28

 

 

 

Die Wohnung sah wirklich nett aus, was allein das Verdienst seiner Mutter war. Mrs. King hatte darauf bestanden, nach Washington zu kommen und ihrem Sohn zu helfen, das neue Domizil einzurichten. Dallas war jetzt ein wichtiger Mann in Washington, also konnte er nicht in einer Durchschnittswohnung leben. Seine neue Bleibe hatte außerdem den Vorteil, dass nicht weit entfernt einige der besten Nachtklubs der Stadt angesiedelt waren. Es herrschte also hier in der Gegend nicht gerade ein Mangel an Frauen, und er hatte auch nicht allzu weit zur Arbeit.

Dallas King saß in der Küche bei einer Tasse Kaffee, die Fernbedienung des Fernsehers in der Hand. Er wartete auf die Sieben-Uhr-Nachrichtensendung von CNN, nahm einen Schluck Kaffee und blickte zum Schlafzimmer hinüber. Durch den offenen Türspalt sah er das schlanke Bein von Kim, der reizenden Barbesitzerin. Sie war einfach umwerfend gewesen. Nach seinem Treffen mit Sheila Dunn hatte er sich noch an die Bar gestellt, um ein Glas Wein zu trinken. Mittlerweile musste Kim erfahren haben, wer er war, denn sie begann ihm jede Menge Fragen über die Vorgänge im Weißen Haus zu stellen. King trug ziemlich dick auf und betonte seine wichtige Rolle als engster Berater des Vizepräsidenten. Er beklagte sich über den Druck, dem er ausgesetzt war, und gestand der Asiatin schließlich, wie gern er die Nacht mit ihr verbringen würde. Um ein Uhr hatte er sie schließlich so weit und fuhr mit ihr in seine Wohnung.

Während er seinen Kaffee schlürfte, begann die Nachrichtensendung auf CNN. King drehte etwas lauter und verfolgte den ersten Bericht, in dem gezeigt wurde, wie aufgeregte Menschen im Gazastreifen, in der West Bank, in Bagdad und Damaskus amerikanische Flaggen verbrannten.

King schüttelte den Kopf und murmelte: »Wenn das so weitergeht, müssen wir das Weiße Haus noch stürmen.«

Es folgte ein Live-Situationsbericht von FBI-Direktor Roach, der einen vorbereiteten Text vorlas. »Dieser Mann hier hat für den White-Knight-Wäscheservice gearbeitet«, sagte Roach, auf das Bild eines schwarzhaarigen Mannes in grüner Uniform zeigend, »und zwar unter dem Namen Vinney Vitelli. Sein wirklicher Name ist Abu Hasan, und er ist einer der Terroristen. Wir würden gerne mit allen Personen sprechen, die im vergangenen Jahr mit ihm zu tun hatten.«

Roach gab noch eine Telefonnummer an, doch King hörte nicht mehr zu. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Bild des Mannes. Das konnte einfach nicht wahr sein. King stand auf und verschüttete beinahe seinen Kaffee. »Oh Gott«, stieß er ungläubig hervor, »das ist der Kerl!«

 

 

Keiner im Bunker hatte mehr als eine halbe Stunde durchgehend geschlafen; die meisten der Agenten waren überhaupt wach geblieben. Die knirschenden und surrenden Geräusche waren immer lauter geworden. Präsident Hayes blieb zuversichtlich, dass das FBI bald kommen würde. Er wusste von Experten, dass die Zeit vor dem Morgengrauen am günstigsten für einen Angriff war. In dieser Stunde näherte sich die Konzentration zumeist dem Tiefpunkt, sodass der Überraschungseffekt am größten war.

Alle Anwesenden im Bunker hofften inständig, dass sich etwas tun würde – doch als die Stunden ereignislos verstrichen, machte sich allgemeine Enttäuschung breit.

Und das nervenaufreibende Bohren an der Tür wurde immer lauter. Alle stellten sich nur eine einzige Frage: Werden wir noch einen weiteren Tag hier drin sicher sein?

Valerie Jones kam aus dem kleinen Badezimmer zurück, wo sie schließlich nach zwei Tagen ihr Make-up entfernt hatte. Ihr war klar geworden, dass es angesichts der Situation dumm gewesen wäre, sich noch über ihre Falten und die dunklen Ringe unter den Augen Gedanken zu machen.

