D. H. Lawrence
Ein Brief von Hilda lag auf dem Frühstückstablett. »Vater fährt diese Woche nach London, und ich hole Dich Donnerstag in einer Woche, am 17. Juni, ab. Du mußt fertig sein, damit wir sofort aufbrechen können. Ich möchte keine Zeit auf Wragby vergeuden, es ist so scheußlich dort. Wahrscheinlich bleibe ich über Nacht in Retford, bei den Colemans, so daß ich am Donnerstag zum Mittagessen bei Dir sein würde. Dann könnten wir um die Teezeit aufbrechen und vielleicht in Grantham übernachten. Es hat keinen Sinn, mit Clifford noch einen Abend zu verbringen. Wenn er so sehr dagegen ist, daß Du wegfährst, würde es kein Vergnügen für ihn sein.«
So! Sie wurde also schon wieder auf dem Schachbrett herumgeschoben.
Clifford graute sich davor, sie gehen zu lassen - aber nur, weil er sich nicht sicher fühlte, wenn sie weg war. Ihre Gegenwart gab ihm aus irgendeinem Grund das Gefühl der Sicherheit und der Freiheit, all das zu tun, womit er sich beschäftigte. Er hielt sich viel im Bergwerk auf und schlug sich mit den fast hoffnungslosen Problemen herum, seine Kohle auf die ökonomischste Art zu fördern und sie dann zu verkaufen. Er wußte, er müßte eine Möglichkeit finden, sie zu verwenden oder sie umzuwandeln, damit er sie nicht zu verkaufen brauchte oder den Verdruß hätte, sie nicht loszuwerden. Aber wenn er sie in elektrische Kraft umwandelte - könnte er die verkaufen oder selber verwenden? Und sie in Öl umzuwandeln war bis jetzt noch zu teuer und zu umständlich. Um die Industrie am Leben zu halten, mußte man mehr Industrien errichten - welch ein Wahnsinn!
Es war Wahnsinn, und es bedurfte eines Wahnsinnigen, Erfolg darin zu haben. Nun, er war ein wenig wahnsinnig. Connie kam es so vor. Seine Intensität und sein Scharfsinn bei allen Bergwerksfragen - gerade das schien ihr wie eine Manifestation des Wahnsinns, seine Inspirationen waren die Inspirationen der Schizophrenie.
Er sprach zu ihr über all seine ernsten Pläne, und sie hörte ihm staunend zu und ließ ihn reden. Dann versiegte sein Redestrom, und er schaltete das Radio ein und wurde leer, und dabei spulten sich seine Pläne sichtlich weiter in ihm ab, wie ein Traum.
Und jede Nacht jetzt spielte er Vingt-et-un mit Mrs. Bolton - das Spiel der Tommies - und es ging um Sixpence-Stücke. Und auch hier, beim Spiel um Geld, war er in einer Art Unbewußtheit verloren, einem leeren Rausch oder in einem Rausch der Leere
- wie immer man es sehen mochte. Connie konnte es nicht ertragen, ihn so zu sehen. Aber wenn sie schlafen gegangen war, spielten er und Mrs. Bolton weiter bis zwei oder drei in der Frühe, ungestört und mit einer sonderbaren Lust. Mrs. Bolton war von dieser Lust ebenso gepackt wie Clifford: um so mehr, als sie fast immer verlor.
Eines Tages sagte sie zu Connie: »Ich habe letzte Nacht 23 Shilling an Sir Clifford verloren.«
»Und er hat das Geld von Ihnen genommen?« fragte Connie entsetzt.
»Ja, natürlich, Mylady! Ehrenschulden!«
Connie machte ihnen unumwunden strenge Vorhaltungen und schalt mit beiden. Das Ergebnis war, daß Sir Clifford Mrs. Boltons Gehalt um 100 Pfund im Jahr erhöhte, und diese Summe konnte sie dann verspielen. Und unterdessen schien es Connie, als sterbe Clifford immer mehr ab.
Schließlich teilte sie ihm mit, daß sie am siebzehnten abfahren würde.
»Am siebzehnten!« sagte er. »Und wann kommst du wieder?«
»Spätestens um den 20. Juli.«
»Ja, am 20. Juli.«
Fremd und leer sah er sie an, mit der Unbestimmtheit eines Kindes und zugleich mit der sonderbaren, leeren Verschlagenheit eines alten Mannes.
»Du läßt mich nicht im Stich, nicht wahr?« fragte er.
»Wieso?«
»Wenn du weg bist. Ich meine, du bist doch sicher, daß du wiederkommst?«
»Ich bin so sicher, wie ich nur sein kann, daß ich wiederkomme.«
»Ja, gut. Also, am 20. Juli.«
Aber er wollte wirklich, daß sie ginge. Das war das Merkwürdige. Er wollte ganz entschieden, daß sie ginge, daß sie ihre kleinen Aventüren hätte und vielleicht schwanger würde und so fort. Und zugleich hatte er Angst vor ihrer Reise.
Sie zitterte vor Ungeduld und wartete auf die Gelegenheit, da sie ihn endgültig verlassen könnte, wartete auf den Zeitpunkt, da sie und er reif sein würden dafür.
Sie saß mit dem Heger zusammen und sprach mit ihm über ihre Reise ins Ausland.
»Und wenn ich zurückkomme«, sagte sie, »kann ich Clifford sagen, daß ich ihn verlassen muß. Und du und ich, wir können Weggehen. Es braucht nicht einmal jemand zu wissen, daß du es bist. Wir können in ein anderes Land gehen. Wollen wir? Nach Afrika oder Australien. Wollen wir?«
Sie war ganz erregt von ihrem Plan.
»Du bist noch nie in den Kolonien gewesen, nicht?« fragte er. »Nein. Du?«
»Ich bin in Indien gewesen, in Südafrika und in Ägypten.«
»Warum gehen wir nicht nach Südafrika?«
»Das könnten wir«, erwiderte er langsam.
»Oder willst du nicht?« fragte sie.
