das dient. Hinab ins Tal durch glühheiße Wiesen und Felder — da tut die Dusche aus der Bewässerungsanlage richtig gut! Im Vorhof der Kirche von Argagnon mache ich kurz Brotzeit, dann geht’s ein Stück die viel befahrene Nationalstraße entlang, im Sprint drüber weg, über Eisenbahn, Fluss und Autobahn, dann endlos bis hinein nach Maslacq. Ich habe gerade festgestellt, dass die Kirche, einen halben Kilometer vom Weg entfernt, den Abstecher nicht lohnt, da kommt mir schon wieder Sabine entgegen.

Wir beschließen, gemeinsam ein Glas zu trinken, bei mir werden zwei Mineralwasser, ein Kaffee und ein gewaltiges Schinkensandwich draus — die Wirtin, die es uns aus dem Fenster reicht, hat wohl Erfahrung mit hungrigen Wanderern. Ein motorisierter Krankenfahrstuhl mit deutschem Versicherungskennzeichen kommt angeknattert, ein altmodisches Ding, wie ich es aus meiner Kindheit kenne, vollgepackt, der Fahrer steigt ab und fragt uns, wo es was zu essen gibt. Wir zeigen ihm das Bistro, vor dem wir gesessen sind, und ich frage ihn, ob es möglich ist, dass er mich vor einigen Wochen in der Schweiz überholt habe. Das könne durchaus sein, meint er, er sei in Santiago gewesen und nun auf dem Rückweg. Da erzähle ich ihm, dass ich auf dem Weg dorthin sei und er meint: „Ich wollte das könnte ich auch! Sei froh, dass du zwei gesunde Beine hast!“

Weiter, ich gehe wieder voraus. Am Ortseingang vor einem Einfamilienhaus sind nett und liebevoll Erfrischungen „pour les pèlerins de St-Jacques“ aufgebaut — fast schade, dass ich satt bin.

Bussarde kreisen über einer frisch gemähten Wiese fast auf Augenhöhe mit mir, riesige Vögel, zum Greifen nah. Und da ist der Fluss — ein Trampelpfad führt zum Ufer — nichts wie hin, raus aus Gepäck und Kleidern — halt: Unterhose wieder an, falls Sabine vorbeikommt: Ich will sie nicht schockieren! Eingetaucht — brrr, ist das kalt, kurz im Wasser liegen bleiben, sich ganz überspülen lassen, bis die Hitze aus dem Körper verschwunden ist. Raus, gar nicht erst abtrocknen, die Kleider über die nasse Unterhose: Das wird schon bald trocken sein und kühlt wenigstens! Und Kühlung habe ich jetzt nötig, denn jetzt kommt ein böser, langgezogener Anstieg. Ein Wegweiser: Theoretisch könnte ich bis 17.30 Uhr in Navarrenx sein — doch die Vernunft siegt: Sauvelade, nicht weiter. Mit dem Abstecher zur Kirche in Maslacq sind das auch etwa 30 Kilometer — dass sollte genügen bei der Hitze!

Ich setze mich auf das gemauerte Geländer einer Brücke, ruhe mich kurz aus — und da kommt Sabine! Sie hat einen kleinen Abstecher zu Notre Dame de Muret gemacht, den ich mir auch überlegt, dann aber gelassen habe. Gemeinsam nun über wilde Trampelpfade und heißen Asphalt bis zur alten Abtei von Sauvelade. Der Wirt des örtlichen Bistros führt auch die Gîte — er will erst gar nicht wahrhaben, dass wir zwar gemeinsam anmarschieren, aber nicht in einem Zimmer schlafen wollen. Doch schließlich setzen wir uns durch. Die übliche Abendroutine: duschen (ich renne mir am niedrigen Türstock fast den Schädel ein), Wäsche waschen. Dann versuche ich vergeblich, in die Kirche zu kommen, doch in den Räumen der alten Abtei ist eine sehr schöne Ausstellung über die Geschichte des Gemäuers. Ein kurzer Gang hinunter zum Fluss, dann ist es Zeit zum Abendessen. Geneviève ist auch eingelaufen und ein junger Franzose namens Pascal — es wird ein netter und gemütlicher Abend.

Lenke meine Fuesse Herr
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