Die ganze Nacht über war ihr die Rüge durch den Kopf gegangen, die sie vom Präsidenten erhalten hatte. Sie hatte hart gearbeitet, um dorthin zu kommen, wo sie heute stand, und sie würde es nicht zulassen, dass man ihr die Schuld dafür in die Schuhe schob, dass der Terrorist ins Weiße Haus gelangt war. Nein, sie würde sich nicht so ohne weiteres die Karriere ruinieren lassen. Sie hatte die ganze Nacht überlegt, wie sie es schaffen könnte, dass Hayes seinen Zorn auf jemand anders richtete. Es gab genug Senatoren und andere mächtige Leute, die bereit wären, ihr zu helfen. Es galt diese Leute dazu zu bringen, dass sie mit dem Präsidenten redeten oder, wenn nötig, Druck auf ihn ausübten. Sie würde Russ Piper als den Schuldigen hinstellen. Schließlich hatte sie selbst ja nichts anderes getan als das Treffen in den Kalender einzutragen. Und dafür konnte man sie doch nicht mit dem Ende der Karriere bestrafen.

Valerie Jones beschloss, sofort mit ihrer Arbeit zu beginnen und dem Präsidenten ihre Version der Ereignisse nahe zu bringen. Sie ging zur Couch und setzte sich neben ihn.

Präsident Hayes blickte gar nicht auf, als seine Stabschefin auf der Couch Platz nahm. Sie betrachtete ihn einige Augenblicke und sagte dann: »Warum sind sie nicht gekommen?«

Hayes schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Sie müssen einen guten Grund dafür haben.«

»Was zum Beispiel? War unsere Strategie nicht immer die, dass wir nicht mit Terroristen verhandeln?«

»Es gibt eben mehr als eine mögliche Strategie.«

»Wer trifft denn jetzt die Entscheidungen?«

Der Präsident sah sie mit müden Augen an. »Ich habe Ihnen doch schon gestern gesagt, dass gemäß der Verfassung der Vizepräsident nun die Befugnisse des Präsidenten innehat.«

Valerie Jones verdrehte die Augen. »Das lässt nichts Gutes hoffen.«

Der Präsident nickte langsam.

»Warum schickt er denn nicht das FBI ins Haus?«

»Ich weiß es nicht, Valerie«, antwortete Hayes ungeduldig. Die Anspannung und der Schlafmangel zehrten an seinen Nerven.

»Ich verstehe das einfach nicht«, sagte Valerie Jones kopfschüttelnd. »Es klang wirklich einleuchtend, als Sie gemeint haben, das FBI würde noch vor dem Morgengrauen zuschlagen.«

»Wir wissen ja nicht, wie die Situation im Augenblick ist. Es gibt viele mögliche Gründe, warum sie noch warten.«

Valerie Jones wusste um die Probleme zwischen Präsident Hayes und Vizepräsident Baxter. Sie hatte selbst des öfteren mit dem Präsidenten darüber gesprochen. Wenn sie es schaffte, dass Hayes seinen Zorn gegen Baxter richtete, würde er möglicherweise ihre bescheidene Rolle in der Katastrophe vergessen.

Und so ließ sie schließlich ihre wohlüberlegte kleine Bemerkung fallen, von der sie hoffte, dass sie den Zorn des Präsidenten von ihr weg und auf einen anderen lenken würde. »Vielleicht gefällt es Baxter ja auch, selbst Präsident zu sein.«

 

Irene Kennedy stand in ihrem Büro und beobachtete, wie die Sonne über den Bäumen am Potomac aufging. An Schlaf war in letzter Zeit kaum mehr zu denken – und das um so weniger nach dem tragischen Scheitern der jüngsten Operation.

Um halb drei Uhr nachts hatte Irene immer noch in der Zentrale in Langley gesessen, als der sichtlich erboste Skip McMahon anrief. Der Special Agent war selbst wenige Minuten zuvor geweckt worden, weil ein Anruf von Rafik Aziz gekommen war. In Boxershorts und T-Shirt war er in die Kommandozentrale des FBI geeilt und musste sich die wüsten Vorwürfe von Rafik Aziz anhören, die für ihn überhaupt keinen Sinn ergaben. McMahon bemühte sich, die Anschuldigungen zu entkräften, was Aziz nur noch wütender machte. Schließlich erinnerte sich der Special Agent an einen Anruf von FBI-Direktor Roach, der ihm mitgeteilt hatte, dass die CIA am Ostzaun des Weißen Hauses einige hoch empfindliche Überwachungsgeräte in Position bringen wollte. McMahon versicherte Aziz, dass er der Sache sofort auf den Grund gehen werde, worauf er als Erstes seine Kollegin und gute Freundin Irene Kennedy anrief.