»Es ist mir egal. Es ist mir ziemlich egal, was ich tue.«
»Macht es dich nicht glücklich? Warum nicht? Wir werden nicht arm sein. Ich habe ungefähr sechshundert im Jahr. Ich habe mich in einem Brief danach erkundigt. Es ist nicht viel, aber es ist genug, findest du nicht?«
»Für mich ist das Reichtum.«
»Oh, wie herrlich es sein wird!«
»Aber ich müßte mich scheiden lassen, und du müßtest das auch, wenn wir keine Komplikationen haben wollen.«
Es gab so viel zu bedenken.
Eines anderen Tages fragte sie ihn nach ihm selbst. Sie waren in der Hütte, und draußen tobte ein Gewitter.
»Und warst du glücklich, als du Offizier warst und ein Gentleman?«
»Glücklich? Ja, schon. Ich habe meinen Obersten gemocht.«
»Hast du ihn geliebt?«
»Ja, ich habe ihn geliebt.«
»Und er hat dich geliebt?«
»Ja. In einer Weise.«
»Erzähl mir von ihm.«
»Was ist da zu erzählen? Er war vom einfachen Soldaten avanciert. Er liebte das Militär. Und er hatte nie geheiratet. Er war zwanzig Jahre älter als ich, war ein gescheiter Mann und ganz allein beim Militär, wie so jemand eben ist; ein leidenschaftlicher Mann in gewisser Weise und ein prima Offizier. Ich stand ganz unter seinem Einfluß, solange ich mit ihm zusammen war. Er hat so ziemlich mein Leben gelenkt. Und ich hab das niemals bereut.«
»Und es hat dich sehr getroffen, als er starb?«
»Ich war dem Tod genauso nah. Aber als ich das kapierte, wußte ich, daß wieder ein Teil von mir erledigt war. Na - schließlich hatte ich immer gewußt, daß es mit dem Tod aufhört. Das ist mit allem so.«
Sie saß da und dachte nach. Draußen krachte der Donner.
Es war, als säßen sie in einer kleinen Arche mitten in der Sintflut.
»Du scheinst viel hinter dir zu haben«, sagte sie.
»Meinst du? Mir kommt es vor, als wäre ich schon ein paarmal gestorben. Trotzdem sitze ich jetzt hier und mache weiter und halse mir wieder Scherereien auf.«
Sie dachte angestrengt nach und lauschte gleichzeitig auf den Sturm.
»Und warst du glücklich als Offizier und Gentleman, als dein Oberst tot war?«
»Nein! Es war eine rüde Gesellschaft.« Er lachte plötzlich. »Der Oberst sagte immer: >Junge, die englischen Mittelklassen müssen jeden Happen dreißigmal kauen, weil ihre Gedärme so eng sind: ‘n Stück so groß wie ‘ne Erbse würde ihnen schon Verstopfung bereiten, ‘ne filzige Bande aufgeplusterter Hühner: eingebildet bis dorthinaus und etepetete bis auf die Schnürsenkel, multschig wie abgehangenes Wildfleisch und immer im Recht. Das macht mich fertig. Buckeln, immer nur Buckeln und Arschlecken, bis die Zungen ganz rauh sind: aber sie sind immer im Recht. Und dazu noch eingebildete Laffen. Laffen! Eine Generation von gezierten Laffen mit je ‘nem halben Ei< -«
Connie lachte. Der Regen rauschte herab.
»Er hat sie gehaßt.«
»Nein«, sagte der Mann, »er kümmerte sich nicht um sie. Er mochte sie einfach nicht. Das ist ein Unterschied. Weil die Tommies genauso läppisch und eingebildet werden, sagte er, und nur noch ‘n halbes Ei haben und enge Därme. Das ist nun mal Schicksal der Menschheit.«
»Die einfachen Leute auch? Die Arbeiter?«
»Die gesamte Bagage. Ihr Mumm ist hin. Autos und Kintopp und Flugzeuge, dafür lassen sie sich aussaugen. Ich sage dir, jede Generation züchtet ‘ne noch karnickelhaftere Generation, mit Gummischläuchen statt Gedärmen und Blechbeinen und Blechgesichtern. Blechmenschen! ‘ne Art sturer Bolschewismus das Ganze, tötet alles Menschliche einfach ab, himmelt alles Mechanische an. Geld, Geld, Geld! Die ganze Gesellschaft heutzutage ist nur drauf aus, die alten menschlichen Gefühle abzuwürgen und dem alten Adam und der alten Eva den Garaus zu machen. Sie sind alle gleich. Die ganze Welt ist so: abschaffen, was wirklich ist am Menschen! ein Pfund für jede Vorhaut! zwei Pfund für jedes Paar Hoden! Was ist Beischlaf schon anderes als Maschinenfickerei! - ist überall dasselbe. Zahl ihnen Geld, und sie schneiden der Welt ‘n Schwanz ab. Zahl ihnen Geld, Geld, Geld, und alles Blut wird aus den Menschen gepreßt, und lauter alberne kleine Maschinen bleiben übrig.«
Er saß da in der Hütte, das Gesicht in höhnischer Ironie verzogen. Doch sogar jetzt noch horchte er mit einem Ohr auf den Sturm überm Wald. Er gab ihm so ein Gefühl des Alleinseins. »Aber wird es nie zu einem Ende kommen?« fragte sie.
»Doch, es wird. Wird sich schon selbst erlösen. Wenn der letzte wirkliche Mensch umgebracht ist und sie alle zahm sind: Weiße, Schwarze, Gelbe - wenn alle Farben zahm sind: dann sind sie alle schizophren. Was normal ist, das wurzelt nämlich in den Hoden. Dann sind sie alle verrückt und veranstalten das große Autodafé. Du weißt doch, Autodafé heißt >Akt des Glaubens<. Also, dann veranstalten sie ihren eigenen großen kleinen Akt des Glaubens. Sie bringen sich gegenseitig zum Opfer.«
»Du meinst, sie bringen sich gegenseitig um?«
»So ist es, mein Herz. Wenn wir so weitermachen mit unserm Tempo, dann gibt’s in hundert Jahren keine zehntausend Menschen auf dieser Insel mehr, vielleicht keine zehn. Haben sich gegenseitig liebevoll aus dem Weg geräumt.« Der Donner rollte weiter weg.
