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Faith Gushungo stürmte in die Küche ihres Hongkonger Hauses und schrie die zwei Frauen an, die an dem Tisch in der Mitte saßen. »Mein Schlafzimmer ist ein Saustall! Es sollte bei meiner Ankunft makellos sauber sein, das hatte ich angeordnet!« Sie zeigte mit einem beringten Finger auf ihre Dienstmädchen. »Aber die Betten sind ungemacht! Überall liegt Staub! Das Bad ist die reinste Gosse!«
Sie beugte sich nach vorn und stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. Mit ihren rot besohlten Louboutin-Pumps war sie über eins achtzig groß, im Vergleich mit den zierlichen Chinesinnen in ihrer hellgrauen Dienstkleidung und den weißen Schürzen eine Riesin.
»Aber … aber … ich habe es sauber gemacht, Missy«, brachte die jüngere vor lauter Angst und Demütigung schluchzend hervor.
Faith Gushungo richtete die ganze Wucht ihres Missfallens auf die Sprecherin. Sie senkte die Stimme, klang aber umso drohender, als sie erwiderte: »Ach wirklich? Du meinst, du hast das Zimmer geputzt? Na, dann hör mir mal zu, du kleiner gelber Affe. Du bist es vielleicht gewohnt, in Dreck und Durcheinander zu leben, aber ich nicht. Ich stelle die höchsten Ansprüche und verlange von meinem Personal bedingungslosen Gehorsam. Wenn du also deine Stellung nicht verlieren willst, gehst du jetzt in das Zimmer und wirst jeden Quadratzentimeter spiegelblank putzen, wie ich es erwarten kann. Und du wirst nicht eher nach Hause gehen, als bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin. Hast du mich verstanden?«
»Ja, Missy, ja. Ich hole nur schnell, was ich brauche. Ich fange sofort an.«
»Das solltest du auch«, fauchte die First Lady Malembas und trat von dem Tisch weg. »Sofort und nicht einen Augenblick später.« Dann drehte sie sich auf ihren Stilettos um und stolzierte hinaus. Draußen hörte man ihre Absätze über den Marmorboden klappern.
Tina Wong wartete, bis Faith Gushungo außer Hörweite war, dann legte sie der weinenden Angestellten eine tröstende Hand auf den Rücken. »Es tut mir leid, kleine Schwester«, sagte sie auf Kantonesisch. »Es ist meine Schuld, dass du diese unverdiente Demütigung ertragen musstest.«
Die Hausangestellte hörte so schnell zu weinen auf, wie sie angefangen hatte. »Mach dir keine Gedanken, große Schwester. Die Hexe kann mir nichts anhaben. Es ist schon schlimm, das Gesicht zu verlieren, wenn man von einem zivilisierten Menschen angeschrien wird, aber noch viel schlimmer ist es bei einem Barbaren … und am allerschlimmsten bei einer viehischen Person wie der!« Sie schnaubte angewidert und nahm ihr Putzzeug. »Ich werde mal sehen, ob ich den Fäulnisgestank aus ihrem Zimmer vertreiben kann.«
»Unmöglich!«, erwiderte Wong und lächelte die jüngere aufmunternd an, als sie sich auf den Weg machte.
Sowie sie allein war, griff sie in den Plastikeimer, in dem sie ihre Reinigungsmittel, die Politur und Wischlappen transportierte, und nahm eine zusammengerollte Plastikfolie heraus. Sie zog einen Schutzfilm davon ab und breitete die Plastikfolie auf dem Tisch aus, genau da, wo Faith Gushungo ihre rechte Hand aufgestützt hatte. Dann zog sie die Folie vom Tisch und bedeckte sie wieder mit dem Schutzfilm.
Nach der Arbeit nahm Wong den Zug von Tai Po nach Monkok, dem Zentrum von Kowloon, wo mehr Menschen auf einem Fleck zusammenlebten als an jedem anderen Ort der Erde. Sie stieg in den vierten Stock eines heruntergekommenen Wohnhauses und klopfte an eine rote Tür, von der die Farbe abblätterte. Ihr öffnete ein dünner Brillenträger in einem verschlissenen Laborkittel. Er grinste, als er sie sah, und winkte seine ehemalige Kollegin in die kleine Wohnung.
Die makellos instand gehaltene Ausstattung war viel, viel mehr Wert als die schmutzige Immobilie, in der sie stand. Die Computer hatten Zugriff auf alle wichtigen Datenbestände der Polizei und waren mit Scannern, Laserdruckern, Spektrometern, Zentrifugen verbunden. Kurz gesagt, die Wohnung war ein kriminaltechnisches Labor.
Der Mann nahm von Wong die Plastikfolie entgegen und legte sie auf einen Scanner. Nach ein paar Sekunden erschien ein überlebensgroßes Bild des Handabdrucks auf einem Zweiunddreißig-Zoll-Monitor. Der Mann musterte es kurz, dann drehte er sich breit lächelnd zu Wong um.
»Perfekt«, sagte er. »Du bekommst genau das, was du brauchst.«