So kam es, dass man sich in der Zentrale in Langley zusammenzureimen begann, was sich zugetragen haben musste. General Campbell befahl Harris unverzüglich, einen Mann in den Schacht zu schicken, um herauszufinden, was los war. Wenig später wurden die beiden SEALs mit einer elektrischen Winde herausgezogen. Nick Shultz hatte, dem Ehrenkodex der SEALs entsprechend, seinen Kameraden nicht zurückgelassen.

Als das Feuer eröffnet worden war, hatte sich Shultz weit genug hinter Craft befunden, um durch die Schüsse nicht gefährdet zu werden. Und so zog er seinen Kameraden an dessen Ausrüstung Stück für Stück mit sich und betete, dass er noch lebte. Seine Hoffnung sollte sich nicht erfüllen.

Während Irene Kennedy nun aus dem Fenster im sechsten Stock ihres Büros in Langley blickte und zusah, wie die Sonne aufging, wünschte sie sich, sie könnte die Zeit zurückdrehen und alles noch einmal machen. Und diesmal richtig, so wie sie es eigentlich von Anfang an hatte tun wollen. Als sie mit ihrem Job begonnen hatte, in dem es nun einmal darum ging, Menschen in lebensgefährliche Einsätze zu schicken, hatte sie sich geschworen, dass sie keine abgehobene Bürokratin werden würde. Insgesamt waren bei Einsätzen, für die sie zuständig war, schon siebzehn Menschen ums Leben gekommen – der Großteil davon bei einer einzigen völlig verpfuschten Operation. Mit Craft waren es nun schon achtzehn.

Irene Kennedy wurde aus ihren Gedanken gerissen, als es an der Tür klopfte. »Herein«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.

Die Tür öffnete und schloss sich, doch wer immer eingetreten war, zog es vor, still im Hintergrund zu bleiben, bis man sich ihm zuwandte. Als Irene sich schließlich umdrehte, sah sie Skip McMahon mit finsterer Miene vor sich stehen.

»Skip, ich konnte dir gestern nichts davon sagen. Es waren einfach zu viele Leute da.«

McMahon, der Anzug und Krawatte trug, starrte sie unverwandt an. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen. »Ich kann es einfach nicht glauben, dass du’s mir nicht gesagt hast.«

»Es tut mir Leid.«

McMahon schüttelte langsam den Kopf. »Du und ich, wir hatten doch nie solche Spielchen nötig. Wir waren doch immer ehrlich zueinander.«

»Ich weiß. Es war ein Fehler. Aber es ist alles so schnell gegangen. Ich wollte es dir ja sagen … Ich habe gefragt, ob ich dich einweihen darf – und sie haben mir gesagt, ich soll noch damit warten.«

»Wer – Thomas?«

»Nein, eine Etage höher.«

»Wer war es?«, fragte McMahon stirnrunzelnd.

Irene blickte zur Seite, wie um seiner Frage auszuweichen, doch McMahon fasste sie am Kinn und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. »Keine Spielchen mehr. Ich will die Wahrheit hören.«

Irene griff nach seiner Hand und schob sie von ihrem Gesicht weg. »Du musst es aber für dich behalten.«

»Den Teufel werde ich«, versetzte McMahon.

»Sprich nicht so mit mir«, sagte Irene vorwurfsvoll und trat einen Schritt zurück. »Wir sind doch Freunde.«

»Freunde lassen einander aber auch nicht einfach so im Regen stehen.«

»Skip, das ist von oben gekommen. Ich wollte es dir sagen, aber ich konnte nicht.«

»Wer hat grünes Licht für den Einsatz gegeben, und wer hat beschlossen, dass das FBI nichts davon erfahren soll?«

Irene seufzte. »Vizepräsident Baxter«, sagte sie schließlich.

»Dieser Scheißkerl!«, stieß McMahon hervor und ballte wütend die Fäuste. »Dieser arrogante Scheißkerl. Was zum Teufel bildet er sich ein, dass er … « McMahon hielt inne und bemühte sich, seine Fassung wiederzugewinnen. Zwischen zusammengebissenen Zähnen presste er hervor: »Das ist eine FBI-Operation. Hier ist nicht die CIA und auch nicht das Pentagon zuständig. Wenn ich jetzt nicht vollständig von euch informiert werde, dann … «

McMahon wurde vom Summen der Sprechanlage unterbrochen. »Dr. Kennedy?«, fragte eine Stimme.