»Wie nett!« sagte sie.
»Ja, ganz nett! Dran zu denken, wie die menschliche Spezies sich selbst ausrottet und dann die lange Pause, bevor eine neue Spezies den Kopf rausstreckt - das beruhigt einen mehr als alles andere. Und wenn wir so weitermachen - alle, Intellektuelle,
Künstler, die Regierung, die Industrien, die Arbeiter-, wenn alle sich den letzten Rest Gefühl ausreißen, den letzten Rest Intuition, den letzten gesunden Instinkt: wenn es immer so weitergeht in einer algebraischen Reihe, so wie jetzt: dann fahr wohl, menschliche Spezies! Leb wohl, mein Herz! Die Schlange verschlingt sich selbst und zurück bleibt Leere, ‘n bißchen beschissen, aber nicht hoffnungslos. Nett, was? Wenn wilde Hunde um Wragby heulen und wilde Grubenpferdchen auf den Tevershaller Kohlenhalden wiehern! Te deum laudamus!«
Connie lachte, aber nicht sehr fröhlich.
»Dann solltest du dich doch freuen, daß sie alle Bolschewisten sind«, sagte sie. »Du solltest froh sein, daß sie dem Ende zueilen.«
»Das bin ich auch. Ich halte sie nicht auf. Weil ich’s nicht könnte, auch wenn ich wollte.«
»Warum bist du dann so verbittert?«
»Das bin ich gar nicht. Wann mein Hahn zum letztenmal kräht, ist mir egal.«
»Aber wenn du ein Kind hättest?« fragte sie.
Er ließ den Kopf sinken.
»Ach, weißt du«, sagte er endlich, »ist es nicht bitteres Unrecht, ein Kind in diese Welt zu setzen?«
»Nein! Sag das nicht! Sag das nicht!« flehte sie. »Ich glaube, ich bekomme eines. Sag, daß du dich freust!« Sie legte ihre Hand auf die seine.
»Ich freue mich, weil du dich freust«, sagte er, »aber mir kommt es wie ein gemeiner Verrat an dem Ungeborenen vor.«
»Ah, nein!« sagte sie entsetzt. »Dann kannst du mich nicht wirklich wollen! Du kannst mich nicht wirklich wollen, wenn du das denkst!«
Wieder schwieg er, sein Gesicht war verdrossen. Draußen war nur das Dreschen des Regens.
»Es ist nicht wahr!« flüsterte sie. »Es ist nicht wahr! Es gibt noch eine andere Wahrheit!« Sie fühlte jetzt, er war verbittert - nicht zuletzt, weil sie ihn allein ließ, weil sie vorsätzlich fortging, nach Venedig. Und das freute sie fast.
Sie riß seine Kleider auf und legte seinen Bauch bloß und küßte seinen Nabel. Dann legte sie ihre Wangen an seinen Bauch und schlang den Arm um seine warmen, stillen Hüften. Sie waren allein in der Flut.
»Sag mir, daß du ein Kind willst, daß du darauf hoffst!« murmelte sie und preßte ihr Gesicht gegen seinen Bauch. »Sag mir, daß du es willst!«
»Weißt du«, sagte er endlich, und sie fühlte den seltsamen Schauer wechselnder Bewußtheit und Entspannung durch seinen Körper rinnen. »Manchmal sag ich mir: wenn man es nur versucht, hier, unter den Kumpels zum Beispiel. Sie arbeiten miserabel und verdienen einen Dreck. Wenn denen nur einer sagte: Denkt doch nicht immer bloß ans Geld! Wenn’s drauf hinaus soll, wieviel einer braucht, braucht einer verflucht wenig. Lebt doch nicht immer nur fürs Geld, möchte ich denen sagen.«
Sie rieb sanft ihre Wange an seinem Bauch und nahm seine Hoden in die Hand. Der Penis rührte sich sacht in seltsamem Leben, aber er erhob sich nicht. Draußen schlug prasselnd der Regen nieder.
»Lebt einmal für was anderes, möchte ich denen sagen! Lebt einmal nicht nur, um Geld zu machen - nicht für euch selber und nicht für wen andern. Jetzt müssen wir es noch. Wir müssen einen Haufen für uns selber machen und einen noch größeren Haufen für die Bosse. Macht Schluß damit! Was brauchen wir uns abzurackern. Macht Schluß! Nach und nach Schluß mit dem Sauleben und der Sauindustrie. Umkehren. Schon das kleinste bißchen Geld reicht aus. Für alle. Für dich und für mich und für die Bosse und alle feinen Herren und für Seine Majestät den König obendrein - es reicht für alle. Nur wollen müßt ihr’s. Dann seid ihr aus dem Dreck!« Er hielt inne und fuhr dann fort:
»Ich würde ihnen sagen: Schaut her! Schaut euch den an, den
Joe! Wie lustig der sich bewegt! Schaut, wie er sich bewegt -lebendig und aufgeweckt! Er ist schön! Und dann schaut euch den Jonah an! Er ist plump, er ist häßlich, weil er nie den Willen hat, sich aufzurappeln. Ich würde ihnen sagen: Schaut euch selber an! Die eine Schulter schief, die Beine krumm, die Füße wie zwei Klumpen. Was habt ihr aus euch gemacht, ihr mit eurer beschissenen Arbeit? Kaputtgemacht habt ihr euch! Ihr habt’s doch gar nicht nötig, so zu schuften. Zieht euch aus und schaut euch an! Ihr solltet lebendig sein und schön, statt dessen seid ihr garstig und halbkrepiert, würde ich ihnen sagen. Und ich würde die Burschen dazu kriegen, daß sie andere Kleider tragen: vielleicht enge rote Hosen, knallrote, und eine kurze weiße Jacke. Verlaß dich drauf: Wenn die Männer stramme rote Haxen hätten - schon das allein würde ganz andere Kerle aus ihnen machen. Das dauert keinen Monat. Verlaß dich drauf, verlaß dich drauf! Sie würden dann wieder anfangen, Männer zu werden, Männer, Männer! Und die Weiber könnten sich anziehen wie sie wollen. Wenn die Männer mit ihren knallroten, engen Hosen rumliefen und einem festen Hintern, der rot unter der kurzen weißen Jacke sitzt, dann würden die Weiber wieder Weiber werden. Weil nämlich die Männer keine Männer sind, deshalb müssen die Weiber welche sein. - Und dann würde ich Tevershall abreißen und ein paar nette Häuser bauen, in denen wir alle Platz hätten. Und das Land wieder aufräumen. Und nicht viele Kinder haben, weil die Welt sowieso schon überfüllt ist. Aber ich würde den Leuten keine Predigten halten. Ich würde sie nur ausziehen und sagen: - Schaut euch an! So ist das, wenn man für Geld arbeitet! - Hört euch mal selber an! So ist das, wenn man für Geld arbeitet. Schaut euch Tevershall an! Es ist scheußlich. Es ist so scheußlich, weil es gebaut worden ist, als ihr für Geld gearbeitet habt. Schaut eure Mädchen an! Sie kümmern sich nicht um euch, und ihr kümmert euch nicht um sie. Weil ihr eure Zeit damit vertut, fürs Geld zu arbeiten und euch nur darum kümmert. Ihr könnt nicht richtig sprechen und euch nicht bewegen und nicht leben, ihr könnt nicht mal richtig mit einer Frau zusammen sein. Ihr seid nicht lebendig. Schaut euch mal an!«
Er schwieg, und es wurde sehr still.