Irene trat an ihren Schreibtisch und drückte den Knopf. »Ja?«

»Man erwartet Sie im Konferenzzimmer des Direktors.«

Irene Kennedy blickte auf die Uhr. Es war einige Minuten nach sieben. »Wir sind gleich da.« Sie blickte zu McMahon auf und sagte: »Wir müssen los, aber du musst mir versprechen, dass du es für dich behältst, bis ich dir alles erklärt habe.«

McMahon schüttelte grimmig den Kopf. »Nein … ich gehe jetzt da hinein und rede mit ein paar Leuten ein ernstes Wort.«

Irene fasste ihn fest am Handgelenk. »Nein, das wirst du nicht tun. Da gibt es noch einiges, das du nicht weißt, Skip, und wenn du wirklich Bescheid wissen willst, dann hältst du dich zurück, bis die Sitzung vorbei ist.«

 

 

Sie waren die beiden Letzten, die Direktor Stansfields privates Konferenzzimmer betraten. Als Irene Kennedy und Skip McMahon sich an den Tisch setzten, war der ziemlich aufgebrachte Direktor Roach gerade dabei, den Anwesenden klarzumachen, was das FBI von der ganzen Sache hielt. »Scheiße« war das Wort, mit dem er nicht nur die gegenwärtige Situation umschrieb, sondern auch die Art und Weise, wie man das FBI behandelt hatte.

Außer Direktor Stansfield, der den Vorsitz innehatte, waren noch Vizepräsident Baxter, Dallas King, General Flood und Direktor Roach anwesend. Als McMahon und Irene Kennedy eingetreten waren, hatte Direktor Roach kurz innegehalten, um dann fortzufahren: »Ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum man uns nicht gesagt hat, dass diese Männer losgeschickt werden. Das Ganze ist mir ein absolutes Rätsel. Skip und ich hätten dem Einsatz ja zugestimmt. Ich versteh’s einfach nicht.«

Vizepräsident Baxter beugte sich vor und blickte wütend zu General Flood hinüber. »Ich habe diesen Einsatz der SEALs nicht angeordnet«, stellte er fest.

Flood sah Baxter mit kaum verhüllter Verachtung an und wandte sich dann Roach zu. »Es ist meine Schuld. Ich hatte grünes Licht für Aufklärungsoperationen, und es ergab sich da eine einmalige Gelegenheit.«

»Ich verstehe trotzdem nicht, warum niemand zum Telefon gegriffen und uns angerufen hat«, erwiderte Roach.

Flood hätte dem FBI-Direktor gerne anvertraut, dass es der Wunsch des Vizepräsidenten war, das FBI nicht zu informieren, aber so liefen die Dinge in Washington nun einmal nicht.

»Na ja, die Ereignisse überschlugen sich – und da unterlief mir der schwere Fehler, euch nicht zu informieren«, sagte General Flood. »Das kommt bestimmt nicht wieder vor.«

Roach und Baxter akzeptierten schließlich mit einem Kopfnicken Floods Entschuldigung, doch Skip McMahon gab sich nicht so schnell zufrieden. In seiner schroffen Art, die der des Generals nicht unähnlich war, legte er seine mächtige Faust auf den Tisch und fragte geradeheraus: »Was habt ihr uns sonst noch nicht gesagt?«

Flood und Stansfield verzogen keine Miene, während Baxter und King einander kurz ansahen, sodass McMahon seine Frage wiederholte. »Was noch? Ihr könnt nicht erwarten, dass ich mich hinsetze und mit Aziz verhandle, ohne dass ich irgendeine Ahnung habe, was eigentlich abläuft. Ich brauche jede Information, die mir irgendeinen Vorteil gegenüber Aziz verschaffen kann.«

Direktor Stansfield konnte Skip McMahon gut leiden – doch hier hatten sie es mit einer ganz speziellen Situation zu tun. McMahon stand unter großem Druck – immerhin war er der Einzige, der mit Aziz verhandelte. Wenn McMahon zu viel wusste, konnte das problematisch werden, befürchtete Stansfield. Er stellte sich vor, wie Aziz viel leicht einer der Geiseln die Pistole an den Kopf setzte und eine Forderung stellte, die McMahon nicht in der Lage war zu erfüllen. Er sah die Gefahr, dass McMahon in einer solchen Situation versucht sein könnte, irgendwelche Informationen an Aziz weiterzugeben, um das Leben feiner Geisel zu retten. Dieses Risiko konnte Stansfield nicht eingehen. Und so beschloss er, McMahon nichts von Mitch Rapp zu erzählen, dessen Mission für den Ausgang des Geiseldramas von immer entscheidenderer Bedeutung wurde.

Stansfield beobachtete, wie McMahon Baxter und King anstarrte. Er wusste, dass er schnell handeln musste, bevor einer der beiden irgendetwas verriet, und beschloss, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

»Es gibt da etwas, das ich Ihnen sagen muss.« Stansfield griff nach der Morgenausgabe der Washington Post, die er neben seinem Stuhl liegen hatte. Er stand auf, ging um den Tisch herum und legte die Zeitung vor McMahon auf den Tisch. Stansfield zeigte auf die Schlagzeile. CIA-Warnung an den Secret Service rettet den Präsidenten, stand da zu lesen.

»Wie die Post zu dieser Geschichte gekommen ist, darum kümmere ich mich später«, sagte er mit einem Blick zu Dallas King. »Aber was ich Ihnen sagen möchte, ist, dass wir in den Besitz von Informationen gelangt sind, die es uns ermöglichten, den Secret Service zu warnen, bevor es zu dem Anschlag kam. Von dieser Quelle wissen wir auch einiges über die Forderungen, die Mr. Aziz noch stellen wird, und auch über seine Bewaffnung.«

McMahon blickte zu Stansfield auf, der wieder an seinen Platz zurückgekehrt war. »Daher wisst ihr also über die vielen Sprengfallen Bescheid?«

»Ja.«

»Und was ist mit den Forderungen?«

»Das verrate ich Ihnen gerne, aber … « – Stansfield blickte erneut zu Dallas King hinüber – »das sind streng vertrauliche Informationen, die auf keinen Fall nach außen dringen dürfen.« Er wandte sich wieder an McMahon und Roach und fügte hinzu: »Ich vertraue Ihnen beiden und ich gehe davon aus, dass das unter uns bleibt.«

Die beiden FBI-Männer nickten, und Stansfield sagte: »Aziz wird als Nächstes die Aufhebung der UNO-Sanktionen gegen den Irak fordern. Er wird ein kleines Zugeständnis machen, um sich als vernünftig und kooperativ zu präsentieren, und sagen, dass die Sanktionen über Massenvernichtungswaffen bestehen bleiben können.«

»Kann die UNO so schnell reagieren?«, fragte McMahon.

»Wenn wir es wollen, dann kann sie es«, antwortete General Flood.

»Es gibt noch eine letzte Forderung«, sagte Stansfield und blickte in die Runde. »Wir arbeiten aber immer noch daran, sie herauszubekommen.«

McMahon musterte Stansfield aufmerksam. In all den Jahren, die er für das FBI arbeitete, war ihm noch nie ein Mensch begegnet, der so kühl und analytisch seine Arbeit tat wie Thomas Stansfield – egal, ob sich diese Arbeit innerhalb oder außerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegte. Dieser Mann war unmöglich zu durchschauen. McMahon wandte sich Irene Kennedy zu, die rechts von ihm saß, und suchte in ihrem Gesicht nach dem kleinsten Hinweis darauf, ob Stansfield absolut aufrichtig war oder ob er immer noch etwas für sich behielt. Sie blickte ihn, so wie ihr Boss, völlig ausdruckslos an, ohne auch nur das Geringste preiszugeben.

McMahon schaute schließlich zu Vizepräsident Baxter und Dallas King hinüber, die ihm gegenübersaßen. Vor dieser Sitzung hatte Irene Kennedy ihm erzählt, dass Baxter grünes Licht für den Einsatz der SEALs gegeben hatte – doch nun hatte General Flood die Schuld ganz allein auf sich genommen. McMahon beschloss zuzuwarten, bis er Gelegenheit hatte, sich mit Irene Kennedy allein zu unterhalten; spätestens dann würde er der Sache auf den Grund gehen.