Connie hatte nur halb hingehört; sie war dabei, in das Haar an der Wurzel seines Leibes ein paar Vergißmeinnicht zu flechten, die sie auf dem Weg zur Hütte gepflückt hatte. Draußen war die Welt still geworden, still in einem leichten Frost.
»Du hast viererlei Haar«, sagte sie. »Auf deiner Brust ist es beinah schwarz, dabei ist es auf deinem Kopf nicht einmal dunkel; und dein Bart ist borstig und brandrot, und dein Haar hier, dein Liebeshaar, ist wie ein kleiner leuchtend rotgoldener Mistelstrauch. Es ist das schönste von allen.«
Er sah an sich nieder zu den milchigen Punkten der Vergißmeinnicht im Haar an seiner Leiste.
»Ja, da gehören Vergißmeinnicht hin: Ins Mannshaar und ins Jungfernhaar. Aber denkst du denn nicht an die Zukunft?«
Sie sah zu ihm auf.
»Doch, sehr sogar«, sagte sie.
»Wenn ich nämlich daran denke, daß die Welt der Menschen zum Untergehen verdammt ist, sich selbst dazu verdammt hat, durch ihre eigene niedrige Gemeinheit, dann kommen mir die Kolonien gar nicht weit weg genug vor. Nicht einmal der Mond ist weit genug, weil man sogar von ihm zurückschauen und die Erde sehen könnte - den schmutzigsten, gemeinsten, widerlichsten unter allen Sternen: verdorben von den Menschen. Dann schmecke ich Galle, und sie zerfrißt mir die Eingeweide; nichts ist weit genug, um sich dahin zu flüchten. Aber dann vergesse ich alles wieder, wie das Wetter umschlägt. Aber es ist eine Schande, was in den letzten hundert Jahren mit den Menschen passiert ist: Die Männer sind Arbeitsinsekten geworden, sonst nichts, und ihre ganze Mannheit ist ihnen gestohlen und ihr ganzes wahres Leben. Ich möchte die Maschinen von der Erde wegwischen und das ganze industrielle Zeitalter ausradieren, wie einen schlimmen Fehler. Aber weil ich das nicht kann und niemand es kann, halte ich besser meinen Mund und versuche, mein eigenes Leben zu leben, wenn ich überhaupt eins zu leben habe, was ich noch sehr bezweifle.«
Der Donner draußen hatte aufgehört, der Regen, der leiser geworden war, strömte plötzlich wieder rauschend nieder, von verblassenden Blitzen durchzuckt und vom abziehenden Unwetter leise durchgrollt. Connie war beklommen. Er hatte lange gesprochen, eigentlich mehr zu sich selber als zu ihr. Die Verzweiflung schien jetzt endgültig über ihm zusammenzuschlagen, und sie fühlte sich doch so glücklich und haßte die Verzweiflung. Sie wußte: daß sie wegging von ihm, das war ihm eben erst klargeworden und das hatte ihn in diese Stimmung zurückgeworfen. Sie triumphierte ein wenig.
Sie öffnete die Tür und schaute in den schweren Regen hinaus, ein stählerner Vorhang, und es befiel sie das jähe Verlangen, hinauszustürzen in den Regen, fortzustürzen. Sie stand auf und streifte flink die Strümpfe ab, dann das Kleid und die Wäsche, und er hielt den Atem an. Ihre spitzen Tierbrüste wippten und schwangen, als sie sich bewegte. Sie war elfenbeinfarben im grünlichen Licht. Sie schlüpfte wieder in ihre Gummischuhe und rannte mit einem wilden, kurzen Lachen hinaus, hielt ihre Brüste dem schweren Regen entgegen und breitete die Arme aus, und lief, vom Schleier des Regens verhüllt, hinaus mit den eurhythmischen Tanzbewegungen, die sie vor langer Zeit in Dresden erlernt hatte. Es war eine seltsame, bleiche Gestalt, die sich da hob und senkte, unter dem Regen bog, daß er ihre Flanken gleißend peitschte, dann aufschwang und mit vorgerecktem Leib herankam, wieder sich neigte, so daß die Fülle ihrer Hüften und Lenden dem Mann sich darbot wie in einer Huldigung, einer wilden Willfährigkeit.
Er lachte rauh und warf seine Kleider ab. Es war zu viel. Er sprang hinaus, nackt, weiß und erschauernd, in den harten, schrägpeitschenden Regen. Mit kurzem, wildem Bellen jagte Flossie vor ihm her. Connies Haar war naß und klebte an ihrem Kopf, sie wandte ihm ihr heißes Gesicht zu und sah ihn an. Ihre blauen Augen loderten vor Erregung, als sie umkehrte und, seltsam stürmisch, über die Lichtung davonrannte, in den Waldpfad hinein, wo die nassen Zweige sie peitschten. Sie rannte, und er sah nichts als den runden, nassen Kopf, den im Fliehen vorgebeugten, nassen Rücken, die runden, regenglänzenden Hinterbacken: eine wunderbare, geduckte weibliche Nacktheit auf der Flucht.