Dallas King wischte sich mit einer beiläufigen Geste einen Schweißtropfen von der Oberlippe. Ihm war mittlerweile ziemlich heiß. Jedes Mal, wenn einer der Anwesenden ihn ansah, fragte er sich, ob derjenige vielleicht Bescheid wusste. Nachdem er heute Morgen im Fernsehen das Bild des Mannes gesehen hatte, mit dem er durch die Nachtklubs der Umgebung gezogen war, spielten Kings Nerven verrückt. Zuerst hatte er sich einzureden versucht, dass das nicht der Typ war, mit dem er sich wiederholt getroffen hatte. Der Kerl hieß Mike und war Student. Mike trug sein Haar nicht glatt zurückgekämmt, so wie der Mann auf dem Bild. Doch so sehr sich Dallas auch an den Gedanken klammerte, dass es sich nicht um denselben Mann handeln konnte – er musste sich schließlich doch eingestehen, dass er es war. Es gab einfach zu viele eigenartige Zufälle – zum Beispiel, dass ihm der Mann eine Zeit lang ständig über den Weg zu laufen schien. Und dann war der Kerl auch noch ein glühender Fan derselben Basketballmannschaft wie Dallas gewesen.

King schloss die Augen, als er daran dachte, wie er zusammen mit dem Mann einen nächtlichen Abstecher ins Weiße Haus unternommen hatte. Der Typ berichtete King, dass sein Onkel unter Kennedy für den Secret Service gearbeitet hätte, und überredete ihn, ihm den Tunnel in den Keller des Weißen Hauses zu zeigen. Mike erzählte ihm auch, dass zur Zeit der Kennedy-Administration manche Mitarbeiter des Weißen Hauses Frauen durch den Tunnel ins Haus brachten, um sich mit ihnen zu vergnügen.

Und genau das taten King und sein Kumpel auch in jener Nacht mit den beiden Ladies, die sie mitgebracht hatten. King konnte sein Pech einfach nicht fassen. Von den Hunderten von Menschen, die im Weißen Haus beschäftigt waren, musste sich dieser verrückte Terrorist ausgerechnet ihn aussuchen. Wie konntest du nur eine solche Scheiße bauen?, fragte er sich verzweifelt. Er musste jetzt scharf nachdenken, wie er aus dieser misslichen Lage wieder herauskam.

 

 

Als Mitch Rapp erwachte, hörte er Milt Adams schnarchen. Außerdem stellte er fest, dass ihm Anna Riellys brauner Pferdeschwanz ins Gesicht hing. Sein linker Arm lag unter ihrem Hals und sein rechter Arm auf ihrer Brust. Rapp hob den Kopf und versuchte, seinen rechten Arm von ihr zu lösen, worauf Anna seinen Arm nur noch fester umklammerte.

Es war wohl etwas seltsam, dass sie in dieser Position eingeschlafen waren, doch ihr Versteck war nun einmal nicht besonders geräumig. Nach dem Rückschlag der vergangenen Nacht war Rapp bis vier Uhr morgens mit Langley in Funkkontakt geblieben. Man sagte ihm, dass er fürs Erste abwarten und etwas schlafen solle. Man würde ihm dann am kommenden Morgen neue Anweisungen geben.

Rapp hatte der Zentrale gegenüber ganz offen seine Meinung zum Verlauf der Ereignisse zum Ausdruck gebracht; wenn sie ihm nämlich gestattet hätten, zu handeln, als die Chance da gewesen war, dann hätten jetzt Aziz und zwei weitere Terroristen den Tod gefunden, und ein toter SEAL wäre noch am Leben. Es überraschte Rapp keineswegs, dass von Langley kein Kommentar zu seinen Vorwürfen kam. Danach zwang sich Rapp, ein wenig zu schlafen. Er wusste aus Erfahrung, dass man bei solchen Operationen jede Gelegenheit zu ein paar Stunden Schlaf nützen musste. Rapp war sich über eines jedenfalls absolut sicher: Wenn ihm Aziz noch einmal über den Weg laufen sollte, dann würde er zuerst schießen und dann fragen.

Anna Rielly hatte Rapp überrascht, indem sie seine Arme genommen und sie um sich gezogen hatte, als sie sich schlafen legten. Kurz vor dem Einschlafen hatte sie noch seine Hand geküsst und irgendetwas geflüstert, das er nicht verstand. Er war ziemlich erstaunt von dem warmen Gefühl, das der kleine Kuss ihm vermittelte.

Rapp streckte sich, um zum Funkgerät hinüberzublicken, das zwischen ihm und Adams stand. Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Vorsichtig zog er seine linke Hand unter Annas Hals hervor. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es fast drei viertel acht war. Er musste an die zweieinhalb Stunden geschlafen haben. Das war fürs Erste mehr als genug. Er war schließlich hier, um eine Mission zu erfüllen, und nicht, um zu schlafen. Wenn Langley sich nicht meldete, dann würde er eben selbst Kontakt aufnehmen, damit die Dinge wieder in Gang kamen.