Sie war schon fast auf dem breiten Reitweg, als er sie einholte und seinen nackten Arm um ihre weiche, nacktnasse Mitte schlang. Sie schrie und bäumte sich auf, und die Fülle ihres weichen, durchkühlten Fleisches fiel gegen seinen Körper. Er preßte sie an sich, rasend, die Fülle des weichen, kühlen, weiblichen Fleisches, das unter der Berührung blutwarm erblühte wie eine Flamme. Der Regen strömte auf sie nieder, bis sie dampften. Er nahm in jede Hand eine ihrer schönen, schweren Hinterbacken und preßte sie in rasender Leidenschaft an sich, zu sich, bewegungslos, im Regen erschauernd. Dann warf er die Frau jäh hin und fiel über sie auf dem Pfad, in der rauschenden Stille des Regens, und nahm sie kurz und scharf - kurz und scharf und schnell gestillt, wie ein Tier.
Sofort stand er wieder auf und wischte sich den Regen aus den Augen.
»Komm ins Haus«, sagte er, und sie rannten zurück zur Hütte. Er lief schnell und geradewegs: Er mochte den Regen nicht. Sie aber kam langsam nach, pflückte Vergißmeinnicht und Feuernelken und Hyazinthen, rannte dann wieder ein paar Schritte und sah ihm nach, wie er vor ihr herlief.
Als sie außer Atem zur Hütte kam, mit ihren Blumen, hatte er schon ein Feuer entfacht, und die Zweige knisterten. Ihre spitzen Brüste hoben und senkten sich, ihr Haar war straff vom Regen, ihr Gesicht rot überhaucht, und ihr Körper glitzerte und tropfte. Weitäugig und atemlos, mit kleinem, nassem Kopf und vollen, triefenden, blanken Hüften sah sie aus wie ein fremdes Wesen.
Er nahm das alte Leintuch und rieb sie ab, sie stand da wie ein Kind. Dann trocknete er sich selber ab und schloß die Hüttentür. Das Feuer loderte auf. Sie wuschelte den Kopf ins andere Ende des Tuchs und trocknete sich das Haar.
»Wir trocknen uns mit demselben Handtuch ab - das gibt Streit!« sagte er.
Sie sah einen Augenblick auf, unter wild zerzaustem Haar. »Nein!« sagte sie mit groß geöffneten Augen. »Das ist kein Handtuch, das ist ein Leintuch.«
Und emsig trocknete sie weiter ihren Kopf, und er rieb den seinen.
Immer noch keuchend vor Anstrengung, jeder in eine Militärdecke gehüllt, doch die Vorderseite ihrer Körper offen dem Feuer zugekehrt, saßen sie Seite an Seite auf einem Holzblock vor den hellen Flammen, um wieder ruhig zu werden. Connie haßte das Kratzen der Decke auf der Haut. Aber das Leintuch war jetzt naß.
Sie ließ die Decke sinken und kniete auf den Lehmboden vorm Herd, hielt den Kopf dem Feuer hin und schüttelte das Haar, um es zu trocknen. Er schaute auf den schönen Schwung ihrer Flanken, der es ihm heute antat: Das üppige Gefälle zur schweren Rundung der Hinterbacken, zwischen denen, eingenistet in geheimnisvolle Wärme, die geheimen Öffnungen waren.
Er streichelte die schöne Wölbung mit seiner Hand, sacht und genießerisch ging er den Kurven und hemisphärischen Rundungen nach.
»Du hast so ‘n schönen Hintern«, sagte er in der kehligen, zärtlichen Mundart. »Du hast den schönsten Arsch, den ich kenne. Ist überhaupt der schönste Weiberarsch, den’s gibt. Und jeder Millimeter davon hat was von ‘ner Frau - das ist so sicher wie nur was. Du bist nicht eines von diesen knopfärschigen
Mädchen, die lieber Jungs hätten werden sollen - du nicht! Du hast ‘nen richtigen, weichen, runden Hintern - ‘nen, bei dem es einem Mann durch und durch geht. Du hast einen Hintern, wie er die Welt Zusammenhalten könnte, das steht fest.«
Und die ganze Zeit, während er redete, strich er ganz weich und zart über ihren runden Hintern, bis es war, als springe eine gleitende Flamme von ihm in seine Hände über. Und seine Fingerspitzen berührten wieder und wieder die beiden geheimen Öffnungen ihres Leibes mit einer sanften kleinen Bürste aus Feuer.
»Und wenn du scheißt und wenn du pißt, das gefällt mir. Ich mag keine Frau, die nicht scheißen und nicht pissen kann.«
Connie prustete los in einem kurzen, erstaunten Gelächter, sie konnte nicht dafür. Aber unbeirrt fuhr er fort:
»Du bist richtig, das bist du! Du bist richtig, hast sogar ‘n bißchen was von einem Nuttchen. Hier scheißt du, und hier pißt du, und ich leg meine Hand auf beides und lieb dich dafür. Ich lieb dich dafür. Du hast einen anständigen Weiberarsch, und der ist stolz auf sich. Er geniert sich nicht, der nicht!«
Er legte seine Hand fest und eng über ihre geheimen Öffnungen, wie in einer nahen Begrüßung.
»Ich lieb ihn«, sagte er, »ich lieb ihn! Und wenn ich nur noch zehn Minuten zu leben hab und es weiß und deinen Arsch streicheln kann, würde ich denken, ich hab ein Leben gelebt, verstehst du das? Scheiß auf die Industrie! Dies hier ist mein Leben.«
Sie drehte sich um und kletterte auf seine Knie hinauf und hielt sich an ihm fest. »Küß mich«, flüsterte sie.
Und sie wußte, der Gedanke an ihre Trennung lauerte in ihrer beider Sinn, und schließlich wurde sie traurig.
Sie saß auf seinen Schenkeln, den Kopf an seine Brust geschmiegt und die elfenbeinschimmernden, von den Flammen überflackerten Beine baumelten herab. Er saß mit gesenktem Kopf und betrachtete die Falten ihres Körpers im Feuerschein und das Vlies weichen braunen Haars, das zwischen ihren geöffneten Schenkeln zu einer Spitze auslief. Er griff auf den Tisch hinter sich und nahm ein Blumensträußchen, das noch so naß war, daß Regentropfen auf den Boden fielen.
»Blumen bleiben bei jedem Wetter draußen«, sagte er. »Sie haben keine Häuser.«
»Nicht mal eine Hütte«, murmelte sie.
Mit ruhigen Fingern flocht er ein paar Vergißmeinnichtblüten in das weiche braune Vlies auf ihrem Venusberg.
»Da!« sagte er. »Da gehören Vergißmeinnicht hin!«
Sie sah auf die milchigen, seltenen kleinen Blumen in dem braunen Haar hinab, dort unten an ihrem Leib.
»Sieht es nicht schön aus?« sagte sie.
»Schön wie das Leben«, erwiderte er.
Und er steckte eine rosa Feuernelke in das Haar.
»Da! Das bin ich, da vergißt du mich nicht! Das ist Moses in den Binsen.«
»Du nimmst es mir doch nicht übel, daß ich wegfahre?« fragte sie nachdenklich und sah in sein Gesicht hinauf.
Doch seine Miene war undurchdringlich unter den schweren Brauen. Nichts war zu lesen in seinem Gesicht.
»Tu, was du meinst«, sagte er.
Und er sprach die Worte ganz korrekt aus.
»Aber ich würde nicht fahren, wenn du es nicht willst«, sagte sie und klammerte sich an ihn.
Sie schwiegen. Er beugte sich vor und legte noch ein Scheit auf das Feuer. Die Flammen überglühten sein stilles, abwesendes Gesicht. Sie wartete, doch er sagte nichts.
»Ich dachte nur, es wäre eine gute Gelegenheit, den Bruch mit Clifford herbeizuführen. Ich möchte ein Kind haben. Und so würde doch die Möglichkeit bestehen, daß - « begann sie wieder. »- daß man den Leuten ein paar Lügen aufbinden könnte«, ergänzte er.
»Ja, unter anderem. Willst du denn, daß sie die Wahrheit denken?«
»Ist mir gleich, was sie denken.«
»Mir nicht! Ich will nicht, daß sie über mich herfallen mit ihren unangenehmen, kalten Gedanken. - Nicht, solange ich noch auf Wragby bin. Wenn ich endgültig weg bin, können sie denken, was sie wollen.«
Er schwieg.
Dann fragte er: »Aber Sir Clifford erwartet, daß du zu ihm zurückkommst?«
»Oh, ich muß zurückkommen«, sagte sie, und dann trat ein Schweigen ein.
»Und wolltest du in Wragby ein Kind zur Welt bringen?« fragte er.
Sie schlang die Arme um seinen Hals.
»Wenn du mich nicht wegnimmst von hier, wird mir nichts anderes übrigbleiben«, erwiderte sie.
»Dich wegnehmen? Wohin?«
»Irgendwohin. Nur weg. Nur weg von Wragby.«
»Wann?«
»Wann? Wenn ich wiederkomme!«
»Aber was für einen Sinn hat es, wiederzukommen und das Ganze zweimal zu unternehmen, wenn du doch schon mal weg bist?« fragte er.
»Oh, ich muß ganz einfach wiederkommen. Ich habe es versprochen. Ich habe es so fest versprochen. Und außerdem komme ich doch zu dir zurück!«
»Zum Waldheger deines Mannes?«
»Ich sehe nicht, was das soll«, sagte sie.
»Nein?« Er dachte eine Weile nach. »Und wann, denkst du, gehst du dann wieder weg - endgültig, meine ich? Wann genau?«
»Oh, ich weiß noch nicht. Erst mal komme ich von Venedig zurück. Und dann bereiten wir alles vor.«
»Wie vorbereiten?«
»Oh, ich sage es Clifford, Ich muß es ihm sagen.«
»Mußt du!«
Er schwieg. Sie schloß die Arme fest um seinen Hals.
»Mach es mir nicht schwer!« bat sie.
»Schwer? Was?«
»Nach Venedig zu fahren und alles einzurichten.«
Ein leises Lächeln, ein Grinsen fast, flackerte über sein Gesicht. »Ich mache es dir nicht schwer«, sagte er. »Ich möchte nur herauskriegen, was du eigentlich willst. Aber du kennst dich ja noch nicht mal selber richtig. Du willst Zeit gewinnen: Weggehen und die Sache aus der Entfernung betrachten. Ich mache dir keinen Vorwurf. Ich halte dich für ganz gescheit. Mag sein, daß du es vorziehst, weiter Herrin von Wragby zu spielen. Ich mache dir keinen Vorwurf daraus. Ich habe kein Wragby zu bieten. Du bist dir ja nun im klaren, was du bei mir zu erwarten hast. Nein, nein, ich finde durchaus, daß du recht hast! Wirklich! Und ich bin nicht scharf darauf, mich von dir abhängig zu machen, von dir zu leben. Das kommt noch dazu!«
Irgendwie hatte sie das Gefühl, daß er ihr Gleiches mit Gleichem vergalt.
»Aber du willst mich doch, nicht wahr?« fragte sie.
»Willst du mich?«
»Du weißt es doch. Da gibt’s doch keinen Zweifel.«
»Keinen! Und wann willst du mich?«
»Du weißt doch, wir können das alles erst arrangieren, wenn ich wieder da bin. Jetzt hast du mich ganz außer Atem gebracht. Ich muß erst wieder ruhig werden und klar sehen.«
»Na, dann werde mal ruhig und sieh klar.«
Sie war ein bißchen gekränkt.
»Aber du hast doch Vertrauen zu mir, nicht wahr?« fragte sie. »Oh, durchaus!«
Sie hörte den Spott in seinem Ton.
»Sag mir«, fragte sie dann geradezu, »hieltest du es für besser, wenn ich nicht nach Venedig führe?«
»Ich bin sicher, es ist besser, daß du nach Venedig fährst«, entgegnete er in dem kühlen, ein wenig spöttischen Ton.
»Du weißt, daß ich am nächsten Donnerstag fahre?« fragte sie. »Ja.«
Sie wurde nachdenklich jetzt. Schließlich sagte sie:
»Und wir werden dann noch besser wissen, woran wir sind, wenn ich zurückkomme, nicht?«
»Oh, gewiß!«
Diese merkwürdige Kluft des Schweigens zwischen ihnen! »Ich war beim Rechtsanwalt, wegen meiner Scheidung«, sagte er dann ein wenig gezwungen.
Sie schauderte.
»So, warst du!« sagte sie. »Und was hat er gesagt?«
»Er hat gesagt, ich hätte früher kommen sollen, das könnte es jetzt erschweren. Aber da ich beim Militär war, meint er, wird schon alles in Ordnung gehen. Wenn es nur nichts?!? mir auf den Hals hetzt!«
»Muß sie es denn erfahren?«
»Ja. Sie bekommt eine Mitteilung, und der Mann, mit dem sie zusammen lebt, auch - als Ehebrecher.«
»Ist es nicht widerlich, dies ganze Theater? Ich fürchte, ich werde dasselbe mit Clifford über mich ergehen lassen müssen.« Wieder schwiegen sie.
»Und natürlich«, sagte er dann, »muß ich die nächsten sechs, acht Monate ein mustergültiges Leben führen. Wenn du also nach Venedig fährst, komme ich wenigstens ein paar Wochen lang um die Versuchung herum.«
»Bin ich eine Versuchung?« sagte sie und streichelte sein Gesicht. »Ich bin so glücklich, daß ich eine Versuchung für dich bin! Laß uns jetzt nicht daran denken. Du ängstigst mich, wenn du zu denken anfängst - du machst mich ganz bedrückt. Laß uns nicht daran denken! Wir haben so viel Zeit zum Denken, wenn wir getrennt sind. Ach ja, das wollte ich ja noch sagen! Ich habe gedacht, ich muß noch einmal für eine Nacht zu dir kommen, bevor ich fahre. Ich muß noch einmal zu dir ins Haus kommen. Soll ich Donnerstag nacht kommen?«
»Ist da nicht deine Schwester da?«
»Ja. Aber sie sagte, wir würden zur Teezeit aufbrechen. Also könnten wir wirklich zur Teezeit abfahren. Aber sie könnte dann irgendwo anders schlafen, und ich könnte bei dir schlafen.«
»Aber sie müßte es dann wissen.«
»Oh, ich sage es ihr einfach. Mehr oder weniger habe ich es ihr schon gesagt. Ich muß sowieso alles mit Hilda besprechen. Sie ist eine große Hilfe - so vernünftig.«
Er überdachte ihren Plan.
»Also ihr wollt zur Teezeit in Wragby aufbrechen, als wenn ihr nur mal nach London führt? Welchen Weg wollt ihr fahren?«
»Über Nottingham nach Grantham.«
»Und dann soll deine Schwester dich irgendwo absetzen und du willst zu Fuß oder sonstwie hierher zurückkommen? Klingt mir reichlich gewagt.«
»Meinst du? Na, dann könnte Hilda mich zurückbringen. Sie könnte in Mansfield übernachten und mich am Abend hierher zurückbringen und mich am nächsten Morgen wieder abholen. Es ist ganz einfach.«
»Und die Leute, die dich sehen?«
»Ich setze mir eine Brille auf und nehme einen Schleier.«
Er überlegte eine Weile.
»Na schön«, sagte er. »Du sorgst für dein Vergnügen, wie üblich.«
»Aber würde es für dich denn kein Vergnügen sein?«
»Oh, doch! Das wäre schon ein Vergnügen«, sagte er ein wenig grimmig. »Warum soll ich nicht schmieden, solange das Eisen heiß ist?«
»Weißt du, was mir eingefallen ist«, sagte sie plötzlich - »eben gerade ist mir der Gedanke gekommen: du bist der Ritter vom feurigen Stößel.«
»So! Und du? Bist du die Freifrau vom rotglühenden Mörser?«
»Ja!« sagte sie. »Ja! Du bist Sir Stößel, und ich bin Lady Mörser.«
»Na schön, dann bin ich geadelt. John Thomas ist Sir John -Lady Jane ganz zu Diensten.«
»Ja. John Thomas ist geadelt! Ich bin Mylady Jungfernhaar, und du mußt auch Blumen haben. Doch, doch!«
Sie steckte zwei rosa Feuernelken in den Busch rotgoldener Haare über seinem Penis.
»Da!« sagte sie. »Charmant! Wirklich charmant: Sir John!«
Und sie schob ein paar Vergißmeinnichtstengel in das dunkle Haar auf seiner Brust.
»Und du wirst mich da nicht vergessen, hörst du?« Sie küßte ihn auf die Brust und nistete ins Brusthaar über jeder Warze einen Stengel Vergißmeinnicht ein und küßte ihn wieder.
»Mach nur einen Kalender aus mir!« sagte er. Er lachte und die Blumen wurden von seiner Brust geschüttelt.
»Warte eine Sekunde«, sagte er.
Er stand auf und öffnete die Hüttentür. Flossie, die unter dem Vordach lag, stellte sich auf und sah ihn an.
»Ich bin’s nur«, sagte er.
Der Regen hatte aufgehört. Nasse, duftschwere Stille hatte sich ausgebreitet. Der Abend war nah.
Er ging hinaus, den engen Pfad hinunter, der in eine dem breiten Reitweg entgegengesetzte Richtung führte. Connie sah seiner schmalen weißen Gestalt nach, und ihr war, als sei er ein Geist, eine Erscheinung, die sich von ihr fortbewegte.
Als sie ihn nicht mehr sehen konnte, wurde sie traurig. Sie stand unter der Hüttentür, in eine Decke gewickelt, und sah in die feuchtschwere, reglose Stille hinaus.
Doch er kam zurück, mit seltsam schwerem Schritt, und brachte Blumen. Sie fürchtete sich ein wenig vor ihm, fast als sei er kein menschliches Wesen. Und als er näher kam, sahen seine Augen in die ihren, doch sie konnte ihren Ausdruck nicht deuten.
Er hatte Akeleien mitgebracht und Feuernelken und Waldmeister und junge Eichenschößlinge und Geißblatt in kleinen Knospen. Er wand flaumige junge Eichentriebe um ihre Brüste und steckte Hyazinthensträußchen und Feuernelken dazwischen; und in ihren Nabel tauchte er eine rosa Nelkenblüte, und in ihrem Jungfernhaar waren Vergißmeinnicht und Waldmeister. »Das bist du in deiner ganzen Pracht!« sagte er. »Lady Jane auf ihrer Hochzeit mit John Thomas.«
Und er steckte Blumen ins Haar seines eigenen Körpers und umwand seinen Penis mit einem kleinen Schlinggewächs und steckte eine einzelne Hyazinthenglocke in seinen Nabel. Belustigt betrachtete sie ihn in seiner seltsamen Versunkenheit. Und sie schob eine Feuernelke in seinen Bart, und da blieb sie hängen und baumelte unter seiner Nase.
»Das ist John Thomas bei der Hochzeit mit Lady Jane«, sagte er. »Und wir müssen Constance und Oliver ihrer Wege gehen lassen. Vielleicht-«
Er breitete seine Hände in einer Geste aus, und dann nieste er, nieste die Blumen von seiner Nase und von seinem Nabel weg, nieste noch einmal.
»Vielleicht was? Sag zu Ende, was du sagen wolltest«, drang sie in ihn.
»Hm, was wollte ich denn nur sagen?«
Er hatte es vergessen. Und es war eine der Enttäuschungen ihres Lebens, daß er nie zu Ende sprach.
Ein gelber Sonnenstrahl strich über die Bäume hin.
»Die Sonne!« sagte er. »Und Zeit, daß du gehst. Zeit, Euer Gnaden, Zeit! Was fliegt ohne Flügel, Euer Gnaden? Die Zeit! Die Zeit!«
Er langte nach seinem Hemd.
»Sag gute Nacht zu John Thomas«, sagte er und sah zu seinem Penis hinunter. »Er ist sicher in den Fängen des Schlingkrauts! Hat nicht viel von einem feurigen Stößel jetzt.«
Und er zog sein Flanellhemd über den Kopf.
»Der gefährlichste Augenblick eines Mannes«, sagte er, als sein Kopf wieder hervorkam, »ist, wenn er sein Hemd anzieht. Er steckt dann den Kopf in einen Sack. Darum sind mir die amerikanischen Hemden lieber, die man wie eine Jacke anzieht.« Sie stand noch immer da und sah ihm zu. Er stieg in seine kurze Unterhose und knöpfte sie zu.
»Sieh dir Jane an!« sagte er. »In all ihrer Blütenpracht! Wer wird dir nächstes Jahr Blüten aufsetzen, Jinny? Ich oder jemand anders? >So leb denn wohl, du Blume, leb wohl, leb wohl, leb wohl< - ich hasse dies Lied, es ist aus den ersten Kriegstagen.« Er setzte sich und zog seine Strümpfe an. Noch immer stand sie regungslos. Er legte seine Hand auf ihre runden Hüften. »Hübsche kleine Lady Jane!« sagte er. »Vielleicht wirst du in Venedig einen Mann finden, der dir Jasmin ins Haar da unten flicht und deinen Nabel mit einer Granatblüte schmückt. Arme kleine Lady Jane!«
»Sag so etwas nicht!« rief sie. »Du sagst das nur, um mich zu verletzen.«
Er ließ den Kopf sinken. Dann sagte er in seinem Dialekt: »Vielleicht hast du ja recht. Vielleicht. Na schön, ich sag nichts mehr - Schluß, aus. Aber du mußt dich anziehen und zurückgehen zu deinen stolzen Burgen Englands, wie herrlich stehn sie da! Die Zeit ist um. Die Zeit ist um für Sir John und die kleine Lady Jane! Zieh dein Hemd an, Lady Chatterley! Kannst ja jede sein, so wie du jetzt dastehst - noch nicht mal ein Hemd an, nur die lumpigen Blumen. Na komm, ich werd dich ausziehn, du kurzschwänzige Drossel.« Und er nahm die Blätter aus ihrem Haar und küßte ihr feuchtes Haar, und er pflückte die Blumen von ihren Brüsten und küßte ihre Brüste und küßte ihren Nabel und küßte ihr Jungfernhaar, dem er seine Blüten ließ. »Die müssen dableiben, solange sie wollen«, sagte er. »So! Nun bist du wieder nackt, nichts als ein nacktärschiges Mädchen mit’m bißchen Lady Jane. Zieh dein Hemd jetzt an, du mußt gehen, sonst kommt Lady Chatterley zu spät zum Abendbrot, und wo bist du gewesen, meine schöne Maid!«
Sie wußte nie, wie sie antworten sollte, wenn er in der Stimmung war, Dialekt zu sprechen. So zog sie sich einfach an und machte sich bereit, heimzugehen nach Wragby. Sie schämte sich. Oder so kam es ihr jedenfalls vor: ein beschämender Heimweg.
Er begleitete sie bis zum Reitweg. Seine jungen Fasanen waren alle sicher unter dem Schutzdach.
Als sie beide auf den breiten Weg hinaustraten, stolperte ihnen Mrs. Bolton bleich entgegen.
»Oh, Mylady, wir dachten schon, es sei was passiert!«
»Nichts! Nichts ist passiert.«
Mrs. Bolton sah ins Gesicht des Mannes, das geglättet und frisch war von der Liebe. Sie begegnete seinen halb lachenden, halb spottenden Augen. Er lachte immer, wenn es ein Mißgeschick gab. Doch er sah sie freundlich an.
»N’abend, Mrs. Bolton! Ihre Gnaden sind ja jetzt gut aufgehoben, da kann ich mich verabschieden. Gute Nacht, Euer Gnaden! Gute Nacht, Mrs. Bolton!«
Er grüßte, wandte sich um und ging.